Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juni 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter (Berichterstatter), Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Mader als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alfred A wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1, erster Fall, StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 27.Juni 1984, AZ 22 Bs 269/84 = GZ 9 d Vr 12.872/83-29 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Presslauer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 27.Juni 1984, AZ 22 Bs 269/84, womit in der Strafsache gegen Alfred A der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7.Mai 1984, GZ 9 d Vr 12.872/83-24, aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, verletzt insoweit, als diese Verfügung sich auch auf den unangefochten gebliebenen erstinstanzlichen Zuspruch eines Beitrages zu den Kosten des Verteidigers gemäß dem § 393 a Abs. 1 StPO in der Höhe von 3.000 S erstreckte, das Gesetz in der Bestimmung des § 114 Abs. 3 StPO.
Text
Gründe:
In der Strafsache AZ 9 d Vr 12.827/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde dem wegen ihm vorgeworfener Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1, erster Fall, StGB und der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB rechtskräftig in den Anklagestand versetzten Alfred A für die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht ein Amtsverteidiger gemäß dem § 41 Abs. 3 StPO beigegeben, zu welchem der Ausschuß der zuständigen Rechtsanwaltskammer den Rechtsanwalt Dr. Peter B bestellte (ON 11 und 12 d.A).
Nachdem Alfred A mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 22.März 1984 von der Anklage gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen worden war (ON 19 d.A), langte am 3.April 1984 beim Gericht ein im Sinn des § 395 Abs. 5 StPO gestellter Antrag des Amtsverteidigers ein, seine Entlohnung mit 23.069 S festzusetzen und dem freigesprochenen Angeklagten die Zahlung aufzutragen (ON 23 d. A). Am selben Tag erreichte auch ein vom Amtsverteidiger im Namen des freigesprochenen Angeklagten eingebrachter Schriftsatz das Gericht, der das Begehren enthielt, ihm gemäß dem § 393 a StPO Barauslagen zu ersetzen und einen Pauschalbeitrag von 10.000 S zu den Kosten des Verteidigers zu leisten (ON 22 d.A).
Rechtliche Beurteilung
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte das Landesgericht für Strafsachen Wien darüber zu entscheiden gehabt, ob Alfred A bei der amtswegigen Beigebung des Verteidigers imstande gewesen war, ohne Beeinträchtigung seines zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Verteidigungskosten zu tragen, weil er nur unter diesen Voraussetzungen zur Bezahlung der Kosten des Amtsverteidigers verpflichtet war (§ 41 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 StPO; RZ 1981/80, RZ 1978/49 = EvBl. 1978/143). Insoweit war Präjudizialität nicht nur für den Ersatzanspruch des als Amtsverteidiger tätig gewesenen Rechtsanwaltes schon dem Grund nach gegeben, sondern auch für den Anspruch des freigesprochenen Angeklagten auf einen Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers gemäß dem § 393 a StPO, weil ein solcher (vgl. § 393 a Abs. 1, 2. Satz, StPO) 'im Fall des § 41 Abs. 2 StPO' ausgeschlossen ist, also immer dann, wenn der Beschuldigte (Angeklagte) zufolge Wirksamkeit dieser Bestimmung die Verteidigungskosten nicht zu tragen hat. Somit kann ein freigesprochener Angeklagter nach dem Einschreiten eines von Amts wegen bestellten Verteidigers nur dann einen Anspruch auf einen Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers nach dem § 393 a StPO ableiten, wenn diese (Kosten) ihm tatsächlich zur Last fallen. Außerdem wäre vom Landesgericht für Strafsachen Wien noch zu beachten gewesen, daß Amtsverteidiger nur für Verfahrensstadien bestellt werden, in denen notwendige Verteidigung herrscht, sodaß der einschreitende Rechtsanwalt seine Legitimation zur Stellung eines Antrages gemäß dem § 393 a StPO für einen schon rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten nicht wirksam auf seine (bereits beendete, frühere) Verfahrensfunktion stützen kann. Das Gericht ging auf diese Umstände nicht ein und traf auch keine Anstalten, die Entlohnung des von Amts wegen bestellten Verteidigers festzusetzen, sondern sprach mit Beschluß vom 7.Mai 1984 dem Alfred A einen Pauschalbeitrag zu den Kosten der Verteidigung in der Höhe von 3.000 S zu, wogegen das Mehrbegehren abgewiesen wurde (ON 24 d. A). Die Staatsanwaltschaft Wien ließ diesen Beschluß unangefochten. Hingegen erhob Rechtsanwalt Dr. Peter B 'als bestellter Amtsverteidiger' im Namen des Alfred A gegen die Entscheidung Beschwerde, wobei er ausdrücklich nur den abweisenden Teil des Beschlusses bekämpfte.
Das Oberlandesgericht Wien gelangte bei Entscheidung über das Rechtsmittel mit Beschluß vom 27.Juni 1984, AZ 22 Bs 269/84, zur gänzlichen Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und zeigte in der Begründung an sich zutreffend die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Klärung auf, ob Alfred A überhaupt die Kosten des ex-offo-Verteidigers zu ersetzen habe (ON 29 d.A).
Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien steht allerdings insofern mit dem Gesetz nicht im Einklang, als auch der unangefochtene Zuspruch eines Pauschalbeitrages von 3.000 S aufgehoben und in diesem Umfang ebenfalls eine Ergänzung des Verfahrens angeordnet wurde.
Im strafgerichtlichen Verfahren gilt der Grundsatz der partiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen, soweit nicht Ausnahmebestimmungen wirksam werden, die jedoch regelmäßig nur zur Wahrung von Interessen der in Strafverfolgung gezogenen Person Platz greifen. Gemäß dem für Beschwerdeentscheidungen im Strafprozeß geltenden § 114 Abs. 3 StPO (siehe EvBl. 1969/48) darf das angerufene Gericht niemals zum Nachteil des Beschuldigten (Angeklagten) Verfügungen oder Beschlüsse ändern, gegen die nicht Beschwerde geführt wird. Durch die vom Beschwerdegericht verfügte Aufhebung des rechtskräftigen Zuspruches eines Teiles des begehrten Pauschalbeitrages und die Anordnung einer diesen Entscheidungsbereich mitumfassenden Verfahrenserneuerung - die auch zu einer ablehnenden Entscheidung oder zu einer niedrigeren Beitragsbemessung führen konnte - wurde die Gefahr einer Benachteiligung des Alfred A geschaffen, weshalb die Entscheidung insoweit nicht zulässig war. Denn der Umstand, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien den Bund ohne vorherige Klärung der Grundvoraussetzungen mit einer Zahlungspflicht belastet hatte, hätte dem freigesprochenen Angeklagten nur zum Vorteil und keinesfalls zum Schaden gereichen können.
Da den in der Zwischenzeit vom Landesgericht für Strafsachen Wien getroffenen - übrigens vom Oberlandesgericht Wien in einem späteren Beschluß (ON 45 !S 165 d.A) mit Recht wegen der prozessualen Oberflächlichkeit bemängelten - Entscheidungen entnommen werden kann, daß Alfred A die Kosten des beigegebenen Verteidigers nicht zu tragen hat, kommt auch eine teilweise Abgeltung dieses Aufwandes gemäß dem § 393 a Abs. 1 StPO nicht in Betracht. Dieser Aufwand ist vielmehr durch die für die Verfahrenshilfe erbrachte jährliche Pauschalzahlung des Bundes an die Rechtsanwälte mitumfaßt (siehe die Regierungsvorlage des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1983, 1084 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XV. GP, S 27). Durch Aufhebung des Zuspruches eines der teilweisen Abdeckung dieser Verteidigungskosten dienenden Beitrages wurde mithin unbeschadet der Frage, ob überhaupt ein von einem legitimierten Vertreter gestellter Antrag vorlag, im Ergebnis nur eine grundlose Bereicherung des Alfred A hintangehalten, seine wirtschaftliche Lage aber sonst nicht nachteilig beeinflußt. Es kann daher mit der Feststellung des unterlaufenen Gesetzesverstoßes sein Bewenden haben (vgl. § 292 Schlußsatz StPO).
Anmerkung
E05835European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00090.85.0604.000Dokumentnummer
JJT_19850604_OGH0002_0110OS00090_8500000_000