Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Dr. Walter Urbarz und Franz Erwin Niemitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ursula A, Arbeiterin in Wels, Flemmingstraße 12, vertreten durch Mag. jur. Erich B, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich in Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr. Harry Zamponi, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Sepp C, Blechwarenerzeugung in Wels, Schmierndorferstraße 19, vertreten durch Dr. Gernot Kusatz, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 69.450,10 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 5.Oktober 1984, GZ 17 Cg 34/84-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wels vom 1.Februar 1984, GZ Cr 187/83-6, bestätigt und das geänderte Klagebegehren abgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neue, nach allfälliger Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung über die Berufung der Klägerin aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin war seit 28.9.1982 beim Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe Österreichs anzuwenden. Am 11.4.1983 wurde die Klägerin wegen unbefugten Fernbleibens vom Dienst entlassen.
Mit der Behauptung, daß diese Entlassung rechtsunwirksam sei, weil ihr der Kündigungs- und Entlassungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz zugute komme, begehrte die Klägerin am 19.8.1983 die Feststellung des aufrechten Fortbestehens ihres Arbeitsverhältnisses.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei zu Recht entlassen worden, weil sie Anfang April 1983 der Arbeit mehrere Tage lang unbefugt ferngeblieben sei (§ 12 Abs 1 Z 1 MutterschutzG).
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens sei die Klägerin, welche nach einem längeren Krankenstand am 6.4.1983 wieder arbeitsfähig gewesen sei, erst am 11.4.1983 zur Arbeit erschienen. Ihre Entlassung erweise sich daher auch unter Berücksichtigung des durch die Schwangerschaft bedingten außerordentlichen Gemütszustandes (§ 12 Abs 2 MutterschutzG) als gerechtfertigt.
Nachdem die Klägerin gegen dieses Urteil fristgerecht Berufung erhoben hatte, brachte sie in einem am 1.10.1984 beim Berufungsgericht überreichten vorbereitenden Schriftsatz (ON 10) neu vor, daß der Beklagte am 3.2.1984 für den Fall, daß die Entlassung vom 11.4.1983 als nicht rechtswirksam erkannt werden sollte, die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 17.2.1984 ausgesprochen habe. Ihre bis dahin entstandenen, noch unberichtigt aushaftenden Ansprüche auf Arbeitslohn (einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen) für die Zeit vom 10.4.1983 bis 17.2.1984 sowie restliche Urlaubsentschädigung beliefen sich auf insgesamt S 69.450,10. Das Klagebegehren werde daher 'um diesen Betrag ausgedehnt und um das Feststellungsbegehren eingeschränkt', so daß nunmehr die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 69.450,10 brutto sA begehrt werde.
Der Beklagte stellte die vorsorgliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum 17.2.1984 und die Höhe ihres Zahlungsbegehrens außer Streit. Die Leistungsansprüche der Klägerin seien jedoch verfallen, weil sie nach dem Kollektivvertrag innerhalb einer Frist von drei Monaten schriftlich geltend zu machen gewesen wären; diese Frist habe mit 17.2.1984 zu laufen begonnen. Dazu erklärte der Klagevertreter, daß die jetzt erhobenen Leistungsansprüche im Schriftsatz ON 10 erstmals geltend gemacht worden seien.
Das Berufungsgericht führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem durch; sodann gab es der Berufung der Klägerin nicht Folge und wies das Zahlungsbegehren ab. Nach dem unbestrittenen Wortlaut des Punktes XX des Kollektivvertrages müßten 'alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit bzw. Bekanntwerden - wenn sie nicht anerkannt werden - schriftlich geltend gemacht werden' (Z 1). Als Fälligkeitstag gelte der Auszahlungstag für jene Lohnperiode, in welcher der Anspruch entstanden ist (Z 2); bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibe die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt (Z 3). Die nunmehr erhobenen Entgeltansprüche der Klägerin seien gemäß § 1154 Abs 3 ABGB mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 17.2.1984 fällig geworden, dennoch aber erst am 1.10.1984 und damit nach Ablauf der dreimonatigen Fallfrist des Kollektivvertrages erstmals geltend gemacht worden. Die zunächst eingebrachte Feststellungsklage habe zwar den Lauf dieser Frist unterbrochen; die Klägerin habe es jedoch unterlassen, nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 17.2.1984 und der Zustellung des Urteils der ersten Instanz am 11.4.1984 ohne unnötigen Aufschub ein Zahlungsbegehren zu erheben und damit das Verfahren über die aus dem aufrechten Bestehen des Arbeitsverhältnisses abgeleiteten Entgeltansprüche gehörig fortzusetzen. Ihre jetzt erhobenen Leistungsansprüche seien demnach verfallen.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird seinem ganzen Inhalt nach von der Klägerin mit Revision aus den Gründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO bekämpft. Die Klägerin beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß ihrem Zahlungsbegehren im vollen Umfang stattgegeben werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, daß die Klägerin ausschließlich Ansprüche aus dem - ihrer Ansicht nach bis zum 17.2.1984 aufrechten - Arbeitsverhältnis geltend macht. Das gilt nicht nur für den von ihr jetzt verlangten Arbeitslohn für die Zeit vom 10.4.1983 bis 17.2.1984 (einschließlich der Sonderzahlungen bis Ende 1983), sondern entgegen der Meinung des angefochtenen Urteils auch für die aliquoten Anteile am Urlaubszuschuß und an der Weihnachtsremuneration für die Zeit vom 1.1. bis 17.2.1984 sowie für die - gleichfalls Entgeltcharakter aufweisende (SZ 53/68; SZ 55/124 = Arb.10.179 = JBl 1983, 663) - Urlaubsentschädigung für die am 28.9.1982 und am 28.9.1983 beginnenden Urlaubsjahre. Soweit die Klägerin in der Revision die Auffassung vertritt, daß die Verfallsbestimmung des Kollektivvertrages jedenfalls insoweit rechtsunwirksam sei, als es um unverzichtbare Ansprüche gehe, kann ihr allerdings nicht gefolgt werden. Kollektivvertragliche Verfallsklauseln beschränken nicht die einzelnen Ansprüche als solche, sondern deren Geltendmachung; sie sind daher nicht schon dann rechtsunwirksam, wenn sie zwingende Ansprüche betreffen (SZ 56/27 = Arb.10.219; Arb.6062). Eine Sittenwidrigkeit solcher Klauseln im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB kann nur dann angenommen werden, wenn sie zum Nachteil des Arbeitnehmers gegen zwingende gesetzliche Fristbestimmungen - wie etwa § 1162 d ABGB oder § 34 AngG - verstoßen oder durch eine unangemessen kurze Ausschlußfrist die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen
Grund übermäßig erschwert würde (SZ 56/27 = Arb.10.219; Arb.8515 =
EvBl 1968/356 = SozM I C 646; Arb.10.174 = ZAS 1983, 177). Davon
kann aber - ganz abgesehen davon, daß die Klägerin eine solche Sittenwidrigkeit im Berufungsverfahren nicht einmal behauptet hat - bei einer kollektivvertraglichen Fallfrist von drei Monaten nicht gesprochen werden (ebenso schon Arb.10.174 = ZAS 1983, 177). Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, ist § 1497 ABGB - wonach die Verjährung ua dann unterbrochen wird, wenn derjenige, der sich auf sie berufen will, vom Berechtigten belangt und die Klage gehörig fortgesetzt wird - regelmäßig auch auf die Ausschlußfristen des Arbeitsrechtes analog anzuwenden (SZ 49/106 = Arb 9514 = EvBl 1977/70; Arb.9702, 8809, 9834 ua; ebenso Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht 2 I 140 f; Schubert in Rummel, ABGB II Rz 5 zu § 1451). Mit Recht hat das Berufungsgericht diese Unterbrechungswirkung auch der von der Klägerin zunächst erhobenen Feststellungsklage zuerkannt, war doch deren Begehren auf Feststellung des aufrechten Bestehens jenes Arbeitsverhältnisses gerichtet, aus dem die nunmehr geltend gemachten Entgeltansprüche abgeleitet werden.
Der in diesem Zusammenhang gegen die Klägerin erhobene Vorwurf, sie habe den Rechtsstreit 'nach Eintritt evidenter Unbegründetheit des Feststellungsbegehrens' nicht gehörig - nämlich durch rechtzeitige Erhebung eines Leistungsbegehrens - fortgesetzt, ist aber nicht begründet. Eine 'nicht gehörige' Fortsetzung des Verfahrens kann nach ständiger Rechtsprechung nur dann angenommen werden, wenn der Kläger eine ungebührliche Untätigkeit bekundet und dadurch zum Ausdruck bringt, daß ihm an der Erreichung des Prozeßzieles nichts (mehr) gelegen ist; bei der Prüfung dieser Frage sind vor allem die Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen (EvBl 1985/74 mwN; siehe dazu auch Schubert aaO Rz 10 § 1497). Davon kann aber hier nicht gesprochen werden. Die Klägerin hat das abweisende Urteil der ersten Instanz fristgerecht mit Berufung angefochten. Der in dieser Rechtsmittelschrift gestellte, weiterhin auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne des Feststellungsbegehrens gerichtete Berufungsantrag konnte zwar in Anbetracht dessen, daß das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis spätestens durch die zum 17.2.1984 ausgesprochene Kündigung des Beklagten beendet worden war, nicht (mehr) zum Erfolg führen; das kann aber der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, weil es ihr im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren freistand, das Feststellungsbegehren noch bis zum Schluß der mündlichen Berufungsverhandlung durch ein entsprechendes Leistungsbegehren zu ersetzen, was sie in der Folge mit ihrem Schriftsatz ON 10 auch getan hat. Eine außergewöhnliche prozessuale Untätigkeit, welche den Schluß auf mangelndes Interesse an der Erreichung des Prozeßzieles zuließe, kann der Klägerin unter diesen Umständen nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Erweist sich damit aber der Verfallseinwand des Beklagten als nicht stichhältig, dann hängt die Entscheidung über das Klagebegehren davon ab, ob die am 11.4.1983 ausgesprochene Entlassung der Klägerin gerechtfertigt war. Das Urteil des Erstgerichtes, welches diese Frage auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens bejaht hatte, war von der Klägerin ua wegen mangelnder und zum Teil auch aktenwidriger Sachverhaltsfeststellung bekämpft worden. Das Berufungsgericht hat sich - von seiner unrichtigen Rechtsansicht über den Verfall der Leistungsansprüche ausgehend - mit diesen Berufungsgründen nicht befaßt und zu dem vom Beklagten geltend gemachten Entlassungsgrund des § 12 Abs 1 Z 1 MuttSchG keine Feststellungen getroffen.
Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neue, nach allfälliger Ergänzung des Verfahrens zu treffende Entscheidung über die Berufung der Klägerin aufzutragen.
Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E06240European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00078.85.0709.000Dokumentnummer
JJT_19850709_OGH0002_0040OB00078_8500000_000