Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Juni 1985 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schrott als Schriftführer in der Strafsache gegen Winfried A wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 25. April 1985, GZ. 28 Vr 17/85-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1
erster Fall StGB. (Punkt I des Urteilssatzes) sowie demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs gemäß § 38 StGB.) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 46-jährige Winfried A (außer anderen strafbaren Handlungen) des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er am 11.Dezember 1984 in Innsbruck 'dadurch, daß er sich von dem Polizeibeamten Inspektor Walter B, der im Begriffe war, ihn nach seiner Festnahme zur Direktionswache der Bundespolizeidirektion Innsbruck zu eskortieren, loszureißen suchte, einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme zu hindern versucht'.
Rechtliche Beurteilung
Der nur gegen den zuvor angeführten Schuldspruch (Punkt I des Urteilssatzes) gerichteten, nominell auf die Z. 9 lit. a - der Sache nach auch Z. 5 - des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu. Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen begab sich der Angeklagte am 11.Dezember 1984 zur Direktionswache der Bundespolizeidirektion Innsbruck um eine Nächtigungserlaubnis für das Polizeigefangenenhaus zu erlangen. Da er von Bezirksinspektor Eduard C abgelehnt wurde, schlug er aus Zorn darüber eine Fensterscheibe ein und flüchtete auf die Straße. Nachdem er dort vom Polizeibeamten Walter B eingeholt worden war, sprach dieser die Festnahme aus und führte den Angeklagten zur Direktionswache zurück. Als sich der Beamte mit dem Angeklagten im Vorraum zwischen den dort befindlichen (zwei) Glastüren befand, versuchte der Angeklagte plötzlich, sich loszureißen, um seine Eskortierung in die Direktionswache zu verhindern. Er rieß dabei beide Arme hoch und machte Anstalten, wegzulaufen. Es gelang ihm auch vorerst, sich dem Zugriff des Beamten zu entziehen und eine halbe Drehung zur Seite zu machen.
Dann erfaßte der Beamte den Angeklagten aber vorerst wieder am Mantel und sodann an beiden Armen. Der Angeklagte versuchte nochmals sich loszureißen, was ihm aber nicht mehr gelang. Durch das Handgemenge gerieten beide aus dem Gleichgewicht und kamen zu Sturz (S. 109). Diese Feststellungen stützte das Schöffengericht insbesondere auf die Aussage des Zeugen Walter B, der mit Bestimmtheit schildern konnte, daß der Angeklagte 'beide Arme hochgerissen hat und weglaufen wollte'; hiedurch erachtete es die leugnende Verantwortung des Angeklagten für widerlegt. In Ausführung der Feststellungsmängel behauptenden Rechtsrüge (Z. 9 lit. a) macht der Beschwerdeführer - damit der Sache nach auch Begründungsmängel (Z. 5) in der Bedeutung einer Unvollständigkeit relevierend - geltend, das Erstgericht habe bei Würdigung der Zeugenaussage des Polizeibeamten B unberücksichtigt gelassen, daß dieser nach seinen Bekundungen in der Hauptverhandlung 'nur das Gefühl hatte', daß der Angeklagte sich von ihm nicht anfassen lassen wollte, daß die Gewalt 'nicht gegen ihn persönlich' gerichtet gewesen und der Versuch des Angeklagten, sich loszureißen, 'plötzlich und unerwartet' gekommen sei.
Insoweit durfte sich das Erstgericht nicht mit dem bloßen Ausspruch (vgl. S. 111) begnügen, der Polizeibeamte B, auf dessen Aussage allein es im Ergebnis den Schuldspruch stützte, habe als Zeuge 'seit je dezitiert angegeben, daß der Angeklagte nicht nur passiven, sondern auch aktiven Widerstand geleistet habe', den es letztlich darin erblickte, daß 'der Angeklagte beide Arme hochgerissen hat'. Denn ein 'Losreißen' muß nicht in jedem Fall und ausnahmslos dem normativen Begriff 'Gewalt' im Sinn des § 269 Abs. 1 StGB. entsprechen, welcher zwar keine besondere Kraftanstrengung voraussetzt, aber immerhin doch die Aufbietung einiger Körperkraft erfordert (vgl. 9 Os 197/83; Leukauf-Steininger Kommentar 2 § 269 RN. 12 und die dort zit. Judikatur). Da der Zeuge B sowohl im Vorverfahren (vgl. S. 12, 18) als auch in der Hauptverhandlung (S. 96) zum Ausdruck brachte, daß das Losreißen für ihn 'plötzlich und unerwartet' kam und er zudem die Gewalt nicht als 'gegen ihn persönlich' gerichtet wertete, wäre das Schöffengericht nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß der (weitere) Tatzeuge Polizeibezirksinspektor Eduard C keinen aktiven Widerstand des Angeklagten beobachten konnte (S. 89), vielmehr der Meinung war, der Angeklagte habe 'nur passiven Widerstand' geleistet (S. 90), aber auch angesichts des Umstands, daß die Anzeigeerstattung lediglich wegen Sachbeschädigung (und Störung der Ordnung) erfolgte (vgl. S. 11), gehalten gewesen, die von der Beschwerde (zu Recht) ins Treffen geführten Punkte der Aussage des Zeugen B einer eingehenden Erörterung zu unterziehen. Demzufolge mangeln dem angefochtenen Urteil hinsichtlich der Art und Intensität des dem Angeklagten angelasteten 'Losreißens' tragfähige Feststellungen, die darüber verläßlich Aufschluß geben, ob dieses Losreißen bereits den Erfordernissen der 'Gewalt' im Sinn des § 269 Abs. 1 StGB. entsprach oder aber (bloß) durch die Ausnützung einer (allenfalls gegebenen) Unaufmerksamkeit überraschend und damit ohne Anwendung einer gegen den Festhaltenden gerichteten Körperkraft zustande kam (vgl. 12 Os 193/82).
Die dem angefochtenen Urteil im bezeichneten Belang anhaftenden Mängel lassen eine abschließende rechtliche Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten nicht zu.
Da sohin in Ansehung des davon betroffenen Schuldspruchs eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich ist, war insoweit nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO.), ohne daß es erforderlich wäre, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die getroffene Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E05814European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0090OS00100.85.0619.000Dokumentnummer
JJT_19850619_OGH0002_0090OS00100_8500000_000