Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B, Wien 13., Jagdschloßgasse 37, vertreten durch Dr. Ulrich Brandstetter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei STADT WIEN, vertreten durch Dr. Peter Pewny, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 366.979 s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Februar 1985, GZ. 14 R 13/85-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischen- und Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 24. September 1984, GZ. 22 Cg 146/83-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 366.979 samt 12 % Zinsen ab 1. Juni 1982 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen, abgewiesen wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 86.700,05 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 7.227,55 Umsatzsteuer und S 7.198,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei ist Eigentümerin der Liegenschaft Wien 13., Jagdschloßgasse 37, und führt dort ein Kinderheim. Unterhalb der Fahrbahn der Jagdschloßgasse verläuft der der Abwasserbeseitigung dienende Hauptkanalstrang (Straßenkanal), an den die Liegenschaft der klagenden Partei durch einen Zuleitungsstrang (Hauskanal) angeschlossen ist. Dieser verläuft - vom Haus der klagenden Partei aus gesehen - unterhalb des Gehsteigs und eines daran anschließenden Grundstreifens mit Alleebäumen und mündet unterhalb der Fahrbahn in den Stnaßenkanal. Die Kanalisation entspricht dem Kanalplan. Die Hauszuleitung wurde - im Jahre 1904 - aus Steinzeug gefertigt und 2,5 m tief unter der Erdoberfläche verlegt. Die Verbindung zwischen den 1 m langen Rohrteilen bilden Muffen, die mit Betonmörtel verlegt sind. Die Verlegungsmethode entspricht noch dem gegenwärtigen Stand der Technik. Etwa zwischen 1910 und 1920 - jedenfalls erst nach Verlegung des Hauskanals - pflanzte das Stadtgartenamt der beklagten Stadt Wien entlang des Gehsteigs Alleebäume. Der dem Hauskanal nächstgepflanzte Baum ist von diesem etwa 30 cm entfernt. Ende 1981 wurde der Hauskanal der klagenden Partei dadurch verstopft, daß Wurzeln dieses Baumes eine Muffe zerstörten und in den Kanalstrang hineinwuchsen. Dabei bildete sich ein 'Wurzelkopf' aus, der Abwasser zurückstaute. Abzüglich einer Kaution mußte die klagende Partei für die Behebung des Kanalschadens S 8.866,88 aufwenden.
Die klagende Partei begehrt den Betrag von S 366.979 an Kosten für die Behebung des Schadens am Kanal und an ihrem Haus sowie der hiedurch bewirkten Heimsperre. Das Eindringen der Wurzeln sei eine Immission im Sinne des § 364 Abs. 2 ABGB; überdies treffe die beklagte Partei ein Verschulden, weil der Schaden schon bei der Pflanzung der Alleebäume vorhersehbar gewesen sei.
Die beklagte Partei wendete vor allem ein, eine nachbarrechtliche Haftung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil das Kanalwesen im öffentlichen Recht geregelt werde. Im übrigen sei der natürliche Wuchs von Bäumen unvorhersehbar und unabwendbar. Der Kanal könne außerdem nur dann durchwachsen werden, wenn der Kanalstrang undicht sei. Nach § 5 des Wiener Kanalanlage- und Einmündungsgesetzes sei zudem die Herstellung und Instandhaltung des Hauskanals bis zur Einmündung in den Straßenkanal Sache des Hauseigentümers.
Mit Zwischen- und Teilurteil sprach das Erstgericht aus, daß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe; es verurteilte die beklagte Partei zum Ersatz von S 8.866,88 s.A. Bei Eingriffen in das nachbarliche Eigentumsrecht gewähre die Rechtsprechung verschuldensunabhängige Ausgleichsansprüche, wenn diese Eingriffe von einer behördlich genehmigten Anlage ausgingen. Durch die Pflanzung der Bäume in unmittelbarer Nähe des Hauskanals habe die beklagte Partei eine Gefährdungslage geschaffen, weil es keineswegs ungewöhnlich sei, daß Baumwurzeln derartige Schäden verursachten. Das müsse vor allem den Fachleuten des Stadtgartenamts bekannt gewesen sein. Eine solche Pflanzung sei eine grobe Sorglosigkeit, zumal den Bediensteten der beklagten Partei die Kanalpläne zur Verfügung gestanden seien. Der Schaden sei zwar nicht vorhersehbar, aber auch nicht ausgeschlossen gewesen und hätte bei entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen vermieden werden können.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es stellte ergänzend fest, daß der beschädigte Teil des Hauskanals außerhalb der Liegenschaft der klagenden Partei - und zwar großteils unterhalb des Baumstreifens und nur zum geringen Teil unterhalb des Gehsteigs - liege. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, eine nachbarrechtliche Haftung entfalle nur bei vertraglicher oder öffentlich-rechtlicher Regelung. § 5 des Wiener Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren enthalte zwar eine solche öffentlich-rechtliche Regelung, doch leite die klagende Partei ihren Anspruch nicht aus den durch dieses Gesetz geregelten Beziehungen ab, sondern mache einen Ausgleichs- bzw. Schadenersatzanspruch geltend, den sie aus der Baumpflanzung herleite. Darauf seien - soweit nicht § 422 ABGB in Betracht komme - die Bestimmungen der §§ 364 ff ABGB anzuwenden. Nach § 5 Abs. 2 des Wiener Kanalgesetzes bilde der Hauskanal bis zur Einmündung in den Straßenkanal einen Bestandteil der Baulichkeit, so daß der Hauseigentümer auch als Eigentümer des Kanalstrangs außerhalb seiner Liegenschaft anzusehen und zur Verfolgung nachbarrechtlicher Ausgleichsansprüche legitimiert sei. Soweit ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364 a ABGB gegeben seien, müsse auch bei den auf die §§ 364 Abs. 2 und 364 b ABGB gestützten Ansprüchen eine verschuldensunabhängige Haftung bejaht werden. Eine solche Analogie sei gerechtfertigt, weil der Grundnachbar durch die Pflanzung der Bäume in eine ähnliche Lage versetzt werde wie bei den nach § 364 a ABGB zu beurteilenden Anlagen. Schließlich sei der Hauseigentümer durch das Wiener Kanalgesetz verpflichtet, den Hauskanal in fremdem Grund, der regelmäßig auch anderen Aufgaben der Daseinsvorsorge und anderer Interessenten für gleiche und ähnliche Zwecke diene zu errichten, so daß der Eigentümer des Hauskanals einem erhöhten Risiko ausgesetzt sei. Zu klären bleibe noch das Verhältnis zwischen den §§ 364 ff und § 422 ABGB; letztere Bestimmung schließe eine Besitz- oder Eigentumsstörung durch den überhang aus. Der Nachbar könne deshalb nicht auf dessen Entfernung dringen, sondern könne ihn nur selbst beseitigen. Damit entfalle auch ein nachbarrechtlicher Ausgleichs- oder Schadenersatzanspruch, weil das Eindringen der Wurzeln in fremden Grund nicht rechtswidrig sei. Im vorliegenden Fall komme es darauf jedoch nicht an, weil die geltend gemachten Schäden nicht im Bereich der Liegenschaft der klagenden Partei, sondern jener der beklagten Partei aufgetreten seien, so daß die Anwendung des § 422 ABGB ausscheide und es mit dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch sein Bewenden haben müsse.
Rechtliche Beurteilung
Der Revision der beklagten Partei kommt im Ergebnis Berechtigung zu.
Die geltend gemachten Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen nach Prüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO). Die klagende Partei macht mit der Behauptung, die in ihren Hauskanal eingedrungenen Wurzeln des auf öffentlichem Gut der beklagten Partei gepflanzten Baumes seien Einwirkungen im Sinne des § 364 Abs. 2 ABGB, einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend; nur hilfsweise wird das Leistungsbegehren als Schadenersatzanspruch erhoben. Die Bestimmungen der §§ 364 ff ABGB zum Schutz des Nachbarn vor übermäßigen Einwirkungen sind nach der Rechtsprechung (SZ 55/69 mwN) auch im Verhältnis zwischen einem Privatgrundstück und einer öffentlichen Straße anzuwenden. Die nachbarrechtliche Haftung kommt aber nur dort in Betracht, wo der Nachbar mangels anderen Rechtsgrundes in die ihm durch die §§ 364 ff ABGB bei der Ausübung des Eigentumsrechtes gesetzten Schranken gewiesen werden soll, und kann daher nicht ins Treffen geführt werden, wenn die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen den Nachbarn eine vertragliche oder öffentlich-rechtliche Regelung erfahren haben (SZ 52/79). Die klagende Partei leitet den von ihr behaupteten Ausgleichsanspruch jedoch nicht aus den durch den Anschluß ihres Hauskanals an das öffentliche Kanalnetz entstandenen, im Wiener Kanalgesetz geregelten öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen ihr und der beklagten Partei ab, sondern macht vielmehr den Ersatz eines ihr durch die Pflanzung eines Straßenbaums in unmittelbarer Nähe des Hauskanals und das damit ermöglichte Eindringen der Wurzeln in den Kanalstrang verursachten Schadens geltend. Die der beklagten Partei dabei obliegenden Pflichten sind nicht im Wiener Kanalgesetz und überhaupt nicht im öffentlichen Recht geregelt, sondern ergeben sich aus dem Eigentum am öffentlichen Gut (Straßengrundstück) sowie aus der Nachbarschaft des Baums und des Kanals. Nachbarrechtliche Ansprüche stehen nur Eigentümern und dinglich Berechtigten zu (SZ 55/105 u. v.a.). Der Hauskanal verläuft mit jenem Teil, in dem es zur Einwirkung kam, unter der Oberfläche des im Eigentum der beklagten Partei stehenden öffentlichen Gutes. Der erkennende Senat hat bereits anerkannt, daß dem Eigentümer eines Hauses, dessen Hauskanal gemäß § 5 Wiener KanalG, LGBl 22/1955 idF LGBl 20/1977, als integrierender Bestandteil des Hauses auch in seiner Fortsetzung unter dem Straßenniveau gilt, gegen den Eigentümer des öffentlichen Guts nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche zustehen, wenn der Hauskanal bei der Errichtung oder Instandsetzung von Gasleitungen auf dem öffentlichen Gut beschädigt wird (SZ 55/105). Nichts anderes kann - soweit es um die Beurteilung der Nachbarschaft geht - gelten, wenn die Beschädigung von den Wurzeln eines auf öffentlichem Gut von dessen Eigentümer gepflanzten Baums ausgeht.
Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß die von einem Baum ausgehende Beeinträchtigung des Nachbargrundes nach der besonderen nachbarrechtlichen (vgl. hiezu GlUNF 4527 und Klang 2 II 294) Bestimmung des § 422 ABGB zu beurteilen ist. Die Frage, ob über das dort normierte Selbsthilferecht hinaus die Möglichkeit besteht, ein auf § 523 ABGB gestütztes Begehren zu stellen, wurde schon von der älteren Rechtsprechung (GlUNF 4527; GlUNF 1262;
GlU 3549) und wird auch im Schrifttum (Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 422; Klang a.a.O. 295; Ehrenzweig 2 I/2, 149;
Gschnitzer-Faistenberger-BartaCall-Eccher, Sachenrecht 2 69;
Schuster in GZ 1883, 78) verneint; die Rechte des Nachbarn seien im § 422 ABGB abschließend geregelt, so daß ihm außer dem dort vorgesehenen Selbsthilferecht kein auf das Eigentum gestützter Beseitigungsanspruch zustehe. Schon aus dem § 421 ABGB ergibt sich, daß es dem Grundeigentümer gestattet ist, Bäume oder Sträucher selbst an der Grundstücksgrenze zu pflanzen; er wird durch Zuwachs Eigentümer jener Äste und Wurzeln, die sich in oder über fremdem Grund befinden. Der Nachbar ist, wie der erkennende Senat bereits ausgesprochen hat, nicht berechtigt, vom Eigentümer der Bäume oder Sträucher die Unterlassung, Äste oder Wurzeln wachsen zu lassen, zu begehren; im Gegensatz zu Immissionen, die vom Nachbarn stets aufs Neue veranlaßt werden, so daß durch eine die Unterlassungsverpflichtung ausreichender Schutz gegen künftige Eigentumsverletzungen zu bieten ist, ist das Wachstum von Bäumen, die vom Nachbarn auf dessen Grund gepflanzt wurden, ein natürlicher Vorgang, der durch bloße Unterlassung nicht verhindert werden kann (SZ 55/69). Der Nachbar könnte deshalb nur verhalten sein, Bäume (oder Sträucher) nicht an der Grundstücksgrenze, sondern in einem solchen Abstand zu dieser zu pflanzen, daß deren Äste und Wurzeln nicht über die Grenze wachsen können, oder sie jeweils rechtzeitig abzuschneiden, so daß sie nicht über sein Grundstück hinausreichen. Eine solche Verpflichtung ist der österreichischen Rechtsordnung jedoch fremd.
Die klagende Partei macht keinen Beseitigungs-, sondern einen auf die §§ 364 ff ABGB gegründeten Ausgleichsanspruch und hilfsweise einen auf Verschulden gestützten Schadenersatzanspruch geltend. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch in den Fällen der §§ 364 Abs. 2 und 364 b ABGB zuzubilligen, wenn sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364 a ABGB anbieten (SZ 55/105 mwN; vgl. Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rdz 18 zu § 364, Rdz 6 zu § 364 a). Die letztgenannte Bestimmung schafft einen der Enteignung verwandten Tatbestand. Der Geschädigte kann Ersatz des Schadens infolge von Beeinträchtigungen, die von behördlich genehmigten Anlagen ausgehen, verlangen, weil er im Interesse des Nachbarn oder aus Gründen des öffentlichen Wohls, die höher als sein Eigentum bewertet werden, Eingriffe hinnehmen muß, die über die ihn sonst treffenden Duldungspflichten hinausgehen, gegen die ihm aber doch ein Abwehranspruch verwehrt ist. Ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch ist in Analogie zu § 364 a ABGB zu gewähren, wenn die Abwehr des Anspruchs zwar an sich zulässig bleibt, jedoch infolge der mit einer behördlichen Genehmigung zunächst verbundenen Annahme der Gesetzmäßigkeit und Gefahrlosigkeit der bewilligten Maßnahmen praktisch erschwert oder unmöglich gemacht wird (Spielbüchler a.a.O.; Rummel in JBl. 1967, 120), so vor allem bei behördlich genehmigten Bau- und Abbruchsarbeiten (SZ 51/47; SZ 50/160; SZ 48/61) oder Aufgrabungen in öffentlichen Verkehrs- oder Erholungsflächen (SZ 55/105). Diese die Analogie zu § 364 a ABGB rechtfertigenden Voraussetzungen treffen - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - auf Beeinträchtigungen durch Wurzeln oder Äste eines Baumes auf den Nachbargrund nicht zu. Während die im § 364 Abs. 2 ABGB genannten Einwirkungen rechtswidrig sind und dem Nachbarn einer behördlich genehmigten Anlage nur deshalb ein der Enteignungsentschädigung ähnlicher Ausgleichsanspruch gewährt wird, weil er aus besonderen Gründen, die zur behördlichen Genehmigung geführt haben, nicht auf Beseitigung der störenden Anlage dringen kann, schließen die §§ 421 und 422 ABGB die Annahme einer Eigentumsstörung aus. Der Nachbar kann nicht die Entfernung des Baumes durch den Eigentümer verlangen, sondern hat den Bewuchs als gesetzliche Eigentumsbeschränkung aus Rücksichten der Nachbarschaft - wie auch sonst die natürliche Umgebung - hinzunehmen (Spielbüchler aaO Rdz 2 zu § 422; Koziol-Welser 7 II 142). Die im deutschen Schrifttum (zB Staudinger-Beutler, BGB 12 Anm 2 zu § 910) gebilligte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 60, 235, 237), die Gewährung des Selbsthilferechts lasse nicht erkennen, daß durch die Einräumung des überhangsrechtes die sonst jedem Eigentümer an die Hand gegebene Negatiorienklage (§ 1004 BGB) genommen werden sollte, ist für den österreichischen Rechtsbereich nicht sinngemäß anwendbar, weil dem Bürgerlichen Gesetzbuch eine dem § 421 ABGB entsprechende Bestimmung fremd ist. Die Beeinträchtigung des Eigentums durch den natürlichen Wuchs von Bäumen auf dem Nachbargrund ist nicht - wie Immissionen durch behördlich genehmigte Anlagen - Folge eines Bewilligungsverfahrens, das den Gesetzgeber bewogen hat, die beeinträchtigten Eigentümer auf Ausgleichsansprüche zu verweisen, sondern ist durch die Ausübung des überhangsrechtes gerechtfertigt. Auch die Bepflanzung von Verkehrsflächen mit Straßenbäumen beruht auf dem Recht des Grundeigentümers, Bäume und Sträucher selbst bis zur Grundgrenze zu pflanzen (§ 421 ABGB). Die von der Behörde ausschließlich im Interesse der Verkehrssicherheit bzw. Benützbarkeit der Straße auszusprechende Verpflichtung des Grundeigentümers, sichtbehindernde Bäume auszuästen oder zu entfernen (§ 91 Abs. 1 und 2 StVO). war im Zeitpunkt der Baumpflanzung durch die beklagte Partei noch nicht normiert und läßt im übrigen das Recht auf Pflanzung von Bäumen im Bereich von Verkehrsflächen unberührt.
Es soll nicht übersehen werden, daß die durch das Wiener Kanalgesetz geschaffene Rechtslage der praktischen Anwendung des § 422 ABGB enge Grenzen setzt; diese Bestimmung geht offensichtlich von der Annahme aus, daß für den zum Herausreißen von Wurzeln eines fremden Baumes Berechtigten zumindest das gesamte umliegende Erdreich zugänglich ist. Der Eigentümer eines im öffentlichen Gut verlegten Hauskanals darf nur jene Wurzeln entfernen, die in den Hauskanal bereits hineingewachsen sind oder wenigstens an ihn anliegen. Die Bestimmung des § 422 ABGB nimmt es aber schon für den Regelfall in Kauf, daß das Recht, Wurzeln herauszureißen, mit Kosten und Mühen verbunden ist. Die stets gegebene Interessenkollision zwischen gleichrangigen Eigentumsrechten (vgl SZ 56/50 mwN) findet also schon ganz allgemein eine für den Nachbarn des Eigentümers eines Baumes ungünstige Lösung; unvermeidlich schlechter ist die Lage desjenigen, dessen Eigentum sich im Erdreich eines anderen Eigentümers befindet. Im vorliegenden Fall mußte die klagende Partei den Hauskanal wegen des bestehenden Anschlußzwanges sogar bis zum Straßenkanal im öffentlichen Gut der beklagten Partei verlegen und ihr Eigentum auf diese Weise einer besonderen Gefährdung aussetzen. Es kann aber nicht gesagt werden, daß die klagende Partei wegen der exponierten Lage ihres Hauskanals außerstande gewesen wäre, von dem ihr durch § 422 ABGB eingeräumten Selbsthilferecht Gebrauch zu machen, weil sie beim Aufgraben des Erdreichs, um sich Zugang zu den Wurzeln im Hauskanal zu verschaffen, fremdes Eigentum verletzen mußte. Gemäß § 5 Abs. 2 des Wiener Kanalgesetzes obliegt dem Hauseigentümer die Herstellung und Erhaltung des Hauskanals; mit dieser Pflicht muß das Recht verbunden sein, das Erdreich im Bereich des Hauskanals aufzugraben, um die notwendigen Erhaltungsarbeiten durchführen zu können. Gleiches muß auch gelten, wenn der Hauseigentümer Wurzeln aus dem Hauskanalstrang entfernen will, weil er auch damit seiner Erhaltungspflicht, seiner Pflicht, die Funktionstüchtigkeit des Hauskanals aufrechtzuerhalten, nachkommt. Aus diesem Grunde, aber auch deshalb, weil sowohl das Recht der beklagten Partei, ihr Eigentum durch Pflanzung von Bäumen auszuüben, als auch die gefährdete Lage des Hauskanals im fremden Erdreich unmittelbar auf dem Gesetz beruhen, kommt die analoge Anwendung des § 364 a ABGB nicht in Betracht. Eine solche ist zwar noch statthaft, wenn behördliche Bewilligungen Maßnahmen genehmigen, die ohne diese unzulässig wären und den später geschädigten Nachbarn zur Annahme veranlassen konnten, er könne nicht geschädigt werden, nicht aber dort, wo Gesetze die Abgrenzung von Eigentümerinteressen in möglicherweise unbefriedigender Weise getroffen haben. Es käme also nur eine Verschuldenshaftung der beklagten Partei in Betracht. Handelten aber deren Organe nicht rechtswidrig, scheiden auch Schadenersatzansprüche aus. Es muß vielmehr der Grundsatz des § 1311 ABGB zum Tragen kommen, wonach der Zufall denjenigen trifft, in dessen Vermögen er sich ereignet. Allfällige Verletzungen von Verpflichtungen der beklagten Partei in Anwendung des Wiener Kanalgesetzes wurden nicht behauptet und lägen auch im öffentlich-rechtlichen Bereich.
In Stattgebung der Revision ist deshalb das Klagebegehren abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E06492European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0010OB00015.85.0710.000Dokumentnummer
JJT_19850710_OGH0002_0010OB00015_8500000_000