Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl und Dr.Kuderna sowie die Beisitzer Dr.Mayr und Dr.Geppert als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christina A, Angestellte, Innsbruck, Anichstraße 19, vertreten durch Dr.Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Dkfm.Wilfried B, Inhaber der Firma C D, Hall in Tirol, Saline 17, vertreten durch Dr.Alfons Klaunzer, Angestellter der Tiroler Handelskammer, Innsbruck, wegen S 111.864,33 brutto samt Anhang abzüglich S 23,27 netto, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 18. Dezember 1984, GZ 3 a Cg 21/84-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Innsbruck vom 6. Juli 1984, GZ 2 Cr 373/83-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es einschließlich seines bestätigten Teiles wie folgt zu lauten hat:
'1.) Die Klagsforderung besteht mit dem Betrag von S 106.864,33 brutto samt 4 % Zinsen aus S 13.850,-- vom 1.Juli bis 31.Juli 1983, aus S 27.000,-- vom 1.August bis 31.August 1983, aus S 41.550,-- vom 1. September bis 30.September 1983 und aus S 106.864,33 seit 1. Oktober 1983 zu recht.
2.) Die eingewendete Gegenforderung besteht im Betrag von S 23,27 netto zu Recht.
3.) Die beklagte Partei ist schuldig, an die klagende Partei einen Betrag von S 106.864,33 brutto samt 4 % Zinsen aus S 13.850,-- vom 1.Juli bis 31.Juli 1983, aus S 27.000,-- vom 1.August bis 31. August 1983, aus S 41.550,-- vom 1.September bis 30.September 1983 und aus S 106.864,33 seit 1.Oktober 1983, abzüglich eines Betrages von S 23,27 netto binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen. Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 22.071,20 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 1.789,20 an Umsatzsteuer und S 2.390,-- an Barauslagen) sowie die mit S 24.273,-- bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz (darin sind S 3.780,-- an Barauslagen und S 1.863,-- an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Hingegen wird das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, an die klagende Partei einen weiteren Betrag von S 5.000,-- samt 4 % Zinsen seit 1.Oktober 1983 zu zahlen, sowie das Zinsenmehrbegehren abgewiesen.' Die beklagte Partei ist schließlich schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.153,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 1.200,-- an Barauslagen und S 268,50 an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrt vom Beklagten, ihrem ehemaligen Arbeitgeber, die Zahlung eines Betrages von insgesamt S 111.864,33 samt Anhang an Kündigungsentschädigung einschließlich aliquoter Sonderzahlungen, Abfertigung und Urlaubsentschädigung. Zur Begründung führt sie aus, der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am
21. oder 22.Juni 1983 rückwirkend zum 31.Mai 1983 ungerechtfertigt vorzeitig aufgelöst. Sie stützte ihr auf Zahlung der Kündigungsentschädigung gerichtetes Begehren ausdrücklich auf den § 29 AngG, im Berufungsverfahren auch auf den § 1155 ABGB. Der Beklagte beantragte Klagsabweisung mit der - für das Revisionsverfahren noch relevanten - Begründung, die Parteien hätten das Arbeitsverhältnis zum 31.Mai 1983 einvernehmlich beendet. Er wendete überdies aufrechnungsweise Gegenforderungen in der Höhe von
S 86,12 (überbezug) ein.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit S 111.864,33 brutto samt Anhang und die Gegenforderung mit S 23,27 netto als zu Recht bestehend und demnach den Beklagten schuldig, an die Klägerin S 111.864,33 brutto samt Anhang abzüglich S 23,27 netto zu zahlen. Es vertrat die Auffassung, der Beklagte habe die Klägerin am 31.Mai 1983 zeitwidrig gekündigt. Da eine Kündigung in diesem Zeitpunkt frühestens zum 30.September 1983 hätte ausgesprochen werden dürfen, stünden der Klägerin die begehrten Beträge für den zwischen diesen beiden Zeitpunkten liegenden Zeitraum aus dem Grunde des § 1155 ABGB zu.
Im Berufungsverfahren brachte der Beklagte neu vor, die Klägerin müsse sich 'auf Schadenersatzansprüche, die über den Zeitraum von 3 Monaten hinausgehen, alles anrechnen lassen, was sie verdient oder zu verdienen unterlassen habe; die Klägerin habe ein Entgelt erhalten, von dem sie leben habe können'. Sollte eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgt sein, müsse von einem ungerechtfertigten vorzeitigen Austritt der Klägerin ausgegangen werden.
Die Klägerin bestritt dieses Vorbringen und behauptete hilfsweise, gerechtfertigt vorzeitig ausgetreten zu sein, weil der Beklagte das Gehalt für Juni 1983 nicht gezahlt habe.
Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil teilweise dahin ab, daß es die Klagsforderung mit dem Betrag von S 47.266,-- samt Anhang sowie die Gegenforderung mit S 23,27 netto als zu Recht bestehend erkannte und den Beklagten zur Zahlung von S 47.266,-- brutto samt Anhang abzüglich eines Nettobetrages von S 23,27 verurteilte. Hingegen wies es das Mehrbegehren von S 64.633,33 samt Anhang und ein Zinsenmehrbegehren ab. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z.3 ArbGG neu durch und traf folgende für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:
Als im Jänner 1983 verlautete, der Beklagte beabsichtige wegen des schlechten Geschäftsganges sein Unternehmen zu veräußern, berieten die um ihren Arbeitsplatz fürchtenden Arbeitnehmer, wie dieses Problem zu meistern sei. Edwin E, der für den Beklagten als freier Kellermeister arbeitete, machte den Vorschlag, eine Gesellschaft mbH zu gründen und das Unternehmen des Beklagten weiterzuführen. Die Gesellschaft wurde in der Folge gegründet, doch verzögerte sich der Abschluß eines Kaufvertrages zwischen der Gesellschaft und dem Beklagten. Die Gesellschaft führte schließlich in einem Teilbereich die Geschäfte des Beklagten weiter, wobei zwischen dem Geschäftsführer E und dem Beklagten auch über die übernahme der Arbeitnehmer des Beklagten gesprochen wurde. In der Folge ist es jedoch zu keiner derartigen Vereinbarung - auch nicht hinsichtlich der Klägerin - gekommen. Die Klägerin war Gesellschafterin der Gesellschaft mbH und arbeitete als solche im Juni 1983 und später für die Gesellschaft. Sie erhielt für die Monate Juni bis einschließlich Oktober 1983 S 25.000,-- pro Monat;
davon entfielen laut Einkommenssteuererklärung 25 % auf Spesen. Die Klägerin arbeitete seit Jahren auch beim F G und erhielt hiefür näher festgestellte Entgeltbeträge.
In einem in den letzten Tagen des Monats Mai 1983 zwischen dem Beklagten und der Klägerin über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer des Beklagten einschließlich der Klägerin geführten Gespräch wurde festgestellt, daß die Angestellte H, welche über Auftrag des Beklagten Kündigungsschreiben vorzubereiten und dem Beklagten zur Unterschrift vorzulegen hatte, ein solches Schreiben für die Klägerin nicht vorbereitet hatte. Die vorbereiteten Schreiben hatten folgenden Wortlaut:
'Wir teilen Ihnen mit, daß Sie im gegenseitigen Einvernehmen ab 1. Juni 1983 in die Dienste der Firma E, Weinhandelsgesellschaft mbH & Co.KG, treten. Das Arbeitsverhältnis mit Ihnen endet also am 31. Mai, wobei wir das anteilsmäßige Urlaubsund Weihnachtsgeld ausbezahlen. Die oben angeführte Firma E übernimmt Ihre reinen Abfertigungsansprüche für den Fall, daß Sie von dieser gekündigt werden. Hiemit sind alle gegenseitigen Ansprüche abgegolten ......'
Als der Beklagte bei dem erwähnten Gespräch der Angestellten H vorhielt, daß sie das für die Klägerin bestimmte Kündigungsschreiben noch nicht geschrieben habe, sagte die Klägerin, sie brauche nicht eine schriftliche Mitteilung über die Kündigung, es gelte für sie auch die mündliche Mitteilung. Nicht festgestellt werden kann, daß es bei diesem Gespräch zu einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Prozeßparteien gekommen ist. Der Klägerin war der oben wiedergegebene Inhalt dieser Schreiben nicht bekannt. Da in dem Gespräch ausdrücklich von einem Kündigungsschreiben die Rede war, ging sie davon aus, daß ihr Arbeitsverhältnis zum nächsten Quartal beendet worden sei. Von einer sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses war nicht die Rede. Die Klägerin erklärte am Ende dieses Gesprächs, sie werde noch ihren Urlaub verbrauchen. Sie arbeitete bis 5.Juni 1983 und trat an diesem Tag ihren Urlaub an. Am 10.Juni 1983 unterbrach sie den Urlaub, um Umsatzsteuervoranmeldungen durchzuführen. Als sie während ihres Urlaubs bei der Tiroler Gebietskrankenkasse zu tun hatte, erfuhr sie dort, daß sie vom Beklagten abgemeldet worden sei. Tatsächlich hatte sie der Beklagte am 22.Juni 1983 mit 31.Mai 1983 abgemeldet. Als die Klägerin nach ihrem Urlaub die Arbeit wieder antreten wollte, wurde ihre Arbeit nicht mehr in Anspruch genommen, weil diese Arbeit inzwischen von einer neuen Angestellten übernommen worden war. Als ihr Ansprüche auf restlichen Urlaub abgestritten wurden, verließ sie das Unternehmen mit dem Bemerken, sie werde sich ihrer Haut schon wehren. Sie wäre zur weiteren Arbeit bereit gewesen. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 31.Mai 1983 zum 30.September 1983 gekündigt. Die Abmeldung der Klägerin von der Krankenkasse, die Einstellung einer Nachfolgerin und der Umstand, daß sich die Klägerin damit nicht habe abfinden wollen, könnten nicht als eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgefaßt werden. Eine Entlassung der Klägerin sei ebensowenig erfolgt wie eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Verhalten der Klägerin sei auch nicht als Entlassungsgrund anzusehen. Die Klägerin habe daher Anspruch auf ein Arbeitsentgelt im Sinne des § 1155 ABGB für die Zeit vom Juni bis September 1983. Sie müsse sich jedoch darauf anrechnen lassen, was sie durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt habe. Da die Klägerin im vorgenannten Zeitraum S 100.000,-- verdient habe, sei unter Bedachtnahme auf den § 273 ZPO und auf die auf diesen Verdienst entfallende Einkommensteuer davon auszugehen, daß dieses Einkommen die Höhe der für den genannten Zeitraum begehrten Kündigungsentschädigung von S 64.633,33 erreiche. Dieser von der Klägerin begehrte Betrag stehe ihr infolge der Anrechnung nicht zu. Gegen den abweislichen Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zum Teil berechtigt.
Beide Parteien sind vor den Untergerichten insoweit übereinstimmend davon ausgegangen, daß ihr Arbeitsverhältnis zum 31.Mai 1983 beendet worden ist. Die Klägerin behauptete, am 21. oder 22.Juni 1983 von einer rückwirkend zum 31.Mai 1983 erfolgten arbeitgeberseitigen Auflösung erfahren zu haben; der Beklagte brachte vor, das Arbeitsverhältnis sei zum 31.Mai 1983
einvernehmlich beendet worden. Der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung, das Arbeitsverhältnis sei zum 30.September 1983 durch Kündigung aufgelöst worden, findet daher in diesem Parteienvorbringen keine Deckung. Aber auch die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme einer Beendigung zum 30.September 1983. Wenn auch die Klägerin unter Bedachtnahme auf den objektiven Erklärungswert den Erklärungen, welche vom Beklagten in dem Ende Mai 1983 mit der Klägerin geführten Gespräch abgegeben wurden, entnehmen mußte, daß ihr Arbeitsverhältnis zum nächsten zulässigen Kündigungstermin, also zum 30. September 1983, mündlich gekündigt worden sei, wurde dieses Arbeitsverhältnis vom Beklagten in der Folge durch die Abmeldung der Klägerin von der Krankenkasse und die Nichtzulassung zur Arbeit nach dem 22.Juni 1983 vorzeitig aufgelöst. (Eine rückwirkende einseitige Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist rechtlich nicht möglich Kuderna, Das Entlassungsrecht, 21, mwH). Nach den Feststellungen erfolgte diese Auflösung allerdings nicht im Einvernehmen der Parteien. Insoweit erwies sich das Vorbringen des Beklagten als unrichtig.
Infolge der vom Beklagten ungerechtfertigt vorgenommenen vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach dem 22.Juni 1983 hat die Klägerin Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach dem § 29 AngG von diesem Zeitpunkt an; für die Zeit bis zum 22.Juni 1983 hat sie hingegen Anspruch auf Arbeitsentgelt nach dem § 1155 ABGB. Sie hat zwar in der Klage eine Kündigungsentschädigung nach dem § 29 AngG auch für diesen Zeitraum begehrt, hat aber vorgebracht, während dieses Zeitraumes gearbeitet zu haben und auf Urlaub gewesen zu sein. Da die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt teilweise gearbeitet und teilweise ihren Urlaub während des aufrechten Arbeitsverhältnisses verbraucht hat, kommt eine Anrechnung für diesen letztgenannten Zeitraum nicht in Betracht. Für den restlichen Zeitraum (das ist bis zum 30.September 1983) erfolgt gemäß dem § 29 Abs 2, erster Satz, AngG eine Anrechnung nicht, soweit dieser Zeitraum drei Monate nicht übersteigt (also bis zum 22.September 1983).
Hinsichtlich der verbleibenden acht Tage ist davon auszugehen, daß die Anrechnung i.S. des § 1155 ABGB voraussetzt, daß das Unterbleiben der Dienstleistung für den anderweitigen Erwerb des betreffenden Arbeitnehmers ursächlich war (Arb.9.350, 10.311). Da die Klägerin während dieses Zeitraumes infolge des Unterbleibens der Dienstleistungen für die beklagte Partei gearbeitet und nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes ein höheres Entgelt erzielt hat als bei der beklagten Partei, muß sie sich das in diesen acht Tagen erzielte Entgelt auf die begehrte Kündigungsentschädigung anrechnen lassen. Unter Bedachtnahme auf den § 273 ZPO entfällt auf diesen Zeitraum ein anzurechnender Entgeltbetrag von S 5.000,--. Der Revision war daher teilweise Folge zu geben - ohne daß auf die in einem anderen Zusammenhang geltend gemachte Aktenwidrigkeit einzugehen war - und der Klägerin ein Betrag von S 106.864,33 brutto samt Anhang abzüglich eines Nettobetrages von S 23,27 zuzusprechen. Das Mehrbegehren von S 5.000,-- war einschließlich eines Zinsenmehrbegehrens hingegen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 43 Abs 2 ZPO und 50 ZPO begründet.
Anmerkung
E06136European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00074.85.0625.000Dokumentnummer
JJT_19850625_OGH0002_0040OB00074_8500000_000