Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl, Dr. Resch, Dr. Kuderna und Dr. Gamerith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wilhelm A, Gastwirt in Wien 23., Rudolf-Waisenhorn-Gasse 31, vertreten durch Dr. Walter Lattenmayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B C Verwertungsgesellschaft m.b.H., Wien 3., Vordere Zollamtstraß3 13, vertreten durch Dr. Werner Sporn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 350.000,-) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6.Dezemer 1984, GZ 1 R 235/84-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 3.August 1984, GZ 17 Cg 49/83- 20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 12.265,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.920,- Barauslagen und S 940,50
Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger betreibt im 23.Wiener Gemeindebezirk das Gast- und Schankgewerbe; er verkauft (ua) sowohl Tafelquellwasser als auch Mineralwasser.
Das von der Beklagten in Bad Vöslau abgefüllte Tafelwasser enthält nach dem Abfüllen 0,642 g fester Stoffe in 1 kg Wasser. Die Beklagte hat dieses Tafelwasser bisher unter der Bezeichnung 'Tafelquellwasser' vertrieben; jetzt verwendet sie die Bezeichnung 'Mineralwasser'.
Mit der Behauptung, daß nach dem Kapitel B 17 des Österreichischen Lebensmittelbuches (ÖLMB), 3.Auflage, ein Wasser die Bezeichnung 'Mineralwasser' nur dann führen dürfe, wenn es pro Liter 1000 mg fester Stoffe enthält, beantragt der Kläger die Verurteilung der Beklagten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, das in Bad Vöslau abgefüllte Wasser mit 642 mg Feststoffen pro Liter Wasser unter der Bezeichnung 'Mineralwasser' zu vertreiben. Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Da dem ÖLMB nur der Charakter eines - widerlegbaren - Sachverständigengutachtens ohne jede Gesetzes-oder Verordnungskraft zukomme, sei die Feststellung der maßgebenden Beschaffenheitsnorm für 'Tafelwasser' eine Frage nach der tatsächlichen Verbrauchererwartung. Da es an einer solchen fehle, könne sie auch durch die beanstandete Bezeichnung nicht getäuscht werden; der im ÖLMB zur Unterscheidung von 'Mineralwasser' und 'Quellwasser' festgelegte Grenzwert von 1 g fester Stoffe in 1 kg Wasser sei ein 'willkürlicher Oktroi der Codexkommission'.
Das Erstgericht wies die Klage nach Einholung eines lebensmittelrechtlichen und eines demoskopischen Gutachtens ab und stellte folgenden Sachverhalt fest:
Nach den Richtlinien des ÖLMB (Codex Alimentarius Austriacus),
3. Auflage, Kapitel B 17, sind 'Tafelwässer' entweder 'Mineralwasser' ('Tafelmineralwasser') oder 'Quellwasser' ('Tafelquellwasser'). Die Bezeichnung 'Tafelwasser' ist also der Oberbegriff, welcher nicht als Sachbezeichnung verwendet wird. Nach den erwähnten Richtlinien ist 'Mineralwasser' ein Quell- oder Grundwasser, das nach dem Abfüllen in 1 kg Wasser wenigstens 1.0 g gelöster fester Stoffe enthält; unterhalb dieser Gewichtsgrenze handelt es sich um 'Quellwasser'.
Der Konsument kann die Grenze von 1 g gelöster fester Stoffe je Kilogramm Wasser geschmacklich nicht erkennen. Für den durchschnittlichen österreichischen Verbraucher ist nicht 'Tafelwasser', sondern 'Mineralwasser' der Oberbegriff für die gesamte Produktgruppe. Er weiß von den Unterschieden zwischen den verschiedenen Markenerzeugnissen, kann sie aber meist nicht richtig beurteilen; so werden Produkte, die sich nach dem ÖLMB 'Mineralwasser' nennen dürfen, zum Teil nicht 'als Mineralwasser erlebt', und umgekehrt. Für die Konsumenten liegen die Hauptkriterien eines 'Mineralwassers' bei der Naturbelassenheit, einem neutralen Geschmack und der Vermeidung ungesunder Nebenwirkungen. Schon auf Grund der Wortverwandtschaft von 'Mineralwasser' und 'Mineralstoffen' wird letzteren vom Konsumenten große Bedeutung beigemessen, wobei freilich das Schwergewicht nicht bei einer bestimmten Mindestmenge, sondern eindeutig bei der 'richtigen Zusammensetzung' liegt. Die derzeit im ÖLMB festgelegte Grenze von 1 g fester Stoffe pro Liter Wasser ist den Konsumenten unbekannt. Sie 'wissen damit auch nur wenig anzufangen' und halten diese Menge eher für eine 'willkürliche runde Zahl' als 'den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend.' Die Konsumenten wissen also zwar, daß die Mineralstoffe dafür bestimmend sind, ob sie 'ein Wasser als Mineralwasser erleben'; eine nur auf Mengenangaben bezogene Definition erscheint jedoch dem Publikum nicht gerechtfertigt.
Davon ausgehend, hielt das Erstgericht weder einen Verstoß gegen § 1 UWG noch einen solchen gegen § 2 UWG für gegeben. Von einem 'verfälschten' Lebensmittel im Sinne des § 7 Abs 1 lit b in Verbindung mit § 8 lit e LMG könnte nur dann gesprochen werden, wenn ein Lebensmittel in qualitativer Hinsicht einer gesetzlichen Vorschrift oder der berechtigten Verbrauchererwartung nicht entspricht. Da jedoch eine bestimmte Verbrauchererwartung hier nicht verletzt werde und das ÖLMB auch nicht als Rechtsvorschrift im weitesten Sinn angesehen werden könne, fehle es schon an dieser Voraussetzung eines Verstoßes gegen die guten Sitten. Auch eine Irreführung des Publikums im Sinne des § 2 UWG sei mangels einer bestimmten Verbrauchererwartung nicht denkbar.
Das Berufungsgericht erkannte im Sinne des Unterlassungsbegehrens. Wenngleich das ÖLMB keine Rechtsvorschrift, sondern nur ein objektiviertes und autorisiertes Generalgutachten in Lebensmittelsachen sei, handle es sich dabei doch um eine amtliche Zusammenfassung lebensmittelrechtlicher Wertvorstellungen und Wertansetzungen, welche ganz allgemein als Maßstab für die Anwendung des Lebensmittelgesetzes angewendet und auch eingehalten würden. Zumindest eine faktische Ordnungskraft könne also dem ÖLMB nicht abgesprochen werden. Daraus folge aber auch im konkreten Fall eine relevante Täuschungseignung der hier beanstandeten Bezeichnung:
Mitunter sei sich nämlich das fachunkundige Verbraucherpublikum - vor allem bei neuen Bezeichnungen - durchaus bewußt, keine gesicherte Kenntnis von den Eigenschaften einer Ware zu besitzen. Es sehe deshalb von einer eigenen Beurteilung ab, verlasse sich jedoch darauf, daß die Ware denjenigen Anforderungen entspricht, die von amtlichen Stellen oder zuständigen Fachkreisen an eine bestimmte Bezeichnung gestellt werden. Auch eine solche lediglich 'verweisende Verbrauchervorstellung' sei schutzwürdig im Sinne des § 2 UWG. Im vorliegenden Fall werde durch die von der Beklagten vorgenommene Änderung der Bezeichnung ihres - gleich gebliebenen - Produktes von (kodexgemäßem) 'Tafelwasser' in (nicht kodexgemäßes) 'Mineralwasser' zumindest jener keineswegs zu vernachlässigende Teil der Abnehmer über die tatsächliche Beschaffenheit des Produktes irregeführt worden, der - wie etwa Konkurrenten der Parteien, fachkundige Händler oder sonstige fachkundige Abnehmer - die Kodexbestimmungen einhalte oder einzuhalten verpflichtet sei. Der Urteilsantrag des Klägers sei somit nach § 2 UWG gerechtfertigt.
Das Urteil des Berufungsgerichtes, nach dessen Ausspruch der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,- übersteigt, wird von der Beklagten mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bekämpft. Die Revisionswerberin beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Beklagte meint, daß den im ÖLMB enthaltenen 'lebensmittelrechtlichen Wertvorstellungen und Wertansetzungen' die vom Berufungsgericht angenommene 'faktische Ordnungskraft' jedenfalls dann nicht zugebilligt werden könne, wenn sie von der tatsächlichen Verbrauchererwartung abwichen oder mit ihr im Widerpruch stünden. Sei nämlich eine Bestimmung des ÖLMB, wie hier, von keiner tatsächlichen Verbrauchererwartung getragen, dann sei die betreffende Richtlinie eben unrichtig und durch die tatsächliche Verbrauchererwartung widerlegt. Sie könne dann aber für niemanden - auch nicht für den Hersteller eines Lebensmittels oder für den Händler - verbindlich sein.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Wie schon die Vorinstanzen richtig erkannt haben, kommt dem ÖLMB nicht der Charakter einer Rechtsverordnung zu, weil der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz von der ihm in § 10 Abs 2 LMG eingeräumten Ermächtigung, in Vollziehung des ersten Absatzes dieser Gesetzesstelle Teile des ÖLMB als Verordnung zu erlassen, bisher keinen Gebrauch gemacht hat. Das ÖLMB ist vielmehr nur ein objektiviertes, als Beweismittel besonderer Art zu würdigendes, jedoch keineswegs unwiderlegbares Sachverständigengutachten, welches die Meinung der am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Kreise (Erzeuger, Händler und Verbraucher) und auch die der Behörden widerspiegelt und damit insbesondere auch die konkrete Verbrauchererwartung wiedergibt (Brustbauer-Jesionek-Petuely-Wrabetz, Das Lebenemittelgesetz 1975, 250;
Barfuß-Pindur-Smolka, Österreichisches Lebensmittelrecht I B 202;
Koja, Die Rechtsnatur des Lebensmittelbuches, ÖJZ 1979, 385 ff; im gleichen Sinn SSt 38/36 = ÖBl.1967, 139; SSt 52/33 = EvBl 1981/214 = RZ 1981, 275;
EvBl 1984/164 uva.). Der Gegenbeweis einer von den Richtlinien des Kapitels B 17 abweichenden oder ihnen widersprechenden Verbrauchererwartung wäre also auch diesmal nicht ausgeschlossen; er ist aber im vorliegenden Fall nicht erbracht worden: Nach den - in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren - Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen wissen zwar die österreichischen Konsumenten mit dem ihnen weitestgehend unbekannten Grenzwert von 1 g fester Stoffe in 1 kg Wasser 'nur wenig anzufangen'; sie wissen aber sehr wohl, daß der Gehalt an ('richtigen') Mineralstoffen dafür bestimmend ist, ob sie 'ein Wasser als Mineralwasser erleben'. Damit sind auch hier die Voraussetzungen für die Anwendung jener Grundsätze gegeben, welche die deutsche Lehre und Rechtsprechung für den Fall einer sogenannten 'verweisenden Verbrauchervorstellung' entwickelt haben: Dort, wo das Verbraucherpublikum nicht weiß, woraus sich eine bestimmte Ware zusammensetzt, wie sie hergestellt wird, woher sie stammt und worauf ihre für den Gebrauch oder Verbrauch maßgeblichen Eigenschaften beruhen, ist es nämlich denkbar, daß ein fachunkundiges Publikum von einer eigenen Beurteilung dieser Fragen überhaupt absieht und nur noch erwartet, daß die Ware so hergestellt ist, wie die damit befaßten Fachkreise und Stellen es für die Verwendung der fraglichen Bezeichnung als richtig befunden haben. Eine Publikumserwartung ist nicht schon deshalb schutzunwürdig und für die rechtliche Beurteilung unerheblich, weil sie subjektiv unsicher ist; bei der Anwendung des § 2 UWG kommt es vielmehr darauf an, ob eine bestimmte Publikumserwartung für den Kaufentschluß eine Rolle spielt oder nicht und ob daher eine diese Vorstellung ansprechende Werbung geeignet ist, das Publikum zum Kauf gerade dieser Ware zu veranlassen (siehe dazu vor allem Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht 14 , 1035 f § 3 dUWG RN 108 und die dort zitierten Entscheidungen des BGH vom 15.6.1966, I b ZR 72/64-Rum-Verschnitt - GRUR 1967, 30 = D 1966, 990 = WRP 1966, 375 und vom 15.1.1969, I ZR 52/67
- Scotch Whisky - GRUR 1969, 280 = D 1969, 370 = NJW 1969, 976 = WRP 1969, 197). Die Bezeichnung 'Mineralwasser' für ein Tafelwasser, das nach dem Abfüllen in jedem Kilogramm weniger als 1 g gelöster fester Stoffe enthält, ist daher nicht nur zur Irreführung jener fachkundigen Abnehmerkreise geeignet, welche die Bestimmungen des Codex-Kapitels B 17 schon auf Grund einer einschlägigen beruflichen Tätigkeit kennen und anwenden müssen; sie kann auch beim Durchschnittskonsumenten - welcher zwar der Bezeichnung 'Mineralwasser' einen ganz allgemeinen Hinweis auf das Vorhandensein von Mineralstoffen entnimmt, die zur Unterscheidung zwischen 'Mineralwasser' und 'Quellwasser' festgelegte Grenzmenge an gelösten festen Stoffen aber nicht kennt und ihr Vorhandensein oder Fehlen auch beim Genuß des Wassers geschmacklich nicht erkennen kann - eine wettbewerblich relevante Fehlvorstellung über die Bedeutung einer derartigen Beschaffenheitsangabe erwecken. Gerade das Fehlen konkreter Vorstellungen über Art und Menge solcher Bestandteile nötigt ihn dazu, auf die Richtigkeit der für das jeweilige Produkt verwendeten Bezeichnung zu vertrauen; er wird deshalb im allgemeinen davon ausgehen, daß die Beschaffenheit der Ware und insbesondere ihre stoffliche Zusammensetzung jenen Anforderungen entspricht, die von den damit befaßten amtlichen Stellen oder sonstigen Fachkreisen als Voraussetzung für die Verwendung einer bestimmten Bezeichnung festgelegt worden sind. Daß bei der Ermittlung dieser mittelbaren ('verweisenden') Verbrauchererwartung im vorliegenden Fall vor allem auf die Beurteilungsgrundsätze des Codex-Kapitels B 17 Bedacht zu nehmen ist, folgt schon aus der Rechtsnatur des ÖLMB, bei welchem es sich, wie schon erwähnt, um ein von der Codexkommission vorbereitetes und vom Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz herausgegebenes, qualifiziertes Sachverständigengutachten handelt, welches gemäß § 51 LMG vor allem der Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Vertriebsbestimmungen und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Inverkehrbringen diesem Bundesgesetz unterliegender Waren dient.
Die Bezeichnung des von der Beklagten vertriebenen Tafelwassers als 'Mineralwasser' ist daher im Sinne der zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise über den Gehalt dieses Produktes an gelösten festen Stoffen geeignet. Der Hinweis der Revision auf das auf jedem Flaschenetikett abgedruckte Analyseergebnis, welchem der Gehalt des Wassers an festen Stoffen zu entnehmen sei, ist eine erstmals in dritter Instanz vorgebrachte und daher unbeachtliche Neuerung; davon abgesehen, könnte auch er zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts führen, weil auch die Lektüre dieser Daten nur dem fachkundigen Abnehmer eine 'präzise Information über die Zusammensetzung des gegenständlichen Tafelwassers' geben könnte, das als Konsument dieses Produktes primär in Betracht kommende Durchschnittspublikum jedoch mit einem solchen - meist in ganz kleinem Druck gehaltenen und daher regelmäßig überhaupt nicht beachteten - Hinweis noch weniger anzufangen weiß als mit der eindeutig im Vordergrund stehenden und die Verbrauchererwartung bestimmenden Bezeichnung 'Mineralwasser'. Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Urteils. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E05756European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00330.85.0514.000Dokumentnummer
JJT_19850514_OGH0002_0040OB00330_8500000_000