Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl, Dr.Resch, Dr.Kuderna und Dr.Gamerith als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Claudia A, Schülerin, Traun, Oberbreitenstraße 6, vertreten durch den Vater Herbert A, Konsulent, dieser vertreten durch Dr.Franz Kriftner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Reinhard B, Sportwart, Traun, Am Nordsaum 160, vertreten durch Dr.Manfred Traxlmayr, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 74.108,-- s.A. und Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 20.Februar 1985, GZ.2 R 288/84-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 11.Juli 1984, GZ.7 Cg 212/83-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.753,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 617,55 Umsatzsteuer und S 960,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die damals fast 13-jährige Klägerin wurde am 15.April 1982 vom Hund des Beklagten, einer Rottweilermischung, in den Unterschenkel gebissen. Auf Grund dieses Vorfalls begehrt sie vom Beklagten als Halter des Hundes S 70.000,-- Schmerzensgeld, S 2.600,-- Kosten für Nachhilfestunden, S 1.428,-- Behandlungskosten und S 80,-Taxispesen sowie die Feststellung, daß der Beklagte für künftige Schäden aus dem Hundebiß zu haften habe. Die Klägerin brachte vor, die Gattin des Beklagten habe den Hund aus der Umzäunung des Stadions in Traun herausgelassen, worauf er zunächst mit dem Hund der Klägerin gespielt und später gerauft habe. Beim Versuch, die Hunde zu trennen, sei die Klägerin vom Hund des Beklagten gebissen worden. Auf Grund der Größe und Art des Hundes wäre eine besondere Beaufsichtigung, das Führen an der Leine und die Verwendung eines Maulkorbes erforderlich gewesen. Hätte sich der Beklagte in der Nähe des Hundes befunden, wäre die Verletzung der Klägerin nicht erfolgt. Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, bestritt es dem Grunde und der Höhe nach und wendete ein, sein Hund sei nicht bösartig und habe bereits wiederholt mit dem Hund der Klägerin gespielt. Im Hinblick darauf sei der Beklagte berechtigt gewesen, den Hund ohne Leine und Beißkorb zu führen. Die Klägerin hätte wissen müssen, daß sie sich durch das Einmengen in die Balgerei zwischen den Hunden gefährde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der Beklagte wohnt seit 1979 im Sportzentrum Traun und ist Betriebsleiter dieser Anlage, zu der auch das Trauner Stadion gehört. Er besitzt seinen Hund seit etwa 11 Jahren. Seine Frau kennt den Hund genauso lange wie der Beklagte. Am 15.April 1982 arbeitete der Beklagte im Freigelände des Sportzentrums Traun und wurde dabei von seiner Frau und seiner Tochter mit dem Hund besucht. Da das Sportgelände ringsum eingezäunt ist, ließ die Gattin des Beklagten den Hund frei herumlaufen. An dieses Freigelände grenzt ein Kinderspielplatz, auf welchem bald darauf die Klägerin mit ihrem ebenfalls nicht angeleinten Hund, einem Hoverward im Alter von 10 Monaten spazieren ging. Die beiden Hunde kannten einander schon seit etwa einem halben Jahr und hatten auch bereits mehrmals außerhalb des Sportgeländes miteinander herumgebalgt. Dabei waren jedoch immer der Beklagte und öfters auch dessen Frau anwesend sowie die Klägerin und deren Eltern. Es war dabei nie zu einer Rauferei zwischen den Hunden gekommen und der Hund des Beklagten hatte auch nie die Klägerin angegriffen. Am 15.April 1982 beschnupperten sich zunächst die beiden Hunde durch den Zaun hindurch, der das Sportgelände vom Kinderspielplatz trennt, worauf die Frau des Beklagten dessen Hund aus dem abgesperrten Freigelände durch das Tor auf den Kinderspielplatz hinausließ. Obwohl sie aus Sicherheitsgründen sonst nie den Hund ohne Leine frei herumlaufen ließ, tat sie dies damals, weil sie glaubte, die beiden Hunde würden so wie bisher nur miteinander spielen, nicht aber raufen. Zu dieser Zeit arbeitete der Beklagte in einer Entfernung von etwa 100 m zum Tor der Sportanlage, das auf den Kinderspielplatz führt, und bemerkte nicht, daß seine Frau den Hund aus dem umzäunten Freigelände hinausließ. Die Hunde spielten zunächst nur miteinander.
Der Hund des Beklagten wurde dann entweder vom Beklagten oder von dessen Frau auf die Sportanlage zurückgerufen, er gehorchte auch vorerst und befand sich bereits auf der Höhe des Eingangstores zur Sportanlage, als ihm der Hund der Klägerin nachlief, um weiter mit ihm zu spielen. Daraufhin kam es zwischen den Hunden zu einer Rauferei. Da die Klägerin Angst um ihren wesentlich kleineren Hund hatte, versuchte sie, mit der Leine in der Hand die raufenden Hunde dadurch voneinander zu trennen, daß sie ihren Hund kurzfristig am Halsband packte, wobei die Hunde jedoch nicht voneinander abließen und weiter um die Beine der Klägerin herumrauften. Bei diesem Raufhandel wurde die Klägerin vom Hund des Beklagten in den rechten Unterschenkel gebissen, ohne daß sie den Hund vorher angegriffen hätte. Als der Beklagte auf die raufenden Hunde aufmerksam wurde und einschreiten wollte, war die Klägerin bereits gebissen. Die Frau des Beklagten wußte aus eigenem, daß sie den Hund nie unbeaufsichtigt frei herumlaufen lassen durfte, weil ihr bewußt war, daß ein Tier in gewissen Situationen unberechenbar reagieren kann. Ob sie darüber hinaus noch ausdrücklich vom Beklagten dazu angehalten worden war, konnte nicht festgestellt werden. Der Beklagte und seine Frau benützten nie einen Beißkorb für den Hund. Der Hund ist nicht bösartig. Es hatte bisher noch nie Anstände mit dem Hund des Beklagten gegeben. Das Erstgericht traf ferner eingehende Feststellungen über die Verletzungen, welche die Klägerin erlitten hatte, und deren Folgen.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, eine Haftung des Beklagten bestehe nicht, weil seine Frau zur gehörigen Beaufsichtigung des Hundes geeignet gewesen sei. Selbst wenn man im Sinne der Entscheidung JBl.1982, 150 eine verschärfte Gehilfenhaftung des Tierhalters annehme, setze eine solche grobes Verschulden des Gehilfen voraus, das hier zu verneinen sei. Das Berufungsgericht gab der nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- nicht übersteigt und die Revision nicht zulässig sei. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes, daß die Frau des Beklagten zur gehörigen Beaufsichtigung des Hundes geeignet gewesen sei, und vertrat die Ansicht, die Klägerin habe ein Verschulden derselben in erster Instanz nicht geltend gemacht. Damit scheide eine verschärfte Gehilfenhaftung analog § 19 Abs.2 EKHG aus.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit den Anträgen, es im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern oder die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, der außerordentlichen Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil die Frage, ob der Tierhalter für seine Gehilfen nur nach § 1315 ABGB oder darüber hinaus bei Verschulden - allenfalls auch nur bei grobem Verschulden - des Gehilfen haftet, in Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wird.
Sie ist jedoch nicht berechtigt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin verpflichtet war, ausdrücklich ein Verschulden der Frau des Beklagten zu behaupten und zu beweisen, und ob dazu der von ihr in der Klage geschilderte Sachverhalt ausreichte. Eine Haftung des Beklagten für ein Verschulden seiner Frau kommt hier nämlich selbst bei Annahme einer verschärften Gehilfenhaftung des Tierhalters in analoger Anwendung der Bestimmungen verschiedener Haftpflichtgesetze nicht in Betracht. Der Oberste Gerichtshof vertrat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, der Tierhalter hafte für ein Verschulden seines Gehilfen nur nach § 1315 ABGB (JBl.1959, 235; SZ 28/89; SZ 35/45 ua.). In der Entscheidung JBl.1982, 150 wurde dagegen - allerdings in Form eines obiter dictum - die Ansicht vertreten, die Haftung des Tierhalters beim Einsatz einer Hilfsperson ließe sich bei Tieren von größerer Gefährlichkeit, wozu etwa eine deutsche Dogge zähle, auch damit begründen, daß man in Analogie zu einigen Gefährdungshaftungen eine verschärfte Gehilfenhaftung annimmt. Die praktisch bedeutsamste Regelung, die durchaus analogiefähig erscheine, sei jene des § 19 Abs.2 EKHG, auf die etwa auch § 10 Abs.2 des RohrleitungsG BGBl.1975/411 verweise. Auf diese Weise könne das unbillige Ergebnis, das sich bei Anwendung der Bestimmung des § 1315 ABGB immer wieder ergebe, vermieden werden. Dieser Ansicht ist Koziol in seiner Entscheidungsbesprechung beigetreten, ohne dabei die Frage zu erörtern, ob der Tierhalter nur für grobes oder auch für leichtes Verschulden des Gehilfen haften solle. Im Haftpflichtrecht II 2 409 vertritt Koziol in diesem Zusammenhang die Auffassung, entsprechend den positiven Vorschriften über die Gefährdungshaftung hafte der Tierhalter nur für grobes Verschulden seines Gehilfen (so auch 6 Ob 562/83). An anderer Stelle meint er (aaO 363), da nur das EKHG, das Rohrleitungsgesetz und das Forstgesetz eine Haftung für jedes Verschulden des Besorgungsgehilfen kennen, das Atomhaftpflichtgesetz hingegen nur für grobes Verschulden, könne im Wege der Analogie der Inhaber einer gefährlichen Anlage nur dann für jedes Fehlverhalten seines Gehilfen ersatzpflichtig werden, wenn gerade die erstgenannten Bestimmungen analog angewendet werden können. Sonst sei mindestens grobe Fahrlässigkeit des Gehilfen erforderlich. Reischauer (in Rummel ABGB II Rz 9 zu § 1320) vertritt dagegen die Ansicht, die Haftung für Gehilfen ohne die Grenzen des § 1315 ABGB ergebe sich bereits aus dem Sinn des zweiten Satzes des § 1320 ABGB, müsse aber spätestens seit § 19 Abs.2 EKHG in Analogie dazu bejaht werden. Eine Einschränkung der Gehilfenhaftung auf Fälle des groben Verschuldens des Gehilfen entbehre schon im Hinblick auf die zutreffende Analogie zu § 19 Abs.2 EKHG der Grundlage und sei an sich dem Wesen des § 1320 im Gegensatz zu dem des § 1319 a ABGB fremd.
Es kann dahingestellt bleiben, ob den Tierhalter in analoger Anwendung von Bestimmungen anderer Haftpflichtgesetze überhaupt eine verschärfte Gehilfenhaftung trifft. Auch wenn man dies bejahen wollte, käme eine solche Haftung des Tierhalters nur für grobes Verschulden des Gehilfen in Frage. § 19 Abs.2 EKHG stellt ausdrücklich auf das Verschulden des Gehilfen ab. Gleiches gilt für § 56 Abs.2 ForstG und § 10 Abs.2 RohrleitungsG, welches auf das EKHG verweist. § 35 Abs.3 AtomhaftpflichtG wiederum läßt nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit des Gehilfen haften. Eine analoge Anwendung der Grundsätze dieser besonderen Haftungsbestimmungen auf die Gehilfenhaftung des Tierhalters würde also ebenfalls ein Verschulden des Gehilfen voraussetzen. Dabei ist Koziol beizupflichten, daß wegen der nicht einheitlichen Regelungen in den verschiedenen Haftpflichtgesetzen eine Haftung für jedes Fehlverhalten des Gehilfen nur dann in Frage käme, wenn gerade jene Bestimmung analog anzuwenden wäre, welche eine solche Haftung vorsieht. Nun könnte zwar aus sämtlichen Sonderregelungen der Grundsatz abgeleitet werden, daß auch den Halter eines gefährlichen Tieres - so wie den Geschäftsherrn eines Unternehmens mit besonderer Betriebsgefahr - eine erhöhte Gehilfenhaftung treffe. Auf eine besondere Bestimmung, etwa auf § 19 Abs.2 EKHG, könnte jedoch wegen der völligen Verschiedenartigkeit der den einzelnen Haftpflichtgesetzen zu Grunde liegenden und den von einem Tier ausgehenden Gefahren zum Zwecke der Analogie nicht zurückgegriffen werden. Damit bleibt aber, auch wenn man die Analogiefähigkeit der den besonderen Haftpflichtgesetzen zu Grunde liegenden Gedanken auch für die Gehilfenhaftung des Halters eines gefährlichen Tieres bejahen wollte - wobei die Abgrenzung der gefährlichen Tierarten besondere Probleme aufwirft - wegen des in den einzelnen Gesetzen verschieden geregelten Ausmaßes des Verschuldens des Gehilfen, für welches gehaftet wird, nur die Haftung für grobes Verschulden des Gehilfen übrig.
Ein grobes Verschulden der Gattin des Beklagten liegt aber nicht vor. Diese kannte den Hund seit 11 Jahren, wobei es nie zu Schwierigkeiten gekommen war. Die beiden Hunde kannten einander gleichfalls seit etwa einem halben Jahr und hatten bereits mehrmals außerhalb des Sportplatzgeländes miteinander herumgebalgt, ohne daß es zu einer Rauferei gekommen wäre. Unter diesen Umständen kann darin, daß die Gattin des Beklagten den Hund ohne Leine herumlaufen ließ und ihm die Möglichkeit gab, mit dem Hund der Klägerin zu spielen, keine so ungewöhnliche auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht erblickt werden, wie sie für die Annahme der groben Fahrlässigkeit Voraussetzung ist.
Daß dem Beklagten selbst keine Verletzung der Pflicht zur Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes vorzuwerfen ist, wird in der Revision nicht bekämpft, sodaß auf die Ausführungen der Vorinstanzen verwiesen werden kann.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E06232European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00515.85.0604.000Dokumentnummer
JJT_19850604_OGH0002_0040OB00515_8500000_000