TE OGH 1985/8/27 10Os65/85

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Veröffentlicht am 27.08.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.August 1985 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schrott als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael A wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 1.April 1985, GZ 11 Vr 3019/84-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Rzeszut, und des Verteidigers Dr. Stanek-Noverka, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochten Urteil wurde der Realgymnasiast Michael A der Vergehen (I.) des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB, (II.) der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB sowie (III.) des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 14.September 1984, knapp zweieinhalb Monate nach der Vollendung seines 14.Lebensjahres, in Klagenfurt (zu I.) ein zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtetes Fahrzeug, nämlich das Moped des Frank B, ohne dessen Einwilligung in Gebrauch genommen, (zu II.) als Lenker dieses Fahrzeugs den Radfahrer Martin C dadurch, daß er sich beim überholen zu knapp vor ihm einordnete und abbremste, wodurch dieser auf das Moped auffuhr und stürzte, fahrlässig am Körper verletzt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, und zwar eine Gehirnerschütterung, multiple Hautabschürfungen und den Verlust von zwei Zähnen im Oberkiefer, zur Folge hatte, sowie (zu III.) die erforderliche Hilfeleistung an den genannten Radfahrer, dessen Verletzung am Körper er auf die geschilderte Weise widerrechtlich verursacht hatte, unterlassen.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 9 lit b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen dieses Urteil kommt keine Berechtigung zu.

Die Annahme, daß der Beschwerdeführer auf Grund seiner körperlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrechtmäßige seines Verhaltens zu erkennen und dieser Einsicht gemäß zu handeln (§ 10 JGG), hat das Erstgericht mit den Hinweisen darauf, daß er in geordneten Familienverhältnissen aufwuchs, daß seine Kindheit normal verlief und daß er zur Zeit die vierte Klasse eines Realgymnasiums besuchte, sowie auf den persönlichen Eindruck, den er in der Hauptverhandlung hinterließ (US 5), durchaus zureichend begründet. Seine Erklärung, er könne nicht beurteilen, ob er sich im Sinne des Strafgesetzbuches schuldig gemacht habe (S 53), allein weist - der Beschwerdeauffassung zuwider - keineswegs auf ein durch einen Mangel an Reife bedingtes Fehlen seiner konkret tatbezogenen (vgl Leukauf-Steininger, Nebengesetze 2 , Anm A zu § 10 JGG) Diskretionsfähigkeit hin und bot daher, zumal unter Bedacht auf den auch schon in seinem Alter leicht erkennbaren Unrechtsgehalt der ihm angelasteten Straftaten, zu einer speziellen Erörterung keinen Anlaß.

Von Begründungsmängeln des Urteils (Z 5) kann daher insoweit keine Rede sein.

Nicht gesetzmäßig ausgeführt sind die im gegebenen Zusammenhang erhobenen Rechtsrügen des Angeklagten zum Faktum III., mit denen er unter zusätzlicher Bezugnahme auf einen angeblichen 'Schockzustand' zum einen seine konkrete Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Tat (Z 9 lit b) und zum anderen sogar seinen Vorsatz in Ansehung der Unterlassung jeglicher Hilfeleistung an den Verletzten (Z 9 lit a) bestreitet: hat doch das Erstgericht seiner Verantwortung, daß er nach dem Unfall (Faktum II.) unter Schockeinwirkung gestanden sei, mit eingehender Begründung den Glauben versagt (US 6); mit seinen Gegenargumenten ficht der Beschwerdeführer, ohne formelle Mängel der Urteilsbegründung (Z 5) darzutun, nur im schöffengerichtlichen Rechtsmittelverfahren unzulässigerweise die erstinstanzliche Beweiswürdigung an.

Verfehlt hinwieder ist die - zum Teil im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) vorgebrachte - Rechtsansicht des Angeklagten (Z 9 lit a) zum Faktum I., daß sich die ihm von Frank B erteilte Erlaubnis, dessen Moped vom Haus auf die Fahrbahn zu schieben (US 2), begrifflich auf eine 'Ingebrauchnahme' im Sinn des § 146 StGB erstreckt und er dementsprechend durch das folgende unbefugte Lenken des Fahrzeugs bloß die ihm solcherart ohnehin rite erteilte Ermächtigung zum Gebrauch (straflos) überschritten habe. Das händische Schieben eines Motorfahrzeugs ist nämlich wohl dann schon als dessen Ingebrauchnahme anzusehen, wenn hiedurch seine folgende tatsächliche Benützung als Fortbewegungsmittel eingeleitet wird (vgl EvBl 1960/197 ua); erstreckt sich jedoch eine Einwilligung zu seiner Ortsveränderung, wie im vorliegenden Fall, ausschließlich auf das Schieben des Fahrzeugs, dann kann darin keineswegs auch schon eine Zustimmung zu seinem folgenden bestimmungsgemäßen Gebrauch durch Motorkraft erblickt werden. Eine - die Tatbildverwirklichung ausschließende

(vgl SSt 45/29 ua) - Einwilligung des Berechtigten im Sinn des § 136 Abs 1 StGB ist folglich dem Beschwerdeführer nach den Urteilsfeststellungen nicht erteilt worden.

Feststellungen darüber aber, ob der Angeklagte mit einer derartigen Einwilligung bei Kenntnis aller Umstände durch B immerhin hätte rechnen können (Z 9 lit b), waren im Hinblick darauf entbehrlich, daß er selbst nach den Entscheidungsgründen nicht damit rechnete, sondern sich ganz im Gegenteil dessen bewußt war, daß er sie in der gegebenen Situation nicht erhalten hätte, sodaß schon darum auch die Annahme einer Rechtfertigung seiner Tat infolge mutmaßlicher Einwilligung des Berechtigten (vgl RZ 1981/69) nicht in Betracht kam.

Ebensowenig zielführend schließlich sind die Beschwerdeeinwände gegen den Schuldspruch zum Faktum II.

Die Feststellung, daß das Bremsmanöver des Angeklagten zur Vermeidung eines Sturzes aus technischen Gründen objektiv nicht notwendig war (US 7), findet in der Aussage des Zeugen B (S 55) durchaus zureichend Deckung; auch der Beschwerdeführer selbst hat seine ursprüngliche Behauptung, ein abgerissenes Kabel habe sich beim Vorderrad des Mopeds verfangen gehabt (S 16), in der Hauptverhandlung nicht aufrecht erhalten und eingeräumt, er habe lediglich befürchtet, daß das abgerissene - in Wahrheit aber bloß aus der Halterung gelöste (S 55, US 3, 4, 7) - Tachometerseil in die Speichen des Vorderrades geraten könnte (S 54). Die insoweit behaupteten Begründungsmängel des Urteils (Z 5) liegen daher nicht vor.

Demzufolge ist es aber entgegen der (von der Generalprokuratur geteilten) Rechtsansicht des Angeklagten (Z 9 lit a) keinesfalls von entscheidender Bedeutung, ob er mit dem Bremsmanöver noch vor dem Abschluß des überholvorgangs begann, ob er allenfalls jäh bremste und wie weit der Radfahrer zu dieser Zeit bereits hinter ihm zurückgeblieben war. Denn nach den insoweit unbekämpften Entscheidungsgründen (US 3) brachte er das Moped jedenfalls in einem Seitenabstand von nicht weniger als rund 1,40 m vom rechten Straßenrand seiner 2,50 m breiten Fahrbahnhälfte - also nach seinen eigenen Worten (S 16) 'ca Mitte der Fahrbahn' - zum Stillstand, obwohl er im Hinblick darauf, daß die Fahrtunterbrechung nach dem zuvor Gesagten nicht durch wichtige Umstände erzwungen war, verpflichtet gewesen wäre, dabei zum rechten Fahrbahnrand zuzufahren (§ 2 Abs 1 Z 27, 23 Abs 1 und Abs 2 StVO). (Dieselbe Verpflichtung hätte ihn im übrigen, wie der Vollständigkeit halber vermerkt sei, auch dann getroffen, wenn er im Sinn seiner Verantwortung tatsächlich genötigt gewesen wäre, zur Vermeidung eines Sturzes unmittelbar nach dem überholmanöver im Weg einer - von ihm behaupteten - normalen Bremsung anzuhalten.)

Die in Rede stehende Urteilsfeststellung deckt den Fahrlässigkeitsvorwurf (§ 6 Abs 1 StGB) nicht nur in Ansehung der dazu vorauszusetzenden Annahme einer dem Beschwerdeführer unterlaufenen objektiven Sorgfaltsverletzung, sondern auch in bezug auf deren Kausal-, Adäquanz- und Risikozusammenhang mit dem zu beurteilenden Auffahrunfall sowie mit dem daraus entstandenen und ihr demgemäß objektiv zuzurechnenden Verletzungserfolg ohne Rücksicht darauf, ob allenfalls auch dem Radfahrer ein Aufmerksamkeitsfehler (als Mitverschulden) anzulasten ist. Dementsprechend betrifft die Mängelrüge (Z 5) gegen jene Konstatierungen, welche die zeitliche und örtliche Einordnung des Bremsmanövers in den überholvorgang zum Gegenstand haben, keine im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes entscheidenden Tatsachen, weil sie nur auf die Nichtannahme einer allfälligen weiteren Fahrlässigkeitskomponente abzielen und damit weder für die Schuldfrage noch für die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes von Belang sind (vgl JBl 1983,659 ua).

Mit den im Rahmen sowohl der Mängel- (Z 5) als auch der Rechtsrüge (Z 9 lit a) bekämpften weiteren Urteilspassagen hinwieder, wonach der Angeklagte die objektiv sorgfaltswidrige Bremsung 'ohne ausreichende Fahrpraxis und ohne Erfahrung über die technischen Zusammenhänge bei einem Moped' vorgenommen habe sowie sein schuldbegründendes Verhalten letzten Endes darin zu erblicken sei, daß er 'ohne die für die Lenkung eines Mopeds und richtige Beurteilung der Verkehrslage erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen ein motorbetriebenes Fahrzeug auf einer öffentlichen Straße, für die überdies ein allgemeines Fahrverbot besteht, gelenkt und sohin auch unter Bedachtnahme auf (die nach) seine(r) geistige(n) Entwicklung für ihn leicht zu erkennenenden und einzusehenden Folgen eines solchen Verhaltens ... fahrlässig gehandelt' habe (US 7), hat das Erstgericht - wie vom Beschwerdeführer (und auch von der Generalprokuratur) verkannt wird - keineswegs etwa die objektiven, sondern vielmehr (mängelfrei und rechtsrichtig) lediglich die subjektiven Fahrlässigkeitskriterien, und zwar in Form einer Einlassungsfahrlässigkeit (vgl Burgstaller im WK, RN 105 bis 108, 110 f. zu § 6 StGB) aufgezeigt.

Soweit die darauf bezogenen Beschwerdeausführungen gegen die vermeintliche Annahme eines objektiven Risikozusammenhangs zwischen dieser - dem dafür tatsächlich maßgebenden (tatbestandsverwirklichenden) Bremsmanöver zeitlich vorgelagerten, im Hinblick auf das für den Beschwerdeführer geltende (altersbedingte) Verbot des Mopedlenkens (US 5) zwar auch ihrerseits den Voraussetzungen objektiver Sorgfaltswidrigkeit entsprechenden, den urteilsmäßigen Fahrlässigkeitsvorwurf indessen nur auf der subjektiven Seite tragenden - Einlassungsfahrlässigkeit und dem eingetretenen Verletzungserfolg gerichtet sind (Z 9 lit a), gehen sie demnach ins Leere. Die hier wesentlichen Konstatierungen über das Fehlen einer ausreichenden Fahrpraxis und technischen Erfahrung des Angeklagten aber sind durch seine eigenen Angaben (S 54) und durch die Aussage des Zeugen B (S 56) vollauf gedeckt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Der Ausspruch und die Vollstreckung einer wegen der urteilsgegenständlichen Jugendstraftaten über den Angeklagten zu verhängenden Strafe wurde vom Schöffengericht mit Rücksicht auf sein bisher einwandfreies Vorleben, auf seine Unbescholtenheit und seinen guten Leumund sowie auf sein schuldeinsichtiges Teilgeständnis in Verbindung mit dem Erhebungsbericht des Stadtjugendamtes Klagenfurt gemäß § 13 Abs 1 JGG für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.

Auch die Berufung des Jugendlichen, mit der er den Ausspruch bloß einer Ermahnung (§ 12 Abs 2 JGG) und allenfalls die Bestimmung einer kürzeren Probezeit anstrebt, erweist sich als unberechtigt.

Von einer geringen Schuld des Angeklagten kann insbesondere beim Faktum III., bei dem er einen durch sein Verschulden schwer verletzten jüngeren Schulkameraden ohne Hilfeleistung im Stich ließ, ebensowenig die Rede sein wie im Hinblick auf die fahrlässige Herbeiführung eben dieser schweren Verletzungen beim Faktum II. vom Eintritt nur unbedeutender Folgen seiner Straftaten. Deswegen und angesichts des Zusammentreffens dreier strafbarer Handlungen, die er zu verantworten hat, ist die - ohnehin sehr tolerante bloße - Androhung des Ausspruchs und der Vollstreckung einer Strafe gegen ihn aus Gründen der Spezialprävention sehr wohl angebracht sowie die Bestimmung der Probezeit-Dauer mit drei Jahren durchaus angemessen.

Der Berufung mußte daher gleichfalls ein Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

E06323

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0100OS00065.85.0827.000

Dokumentnummer

JJT_19850827_OGH0002_0100OS00065_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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