TE OGH 1985/5/30 7Ob20/85

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Veröffentlicht am 30.05.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl, Dr.Wurz und Dr.Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B C D, Wien 1., Schwarzenbergplatz 15, vertreten durch Dr. Ingo Ubl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Johann E, Angestellter, Wien 16., Gablenzgasse 44/3/12-13, vertreten durch Dr.Hans Bichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 78.542 S s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18.Jänner 1985, GZ 14 R 194/84-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 22.Mai 1984, GZ 52 Cg 27/83-11, aufgehoben wurde, folgenden Beschluß gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekurses und der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Beklagte hat mit der Klägerin bezüglich des PKW Maserati polizeiliches Kennzeichen W 39.479 eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen, der die allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (F) zugrundeliegen. Das Fahrzeug hat der Beklagte mittels eines Leasingvertrages mit der Fa. G erworben. Der Versicherungsvertrag wurde daher zugunsten dieser Firma vinkuliert.

In der Vinkulierungserklärung verpflichtete sich die Klägerin, einen Antrag auf Einschränkung des Deckungsumfanges oder auf Herabsetzung der Versicherungssumme sowie eine Kündigung durch den Versicherungsnehmer nur mit Zustimmung dieser Firma anzunehmen. Am 4. Dezember 1981 wurde das versicherte Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall schwer beschädigt. Da der Restwert ca. 25.000 S betrug und die voraussichtlichen Wiederherstellungskosten ca. 140.000 S zuzüglich 18 % Mehrwertsteuer betragen hätten, bei der Abrechnung aber von einem Zeitwert von ca. 140.000 S auszugehen war, rechnete die Klägerin im Hinblick auf Art. 13 lit. b F auf Totalschadensbasis ab und zahlte einen Entschädigungsbetrag von 80.627,63 S abzüglich eines Prämienrückstandes, sodaß an die Leasingfirma nur 40.294,63 S zur überweisung kamen. Am 23. Dezember 1981 meldete der Beklagte den PKW bei der Bundespolizeidirektion Wien ab. Auf die Schadensmitteilung des Beklagten teilte ihm die Klägerin mit, daß sie für eine Stornierung des Versicherungsvertrages beim Verkauf des Fahrzeuges eine Kündigung des Erwerbers benötige. Falls das Fahrzeug nicht verkauft werde, sei es notwendig, daß der Beklagte den Typenschein bei der Klägerin hinterlege. Ferner hat die Klägerin den Beklagten darauf hingewiesen, daß der Vertrag zugunsten der Fa. G vinkuliert sei und sie daher eine Devinkulierung zum Storno benötige. In der Folge versuchte der Beklagte zweimal eine Beendigung des Versicherungsvertrages mit der Behauptung einer Veräußerung des PKWs zu erreichen, doch stellte sich in beiden Fällen heraus, daß eine Veräußerung nicht erfolgt war. Einem Ersuchen des Beklagten auf Devinkulierung hat die Fa. G nicht entsprochen.

Nachdem der PKW ca. 1 1/2 Jahre lang in einer Werkstätte gestanden hatte, wurde er im Auftrag des Beklagten wieder fahrbereit gemacht und von ihm am 8.April 1983 neu angemeldet. Gleichzeitig stellte der Beklagte an die Klägerin einen Antrag auf Neuversicherung des PKW, der jedoch von der Klägerin unter Hinweis auf das noch bestehende Vertragsverhältnis abgelehnt wurde.

Das Erstgericht wies das auf Zahlung von 78.542 S s.A. gerichtete Begehren an rückständigen Prämien mit der Begründung ab, im Hinblick auf die Totalschadensabrechnung und die Abmeldung des PKW sei das versicherte Interesse weggefallen, weshalb nach Art. 8 III F in Verbindung mit § 68 Abs. 5 VersVG eine Prämienschuld nicht mehr bestehe.

Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben und hiebei ausgeführt, weder die polizeiliche Abmeldung eines Fahrzeuges noch die Liquidierung eines Schadensfalles auf Totalschadensbasis bewirke einen totalen Wegfall des Interesses. Ein solcher totaler Wegfall wäre aber Voraussetzung dafür, daß eine weitere Prämienersatzpflicht nicht mehr bestehe. Auf jeden Fall sei aber auch bei totalem Wegfall des versicherten Interesses der Versicherungsnehmer gemäß § 68 Abs. 5 VersVG verpflichtet, die Prämie für die laufende Versicherungsperiode zu zahlen. Allerdings sei davon auszugehen, daß während der Dauer der Abmeldung des Fahrzeuges das versicherte Interesse geringer gewesen sei. Dies führe automatisch zu einer Verringerung der Prämie für diese Zeit. Es müsse daher die Verringerung des Risikos geprüft werden. Allerdings gebühre der Klägerin für jene Versicherungsperiode, in der der Unfall stattgefunden habe, die volle Prämie. Da ein Teil der für den Versicherungsfall zu erbringenden Leistungen auf Prämienrückstände verrechnet worden sei, könne derzeit noch nicht geprüft werden, ob und inwieweit ein Prämienrückstand der Klägerin für diese Versicherungsperiode bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist im Ergebnis nicht gerechtfertigt.

§ 68 VersVG, auf den auch Art. 8 III F verweist, hat nur den gänzlichen Wegfall des versicherten Interesses zum Gegenstand. Die geringere Wahrscheinlichkeit des Eintrittes des Versicherungsfalles genügt nicht. Ebensowenig genügt ein vorübergehender Interessenwegfall, oder daß das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit bzw. reparaturwürdig ist. Erforderlich ist der Wegfall jedes versicherten Interesses des Versicherungsnehmers oder des Versicherten und zwar für dauernd (Prölss-Martin VVG 23 , 428, Bruck-Möller-Sieg VVG 8 II Anm. 35 zu § 68). Die sogenannte dauernde Abmeldung ist nur ein Begriff im behördlichen Zulassungsverfahren. Sie bedeutet nicht, daß das Fahrzeug damit für alle Zeiten aus dem Verkehr gezogen wird. Die Abmeldung des Fahrzeuges und die damit verbundene zeitweise Nichtverwendung im Straßenverkehr kann daher nicht als Wegfall des versicherten Interesses, sondern nur als zeitweise Gefahrenminderung angesehen werden. Ein Kraftfahrzeug ist für den Verkehr bestimmt. Sein wirtschaftlicher Wert liegt in seiner Bedeutung als Fortbewegungsmittel. Erst wenn ein Fahrzeug diese Eigenschaften verliert, wenn es völlig unbrauchbar, und damit zum Wrack wird, kann es als Fortbewegungsmittel nicht mehr verwendet werden. Erst dann fällt das versicherte Interesse weg (SZ 33/9, SZ 43/201, EvBl. 1973/250 u.a.). Ebensowenig führt aber die bloße Totalschadensabrechnung durch den Versicherer zum gänzlichen Interessewegfall. Hiebei handelt es sich lediglich um eine in den Versicherungsbedingungen vorgesehene Art der Schadensabwicklung, die über die tatsächliche Verwendbarkeit des Fahrzeuges nichts aussagt. Auch ein Fahrzeug, das nur mit unzumutbar hohen Kosten wieder instandgesetzt werden kann, kann grundsätzlich im Sinne seiner ursprünglichen Bestimmung weiterverwendet werden. Gerade der vorliegende Fall zeigt, daß diese Möglichkeit trotz der Totalschadensabrechnung bestanden hat. Sohin besagt die Totalschadensabrechnung durch den Kaskoversicherer nichts über die Folgen im Sinne des § 68 Abs. 5 VersVG. Das Argument des Rekurses des Beklagten, demzufolge im Hinblick auf die Totalschadensabrechnung nach Art. 11 B Abs. 6 F eine weitere Ersatzleistung nicht mehr zu erwarten gewesen wäre, trifft lediglich für das Versicherungsjahr zu, in dem der Schadensfall eingetreten ist. Ungeachtet dieses Umstandes war jedoch nach § 68 Abs. 5 VersVG für diese Periode die volle Prämie zu zahlen. Für die weiteren Perioden hat aber die Erbringung von Versicherungsleistungen nach Art. 11 B Abs. 6 F keine Bedeutung. Bruck-Möller-Sieg (VVG 8 II Anm. 28 zu § 68) führen zwar kursorisch aus, daß bei der Kaskoversicherung bereits die Reparaturunwürdigkeit einen gänzlichen Fortfall des Interesses bewirken würde, doch verweisen sie zur Begründung für diese Rechtsansicht ausschließlich auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (VersR 1960, 1107 und VersR 1957, 56). Gerade diese beiden Entscheidungen sprechen aber nicht für die im Kommentar geäußerte Rechtsansicht. Die Entscheidung VersR 1960, 1107 spricht das Gegenteil aus, und die Entscheidung VersR 1957, 56 betrifft in den fraglichen Punkten ausschließlich die Haftpflichtversicherung, wobei dort nur ausgeführt wird, der Umstand, daß bezüglich der Kaskoversicherung auf Totalschadensbasis abgerechnet wurde, bedeute nicht den Fortfall des Interesses in der Haftpflichtversicherung.

Dieser Kommentarstelle kann demnach nicht gefolgt werden. Richtig hat sohin das Berufungsgericht erkannt, daß nach den getroffenen Feststellungen keine Rede von einem gänzlichen Wegfall des versicherten Interesses im Sinne des § 68 Abs. 5 VersVG sein kann.

Der Oberste Gerichtshof teilt allerdings nicht die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß durch das herabgesetzte Risiko während der Stillegung des Fahrzeuges automatisch eine Prämienreduktion eingetreten wäre. Es muß hier nicht näher erörtert werden, ob der bloße Hinweis auf eine Jahrzehnte zurückliegende Entscheidung eines ausländischen Gerichtes zur Rechtfertigung der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht ausreichen würde. Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung betraf nämlich gar keinen Kaskoversicherungsfall, sondern einen Haftpflichtversicherungsfall, bei dem von einer Änderung des versicherten Gegenstandes ausgegangen worden ist. Derartiges ist hier nicht der Fall. Daß die vom Berufungsgericht angenommene Folge bei der Kaskoversicherung nicht eintreten soll, ergibt sich auch aus der Erwägung, daß eine solche Folge des Versicherungsfalles im § 95 VersVG für die Feuerversicherung ausdrücklich geregelt ist. Trifft aber der Gesetzgeber für einen bestimmten Zweig der Sachversicherung eine ganz bestimmte Regelung und unterläßt er eine solche Regelung für andere Teile der Sachversicherung, so muß im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß es sich hiebei nicht um eine außerplanmäßige Gesetzeslücke, sondern um eine bewußte Ausklammerung der anderen Teile der Sachversicherung von dieser Regelung handelt. Ein Umkehrschluß aus § 95 VersVG läßt daher erkennen, daß der Gesetzgeber diese Regelung für die anderen Teile der Sachversicherung nicht treffen wollte.

Für den gesamten Bereich der Sachversicherung gilt jedoch § 51 Abs. 1 VersVG. Nach dieser Bestimmung können sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer, wenn die Versicherungssumme den Wert des versicherten Interesses erheblich übersteigt, verlangen, daß zur Beseitigung der überversicherung die Versicherungssumme unter verhältnismäßiger Minderung der Prämie mit sofortiger Wirkung herabgesetzt wird. Diese Bestimmung gilt auch bei teilweisem Interessenwegfall (Bruck-Möller-Sieg VVG 8 II Anm. 15 zu § 51), insbesondere auch bei nachträglich eingetretener überversicherung (Bruck-Möller-Sieg aaO Anm. 17 zu § 51). Voraussetzung ist allerdings eine entsprechende Willenserklärung (Antrag) auf Herabsetzung. Die Versicherungssumme und die Prämie ermäßigen sich ab Zugang dieser Willenserklärung beim Vertragspartner (Bruck-Möller-Sieg aaO Anm. 29, 32 und 34 zu § 51). Der Geschäftswille wird jedoch bereits ausreichend deutlich, wenn der Erklärende nur geltend macht, es liege eine überversicherung vor, oder wenn er nur die Herabsetzung der Versicherungssumme oder die Änderung der Prämie verlangt (Bruck-Möller-Sieg aaO Anm. 30 zu § 51).

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Beklagte an die Klägerin am 8. April 1983 einen Antrag auf Neuversicherung des PKW gestellt. Im Zusammenhang mit der bisherigen Korrespondenz und den der Klägerin bekannten Umständen, mußte sie den Antrag auf Neuversicherung im Sinne eines Antrages auf Herabsetzung der Prämie und der Versicherungssumme entsprechend dem nunmehrigen Wert des Fahrzeuges verstehen. Das genannte Schreiben ist also als Herabsetzungsantrag im Sinne des § 51 Abs. 1 VersVG zu werten. Ob es im Hinblick auf die bekannten Umstände hinreichend bestimmt ist (immerhin dürfte klar sein, daß der nunmehrige Wert des Fahrzeuges maßgebend sein sollte), kann derzeit nicht geprüft werden. Selbst wenn aber die hinreichende Bestimmtheit zu verneinen wäre, wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, den Beklagten zu einer Präzisierung aufzufordern. Im Falle einer rechtzeitigen Präzisierung wäre die Rechtsfolge des § 51 Abs. 1 VersVG bereits mit dem Zugang des Schreibens vom 8.April 1983 eingetreten. Dies hätte ab dem genannten Zeitpunkt automatisch zu einer Herabsetzung der Versicherungssumme und zu einer Reduzierung der Prämie für die Zukunft geführt (Bruck-Möller-Sieg aaO Anm. 30 zu § 51). Da diese Frage von den Vorinstanzen weder hinreichend erörtert worden ist, noch Feststellungen dazu getroffen wurden, erweist sich die Sache tatsächlich als noch nicht spruchreif, weshalb der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes zu bestätigen gewesen war. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, daß die Klägerin einem Herabsetzungsbegehren des Beklagten nach § 51 Abs. 1 VersVG im Hinblick auf den relativ zwingenden Charakter dieser Bestimmung (§ 68a VersVG) nicht unter Hinweis auf die Vinkulierung entgegentreten könnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.

Anmerkung

E05922

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00020.85.0530.000

Dokumentnummer

JJT_19850530_OGH0002_0070OB00020_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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