TE OGH 1985/9/4 9Os129/85 (9Os130/85)

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Veröffentlicht am 04.09.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. September 1985 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak, Dr.Lachner, Dr.Felzmann und Dr.Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Gitschthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Melitta A und eine andere wegen des Vergehens des versuchten Diebstahles nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18. Feber 1985, GZ 3 e E Vr 113/85-7, und des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 30. April 1985, AZ 25 Bs 139/85, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, der Angeklagten Melitta A und Hildegard B sowie des Verteidigers Dr. Josef Wegrostek zu Recht erkannt:

Spruch

Die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18. Feber 1985, GZ 3 e E Vr 113/85-7, und des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 30. April 1985, AZ 25 Bs 139/85, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 42 Abs. 1 StGB. Die beiden bezeichneten Urteile werden aufgehoben und es wird gemäß §§ 292, 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Melitta A und Hildegard B werden von der wider sie

erhobenen Anklage, sie haben am 12. November 1984 in Wien in Gesellschaft als Beteiligte (§ 12 StGB) Berechtigten des Kaufhauses C (Filiale Wien 5, Siebenbrunnengasse 21), fremde bewegliche Sachen, nämlich fünf Tafeln Schokolade und drei Packungen Karreespeck, im Gesamtwert von 153,50 S, mit dem Vorstz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie die Sachen in ihren Manteltaschen versteckt aus dem Kaufhaus zu bringen trachteten, und hiedurch das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 4 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18. Feber 1985, GZ 3 e E Vr 113/85-7, wurden die 79-jährige Melitta A und ihre 85-jährige Schwester Hildegard B des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu Geldstrafen verurteilt. Darnach haben sie am 12. November 1984 in Wien versucht, in Gesellschaft als Beteiligte (§ 12 StGB) im Kaufhaus C (Filiale Wien 5, Siebenbrunnengasse 21) fünf Tafeln Schokolade und drei Packungen Karreespeck im Gesamtwert von 153,50 S mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie diese Waren in den Manteltaschen versteckt aus dem Kaufhaus zu bringen trachteten. Den von beiden Angeklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen gab das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 30. April 1985, AZ 25 Bs 139/85, nicht Folge. Das Berufungsgericht verneinte nicht nur das Vorliegen der Voraussetzungen einer Entwendung, weil weder eine Notlage noch ein Handeln aus Unbesonnenheit oder zur Befriedigung eines Gelüstes vorgelegen habe, sondern vertrat auch die Auffassung, daß § 42 Abs. 1 StGB nicht anzuwenden sei, weil es der Verhängung einer Strafe bedürfe, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken, zumal allgemein bekannt sei, daß Kaufhausdiebstähle sehr verbreitet sind und großen Schaden verursachen, sodaß im Falle eines Absehens von gerichtlicher Bestrafung ein noch stärkeres überhandnehmen dieser Kriminalität zu befürchten wäre. Im übrigen sei es auch zweifelhaft, ob die Schuld der beiden Angeklagten wirklich gering sei, zumal es besonders verwerflich sei, wenn immerhin bereits 78- bzw. 84-jährige Frauen, deren Lebensunterhalt durch Pensionen gesichert ist und die durch ihr fortgeschrittenes Alter doch schon abgeklärt sein sollten, Diebstähle begehen.

Rechtliche Beurteilung

Beide bezeichneten Urteile stehen, wie die Generalprokuratur in ihrer deshalb gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 42 Abs. 1 StGB ist eine von Amts wegen zu verfolgende Tat, die nur mit Geldstrafe, mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedroht ist, nicht strafbar, wenn

1.

die Schuld des Täters gering ist,

2.

die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat, und überdies

              3.              eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Angesichts der in § 127 Abs. 2 StGB normierten Strafdrohung des (von Amts wegen zu verfolgenden) Gesellschaftsdiebstahls (: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr) sowie des Umstands, daß der Angriff auf fremdes Vermögen beim Versuch geblieben ist und nach der Aktenlage auch keine sonstigen Folgen (im Sinne einer sozialen Störung) nach sich gezogen hat, hängt die Beurteilung der Strafwürdigkeit der gegenständlichen Tat vom Grad der Schuld der Täterinnen (§ 42 Abs. 1 Z 1 StGB) sowie davon ab, ob deren Bestrafung aus spezial- und/oder generalpräventiven Erwägungen geboten ist (§ 42 Abs. 1 Z 3 StGB).

Damit von einer geringen Schuld im Sinn des § 42 Abs. 1 Z 1 StGB gesprochen werden kann, muß diese absolut, aber auch im Vergleich zu den typischen Fällen des Delikts als geringfügig zu veranschlagen sein (EBRV 1971, 140; RZ 1976/125 u.a.); es muß somit das tatbestandsmäßige Verhalten im konkreten Fall hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleiben (SSt. 47/55), wofür allerdings nicht ein extrem strenger Maßstab angelegt werden darf (vgl. SSt. 50/45). Bei der diesbezüglichen Prüfung sind auch die in den persönlichen Eigenschaften des Täters gelegenen, dessen individuelle Schuld gegebenenfalls mindernden Umstände entsprechend zu berücksichtigen (ÖJZ-LSK 1976/379). Solche Umstände können auch in einem altersbedingten Persönlichkeitsabbau gelegen sein, der dazu geführt hat, daß eine bislang unbescholtene Person - in auffälligem Widerspruch zu ihrem bisherigen jahrzehntelangen rechtstreuen Verhalten - im Greisenalter ohne erkennbaren sonstigen Anlaß ein strafbares Verhalten setzt, das nach Lage des Falles nicht anders als durch einen derartigen Abbau erklärt werden kann. Ebendies trifft aber im gegebenen Fall auf die beiden Angeklagten sowohl nach ihrer bisherigen Persönlichkeitsstruktur als auch nach ihrem Tatverhalten ersichtlich zu. Unter diesem Gesichtspunkt kann aber von einer besonderen Verwerflichkeit ihres Verhaltens, die das Berufungsgericht nur darin erblickte, daß sie ohne Not in fortgeschrittenem Alter derelinquierten, wohl nicht gesprochen werden. So gesehen ist vielmehr die Schuld der beiden Angeklagten unter den hier obwaltenden Umständen insgesamt als geringfügig im Sinn des § 42 Abs. 1 Z 1 StGB zu beurteilen.

Daß Erwägungen der Spezialprävention angesichts der bisherigen Unbescholtenheit der beiden Angeklagten und auch der ihnen wegen ihrer Tat bereits erwachsenen Nachteile - sie wurden rund drei Stunden in polizeilicher Verwahrungshaft angehalten (S 5 und 9 des Vr-Aktes) - der Anwendung des § 42 StGB nicht entgegenstehen, hat auch das Berufungsgericht ersichtlich nicht verkannt. Was hingegen die Belange der Generalprävention betrifft, so kommt diesen zwar gerade bei Massendelikten im allgemeinen erhöhte Bedeutung zu; generalpräventive Erwägungen schließen aber auch bei einem Ladendiebstahl, wiewohl es sich dabei um eine sehr häufig vorkommende Spielart des Diebstahls handelt, die Anwendung des § 42 StGB auf Bagatellfälle derartiger Kriminalität nicht generell aus (SSt. 47/55); es ist vielmehr auch dabei stets auf die konkreten Umstände des einzelnen Falles abzustellen (EvBl. 1980/7; Steininger in RZ 1981, 32), wobei es maßgebend darauf ankommt, inwieweit die Sanktionslosigkeit der betreffenden Einzeltat in der Öffentlichkeit bekannt werden und sich nachteilig auf die Rechtstreue potentieller Ladendiebe auswirken wird. Wird all dies - bezogen auf die hier zu beurteilende Tat- und Tätersituation - entsprechend berücksichtigt, so kann aber angenommen werden, daß das Unterbleiben einer Bestrafung der beiden Greisinnen dem Erfordernis der Anwendung des Strafrechts zur Stärkung der Normentreue der Bevölkerung und zur Abhaltung anderer potentieller Täter von gleichartigen strafbaren Handlungen keinen Abbruch tut (vgl. 10 Os 11/80; 12 Os 67-69/80). Wenngleich § 42 StGB keinesfalls als eine Art Freibrief für die sanktionslose Begehung von geringfügigen Ladendiebstählen verstanden werden darf, so ist die Anwendung dieses Straflosigkeitsgrundes in einem Fall wie dem vorliegenden jedenfalls gesetzlich geboten. Da somit beide eingangs bezeichneten Urteile zum Nachteil beider Angeklagten mit Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b (§§ 489 Abs. 1, 468 Abs. 1 Z 4) StPO aus dem Grund der Nichtanwendung des § 42 Abs. 1 StGB behaftet sind, war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß dem letzten Satz des § 292 StPO spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E06587

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0090OS00129.85.0904.000

Dokumentnummer

JJT_19850904_OGH0002_0090OS00129_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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