TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/28 2003/01/0498

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Veröffentlicht am 28.06.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des H R in W, geboren 1972, vertreten durch Dr. Werner Loos, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rudolfsplatz 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Juli 2003, Zl. 230.337/0-VIII/22/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr Serbien und Montenegro), stammt aus Medvegje in Südserbien und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er gelangte am 19. August 2001 in das Bundesgebiet und beantragte an diesem Tag die Gewährung von Asyl.

Diesen Antrag begründete er (im Zuge seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 11. Oktober 2001 und einer zu seinen Fluchtgründen am 5. Dezember 2001 vorgelegten schriftlichen Stellungnahme) im Wesentlichen damit, er sei (ab Februar 2000) Soldat der UCPMB (Befreiungsarmee von Presheva, Medvegje, Bujanovac) gewesen; diese Armee habe gegen das serbische Regime gekämpft. Im Juni 2000 sei er wegen einer Offensive der serbischen Armee nach Locan in Südserbien zu seinem Onkel geflüchtet; dort habe er erfahren, dass sein Haus (durch Brand) zerstört und sein Vater schwer verletzt worden sei, sodass dieser (eine Woche später) verstorben sei. In Locan habe er sich noch sechs Monate an den Kämpfen der Befreiungsarmee (als Scharfschütze) beteiligt. Nach dem Ende dieser Kämpfe habe er (wie die Gruppe der UCPMB, zu der er gehört habe) die Waffen abgeliefert. Im April 2001 sei er (in Locan) mit einem Brief zu einem Treffen mit einer Person namens Arben aufgefordert worden. Bei diesem Zusammentreffen sei ihm angetragen worden, sich der AKSH (Armee des albanischen Volkes) anzuschließen; die AKSH sei in Südserbien, im Kosovo und in Mazedonien aktiv gewesen. Er habe sich damals gegenüber Arben Bedenkzeit erbeten, sich der AKSH nicht angeschlossen und dann (etwa zwei Monate später, im Mai 2001) Locan verlassen. Schließlich sei er (über den Kosovo, Montenegro, Bosnien und Slowenien) nach Österreich gelangt. Er befürchte, dass er im Falle seiner Rückkehr entweder (weil er für die UCPMB gekämpft habe und sein Vater von der serbischen Armee getötet worden sei) ins Gefängnis gebracht oder getötet werde. Er habe weder in Locan bleiben noch nach Hause (gemeint: nach Medvegje) zurückkehren können.

Mit Bescheid vom 19. Juli 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. Juli 2002 erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde (nach Darstellung des Verfahrensverlaufes und Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am 11. Oktober 2001 und in der mündlichen Berufungsverhandlung am 2. Juni 2003) im Wesentlichen aus, die (konkreten und lebensnahen) Angaben des Beschwerdeführers seien als glaubwürdig zu beurteilen. Für Albaner aus Südserbien sei die Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr Serbien und Montenegro) ohne den Kosovo der (einzige) Herkunftsstaat; eine innerstaatliche Fluchtalternative im Kosovo bestehe für Albaner aus Südserbien nicht. Alleine wegen ihrer Volkszugehörigkeit hätten Albaner in Südserbien keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten. Hinsichtlich des Beschwerdeführers sei davon auszugehen, dass er vor seiner Flucht (im Mai 2001) weder Probleme mit der AKSH noch mit serbischen Behörden gehabt habe. Sein Asylantrag sei daher abzuweisen. Ihre Refoulemententscheidung begründete die belangte Behörde damit, der Beschwerdeführer habe (am 2. Juni 2003) angegeben, dass "nichts gegen eine Rückkehr in seine Heimat spreche und dass er, wenn er einen Platz, wo er sicher leben und arbeiten könnte, zurückkehren würde". Von einer (als unmenschliche Behandlung zu qualifizierenden) Notlage könne im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers nicht gesprochen werden, weil seine Mutter und seine Geschwister bei seinem Onkel in Locan in einem zweistöckigem Haus leben würden; der Onkel verfüge über ein Unternehmen für Pflasterungen. Ein Refoulementverbot unter dem Titel der Existenzgefährdung des Beschwerdeführers sei daher nicht auszusprechen. Zu der vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren erstatteten Stellungnahme sei auszuführen, dass die Existenz albanischer Extremisten nicht in Frage zu stellen sei, der Beschwerdeführer habe aber nicht vorgebracht, dass diese ihn konkret bedrohen würden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde geht (in ihrer Beweiswürdigung) davon aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers (zu seinen Fluchtgründen) konkret, lebensnah und glaubwürdig seien. Sie zeichnet in ihren Erwägungen zur Entscheidung nach § 7 AsylG allerdings ein gegenüber seinen Angaben deutlich positiveres Bild seiner individuellen Bedrohungssituation. Der resümierenden Einschätzung, der Beschwerdeführer habe weder Probleme mit der AKSH noch mit serbischen Behörden gehabt, ist zu erwidern, dass der Beschwerdeführer seine Situation vielmehr dahingehend darstellte, er habe in Locan (nach dem Rekrutierungsanbot der AKSH) keine Sicherheit für ihn gesehen und dort nicht länger bleiben können; mit der AKSH habe er deshalb keine Probleme gehabt, weil er "ihnen keine Chance gegeben habe, mir Probleme zu bereiten". Zu Problemen mit serbischen Behörden (der serbischen Polizei) sei es - nach Darstellung des Beschwerdeführers - nicht gekommen, weil "sie gar nicht gewusst haben, wo wir waren". Zu einer Rückkehr in seinem Heimatort (Medvegje) hat der Beschwerdeführer ausgesagt, "wir hatten Angst in unsere Ortschaft zurückzukehren; wir haben nur gehört, dass wir gesucht werden".

Die belangte Behörde hat somit die Aussage des Beschwerdeführers unvollständig in ihre Beurteilung einbezogen. Sie hat aber auch nicht berücksichtigt, dass - nach seinen Angaben - kein Mitglied seiner Familie nach Medvegje zurückkehren konnte. Über diesen Umstand (bzw. die Gründe dafür) wurden keine Ermittlungen angestellt, insbesondere wurde der Beschwerdeführer dazu nicht (näher) befragt.

Der Beschwerdeführer hat wohl seinen grundsätzlichen Rückkehrwillen bekundet, seine unterlassene Rückkehr aber damit begründet, er würde erst zurückkehren, "wenn ich zumindest 50 % Sicherheit in meiner Heimat hätte, d.h. einen Platz, wo ich sicher leben und arbeiten könnte". Dass im Falle seiner Rückkehr nach seinen eigenen Angaben für ihn keine Bedrohung (Verfolgungsgefahr) bestünde, hat die belangte Behörde daher zu Unrecht angenommen. Sie hat des weiteren nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer - nach seinen als glaubwürdig angesehenen - Angaben deshalb "keine Probleme" mit der AKSH bzw. mit serbischen Behörden hatte, weil er rechtzeitig geflohen ist. Von daher ist die zur Stellungnahme des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren im angefochtenen Bescheid festgehaltene Einschätzung, er habe nicht vorgebracht, dass albanische Extremisten (gemeint: AKSH) ihn konkret bedrohen würden, nicht nachvollziehbar bzw. nicht hinreichend begründet.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Juni 2005

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003010498.X00

Im RIS seit

29.07.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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