TE OGH 1985/7/4 7Ob25/85

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Veröffentlicht am 04.07.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Konrad A, Gesellschaft mbH, Leoben, Ferdinand Hanusch-Straße 23, vertreten durch Dr. Anton Eichinger, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei B C

Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Otto Philp und Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27. Februar 1985, GZ. 4 R 5/85-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. November 1984, GZ. 28 Cg 735/83-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.843,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 600,-- Barauslagen und S 385,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 3. und 4. November 1980 errichtete die klagende Partei im Auftrag der Jutta D an deren Haus in Leoben neue Dachrinnen. Im Bereich der Einbindung des Verandaablaufes in das vertikale Kupferablaufrohr kam es zu einer Durchfeuchtung des Mauerwerkes an der Südwestecke des Gebäudes und in der Folge zu Schäden in der Wohnung. Jutta D macht Ersatzansprüche gegen die klagende Partei geltend. Diese begehrt auf Grund der mit der beklagten Partei abgeschlossenen (Betriebs)Haftpflichtversicherung, der die allgemeinen und die ergänzenden allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 1978 und EHVB 1978; im folgenden nur AHVB 1978) zugrunde liegen, die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei. Diese beruft sich auf den Risikoausschluß nach Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978, wonach sich die Versicherung nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an Sachen durch die allmähliche Einwirkung unter anderem von Flüssigkeiten und Feuchtigkeit erstreckt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen wurde der Anschluß zwischen der Dachrinne am Verandazubau und dem Abfallstrang durch einen Schrägstutzen hergestellt. Die beiden Rohre wurden miteinander verlötet. Der Lötvorgang wurde von einem Arbeiter der klagenden Partei fehlerhaft ausgeführt, sodaß die Naht an der Anschlußstelle an der zur Hausmauer gerichteten Seite aufging. Durch diese Öffnung trat in der Folge bei Regenfällen und im Zeitpunkt der Schneeschmelze Wasser in unterschiedlicher Menge aus. Es sickerte in das Mauerwerk und durchfeuchtete dieses 'nach und nach'. Der Wasseraustritt begann unmittelbar nach Herstellung des Werkes und erreichte 'nach und nach' ein immer größeres Ausmaß. Die aufgegangene Lötstelle erreichte schließlich fast die Hälfte des Rohrumfanges. Im Frühjahr 1981 zeigten sich als erstes Mauerrisse im Bereich der Verandaecke. Diese Risse wurden mit der Zeit stärker, der Verputz wölbte sich auf, und noch vor dem Winter bröckelten größere Mauerstücke ab. In weiterer Folge löste sich ein großer Teil des Verputzes. Jutta D bemerkte in der Wohnung einen eigenartigen Geruch, dem sie jedoch erst im Herbst 1982, als sich im Bereich eines Holzverbaues Schimmelflecken zeigten, Bedeutung beimaß. Zu diesem Zeitpunkt verständigte sie die klagende Partei, die die Ursache der Schädigung erkannte und sofort behob.

Nach der Rechtsauffassung des Erstgerichtes liege ein Schaden durch allmähliche Einwirkung von Feuchtigkeit vor, auf dessen Ersatzpflicht sich die Versicherung nach der Ausschlußklausel des Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978 nicht erstrecke. Die Ausschlußklausel sei nicht sittenwidrig. Sie führe zwar gerade bei einem Spengler in einer Reihe von Schadensfällen zum Ausschluß des Versicherungsschutzes. Es liege jedoch keine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder eine grobe Benachteiligung des Versicherungsnehmers vor, würden doch nur Schadensfälle ausgeschlossen, bei denen Eintritt und Umfang des Schadens regelmäßig nicht oder nur schwer feststellbar seien. Dieser Unsicherheit, die beide Teile treffe, würde durch die Klausel vorgebeugt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteigt. Es erklärte die Revision für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Sittenwidrigkeit der Ausschlußklausel des Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978 nicht vorliege. Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der klagenden Partei ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Deckungspflicht des Versicherers für Schäden an Sachen, die durch die allmähliche Einwirkung der in Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978 (früher Art. 5 III Z 4 lit. a der AHVB 1963) bezeichneten Ursachen entstanden sind, war zwar bereits Gegenstand oberstgerichtlicher Entscheidungen (VersR 1983, 354; SZ 45/62). Der Auslegung der obgenannten Vertragsbestimmung kommt jedoch über den Einzelfall hinaus erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zu.

Im Schrifttum herrscht Übereinstimmung darüber, daß der Begriff der Allmählichkeit nach Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978 bzw. der vergleichbaren Bestimmung des § 4 I Z 5 der E angesichts der Verschiedenartigkeit der in Betracht kommenden Ursachen nicht im Sinne eines fest bestimmten Zeitraumes verstanden werden kann und daß die Allmählichkeit hinsichtlich der erwirkenden Ursache, nicht aber hinsichtlich des Schadensereignisses, gegeben sein muß (Achatz ua, Erläuterungen zu den AHVB 1978, 98;

Bruck-Möller-Johannsen VVG 8 , IV, 402; Wussow E 7 , 339;

Prölss-Martin 23 , 968). Nach Bruck-Möller-Johannsen ist der Gegensatz zu allmählich nicht nur 'plötzlich', sondern auch 'rasch' oder 'kurzfristig'. Es bedarf aber im Einzelfall an Hand des Sinngehaltes der Klausel stets sorgsamer Abklärung, ob die Annahme eines Allmählichkeitsschadens gerechtfertigt ist. Als Beispielsfälle eines Allmählichkeitsschadens werden, wie das Berufungsgericht bereits unter Anführung der Belegstellen darstellte, das Eindringen von Niederschlagswasser in eine Brückenkonstruktion (vgl. SZ 45/62), die Durchfeuchtung einer Mauer durch ständig leichtes Tropfen einer Wasserleitung oder durch allmählich sonstiges Eindringen von Wasser anführt.

Auf der Basis der bisherigen Auslegung des Begriffes des Allmählichkeitsschadens im Schrifttum und in der Rechtsprechung und der Feststellungen der Vorinstanzen ist die Einstufung des vorliegenden Schadensfalles als Allmählichkeitsschaden nach Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978 durch die Vorinstanzen zu billigen. Nach den Feststellungen sickerte nämlich das Wasser in das Mauerwerk ein und durchfeuchtete dieses nach und nach. Auch die Zunahme der schädlichen Einwirkung erfolgte nach und nach. Die Schäden in der Wohnung selbst zeigten sich erst im Herbst 1982. Gerade diese Art der Schadensentstehung in Form eines kontinuierlichen, gewissermaßen schleichenden Prozesses entspricht aber der Umschreibung des Allmählichkeitsschadens in der Ausschlußklausel des Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978.

Soweit nicht eine absolute Nichtigkeit vorliegt, ist die Nichtigkeit einer Vertragsbestimmung nicht von Amts wegen zu prüfen, sondern nur in dem Rahmen, in dem sie geltend gemacht wurde (vgl. Krejci in Rummel, ABGB, Rdz 248 zu § 879). Die klagende Partei hat sich diesbezüglich nur auf § 879 Abs. 3 ABGB berufen. Diese Bestimmung unterwirft der Inhaltskontrolle aber nur solche Vertragsbestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegen. Es erscheint daher fraglich, ob und inwieweit eine Inhaltskontrolle derjenigen Bestimmungen allgemeiner Versicherungsbedingungen nach § 879 Abs. 3 ABGB überhaupt möglich ist, die das vom Versicherer zu tragende Risiko umschreiben und eingrenzen, und es bestehen darüber auch im versicherungsrechtlichen Schrifttum Meinungsverschiedenheiten (Fenyves in Krejci, Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz, 583 f). Nach der einen Auffassung sollen auch die Leistungsbeschreibungen des Versicherers der Inhaltskontrolle unterliegen, wobei als Maßstab die nach der Verkehrsauffassung berechtigten Erwartungen des Versicherungsnehmers an dem Deckungsbereich eines bestimmten Versicherungsvertrages gelten soll. Alle Klauseln der Risikoumschreibung, die diese Erwartungen beeinträchtigen, sollen der Inhaltskontrolle zum Opfer fallen, gleichgültig ob sie sich innerhalb der primären oder der sekundären Risikoumschreibung befinden (Fenyves aaO, 597; vgl. auch Prölss-Martin VVG 22 , 8 f). Selbst wenn man dieser Meinung folgt und die Inhaltskontrolle nach § 879 Abs. 3 ABGB bejaht, kann nach dem hiefür maßgeblichen Maßstab der Risikoausschluß des Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978 nicht der Nichtigkeitssanktion verfallen. Die Haftpflichtversicherung gehört zur Schadensversicherung. Sie verfolgt den Zweck, den Versicherungsnehmer vor Haftpflichtschäden zu bewahren, und beinhaltet zwei Ansprüche des Versicherungsnehmers:

Einen Befreiungsanspruch und einen Abwehranspruch. Sie umfaßt in der Regel eine Reihe ganz unterschiedlicher Schäden und Schadensmöglichkeiten, was in der Praxis zur Ausbildung einer Vielfalt von Haftpflichtversicherungsarten geführt hat (vgl. Bruck-Möller-Johannsen aaO 41 f). Die Vielfalt der möglichen Schadensursachen, insbesondere aber auch die bei manchen Schäden auftretende Schwierigkeit der Feststellung der Schadensursache, die Unkontrollierbarkeit des Schadensverlaufes und der Schadensfolgen lassen auch für den Versicherungsnehmer unschwer erkennen, daß es jeweils einer genauen Abgrenzung der versicherten Gefahr bedarf, weil das vom Versicherer zu tragende Risiko kalkulierbar sein muß und für die Höhe der Prämie mitbestimmend ist. Der Versicherungsnehmer einer Haftpflichtversicherung darf auch auf Grund dieser Umstände in der Regel nicht erwarten, daß der Versicherer Gefahrenlagen in den Deckungsbereich einbezieht, deren Eintritt, Ablauf und Folgen meist unberechenbar sind, und bei denen in der Regel auch der Nachweis des Schadensursprungs und der Verantwortlichkeit schwer zu erbringen ist. Gerade dem Ausschluß dieser Gefahrenlage dient aber der Art. 7 Punkt 10 der AHVB 1978 (vgl. Prölss-Martin aaO, 968; Bruck-Möller-Johannsen, aaO, 400 f; Achatz, aaO, 98). Von einer Vereitlung des Vertragszweckes kann aber wegen der auch bei einem Spenglereibetrieb neben einem Allmählichkeitsschaden vielfach möglichen anderen Schadensursachen, die einen Haftpflichtanspruch zur Folge haben können, keine Rede sein.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E06427

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00025.85.0704.000

Dokumentnummer

JJT_19850704_OGH0002_0070OB00025_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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