Index
90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit einer nur an Schultagen geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung vor Schulen in Graz; hinreichende Bestimmtheit des Begriffs "Schultag"Spruch
Der Antrag, die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 30. August 1994, Z A10/1-I-223/9-1994, als gesetzwidrig aufzuheben, wird, insoweit er sich nicht auf Punkt 12. der genannten Verordnung bezieht, zurückgewiesen.
Soweit sich der Antrag auf Punkt 12. bezieht, wird er abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Der Bürgermeister der Stadt Graz erließ am 30. August 1994 zu Z A10/1-I-223/9-1994 folgende Verordnung:
"Verordnung
Gemäß §43 StVO 1960, BGBl. Nr. 159, in der derzeit gültigen Fassung, wird auf Grund des Verhandlungsergebnisses vom 16.8.1994
1. für die Keplerstraße zwischen der östlichen Kante des Hauses Keplerstraße 57 und dem Zugang zum Hause Keplerstraße Nr. 40,
2. für den Grieskai von der nördlichen Begrenzung des Zuganges zum Hause Grieskai Nr. 62 bis 35 m nördlich des Zuganges zum Hause Grieskai Nr. 74a,
3. für die Neuholdaugasse vom Zugang zum Hause Neuholdaugasse Nr. 92 bis zur Kreuzung mit der Fröhlichgasse und für die Fröhlichgasse vom Zugang zum Hause Fröhlichgasse Nr. 96 bis zur Kreuzung mit der Neuholdaugasse,
4. für die Münzgrabenstraße mit dem Beginn 9 m nördlich der südlichen Kante des Hauses Münzgrabenstraße Nr. 12 bis zur Hausnaht der Liegenschaften Münzgrabenstraße Nr. 21/23,
5. für die Brucknerstraße von der westlichen Begrenzung der Zufahrt zum Hause Brucknerstraße Nr. 34 bis 14 m östlich der westlichen Begrenzung der Liegenschaft Brucknerstraße Nr. 62a,
6. für die Puntigamer Straße von der Raiffeisenstraße bis zur Liebenauer Hauptstraße,
7. für die Waltendorfer Hauptstraße von der Schauensteingasse bis zur Marktgasse,
8. für die Leonhardstraße zwischen der Hausnaht der Liegenschaften Leonhardstraße 61/63 und der Kreuzung mit der Engelgasse,
9. für die Mariatroster Straße von der Zufahrt zum Hause Mariatroster Straße Nr. 188 bis 30 m westlich der westlichen Gebäudekante des Hauses Mariatroster Straße Nr. 198,
10. für die Augasse von der südlichen Gebäudekante des Hauses
Augasse Nr. 84 bis zur südlichen Liegenschaftsgrenze des Hauses Augasse Nr. 77,
11. für die Anton-Kleinoscheg-Straße von der Aspachgasse bis 9 m südlich der Einmündung der Weixelbaumstraße,
12. für die Alte Poststraße von der nördlichen Kante des Hauses Alte Poststraße Nr. 104 bis zur Hausnaht der Liegenschaften Alte Poststraße Nr. 114/116,
13. für die Algersdorfer Straße von der Rochelgasse bis zur nördlichen Begrenzung der Liegenschaft Algersdorfer Straße Nr. 15,
14. für die Georgigasse von der westlichen Begrenzung der Einmündung der Schloßstraße bis 20 m östlich der westlichen Gebäudekante des Hauses Georgigasse Nr. 84,
15. für die Kapellenstraße von der westlichen Begrenzung der Liegenschaft Kapellenstraße Nr. 119 bis zum Zugang zum Hause Kapellenstraße Nr. 94 und
16. für die Gradnerstraße vom Zugang zum Hause Gradnerstraße Nr. 31 bis 5 m östlich der östlichen Begrenzung der Liegenschaft Gradnerstraße Nr. 24
jeweils eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h gemäß §52 Zif. 10a StVO 1960 mit dem Zusatz 'an Schultagen von 07.00 bis 19.00 Uhr' verordnet.
Diese Verordnung ist gemäß §44 StVO 1960 durch die entsprechenden Verkehrszeichen kundzumachen und tritt am Tage der Anbringung in Kraft.
...
Verordnet am: 30.8.1994
Für den Bürgermeister:"
1.2. Die Verordnung wurde durch Anbringung der entsprechenden Vorschriftszeichen am 5. September 1994 kundgemacht.
2. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (im folgenden: UVS Stmk.) ist ein Berufungsverfahren gegen ein Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 18. Jänner 1999 anhängig, mit dem über den Berufungswerber eine Geldstrafe in der Höhe von S 700,- und eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag verhängt wurde, weil er am 14. Oktober 1997 um 16.44 Uhr in Graz, Alte Poststraße, gegenüber dem Haus Nr. 106 als Lenker eines näher bezeichneten Kraftfahrzeuges die dort an Schultagen von 07.00 Uhr bis 19.00 Uhr erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 13 km/h überschritten hatte.
Aus Anlaß dieses Berufungsverfahrens stellte der UVS Stmk. gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art139 Abs1 B-VG den Antrag, die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 30. August 1994, Z A10/1-I-223/9-1994, kundgemacht am 5. September 1994 "wegen Verletzung der rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verständlichkeit einer Norm ihrem gesamten Inhalte nach aufzuheben".
3.1. Der UVS Stmk. führt zur Präjudizialität der angefochtenen Verordnung aus, die genannte Verordnung sei zur Tatzeit am Tatort in Geltung gestanden und in der anhängigen Rechtssache von ihm unmittelbar anzuwenden. Die Frage, ob der Begriff "an Schultagen" ausreichend bestimmt sei, bilde eine Vorfrage nach §57 Abs2 VerfGG 1953.
Der UVS Stmk. beantragt, die gesamte Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, weil bei Aufhebung lediglich der Wortfolge "an Schultagen" die Verordnung täglich, sohin auch an Sonn- und Feiertagen sowie in den Ferien gelten würde. Der verbleibende Text bekäme hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereiches einen völlig veränderten Inhalt, der offensichtlich weit über die Intention der verordnungserlassenden Behörde hinausginge.
3.2. In der Sache bringt der UVS Stmk. nach Darstellung der schulgesetzlichen Grundlagen zunächst ganz allgemein zum Legalitätsprinzip und Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 Abs1 und 2 B-VG vor und führt aus, der Verordnungsgeber sei gehalten, inhaltlich ausreichend bestimmte Regelungen zu schaffen. Der Verfassungsgerichtshof habe die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Zugänglichkeit des Rechts in mehreren Entscheidungen präzisiert (VfSlg. 3130/1956, 12420/1990).
Im konkreten Fall gehe es darum, daß vor Volksschulen an Schultagen eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h einzuhalten sei. Der Begriff "Schultag" werde in der StVO 1960 nicht festgelegt, eine Definition finde sich jedoch in §2 Abs3 Schulzeitgesetz 1985, BGBl. 77 idF BGBl. I 1998/45, bzw. in §2 Abs5 Steiermärkisches Schulzeit-Ausführungsgesetz, LGBl. 1966/206 idF LGBl. 1998/11, wonach Schultage alle jene Tage des Unterrichtsjahres seien, die nicht schulfrei seien. Soweit die schulfreien Tage im wesentlichen Sonntage, gesetzliche Feiertage und diverse Ferien beträfen, seien diese zeitlich eindeutig umschrieben. §2 Abs7 bzw. Abs9 Schulzeitgesetz 1985 räume aber dem Schulforum, das gemäß §63a SchUG in Volksschulen vorgesehen sei, die Kompetenz ein, bis zu fünf Schultage (sog. "schulautonome Tage") sowie die Samstage des Unterrichtsjahres für schulfrei zu erklären. Diese "innerschulisch getroffenen Vereinbarungen über schulfrei erklärte Tage" seien vom jeweiligen Schulleiter durch Anschlag in der Schule und Verständigung der Schüler bzw. Erziehungsberechtigten kundzumachen und sohin nicht allgemein bekannt. Ein Verkehrsteilnehmer könne daher allein anhand der vorhandenen Verkehrszeichen (Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h mit der Zusatztafel "an Schultagen von 07.00 Uhr bis 19.00 Uhr") nicht wissen, ob diese Geschwindigkeitsbeschränkung etwa auch an Samstagen einzuhalten sei. Ebenso sei nicht erkennbar, welche Tage konkret an einer Volksschule für schulfrei erklärt worden seien. Den Verkehrsteilnehmern sei es nicht zumutbar, sich vorher in der Schule oder beim Bezirks- oder Landesschulrat zu erkundigen, wann ein Schultag sei. Für eine solche Feststellung benötige man daher bereits subtile Sachkenntnis und außerordentliche methodische Fähigkeiten, was dem Grundsatz, daß Straßenverkehrszeichen klar und eindeutig zum Ausdruck bringen müßten, welches Verhalten von den Verkehrsteilnehmern gefordert werde und wann Gebote oder Verbote gälten, widerspreche.
Im Erkenntnis VfSlg. 9834/1983 habe der Verfassungsgerichtshof gegen ein vor einer Schule mit Verbotsschildern und der Zusatztafel "Werktags von 07.15 Uhr bis 14.00 Uhr" kundgemachtes Halte- und Parkverbot keine Bedenken gehabt, wohl aber ausgesprochen, daß eine weitere Einschränkung auf "Unterrichtstage" zu Mißdeutbarkeit und Rechtsunsicherheit führen würde. Die Erlassung einer Verordnung mit der Zusatztafel "An Unterrichtstagen" laufe demnach der Forderung nach leicht verständlichen und vollziehbaren Vorschriften zuwider. Die zeitliche Geltung einer Strafnorm müsse für alle - auch für nicht mit der Schulzeit und dem Schulbetrieb vertraute - Verkehrsteilnehmer eindeutig und klar umschrieben sein.
Das genannte Erkenntnis, aus dem sich indirekt die Unbestimmtheit des Begriffes "Unterrichtstag" iSd. des Art18 B-VG ableiten lasse, sei auf den hier vom Verordnungsgeber gewählten Begriff "Schultag" anwendbar. Im allgemeinen Sprachgebrauch und nach dem Verständnis eines mit den Besonderheiten des Schulbetriebes nicht vertrauten Durchschnittsbürgers würden die Begriffe "Unterrichtstag" und "Schultag" nämlich weitgehend synonym verwendet. Es werde darunter im allgemeinen ein Tag verstanden, an dem Schulbetrieb herrsche bzw. unterrichtet werde. Hinsichtlich der schulautonomen und sonst freien Tage bestehe sohin weitgehend Rechtsunsicherheit.
4.1. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz erstattete eine Äußerung, in der er zur Zulässigkeit des Antrages im wesentlichen ausführt, der UVS Stmk. habe in dem bei ihm anhängigen Verwaltungsstrafverfahren offenkundig lediglich Punkt 12. der angefochtenen Verordnung anzuwenden. Punkt 12. bilde einen "selbständigen Verordnungsteil"; die übrigen 15 Punkte der Verordnung beträfen andere Straßenstrecken in Graz. Da sich der Aufhebungsantrag jedoch nicht nur auf den tatsächlich präjudiziellen Punkt 12., sondern auf die gesamte Verordnung beziehe, sei er "überschießend" und sohin unzulässig.
4.2. In der Sache hält der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz dem Antragsvorbringen im wesentlichen entgegen:
"(...)
2. Aus dem Anfechtungsvorbringen des UVS ergibt sich zweifelsfrei, daß nicht die 30 km/h-Beschränkung vor Schulen an sich inkriminiert wird, sondern nur die 'Regelungstechnik'. Gegen eine 30-km/h-Beschränkung vor Schulen ließe sich ja auch ernstlich nichts einwenden, weil jedermann der Regelungszweck einsichtig sein muß:
Es ist allgemein bekannte Erfahrungstatsache, daß Schüler, und hier gerade Schüler der frühen Schulstufen, wie zB. Volksschüler, ungeachtet des im Unterricht herrschenden Unterrichtsprinzipes 'Verkehrserziehung' dem Verkehrsgeschehen insbesondere zu Schulende, zu Schulbeginn und in Unterrichtspausen nicht genügend Aufmerksamkeit schenken und daher höchst unfallgefährdet sind. Eine Beschränkung des an Schulen vorüberfließenden Verkehrs auf eine Geschwindigkeit von 30 km/h ist daher sachgerecht, weil sie - sowohl die Unfallshäufigkeit, als auch - die Unfallsschwere nachweislich erheblich zu mildern imstande ist. Darüberhinaus ist eine solche Beschränkung im Bereich von Schulgebäuden nicht nur ein Schutzinstrument für die Schulkinder, sondern auch für die Autofahrer selbst:
Gilt doch der sogenannte Vertrauensgrundsatz nicht für Kinder; sodaß dem Fahrzeuglenker, der ansonsten als 'schuldlos' am Unfallsgeschehen angesehen werden könnte, würde es sich beim Unfallsopfer um einen Erwachsenen handeln, durchaus ein Mitverschulden anzulasten sein könnte. Mit der Geschwindigkeitsbeschränkung wird aufgrund der geringeren Fahrgeschwindigkeit auch die Möglichkeit verbessert, Gefahrenpotentiale (zB auf die Straße laufende Schulkinder) noch rechtzeitig erkennen und darauf angemessen reagieren zu können.
3. Was die 'Regelungstechnik' betrifft, also die Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung 'an Schultagen', wird diese vom UVS für die Steiermark ganz offenbar als zu unbestimmt und von den Verkehrsteilnehmern nicht ausreichend nachvollziehbar und daher als gesetzwidrig erachtet.
Nun verkennt der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz als verordnungserlassende Behörde durchaus nicht, daß sich der UVS bei seiner Anfechtungsargumentation auf ein maßgebendes Erkenntnis des Hohen Gerichtshofes bezieht, nämlich auf das vom 14. (richtig: 24.!) 11.1983, B418/80. Dennoch vermeint der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz, daß - abgesehen davon, daß der Erkenntnissachverhalt nicht eins zu eins auf den Anfechtungsfall übertragen werden kann - die im Gegenstandsfall gewählte Festlegung jener Zeiten, in denen die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt, sachgerecht und hinreichend bestimmt genug ist, damit sich der Normunterworfene danach ausreichend orientieren und feststellen kann, welches Verhalten wann von ihm gefordert ist.
4. Es sei gestattet, zur Frage der 'Regelungstechnik', also der hinreichenden Bestimmtheit des Gebotes der Verordnung, gewissermaßen das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen und die Frage zu stellen, welche 'Regelungstechnik' überhaupt zur Verfügung steht:
Schulbetrieb findet, und das ist wohl allgemeines Erfahrungsgut, zumindest nicht an Sonn- und Feiertagen statt, sodaß sich als Regelungstechnik anböte, die im Gegenstandsfall verordnete Geschwindigkeitsbeschränkung für Werktage festzulegen, zu denen bekanntlich (immer noch) auch der Samstag zählt, an welchen Tagen - je nach Ergebnis schulautonomer Festlegung - Unterricht sein kann, aber nicht muß. Allgemeines Erfahrungsgut ist es im übrigen auch, daß während der Weihnachtsferien, während der sogenannten 'Energiewoche', während der Osterferien, der Pfingstferien und nicht zuletzt während der sogenannten großen Ferien kein Schulbetrieb herrscht. Würde also 'werktags' jeweils eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h gelten, müßten Autofahrer während insgesamt ca 13 Wochen unterrichtsfreier Zeit im Jahr eine Geschwindigkeit von 30 km/h bei Schulen einhalten, obwohl dort dafür (siehe Regelungszweck) keinerlei Notwendigkeit besteht. Dennoch hat der Hohe Gerichtshof im bezogenen Erkenntnis gegen eine Regelung, die werktags (also auch während aller Ferienzeiten) vor einer Schule ein Halte- und Parkverbot anordnet, keine Bedenken gehegt. Offenbar hat hier eine Rechtsgüterabwägung stattgefunden, die im Interesse der Bestimmtheit des Verordnungsinhaltes Autofahrern während erheblicher Zeiten ein Verhalten auferlegt, das der Sache wegen gar nicht geboten erscheint.
Nun kommt einem Halte- und Parkverbot fraglos weniger 'Eingriffsschwere' zu, als einer Geschwindigkeitsbeschränkung, weil ein solches Halte- und Parkverbot nur ganz wenige Verkehrsteilnehmer trifft, eine Geschwindigkeitsbeschränkung hingegen alle Verkehrsteilnehmer, die in bezogenen Straßenbereichen ihr Fahrzeug lenken. Um die 'Eingriffsschwere' auf das gebotene Maß zu mildern, wurden (daher) die Geschwindigkeitsbeschränkungen vor den in der Verordnung enthaltenen Schulen nicht für die Werktage festgelegt, sondern nur für die Schultage. Das gewährleistet, daß alle Autofahrer, denen nach jedermann zugänglicher Lebenserfahrung nicht nur die Hauptferienzeiten, sondern auch alle anderen regulären Ferienzeiten wohlbekannt sind, in diesen von der Einhaltung einer geringeren als im Ortsgebiet erlaubten Geschwindigkeit 'befreit' sind. Im Interesse der Sache wurde dabei freilich in Kauf genommen, daß an den insgesamt höchstens fünf schulautonomen Tagen im Jahr (vgl Schulzeitgesetz des Bundes bzw. Schulzeitausführungsgesetz des Landes Steiermark) bzw an den von den wenigen von den Schulbehörden 'freigebbaren' Tagen im Jahr ungeachtet eines nicht stattfindenden Unterrichtes dennoch eine Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h eingehalten werden muß.
5. Eine weitere mögliche 'Regelungstechnik' wäre es gewesen, die Geschwindigkeitsbeschränkung für 'Unterrichtstage' festzulegen, welche Regelung der Hohe Gerichtshof aber in seinem vom UVS bezogenen Erkenntnis als nicht sachgerecht angesehen hat. Dies deshalb, weil ein Aufsuchen des Schulgebäudes auch an unterrichtsfreien Tagen durchaus möglich ist, wie zB. zum Besuch außerschulischer Veranstaltungen, die nicht nur an Unterrichtstagen stattfinden können, sodaß die mit der Schulzeit und dem Schulbetrieb nicht vertrauten Personen im Ergebnis nicht wissen können, wann nun das Verbot gälte. Diesen Überlegungen ist jedenfalls zuzustimmen, wiewohl der UVS für die Steiermark in seinem diesbezüglichen Vergleich offenbar verkennt, daß dem Begriff 'an Schultagen' ein weiter gehender Inhalt zukommt, als dem Begriff 'an Unterrichtstagen', weil, wie schon vom Hohen Gerichtshof dargelegt, durchaus auch unterrichtsfreie Tage 'Schultage' sein können, an denen zweckmäßigerweise nicht nur ein Halteverbot, sondern umsomehr eine Verkehrsbeschränkung (zur Gefahrenminimierung) geboten ist. Schon aus diesem Grund erscheint dem Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz eine Verkehrsbeschränkung an Schultagen jedenfalls sachgerechter als an Unterrichtstagen und zudem wesentlich bestimmter und nachvollziehbarer, weil, wie schon ausgeführt, auch dem durchschnittlichen Autofahrer bekannt ist, wann jedenfalls keine Schultage sind, nämlich an Sonntagen und in den Ferienzeiten, deren Art und Dauer nahezu jedermanns Wissensstand sind.
6. Weitere sachgerechte 'Regelungstechniken' zur Festlegung der Geltung von fraglos gebotenen Geschwindigkeitsbeschränkungen vor Schulen (insbesondere Volksschulen) stehen nach Auffassung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz nicht zur Verfügung: Wie schon erwähnt, würde eine ganzjährig an allen Werktagen geltende Geschwindigkeitbeschränkung die Autofahrer durch mindestens 13 Wochen im Jahr zu einem den Verkehrsfluß entscheidend hindernden Verhalten nötigen, obwohl ein solches in diesem Zeitraum sachlich nicht geboten ist. Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 'Unterrichtstage' zu beschränken, wurde vom Hohen Gerichtshof bereits, und wie der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz vermeint, völlig zutreffend, verworfen. Eine andere als die im Verordnungsgegenstandsfall gewählte 'Regelungstechnik', die sachgerecht und gleichzeitig hinreichend bestimmt ist, gibt es aber nicht und wurde offenbar auch von keinem anderen Verordnungsgeber in ganz Österreich bis dato gefunden. Daher kann die vom UVS für Steiermark inkriminierte Lösung, die Geschwindigkeitsbeschränkung zumindest an Schultagen gelten zu lassen, aber nicht ganzjährig mit Ausnahme der Sonntage (das wäre die Lösung 'werktags') nicht gesetzwidrig sein. Dies auch dann nicht, wenn damit in Kauf genommen werden muß, daß an ca 5 bis 7 Tagen im Jahr in Folge schulautonom festgesetzter bzw von den Schulbehörden festgelegter schulfreier Tage Autofahrer eine Geschwindigkeitsbeschränkung einhalten müssen, die an diesen wenigen Tagen nicht geboten ist. Jedenfalls erscheint diese Lösung sachgerechter, als eine Geschwindigkeitsbeschränkung an jedem Werktag des ganzen Jahres.
(...)"
5. Der UVS replizierte auf diese Äußerung.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1. Gemäß Art139 Abs1 B-VG iVm. 129a Abs3 und 89 Abs2 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen ua. auf Antrag eines unabhängigen Verwaltungssenates, wenn dieser gegen die Anwendung solcher Normen aus dem Grunde der Gesetzwidrigkeit Bedenken hat. Der Verfassungsgerichtshof hat hiebei die ihm unterbreitete Auffassung zur Präjudizialitätsfrage nach ständiger Rechtsprechung auf ihre Denkmöglichkeit zu untersuchen (vgl. etwa VfSlg. 13424/1993 und 15436/1999). Nur wenn dabei die Unrichtigkeit des Standpunktes des unabhängigen Verwaltungssenates offen zutage tritt, ist der Antrag unzulässig.
1.2. Der UVS Stmk. begehrt in seinem Antrag, die Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 30. August 1994, Z A10/1-I-223/9-1994, "wegen Verletzung der rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verständlichkeit einer Norm ihrem gesamten Inhalt nach" aufzuheben. Aus dem Antragsvorbringen geht jedoch hinreichend erkennbar hervor, daß er bei der Entscheidung über die Berufung gegen das angefochtene Straferkenntnis nicht die gesamte Verordnung, sondern lediglich deren Punkt 12. anzuwenden hat. Da sohin nur dieser Teil der angefochtenen Verordnung für seine Entscheidung präjudiziell ist, ist der Antrag, soweit er sich über diese präjudizielle Bestimmung hinaus gegen die genannte Verordnung wendet, iSd. Art139 Abs1 B-VG unzulässig.
Der Antrag war daher insoweit, als er sich nicht gegen Punkt 12. der angefochtenen Verordnung richtet, zurückzuweisen. Die Voraussetzungen des Art139 Abs3 B-VG sind nur vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. VfSlg. 15133/1998).
1.3. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag des UVS Stmk., soweit er nicht zurückzuweisen war, zulässig.
2. In der Sache:
Der Antrag ist nicht begründet:
Den Ausführungen des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz, mit denen er die zeitliche Geltung der Geschwindigkeitsbeschränkung an Schultagen rechtfertigt, kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 9834/1983) und insbesondere im Hinblick darauf, daß Verkehrsbeschränkungen nur insoweit zulässig sind, als sie im Sinne des §43 Abs1 StVO 1960 erforderlich sind, nicht entgegengetreten werden. Eine zeitlich über Schultage hinausgehende - sohin weitergehende - Geltung der Verkehrsbeschränkung "an Werktagen" wäre - wie in der Äußerung zutreffend ausgeführt wird - zur Hintanhaltung von Gefahren zur Zeit des Schulbetriebes nicht mehr erforderlich und daher gesetzwidrig. Diesem Vorbringen gegenüber sind die Ausführungen des antragstellenden UVS Stmk. nicht geeignet, die Gesetzwidrigkeit der Verordnung zu begründen.
Der Verfassungsgerichtshof teilt auch nicht die vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf Art18 B-VG. Der Begriff des Schultages ist - wie der antragstellende UVS Stmk. selbst einräumt - gesetzlich definiert und hinreichend bestimmt. In der Regel wird auch aus der Sicht des einzelnen Verkehrsteilnehmers kein Zweifel bestehen, ob der konkrete Tag, an dem er mit dem betreffenden Verkehrszeichen konfrontiert ist, ein "Schultag" ist oder nicht. In den wenigen Fällen hingegen, in denen diesbezüglich Zweifel bestehen könnten (Samstage, schulautonome Tage), kann der Verkehrsteilnehmer, sofern er es nicht weiß, entweder diese Zweifel durch Einholung entsprechender Informationen beseitigen oder aber die Strafbarkeit durch zumutbares Alternativverhalten, nämlich durch entsprechende (kurzzeitige) Verminderung der Geschwindigkeit, vermeiden.
Der Antrag war daher abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt werden.
Schlagworte
Determinierungsgebot, Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:V98.1999Dokumentnummer
JFT_09989371_99V00098_00