Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch, Dr.Schobel, Dr.Riedler und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann A, Inzing, Hauptstraße 9, vertreten durch Dr.Bernhard Stanger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Ing.Erich B, Inzing, Hauptstraße 9, vertreten durch Dr.Roland Pescoller, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4.Dezember 1984, GZ 3 a R 496/84-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Telfs vom 20.September 1984, GZ C 212/84-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit S 1.765,44 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 159,04 Umsatzsteuer und S 16,-- Barauslagen) sowie die mit S 2.291,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 190,88 Umsatzsteuer und S 192,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit der gerichtlichen Aufkündigung vom 23.März 1984 kündigte der Kläger das Mietverhältnis hinsichtlich der im ersten Stock des Hauses Inzing, Hauptstraße 9, gelegenen Wohnung bestehend aus Küche, zwei Zimmern, WC und Bad unter Geltendmachung der Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z.8 und 9 MRG auf und brachte dazu vor, die aufgekündigte Wohnung werde dringend für den Sohn (richtig: Enkel) des Klägers, dessen Ehegattin und dessen Kind benötigt. Diese Personen bewohnten im gleichen Haus im zweiten Stock eine Mansardenwohnung, die aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer, einer Küche sowie Bad und WC bestehe. Diese äußerst enge Wohnung sei für die Familie des Sohnes unzumutbar. Der Kläger erkläre sich bereit, dem Beklagten insoweit Ersatz zu schaffen, als er ihm diese Wohnung anbiete. Sie habe für den Beklagten, der alleinstehend sei, die entsprechende Größe.
Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Aufkündigung und die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die von ihm gemietete Wohnung werde auch betrieblich genützt. Der Beklagte bewohne praktisch nur einen Raum. Für ihn sei es nicht zumutbar, die angebotene Ersatzwohnung anzunehmen. Die Umwidmung der Räumlichkeiten im ersten Stock für Geschäftszwecke sei vom Kläger jahrelang geduldet worden.
Das Erstgericht hob mit seinem Urteil ON 9 die Aufkündigung auf. Es traf bezüglich der Wohnungs- und Familienverhältnisse des Enkels des Klägers folgende Feststellungen:
Die Wohnung befindet sich im zweiten Stock und besteht aus Küche, zwei Zimmern, Bad und WC sowie einem Gang. Sie hat höchstens 40 bis 45 m 2 . Sämtliche Räume dieser Wohnung werden zu Wohnzwecken genützt. Die Küche hat nur ein Fenster am Plafond. Dieses ist nur zu öffnen, wenn man auf die Küchenanrichte oder auf einen Sessel steigt. Die Küche hat ein Ausmaß von ca. 5 m 2 . Die Belüftung der Küche ist sehr schwierig, weil das Fenster nur im Sommer geöffnet werden kann; im Winter liegt Schnee darauf. Der Enkel des Klägers bewohnt die Wohnung mit seiner Frau und seinem am 6.Jänner 1983 geborenen Kind. Das Schlafzimmer und das Wohnzimmer sind zugleich Spielzimmer für das Kind. Nach der Geburt des Kindes hat eine Kommode aus der Wohnung gestellt werden müssen, um wohnen zu können. In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht den dringenden Eigenbedarf und vertrat die Auffassung, die durchzuführende Interessenabwägung falle zugunsten des Beklagten aus. Der Kläger habe dem Beklagten entgegen der Vorschrift des § 32 MRG auch keine zwei entsprechenden Wohnungen als Ersatz zur Auswahl angeboten. Die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z.8 und 9 seien daher nicht gegeben. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge, erklärte die gerichtliche Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten, die im ersten Stock des Hauses Inzing, Hauptstraße 9, gelegene Wohnung bestehend aus Küche, zwei Zimmern, WC und Bad binnen 14 Tagen von sämtlichen nicht in Bestand gegebenen Fahrnissen zu räumen und dem Kläger geräumt zu übergeben. Es sprach aus, der Wert des Begehrens, über den das Berufungsgericht entschieden habe, übersteige S 15.000,--, nicht jedoch S 300.000,-- und die Revision sei zulässig.
Das Berufungsgericht unterstellte den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht zunächst im Hinblick auf im Parterre gelegene, vom Beklagten ebenfalls gemietete Betriebsräumlichkeiten dem § 31 MRG und bejahte das Vorliegen des dringenden Eigenbedarfes. Es führte aus, es sei nämlich davon auszugehen, daß die vom Enkel des Klägers derzeit benützte Wohnung im zweiten Stock lediglich eine Größe von 40 bis 45 m 2 aufweise und praktisch nur zwei Zimmer für drei Personen benützbar seien. Auf die Küche als weiteren Aufenthaltsraum könne keinesfalls ausgewichen werden, weil diese nur ein Ausmaß von ca. 5 m 2 habe und nicht ganzjährig belüftet und natürlich belichtet werden könne. Es verblieben als Wohnzimmer, Elternschlafzimmer und Kinderzimmer nur zwei Räume, welche unter Einschluß des Bades, des WCs sowie des Ganges eine Gesamtfläche von ca. 35 bis 40 m 2 aufwiesen. Wenn auch bei der Prüfung des Eigenbedarfes ein strenger Maßstab anzulegen sei, so liege doch die notstandsartige, unabweisliche Notwendigkeit vor, den gegebenen Zustand sobald wie möglich zu beseitigen. Die weiter vorzunehmende Interessenabwägung falle zugunsten des Klägers aus. Weil dringender Eigenbedarf gegeben sei und die Interessenabwägung zugunsten des Vermieters ausgefallen sei, sei auf den weiter geltend gemachten Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z.9 MRG nicht mehr einzugehen. Die Revision sei für zulässig zu erklären, weil es sich vornehmlich um die Lösung von Rechtsfragen des materiellen Rechtes handle, wobei die Judikatur insbesonders zur Frage des dringenden Eigenbedarfes bzw. der Interessenabwägung nicht ganz einheitlich sei. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles abzuändern. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Für die Entscheidung der Frage, welche Bedeutung das in den §§ 30 Abs 2 Z.8 und 9, 31 Abs 1 MRG genannte Tatbestandsmerkmal 'dringend benötigt' also der dringende Eigenbedarf hat, kann, weil diese gesetzlichen Bestimmungen insoferne - unterschiedlich sind nur die jeweils vorgesehenen Fälle des Entfalles der Interessenabwägung (Würth-Zingher, MRG 2 S.141, Anm.12; 7 Ob 598/84) - mit den Bestimmungen der §§ 19 Abs 2 Z.5 und Z.6 sowie 22 MG übereinstimmen, die zu letzteren Bestimmungen ergangene Rechtsprechung herangezogen werden, zumal die wörtliche übernahme dieses Tatbestandsmerkmales in die neuen Regelungen für die Annahme spricht, daß die Auslegung der alten Bestimmungen keine Bedenken des Gesetzgebers erweckt hat (so auch 7 Ob 598/84). Danach ist der dringende Eigenbedarf in dem Sinne wesentliches Tatbestandsmerkmal, daß er bei allen diesen Kündigungsgründen gleich streng zu prüfen ist, nicht etwa durch eine Interessenabwägung ersetzt werden kann und letztere erst zu erfolgen hat, wenn der dringende Eigenbedarf bejaht ist (vgl. MietSlg.28.313;
31.476 u.v.a.). Der dringende Eigenbedarf ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn auf seiten des Vermieters die unabweisliche Notwendigkeit besteht, den bestehenden Zustand so bald wie möglich zu beseitigen und dies nur durch die Aufkündigung des Bestandgegenstandes möglich ist (vgl. MietSlg.24.288, 30.379 u.v.a.). Der dringende Eigenbedarf setzt in diesem Sinne einen Notstand voraus (MietSlg.28.313; 30.379; 6 Ob 534/83; 3 Ob 535/84 u.a.).
Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen den Sachverhalt zwar auch unter dem Gesichtspunkt des 'dringenden Eigenbedarfes' geprüft, wobei sie im wesentlichen die oben wiedergegebenen Leitsätze angeführt haben. Trotzdem haben sie die Frage des Vorliegens eines dringenden Eigenbedarfes verschieden beantwortet. Dies hängt damit zusammen, daß durch die Leitsätze die richtige Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffes 'dringend benötigen' (dringender Eigenbedarf) nicht ohne weiteres gegeben ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kann ein dringender Eigenbedarf im oben dargelegten Sinne nicht angenommen werden, weil ein solcher im Sinne eines Notstandes nicht schon dann vorliegt, wenn die dem Vermieter oder den zu berücksichtigenden Personen zur Verfügung stehende Wohnung den heutigen Durchschnittsanforderungen an eine Wohnung nicht entspricht (vgl. MietSlg.30.380 u.a.). Von einem Notstand kann nicht gesprochen werden, wenn einer Familie mit einem Kleinkind eine aus zwei Zimmern, Küche, WC, Bad und Gang bestehende Wohnung im Ausmaß von ca. 40 bis 45 m 2 zur Verfügung steht, woran es auch nichts zu ändern vermag, daß die Küche nur ein Ausmaß von 5 m 2 aufweist und lediglich über ein Dachfenster verfügt, das nur sehr umständlich und auch nur in der schneelosen Jahreszeit zu öffnen ist.
Mangels eines dringenden Eigenbedarfes kann, weil dieses Tatbestandsmerkmal sowohl für die Kündigungstatbestände des § 30 Abs 2 Z.8 und 9 MRG als auch für den Kündigungstatbestand des § 31 Abs 1 MRG wesentlich ist, der vorliegende Sachverhalt unter keine dieser Bestimmungen subsumiert werden. Es erübrigt sich daher auch eine Erörterung darüber, welche Bestimmung - bei Vorliegen des dringenden Eigenbedarfes - in Frage käme. Daß eine Interessenabwägung erst vorzunehmen ist, wenn das Vorliegen des dringenden Eigenbedarfes bejaht wird, wurde schon oben ausgeführt. Aus diesen Erwägungen war in Stattgebung der Revision das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zusätzlich auf § 50 ZPO, wobei auch für das Revisionsverfahren von einer Bemessungsgrundlage von S 12.000,--
auszugehen war (§ 10 Z.2 lit b RAT).
Anmerkung
E06151European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0060OB00548.85.0627.000Dokumentnummer
JJT_19850627_OGH0002_0060OB00548_8500000_000