TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/22 2005/09/0025

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2005
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §4 Abs2;
KOVG 1957 §7 Abs2;
KOVG 1957 §7;
KOVG RichtsatzV 1965 §3;
OFG §1 Abs2 litc;
OFG §11 Abs2;
OFG §3 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des F in N, USA, vertreten durch Mag. Martin Kratky, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Museumstraße 4/4, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 17. November 2004, Zl. BMSG-140143/0010- IV/5/2004, betreffend Anerkennung eines Leidenszustandes als verfolgungskausal nach dem Opferfürsorgegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Februar 1998 wurde über Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 11 Abs. 4 des Opferfürsorgegesetzes (OFG) in Verbindung mit § 4 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG 1957) eine posttraumatische Belastungsreaktion als vollkausales verfolgungsbedingtes Leiden anerkannt. Hingegen wurde der vom Beschwerdeführer überdies geltend gemachte "Zustand nach Lungen-TB mit minimalen Restveränderungen" als nicht haftkausal (richtig: verfolgungskausal) festgestellt. Ausgehend von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs. 4 OFG in Verbindung mit §§ 4 und 7 KOVG 1957 eine Opferrente zuerkannt.

Begründend wurde hinsichtlich der Nichtanerkennung des Leidens "Zustand nach Lungen-TB mit minimalen Restveränderungen" ausgeführt, es habe keine Kausalität festgestellt werden können, weil für ein in frühester Kindheit durchgemachtes Lungenleiden keinerlei Unterlagen auflägen und es durchaus möglich sei, dass die röntgenologisch nachweisbaren minimalen Veränderungen von einer angeblich durchgemachten Tuberkulose im Jahr 1952 stammten. Somit gebe es keinen Nachweis, dass die geringen narbigen Veränderungen verfolgungsbedingt seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung insofern, als damit nicht auch der behauptete "Zustand nach Lungen-TB mit minimalen Restveränderungen" als verfolgungskausal festgestellt und eine entsprechend höhere Opferrente zuerkannt wurde.

Mit Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 2. Dezember 1998 wurde diese Berufung gemäß § 11 Abs. 2, § 16 Abs. 1 und § 17 OFG, § 4 Abs. 4 Abs. 1 KOVG 1957 sowie § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Begründet wurde dieser Bescheid damit, die vom Beschwerdeführer vorgelegte ärztliche Bestätigung vom 31. Mai 1957 habe - entsprechend der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der belangten Behörde vom 10. August 1998 - keine Änderung im medizinischen Kalkül betreffend das geltend gemachte Lungenleiden zur Folge gehabt, weil diese Bestätigung nur besage, dass im Oktober 1956 eine Exazerbation einer Lungentuberkulose stattgefunden habe, wobei das Datum der Erstmanifestation nicht habe festgestellt werden können. Auf Grund fehlender Brückenbefunde sei somit ärztlicherseits nicht feststellbar, ob das erstmalige Auftreten einer Lungentuberkulose während der Kriegsjahre oder erst danach stattgefunden habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw. - nach Ablehnung ihrer Behandlung und Abtretung mit Beschluss vom 13. Oktober 1999, B 103/99, - an den Verwaltungsgerichtshof, der mit dem hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, Zl. 99/09/0255, der an ihn gerichteten Beschwerde Folge gab und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufhob.

Dieses Erkenntnis wurde damit begründet, die belangte Behörde habe sich mit dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen nicht auseinandergesetzt und auch sein an die belangte Behörde gerichtetes Begehren um Beischaffung der Krankengeschichte vollkommen unberücksichtigt gelassen, obwohl der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren dargelegt habe, aus welchen Gründen er Unterlagen über seine Erkrankung in den Jahren 1939/40 nicht mehr besitze. Damit sei aber der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung, die in seiner Sphäre befindlichen Beweismittel vorzulegen und konkrete Beweisanträge zum Nachweis seines Vorbringens zu stellen, nachgekommen. Es sei daher als eine Verletzung von Verfahrensvorschriften zu werten, wenn sich die belangte Behörde mit ihrer Einschätzung der Lungentuberkulose des Beschwerdeführers auf ihre "freie Beweiswürdigung" berufe, ohne das vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren erstattete zusätzliche Vorbringen zu würdigen oder seinen Beweisantrag zu erwähnen.

Mit dem nunmehr vorliegenden angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 17. November 2004 wurde der Berufung des Beschwerdeführers nach ergänzenden Ermittlungen wiederum keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Februar 1998 neuerlich bestätigt.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges sowie Zitierung der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage führte die belangte Behörde aus, im fortgesetzten Berufungsverfahren habe sie "entsprechende Erhebungen" gepflogen, welche jedoch "negativ" verlaufen seien. Laut Auskunft des Universitätskinderspitales U in B befänden sich keine den Beschwerdeführer betreffenden Unterlagen in deren Archiv. Wie weiters die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion des Kantons B - Landschaft mitgeteilt habe, werde das Sanatorium L seit Kriegsende 1945 nicht mehr als Lungensanatorium für Kinder betrieben. Das Gebäude sei in der Folge an Privatleute verkauft worden und diene heute als Gasthaus. Außerdem seien über die österreichische Botschaft in B und W Erhebungen hinsichtlich allfälliger medizinischer Unterlagen über das Lungenleiden des Beschwerdeführers bei den betreffenden Institutionen in der Schweiz (Verband schweizerischer jüdischer Fürsorgen, Staatsarchiv des Kantons B-Stadt), bei der amerikanischen Einwanderungsbehörde (Immigration Naturalization Service) sowie bei den zuständigen militärischen Stellen in den USA (Selective Services for the US Military, Ellis Island Archiv) durchgeführt worden, die gleichfalls bisher kein Ergebnis erbracht hätten. Im Hinblick auf die schwierige Beweislage einerseits und auf die angeführten Bestätigungen des B-Sanatoriums und die nunmehr über einen längeren Zeitraum wiederholten gleich gerichteten Angaben des Beschwerdeführers, die diese besonders glaubwürdig machten, andererseits könne auch ohne weitere Ermittlungsergebnisse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer die angegebene Lungentuberkulose tatsächlich im Jahr 1940 erlitten habe, sodass von der Berufungsbehörde ein allfälliges, diesen Umstand bestätigendes Ermittlungsergebnis von den zuständigen militärischen Stellen in den USA nicht abgewartet werden müsse.

Zur Frage der im Zusammenhang mit einer Emigration geltend gemachten Gesundheitsschädigungen vertrete der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, dass diese dann anzuerkennen seien, wenn sie die adäquate Folge der Verfolgung selbst seien. Dies wäre der Fall, wenn die Bedingung (hier: die Auswanderung des Beschwerdeführers aus Österreich in die Schweiz) mit dem Erfolg (Gesundheitsschädigung) regelmäßig und typisch verbunden gewesen wäre. Der Beschwerdeführer behaupte selbst nicht, dass die bei ihm eingetretene Gesundheitsschädigung (Lungentuberkulose) regelmäßig und typisch mit einer Auswanderung in die Schweiz verbunden sei. Der Auffassung, dass jede Gesundheitsschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Auswanderung und dem Eintreffen an einem sicheren Ort ihre Ursache in einer Verfolgungsmaßnahme der NSDAP gehabt habe, könne nicht gefolgt werden. Wie aus der eingeholten und schlüssig erkannten ärztlichen Stellungnahme vom 22. September 2004 hervorgehe, betrage die Inkubationszeit bei Tuberkulose im Durchschnitt zwei bis zehn Wochen. Daraus ergebe sich aus medizinischer Sicht, dass ein Zusammenhang zwischen der Verfolgung im Jahr 1938 und dem "wahrscheinlich erstmaligen Auftreten der Lungenerkrankung" in der Schweiz im Jahr 1940 nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. Im Übrigen ergebe auch eine Berücksichtigung der Lungentuberkulose keine Erhöhung der Gesamt-MdE von 50 v.H. Den im Rahmen des Parteiengehörs zum Ergebnis der gepflogenen Ermittlungen erhobenen Einwendungen des Beschwerdeführers sei insofern Rechnung getragen worden, als die von ihm im Jahr 1940 erlittene Lungentuberkulose als gegeben angenommen worden sei. Eine Anerkennung dieser Gesundheitsschädigung als verfolgungsbedingtes Leiden habe jedoch unter Hinweis auf die vorstehend angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht erfolgen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des - ergänzten - Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 lit. c des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947, in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 12/2001, sind als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität oder auf Grund einer Behinderung durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs-(im besonderen einer Staatspolizei-)Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaß zu Schaden gekommen sind. Als solche Schädigungen erheblichen Ausmaßes sind Gesundheitsschädigungen anzusehen, durch die die Erwerbsfähigkeit nach den Bestimmungen des KOVG um mindestens 50 v.H. gemindert sind.

Gemäß § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG hat der Antragsteller die Voraussetzungen nach § 1 leg. cit. nachzuweisen.

Gemäß § 11 Abs. 2 erster Satz OFG gebührt Opfern, die Inhaber einer Amtsbescheinigung sind, eine Opferrente; sie ist in der Höhe der für Beschädigte nach den Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 in Betracht kommenden Grundrenten zu bemessen.

Gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz des Kriegsopferversorgungsgesetzes, BGBl. Nr. 152/1957, in der Fassung BGBl. Nr. 110/1993-KOVG 1957, ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 leg. cit. anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

Nach § 4 Abs. 2 KOVG 1957 genügt die Glaubhaftmachung eines ursächlichen Zusammenhanges durch hiezu geeignete Beweismittel für die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung, wenn die obwaltenden Verhältnisse die Beschaffung von Urkunden oder amtlichen Beweismitteln zur Führung des Nachweises der Ursächlichkeit ausschließen.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist gemäß § 7 Abs. 2 KOVG 1957 nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Der zuletzt genannten Bestimmung entsprechend sind mit Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965 solche Richtsätze aufgestellt worden ("Richtsatzverordnung").

§ 3 Abs 1 letzter Satz OFG enthält eine Beweislastregel. Diese spiegelt die Tatsache wieder, dass die Beweisführung betreffend das Vorliegen des geltend gemachten Anspruchs zum Verantwortungsbereich desjenigen zählt, der Begünstigungen, Fürsorge und Entschädigungsmaßnahmen nach dem OFG beantragt. Denn diese Person hat einen weitaus stärkeren Bezug zu den anspruchsbegründenden Sachverhaltselementen als die Behörde und ist also am ehesten in der Lage, Beweismittel für ihren Anspruch beizubringen. Es ist demnach Aufgabe des Antragstellers, alle Beweismittel, die sich in seiner Hand befinden, der Behörde vorzulegen und im übrigen die zur Nachweisung seines Vorbringens erforderlichen Beweisanträge zu stellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 1998, Zl. 96/09/0151). In dem den Beschwerdeführer betreffenden Vorerkenntnis vom 19. Dezember 2000, Zl. 99/09/0255, wurde aber bereits deutlich gemacht, dass der Beschwerdeführer im Sinne der zitierten Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 OFG die in seiner Sphäre befindlichen Beweismittel vorgelegt und Beweisanträge gestellt hat, womit er seiner Nachweispflicht nachgekommen ist. Alle vorliegenden Erhebungsergebnisse, seien es die im Antrag aufgestellten Behauptungen über die Geschehnisabläufe, seien es Auskünfte ausländischer Institutionen oder die von einem ärztlichen Sachverständigen abgegebenen Stellungnahmen, sind dabei gleichermaßen in die Beurteilung einzubeziehen und einer Beweiswürdigung zu unterziehen.

Die belangte Behörde hat sich in offensichtlicher Anerkennung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seiner Nachweispflicht im Sinne des § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG nachgekommen ist und seine Darstellung der Geschehnisse als "besonders glaubwürdig" einzustufen sei, ohne die von ihr selbst initiierten weiteren Ermittlungsergebnisse aus den USA abzuwarten, damit begnügt, ein erstmaliges Auftreten der vom Beschwerdeführer behaupteten Lungenerkrankung (Lungentuberkulose) in der Schweiz im Jahre 1940 als gegeben festzustellen. Der Hinweis darauf, auch der Verwaltungsgerichtshof sei in seinem Vorerkenntnis davon ausgegangen, die Erstmanifestation der Tuberkuloseerkrankung des Beschwerdeführers sei im Jahr 1940 erfolgt, geht fehl, weil es im Vorerkenntnis lediglich um die Frage ging, ob die Ersterkrankung des Beschwerdeführers vor 1952 erfolgt sei; mit der Aussage " dass der Beschwerdeführer zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahre 1940 an Tuberkulose erkrankt sei", wurde keineswegs zum Ausdruck gebracht, dies könne nicht auch schon vor diesem Zeitpunkt der Fall gewesen sei. Es war und ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, vorliegende Beweise zu würdigen und Sachverhaltsfeststellungen zu treffen. Die Feststellung der belangten Behörde erweist sich aber im Hinblick darauf als nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren immer wieder darauf verwiesen hat, bereits während seiner im Winter 1938/39 erfolgten Flucht erkrankt und unmittelbar nach seiner Einreise in die Schweiz - unter Trennung von seiner Mutter - in einem Spital (Children's Hospital" in B) sowie unmittelbar anschließend daran für die nächsten eineinhalb Jahre in einem Tuberkulosesanatorium (Sanatorium L) interniert worden zu sein. Wiederum geht die belangte Behörde mit Stillschweigen über die - wie sie selbst bestätigt - immer gleichlautenden Darstellungen des Beschwerdeführers hinweg, dass eine Ersterkrankung an TB dem Jahr 1938/39 zuzuordnen gewesen wäre. Folgte man daher dieser Darstellung des Beschwerdeführers, würde aber die Frage der Inkubationszeit gar nicht aktuell, weil die Kausalität und Adäquanz zwischen einer mehrtägigen Flucht mit Nächtigungen im Freien im Winter und einer Lungenerkrankung wie Tuberkulose jedenfalls nicht auszuschließen und einer Beurteilung durch ärztliche Sachverständige zuzuführen ist. Wollte daher die belangte Behörde zur Präzisierung des Zeitpunktes, in welchem die Tuberkuloseerkrankung des Beschwerdeführers sich erstmals manifestierte, den Angaben des Beschwerdeführers folgen, wie dies aus dem Inhalt der Bescheidbegründung auch hervorgeht, so erweist sich die davon abweichende Annahme, diese erste Manifestation der Tuberkuloseerkrankung sei in das Jahr 1940 zu datieren, als damit in Widerspruch stehend, ohne dass hierfür eine plausible Erklärung angegeben worden wäre. Insbesondere legt die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides nicht dar, aus welchen Erwägungen sie dieser grundsätzlich als glaubwürdig eingestuften Darstellung des Beschwerdeführers ausgerechnet in diesem einen Punkt nicht folgen könne. Da die der rechtlichen Beurteilung zugrundeliegenden Sachverhaltsannahmen sohin Ergebnis einer unschlüssigen Beweiswürdigung und/oder der angefochtene Bescheid ungenügend begründet wurde, belastete die belangte Behörde ihren Bescheid erneut mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Nicht nachprüfbar ist auch die aufgrund der ärztlichen Stellungnahme der Abteilung IV/A/8 vom 22. September 2004 und aus dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten Dris L aus dem Jahr 1997 gezogene Schlussfolgerung, es ergäbe sich selbst bei Berücksichtigung einer vollkausalen Lungentuberkulose keine Erhöhung der festgestellten und zugesprochenen Gesamt-MdE von 50 v.H. Bereits im gesamten Verfahren hatte der Beschwerdeführer die Richtigkeit und Schlüssigkeit dieses Gutachtens bestritten. Die belangte Behörde begründet auch nicht näher, warum im Falle der Bejahung einer kausalen Tuberkuloseerkrankung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Flucht "keine gegenseitige Leidensbeeinflussung" angenommen wurde.

Die Gesamtbeurteilung zweier oder mehrerer Dienstbeschädigungen hat nicht im Wege einer bloßen Addition, sondern nach den Grundsätzen des § 3 der Richtsatzverordnung zum KOVG zu erfolgen; sie unterliegt zwar der fachlichen Beurteilung des ärztlichen Sachverständigen, der sie ausreichend zu begründen hat. In der Begründung des Bescheides ist jedoch sodann von der Behörde darzulegen, von welcher Gesundheitsschädigung sie bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ausgegangen ist und warum - gegebenenfalls - sich durch das Zusammenwirken mehrerer Gesundheitsschädigungen nicht im Sinne des § 3 der Richtsatzverordnung eine höhere Gesamteinschätzung ergibt. Diese Gesamteinschätzung vollzieht die Verwaltungsbehörde unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis, den sie im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung zu beurteilen hat; ist das Gutachten, auf dem der Bescheid beruht, unschlüssig, ist der Bescheid rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 22. Juni 2005

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Einschätzungsgrundsätze (hinsichtlich der richtsatzmäßigen Einreihung siehe KOVG RichtsatzV) Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Verfahrensrecht Aufgabe des Sachverständigen Wertung von Sachverständigengutachten Befund und Attest (siehe auch KOVG §90 Abs1)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005090025.X00

Im RIS seit

09.08.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten