TE OGH 1985/6/27 7Ob588/85

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Veröffentlicht am 27.06.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Carmen A, Geschäftsfrau, Mödling, Ferdinand Buchbergergasse 11/1/2/8, vertreten durch Dr. Heinz Eckard Lackner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wolfgang A, Angestellter, Mödling, Ferdinand Buchberger-Gasse 11/1/2/8, vertreten durch Dr. Werner Masser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. März 1985, GZ 11 R 20/85-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 9.Oktober 1984, GZ 34 Cg 63/83-18, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision des Beklagten wird nicht Folge gegeben. Der Revision der Klägerin wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 2.780,15 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 320,- Barauslagen und S 223,65 Umsatzsteuer) sowie die mit S 7.514,70 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 720,- Barauslagen und S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 15.12.1975 miteinander die Ehe geschlossen. Das Erstgericht hat die Ehe aus dem Verschulden des Beklagten geschieden, wobei es von folgenden wesentlichen Feststellungen ausging:

Bereits seit Beginn der Ehe gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und ihrer Schwiegermutter, die mit der Eheschließung nicht einverstanden war.

Hiebei wirkten sich auch die besonders starken Bindungen des Beklagten zu seiner Mutter aus. Aus diesem Grunde drang die Klägerin darauf, aus dem ursprünglich mit der Schwiegermutter gemeinsam benützten Haus in Gaaden auszuziehen und eine eigene Wohnung einzurichten. Da die Mutter des Beklagten im ersten Jahr der Ehe die Streitteile nicht besuchte und demnach der Kontakt zueinander gering war, verlief die Ehe während dieses Zeitraumes harmonisch. Erst im Jahre 1977 wurde darauf gedrungen, sich an gemeinsamen Familienfeierlichkeiten zu beteiligen, in deren Verlauf es ohne konkreten Anlaß wiederum zu Auseinandersetzungen zwischen der Schwiegermutter des Beklagten und der Klägerin kam, wobei die Mutter des Beklagten Ausdrücke für die Klägerin wie 'Marokkanerbankert' oder 'Negerarsch' verwendete.

Der Beklagte, der bereits vor der Eheschließung schwer herzkrank war, arbeitete im Geschäft seiner Mutter. Er zahlte zwar die Betriebskosten und die Miete für die gemeinsame Ehewohnung, gab jedoch der Klägerin kein Wirtschaftsgeld, sodaß diese den Großteil der Lebenshaltungskosten aus ihrem eigenen Einkommen bestreiten mußte. Im Jahre 1983 verlor der Beklagte seine Anstellung bei seiner Mutter, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet worden war. Die Mutter des Beklagten war in zweiter Ehe mit Herbert B verheiratet. Das Verhältnis zwischen dem Beklagten und seinem Stiefvater war von Anbeginn an sehr schlecht. Die Ehe der Mutter des Beklagten mit Herbert B wurde im Jahre 1983 geschieden. Der Beklagte ist infolge seiner Herzkrankheit sehr häuslich, geht fast nie aus, widmet sich lieber seinem Hobby dem Eisenbahnspielen und ist nur in der ersten Zeit der Ehe mit der Klägerin zusammen spazieren oder ins Kino gegangen. Auch auf sexuellem Gebiet haben sich die Streitteile nie gut verstanden.

Bereits zu Beginn der Ehe war es vom Beklagten als 'Sohnespflicht' aufgefaßt worden, im Falle der relativ häufig berufsbedingten Abwesenheit des Ehemannes seiner Mutter bei dieser in ihrem Haus in Gaaden zu nächtigen, weil sie sich allein im Haus fürchtete. Es kam daher vor, daß der Beklagte mehrfach auch unter der Woche bei seiner Mutter nächtigte, wobei die Klägerin in der gemeinsamen Ehewohnung verblieb, um Streitigkeiten mit ihrer Schwiegermutter aus dem Weg zu gehen. Nach Aufgabe der Reisetätigkeit seines Stiefvaters nächtigte der Beklagte dann wiederum häufiger in der Ehewohnung. Nach dem endgültigen Ausscheiden des Schwiegervaters aus dem Geschäft seiner Frau im Jahre 1982 und der Aufnahme einer Tätigkeit als Versicherungsreisender kam es wiederum häufiger vor, daß der Beklagte im Haus seiner Mutter nächtigte. Bis Juni 1983 nächtigte er drei bis viermal durchschnittlich in der Woche in der Ehewohnung, seit Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens nur mehr zwei bis dreimal pro Woche. In der letzten Zeit noch viel seltener.

Bereits seit 1979/1980 verschlechterte sich das Verhältnis der Streitteile, wobei der Beklagte der Klägerin immer liebloser begegnete, Zärtlichkeiten zurückwies und sie brüskierte. Als sich die Klägerin ihm gegenüber äußerte, sie halte eine derartige Eheführung nicht aus, meinte der Beklagte sinngemäß 'Wanderer soll man ziehen lassen'. Wenn die Klägerin ihn an die Erfüllung seiner ehelichen Pflichten erinnerte, antwortete er sinngemäß 'wenn Du einen fürs Bett brauchst, kannst Du Dir ja einen holen, mach was Du willst'. Im Jahre 1980 kam es nur sehr selten zum Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen, nämlich durchschnittlich alle zwei bis drei Monate. Im Jahre 1982 fand ein einziges mal zwischen den Streitteilen ein Geschlechtsverkehr statt, danach gab es keinen mehr.

Auf die Wünsche der Klägerin nach Unterhaltung, der Gewährung von Ratschlägen oder auf Fragen reagierte der Beklagte grundsätzlich phlegmatisch. Er war mit allem einverstanden und antwortete stets, die Klägerin könne machen was sie wolle. Durch dieses Verhalten hatte die Klägerin stets das Gefühl, es sei dem Beklagten egal, was sie tue.

Der Beklagte reagierte infolge seiner schweren Herzkrankheit und einer daraus resultierenden Nierenschwäche äußerst jähzornig und ist psychisch angegriffen. Die Klägerin hingegen reagiert eher ruhig und geht allen Streitigkeiten grundsätzlich aus dem Weg. Am Höhepunkt der Ehekrise ersuchte die Klägerin am 29.12.1982 ihren Schwiegervater Herbert B um eine Aussprache und traf sich mit ihm in einem Cafehaus. Dort wurden sie vom Beklagten überrascht, der die Klägerin bezichtigte, intime Beziehungen zu ihrem Schwiegervater zu unterhalten. Im Velauf der nun folgenden Auseinandersetzung schlug der Beklagte der Klägerin in aller Öffentlichkeit mit der flachen Hand ins Gesicht, versuchte ihre Handtasche an sich zu bringen, attackierte seinen Schwiegervater und drohte der Klägerin sinngemäß, sie umzubringen, wenn sie heimkomme.

Hierauf eilte er aus dem Lokal mit der Bemerkung, es sei ihm jetzt etwas viel besseres eingefallen.

Im Jänner 1983 hatte die Klägerin auf Grund der problematischen Verhältnisse ihres Ehelebens hinter ihrem Geschäftslokal eine Wohnung dazugemietet. Beim Tapezieren und Einrichten half ihr ihr Schwiegervater. Als dieser im April 1983 gerade dabei war, um die Küche zu tapezieren und auf einer Leiter stand, bemerkte die Klägerin plötzlich einen Fotoblitz durch das Fenster und sah den Beklagten als Fotografen. Eine halbe Stunde später klopfte es an der Wohnungstür, doch wollte die Klägerin den Beklagten nicht hereinlassen, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Etwas später versuchten Polizisten in die Wohnung einzudringen, wobei sie dieses Verhalten damit erklärten, sie seien vom Beklagten wegen angeblicher Einbrecher alarmiert worden.

Ehebrecherische Beziehungen der Klägerin zu ihrem Schwiegervater wurden nicht festgestellt. Zu einem Detektivbericht, der ein zweimaliges Zusammentreffen der Klägerin mit ihrem Schwiegervater am 16.4. und 23.4.1983 feststellte, wobei in beiden Fällen die Klägerin ihren Schwiegervater mit Küssen begrüßte, führte das Erstgericht aus, hiebei habe es sich lediglich um freundschaftliche Begrüßungsküsse unter 'Verwandten' gehandelt, die keinerlei Schluß auf ehewidrige Beziehungen zwischen den beiden Personen zulassen. Das Erstgericht erblickte in dem festgestellten Verhalten des Beklagten eine Reihe schwerere Eheverfehlungen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Scheidung der ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten, sprach jedoch ein Mitverschulden der Klägerin mit der Begründung aus, das Aufrechterhalten freundschaftlicher Beziehungen der Klägerin zu ihrem Schwiegervater begründe schon deshalb eine Eheverfehlung, weil dieser mit dem Beklagten verfeindet gewesen sei und die Klägerin daher gegen den erkennbaren Willen ihres Ehegatten gehandelt habe. Selbst wenn die Küsse, die die Klägerin mit ihrem Schwiegervater getauscht hat, nur zur Begrüßung erfolgten, so mußte diese besonders intime Art der Begrüßung den Beklagten schwer verletzen. Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens könne jedoch nicht übersehen werden, daß das Fehlverhalten des Beklagten die Zerrüttung der Ehe eingeleitet habe und in seinem Gesamtgewicht auch erheblich schwerer wiege, als das Verschulden der Klägerin.

Die vom Beklagten gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen § 503 Abs 1 Z 3 und 4 ZPO erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt, wohl aber die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit unternimmt der Beklagte den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der vorinstanzlichen Feststellungen. Es erübrigt sich daher ein weiteres Eingehen auf diesen Revisionsgrund.

Einen geistigen Zustand, der die Verantwortlichkeit des Beklagten für sein Verhalten beeinträchtigen könnte, hat der Beklatgte einerseits überhaupt nie behauptet, andererseits geben die getroffenen Feststellungen nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür. Das bloße Vorhandensein außerordentlicher Minderwertigkeitskomplexe und psychischer Störungen besagt in dieser Richtung überhaupt nichts. Das Erstgericht wollte mit diesen Begriffen auch nur zum Ausdruck bringen, daß der vom Beklagten geäußerte Verdacht bezüglich ehewidriger Beziehungen der Klägerin zu ihrem Schwiegervater keine realen Grundlagen hat, sondern ausschließlich im außergewöhnlichen Mißtrauen des Beklagten begründet ist.

Bei der Ausführung der Rechtsrüge geht der Beklagte weitgehend nicht von dem festgestellten Sachverhalt aus. Ihm wurde vom Erstgericht nämlich nicht nur ein einziger Vorfall vorgeworfen, sondern ein Verhalten, das sich über Jahre erstreckt hat. Vor allem muß als ehezerrüttend empfunden werden, daß sich der Beklagte, anstatt mit der Klägerin ein normales Eheleben zu führen, hauptsächlich seiner Mutter gewidmet und diesen Kontakt seinen Beziehungen zur Klägerin stets vorgezogen hat. Es sei hier nur auf die häufige Abwesenheit des Beklagten von der ehelichen Wohnung und auf seine Weigerung, mit der Klägerin gemeinsam die Freizeit zu gestalten, verwiesen. Die getroffenen Feststellungen geben keinen Anhaltspunkt dafür, daß die von der Klägerin gewünschte Freizeitgestaltung ausschließlich auf eine Art erfolgen sollte, die dem Beklagten im Hinblick auf seine Herzkrankheit nicht zugemutet werden könnte. Jener Vorfall, bei dem der Beklagte gegen die Klägerin tätlich wurde und bei dem er sie auch bedrohte, war also nicht die einzige Verfehlung, sondern nur mehr die Krönung eines jahrelang währenden Verhaltens, das in seiner Gesamtheit zu einer unheilbaren schweren Zerrüttung der Ehe führen mußte und auch geführt hat. Die durch das Verhalten des Beklagten eingetretene Zerrüttung der Ehe wurde vom Erstgericht festgestellt. Hiebei handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, von der der Oberste Gerichtshof nicht abgehen kann.

Die getroffenen Feststellungen lassen nicht einmal bezüglich des Vorfalles vom 29.12.1982 eine Provokation des Verhaltens des Beklagten durch die Klägerin erkennen. Bezüglich des weiteren, über Jahre dauernden ehewidrigen Verhaltens des Beklagten, kann von einer Provokation durch die Klägerin überhaupt keine Rede sein. Es liegen demnach alle Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten vor.

Das Berufungsgericht legt der Klägerin als Verschulden einen freundschaftlichen Kontakt zu ihrem Schwiegervater zur Last, wobei es insbesondere auf die im Detektivbericht (Beilage 2) erwähnten zweimaligen Begrüßungen des Schwiegervaters des Beklagten durch die Klägerin mit Küssen am 16.4. und 23.4.1983 verweist. Hiebei geht das Berufungsgericht selbst davon aus, daß es sich nicht um Küsse im Rahmen eines sexuellen oder erotischen Kontaktes, sondern bloß um freundschaftliche Küsse gehandelt hat. Es mag dahingestellt bleiben, ob ein Ehegatte dem anderen freundschaftliche Kontakte zu einer Person des anderen Geschlechtes, die nicht in den erotischen Bereich fallen und auch einen solchen Anschein nicht erwecken, nur deshalb verbieten kann, weil er selbst feindselige Gefühle gegen diese Person hegt. Handelt es sich nämlich um Kontakte im familiären Bereich, bezüglich derer kein objektiver Anhaltspunkt für ehewidrige Beziehungen besteht, so kann ein Recht des einen Ehegatten, dem anderen diese Kontakte zu untersagen, im allgemeinen nicht angenommen werden.

Im vorliegenden Fall ergibt sich im übrigen aus den getroffenen Feststellungen, daß die Ehe der Streitteile im Jahre 1983 bereits unheilbar zerrüttet war und zwar ausschließlich durch das Verhalten des Beklagten. Das behauptete Mitverschulden muß aber grundsätzlich alle Eigenschaften eines Scheidungsgrundes wegen Verschuldens haben (Pichler in Rummel RZ 3 zu § 60 EheG). Ein als Eheverfehlung geltend gemachtes Verhalten muß demnach Zerrüttungswirkung auf die Ehe haben. Ist daher die Ehe unheilbar zerrüttet, so bildet das nachfolgende Verhalten keinen Scheidungsgrund mehr (Pichler Anm 3 zu § 49 EheG). Inwieweit aus Billigkeitsgründen trotzdem eine nach der Zerrüttung der Ehe gesetzte Eheverfehlung eines Ehegatten als Mitverschulden ausnahmsweise berücksichtigt werden könnte, muß hier nicht untersucht werden. Selbst in einem solchen Falle dürften nämlich Eheverfehlungen zu einer Zeit, zu der die gänzliche Zerrüttung der Ehe bereits eingetreten war und keiner der Ehegatten mehr eine Rettung der Ehe erhoffen konnte, nicht derart schwer beurteilt werden, wie dies bei gleichartigen Verfehlungen in einer Ehe wäre, die zumindest noch von einem Teil als intakt empfunden wird (2 Ob 534/85, 7 Ob 721,722/82 ua). Ausgehend von diesem Gesichtspunkt kann das eher harmlose Verhalten der Klägerin nach Eintritt der endgültigen Zerrüttung der Ehe, selbst wenn man darin ein Fehlverhalten erblicken würde, keinesfalls mehr als Mitverschulden im Sinne des § 60 Abs 2 EheG gewertet werden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E06162

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00588.85.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19850627_OGH0002_0070OB00588_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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