TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/28 2002/01/0184

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.2005
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
AVG §8;
StbG 1985 §2 Z4;
StbG 1985 §42 Abs1;
StbG 1985 §42 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der MS (alias SR) in T, vertreten durch Dr. Peter Banwinkler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Dinghoferstraße 21, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 17. Jänner 2002, Zl. Gem(Stb)-408897/8-2002-Gru/Ha, betreffend eine Angelegenheit des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin reiste im September 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Sie gab an, Sara R. zu heißen, am 24. November 1969 in Kuwait geboren und irakische Staatsangehörige zu sein. Die letzten zwei Jahre habe sie in der Türkei verbracht. Sowohl dort als auch auf der anschließenden Fahrt nach Wien sei sie in der Gewalt von Schleppern gewesen und in näher beschriebener Weise sehr schlecht behandelt worden. In Kuwait sei ihr Ehemann, der Vater ihrer beiden Kinder, im April 1992 vor ihren Augen durch zwei Schüsse in die Schläfe hingerichtet worden. Sie selbst sei bei diesem Vorfall zweimal vergewaltigt worden und in die Türkei geflüchtet.

Mit Bescheid vom 6. Februar 1995 gewährte das Bundesasylamt der Beschwerdeführerin - ausgehend von ihren Angaben - Asyl.

Im Oktober 1999 beantragte die Beschwerdeführerin für sich und ihre mittlerweile fünf Kinder die Verleihung bzw. Erstreckung der Staatsbürgerschaft. Sie gab u.a. eine eidesstattliche Erklärung darüber ab, dass ihre Ehe mit Ali S. durch dessen Tod in Kuwait im April 1992 aufgelöst sei und sie seither nicht mehr geheiratet habe.

Mit Bescheid vom 25. September 2000 verlieh die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft unter gleichzeitiger Erstreckung auf die Kinder.

Schon im April 2000 langte bei der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, fremdenpolizeiliche Abteilung, eine Anzeige des Gendarmeriepostens Traun ein, wonach es sich bei der Beschwerdeführerin in Wahrheit um MS handle, der bereits in den Niederlanden Asyl gewährt worden sei. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land übermittelte diese Anzeige dem Bundesasylamt, das von den niederländischen Asylbehörden im Oktober 2000 in Erfahrung brachte, MS sei im April 1993 in den Niederlanden als Flüchtling anerkannt worden.

Mit Schreiben vom 14. und 20. Dezember 2000 verständigte das Bundesministerium für Inneres die belangte Behörde von diesem Sachverhalt sowie davon, dass ein Vergleich der Fingerabdrücke durch die niederländischen Behörden die Identität der Beschwerdeführerin mit MS ergeben habe.

Am 7. Juni 2001 langte bei der belangte Behörde eine (weitere) Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Traun ein. Darin wurde u.a. ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei im Februar 1994 in den Niederlanden geschieden worden und von dort aus nach Österreich gekommen. Sie sei "zum Falschnamen (und auch zu dem ihrer Kinder) geständig".

Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2001 zeigte der Beschwerdevertreter der belangten Behörde seine Bevollmächtigung durch MS ("alias R.") in deren "Staatsbürgerschaftssache" an.

In Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides vom 17. Jänner 2002 hob die belangte Behörde gemäß § 68 Abs. 2 AVG den Bescheid vom 25. September 2000 über die Verleihung der Staatsbürgerschaft an eine "Person weiblichen Geschlechts mit dem angeblichen Namen Sara R." und die Erstreckung der Verleihung auf die fünf Kinder mit näher bezeichneten "angeblichen Namen" von Amts wegen auf.

In Spruchpunkt 2. stellte die belangte Behörde gemäß § 42 Abs. 1 und 3 StbG von Amts wegen fest, weder MS "noch die im Spruchteil 1a-e genannten Minderjährigen" besäßen die österreichische Staatsbürgerschaft. Sie seien Fremde im Sinne des § 2 Z 4 StbG.

Die Begründung dieser Entscheidung lautete wie folgt:

"1. Die Oö. Landesregierung hat mit Bescheid, Zl. Gem(Stb)- 408897/5-2001/Se, den im Spruch dieses Bescheides genannten Personen die österreichische Staatsbürgerschaft unter den genannten Namen verliehen.

Aufgrund verschiedener Hinweise wurde der Staatsbürgerschaftsbehörde bekannt, dass die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die im Spruch genannten Personen unter falschem Namen erfolgte, weil die Antragsteller bewusst unter einem falschen Namen in Österreich gelebt haben.

Aufgrund der mittlerweile geführten Ermittlungen steht fest, dass es sich bei der Person weiblichen Geschlechts, die sich als Sara R. ausgegeben hat, in Wirklichkeit um eine Fremde mit dem Namen MS, geb. am ... in Kuwait, handelt. Weiters ist davon auszugehen, dass auch die Identität der im genannten Verleihungsbescheid angeführten Minderjährigen gefälscht wurde.

Gemäß § 68 Abs. 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, von Amts wegen sowohl von der Behörde oder vom unabhängigen Verwaltungssenat, die oder der den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.

Aufgrund der Tatsache, dass die im Spruch des Verleihungsbescheides genannten Personen gegenüber der Verleihungsbehörde unter einer falschen Identität aufgetreten sind, konnte ihnen aus dem genannten Verleihungsbescheid kein Recht erwachsen.

Aus diesem Grund war in Anwendung der Bestimmungen des § 68 Abs. 2 AVG der Bescheid von der Verleihungsbehörde von Amts wegen auszuheben.

2. Gemäß § 42 Abs. 3 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 kann von Amts wegen ein Feststellungsbescheid in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft erlassen werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da sehr wohl ein öffentliches Interesse darin besteht festzustellen, dass die im seinerzeitigen Verleihungsbescheid und im nunmehrigen Bescheid genannten Personen die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen und daher Fremde sind."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

In der Beschwerde wird - zusammengefasst - geltend gemacht, die Beschwerdeführerin habe mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens gerechnet und ihr Vertreter habe (deshalb) seine Bevollmächtigung angezeigt. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Verleihungsbescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG seien jedoch nicht gegeben. Der Verleihungsbescheid habe die Beschwerdeführerin und ihre Kinder begünstigt.

Diesem Standpunkt ist beizupflichten. Die belangte Behörde hat sich - wie auch aus der Bezugnahme auf einen "relativen Nichtbescheid" in der Gegenschrift hervorgeht - einer Sichtweise bedient, die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dem in einer Asylsache ergangenen Zurückweisungsbeschluss vom 15. März 1995, Zl. 94/01/0728 (wiedergegeben bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) E 148 zu § 59 AVG), zugrunde lag. Danach entfalte die gegenüber einer unter einem falschen Namen auftretenden Partei erlassene Entscheidung über ihren Asylantrag gegen sie keine Wirkung, weshalb die Partei auch nicht berechtigt sei, den Bescheid (unter ihrem richtigen Namen) vor dem Verwaltungsgerichtshof zu bekämpfen. Der Bescheid sei in einem solchen Fall "ins Leere" gegangen, "auch wenn es sich jeweils um ein und dieselbe Person gehandelt hat" (vgl. ähnlich auch die Zurückweisungsbeschlüsse vom 21. November 1996, Zl. 96/20/0705, und vom 12. Juni 1997, Zl. 94/18/0560).

In anderen Entscheidungen hob der Verwaltungsgerichtshof hervor, Bescheide über die Verhängung der Schubhaft u.dgl. seien auch gegenüber Personen wirksam, die unter einer falschen Identität aufträten. Der im Beschluss vom 15. März 1995 behandelte Fall sei "nicht vergleichbar, weil es in jenem Fall um einen anders gelagerten Sachverhalt in einem Verfahren nach dem Asylgesetz ging" (vgl. zur Schubhaft die hg. Erkenntnisse vom 29. März 1996, Zl. 95/02/0274 und Zl. 95/02/0487; ähnlich für einen Fall, in dem sich eine Partei der Identität ihres Bruders bedient hatte, etwa das Erkenntnis vom 18. Juli 1997, Zl. 96/02/0276; ausführlich zusammenfassend unter Einbeziehung von Aufenthaltsverboten und Ausweisungen sowie unter Bezugnahme auf die Möglichkeiten zur Berichtigung von Bescheiden das Erkenntnis vom 5. November 1997, Zl. 95/21/0348; daran anknüpfend seither etwa das Erkenntnis vom 10. April 2003, Zl. 2001/18/0051; abgrenzend gegenüber dem Austausch der Partei den Beschluss vom 20. Dezember 2002, Zl. 2002/05/1195). Zum Asylgesetz 1997 vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsansicht, Asylverfahren mit Personen, die im Berufungsverfahren die Angaben zu ihrer Identität änderten, seien zu Ende zu führen (und nicht etwa die Berufungen zurückzuweisen und die ursprünglichen Anträge unbeachtlich; vgl. in diesem Sinn etwa das Erkenntnis vom 26. Juli 2001, Zl. 99/20/0611).

Im vorliegenden Fall steht - auch nach den Ausführungen der belangten Behörde - fest, dass "die im seinerzeitigen Verleihungsbescheid und im nunmehrigen Bescheid genannten Personen" dieselben sind. Die Ansicht, die Beschwerdeführerin habe durch den Verleihungsbescheid nicht die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt, sie sei durch den aufgehobenen Bescheid nicht begünstigt worden und sie und ihre Kinder seien Fremde, trifft daher nicht zu.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Juni 2005

Schlagworte

Inhalt des Spruches Anführung des Bescheidadressaten Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Rechtsverletzung des Beschwerdeführers Beschwerdelegitimation bejaht Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen Rechtspersönlichkeit Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Zulässigkeit und Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Bindung an diese Voraussetzungen Umfang der Befugnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002010184.X00

Im RIS seit

01.08.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten