Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juli 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Friedrich, Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch und Dr.Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Schrott als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael Jörg A wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Leoben vom 22.April 1985, GZ 19 Vr 1224/84-60, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tschulik, und des Verteidigers Dr.Allmer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen sowie das darauf beruhende Urteil (zur Gänze) aufgehoben und die Sache zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim Kreisgericht Leoben verwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Michael Jörg A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des (teils vollendeten, teils versuchten) Mordes nach §§ 75 und 15 StGB schuldig erkannt.
Ihm liegt zur Last, am 23. August 1984 in Stanz im Mürztal 1./ Anna A durch Abgabe eines Schusses aus einem Revolver Taurus-Brasil, Kal 38 Spezial, vorsätzlich getötet und 2./ durch Abgabe zweier weiterer Schüsse aus dieser Waffe versucht zu haben, Gisela B zu töten. Die Geschwornen hatten die beiden im Sinne der Anklage gestellten Hauptfragen bejaht; demgemäß entfiel die Beantwortung der Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge bzw. mit schweren Dauerfolgen (§ 87 Abs. 1, Abs. 2 StGB).
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Zum erstgenannten Nichtigkeitsgrund rügt er das Unterbleiben der Stellung einer Zusatzfrage nach Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) und einer Eventualfrage nach Totschlag gemäß § 76 StGB.
Rechtliche Beurteilung
Der Nichtigkeitsbeschwerde kann Berechtigung nicht versagt werden. Eine Zusatzfrage im Sinn des § 313 StPO ist nämlich zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden.
Umstände dieser Art wurden vom Angeklagten der Sache nach aber vorgebracht. In der Hauptverhandlung behauptete er unter anderem auch, er habe nicht bewußt auf seine Mutter Anna A und auf Gisela B geschossen (S 130 f/II). Den Ausdruck 'durchdrehen' für sein Tatverhalten lehnte er ausdrücklich deshalb ab, weil jemand, der durchdrehe, bewußt etwas mache, wogegen er 'aus tiefster Verzweiflung' gehandelt habe (S 132/II). Vor dem Untersuchungsrichter hatte er zwar erklärt, er habe 'offensichtlich durchgedreht', aber auch hier sogleich hinzugesetzt, ihm sei erst nach der Schußabgabe gegen die Mutter klar geworden, daß er sie niedergeschossen habe, er wisse aber nicht, warum er dies getan habe (S 53 b und verso I). Bezüglich der Schüsse gegen Gisela B behauptete der Angeklagte - wenngleich nicht immer präzise - von Anfang an, sich daran überhaupt nicht erinnern zu können und stellte hiezu nach dem Inhalt der protokollierten Verantwortung ersichtlich nur Vermutungen an (S 19, 53, 53 b, 88/I, 127, 130/II). Zur Aussage der Zeugin C, die durch die geschlossene Geschäftstür und durch die Auslagenscheibe deutlich ängstliche Hilferufe gehört hatte, gab er an, keine Schreie gehört zu haben (S 134/II). Seine Darstellung vor der Gendarmerie über die Zahl der gegen seine Mutter abgegebenen Schüsse war falsch (S 19/1). Er behauptete zudem, er könne sich die Tat überhaupt nicht erklären und habe weder töten noch verletzen wollen (S 129/II).
Angesichts dieser Deponierungen (in ihrem Zusammenhalt) kann nicht davon ausgegangen werden, der Angeklagte habe lediglich behauptet, sich an den genauen Tathergang nicht mehr zu erinnern und die Gründe für sein (ihm bewußtes) Tun nicht erklären zu können. Der Sache nach brachte er vielmehr zum Ausdruck, zur Tatzeit nicht einmal die faktische Bedeutung seines Verhaltens erkannt zu haben und somit nicht diskretionsfähig gewesen zu sein.
Es war daher die Stellung einer Zusatzfrage in der Richtung des § 11 StGB indiziert, weil auch Bewußtseinstrübungen bestimmter Intensität, die das seelische Gefüge des Betroffenen zerstören oder doch ganz erheblich erschüttern, eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung im Sinn des § 11 StGB darstellen (vgl. Leukauf-Steininger, Komm. 2 , RN 11 zu § 11 StGB). Darauf, daß der Angeklagte sich nicht gleichsam mit den verba legalia auf Zurechnungsunfähigkeit berief, kommt es dabei nicht an. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens hingegen obliegt den Geschwornen, desgleichen damit auch die Beurteilung, ob diese Verantwortung allenfalls nur Produkt einer emotionellen Amnesie (S 61/II) ist, denen eben durch die Stellung einer entsprechenden Zusatzfrage Gelegenheit zu geben ist, sich hiemit auseinanderzusetzen.
Schon aus den angeführten Gründen war eine Kassation des angefochtenen Urteils unumgänglich, ohne daß es notwendig gewesen wäre, auf die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe einzugehen. Diese Aufhebung hatte auch den Wahrspruch der Geschwornen (zu den Hauptfragen I und II) und zwar deshalb zu umfassen, weil im Hinblick auf die allfällige Möglichkeit neuer Verfahrensergebnisse in einem zweiten Verfahrensgang auch die Stellung von Eventualfragen, die eventuell indiziert sein könnten, nicht vorweggenommenerweise präkludiert werden soll. Es besteht demnach ein untrennbarer Zusammenhang, der eine Sonderung einzelner Teile des Wahrspruches ausschließt (§ 349 Abs. 2 StPO). Im erneuerten Verfahrensgang wird jedoch zu beachten sein, daß eine (behauptete) Zurechnungsunfähigkeit eine (an sich denkbare) heftige Gemütsbewegung im Sinn des § 76 StGB ausschlösse.
Anmerkung
E06070European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0100OS00060.85.0702.000Dokumentnummer
JJT_19850702_OGH0002_0100OS00060_8500000_000