TE OGH 1985/9/10 10Os98/85 (10Os99/85)

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Veröffentlicht am 10.09.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Zimmermann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Herbert A und Andreas B wegen des Verbrechens des teils

vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1, 2 und 3, 130 zweiter Fall und 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse

1. des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (Schöffensenat) vom 30. Mai 1985, protokolliert in GZ 1 b Vr 7436/85-319, S 477/III (früher AZ 1 b Vr 13.855/84) und 2. des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. Juni 1985, AZ 24 Ns 579, 580/85 (= GZ 1 b Vr 7436/85-324 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, und der Verteidiger Dr. Pitzal und Dr. Tassul, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen das Gesetz:

1. der zu 1. bezeichnete Beschluß auf Rückleitung des Verfahrens gegen Herbert A und Andreas B an den Untersuchungsrichter insoweit, als die vorzunehmenden Untersuchungshandlungen nicht ausreichend präzisiert wurden, in der Bestimmung des § 276 StPO;

2. der zu 2. bezeichnete Beschluß auf Zurückweisung des Antrages des Vorsitzenden auf Verlängerung der höchstzulässigen Dauer der Untersuchungshaft bezüglich der Angeklagten Herbert A und Andreas B in der Bestimmung des § 193 Abs. 4 und Abs. 5 StPO.

Der zu 2. bezeichnete Beschluß wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die meritorische Entscheidung über diesen Antrag aufgetragen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

I. Aus den Akten AZ 1 b Vr 7436/85 (früher: 1 b Vr 13.855/84) des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ergibt sich folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Wien erhob gegen den am 22. Februar 1965 geborenen Herbert A, den am 8. Februar 1960 geborenen Andreas B sowie gegen einen weiteren Beschuldigten Anklage wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1, 2 und 3, 130 zweiter Fall und 15 StGB sowie wegen anderer Straftaten. Der Anklage liegen 97 vollendete und 72 versuchte Diebstahlsfakten zugrunde, die in der Zeit vom Frühjahr 1983 bis November 1984 begangen wurden (ON 309).

Der Angeklagte Herbert A befindet sich seit 7. Dezember 1984 (mit Unterbrechung infolge Vollziehung einer Strafhaft vom 10. April bis 30. Mai 1985), der Angeklagte Andreas B seit 10. Dezember 1984 in Untersuchungshaft.

Am 30. Mai 1985, somit innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 193 Abs. 3 StPO, begann die Hauptverhandlung gegen die beiden genannten Angeklagten und ihren Komplizen.

Nach kursorischer Vernehmung der Angeklagten A und

B durch den Vorsitzenden, wobei diese etwa die Hälfte der Diebstahlsvorwürfe bestritten und Andreas B außerdem auf seine Untersuchungshaft vom 26. Juni bis 26. Juli 1984 zu 2 a E Vr 8245/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verwies (in welcher Zeit er jedenfalls nicht die ihm laut den Punkten A I 69 bis 73 und II 68 der Anklageschrift vorgeworfenen Diebstähle begangen haben konnte), beantragte der Staatsanwalt die Ausscheidung des Verfahrens gegen Herbert A und Andreas B und dessen Rückleitung an den Untersuchungsrichter, bei dem der Antrag gestellt werde, 'durch Beiziehung sämtlicher in die polizeilichen Ermittlungen eingeschalteter Polizeibeamter eine genaue Klärung herbeizuführen, welche Fakten A und B tatsächlich

gesetzt haben; sodann wolle der Akt neuerlich der Staatsanwaltschaft Wien übermittelt werden' (S 475/III).

Der Schöffensenat beschloß daraufhin antragsgemäß die Ausscheidung des Verfahrens gegen die Genannten gemäß § 57 StPO und 'Rückleitung des Aktes an den Untersuchungsrichter zur Durchführung der von der Staatsanwaltschaft Wien beantragten Untersuchungshandlungen' (S 477/III).

Im Hinblick darauf, daß eine Fortsetzung der Hauptverhandlung vor Ablauf der Frist des § 193 Abs. 3 StPO nicht möglich schien, legte der Vorsitzende noch am 30. Mai 1985 die Akten dem Oberlandesgericht Wien mit dem Antrag auf Verlängerung der (gemeint: höchstzulässigen Dauer der) Untersuchungshaft auf 'ein Jahr (neun Monate)' vor (Antrags- und Verfügungsbogen S 3 o).

Das Oberlandesgericht Wien wies jedoch mit Beschluß vom 13. Juni 1985, 24 Ns 579, 580/85, diesen Antrag zurück. In der Begründung seiner Entscheidung berief es sich auf seine ständige Spruchpraxis, wonach mit dem Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 193 Abs. 5 StPO die zeitliche Beschränkung der Untersuchungshaft entfalle; und zwar unabhängig davon, ob die Hauptverhandlung ununterbrochen bis zum Urteil durchgeführt werden könne oder Vertagungen von mehr oder weniger als 30-tägiger Dauer - allenfalls mit der sogenannten Rückleitung an den Untersuchungsrichter verbunden - erforderlich seien, sowie unabhängig davon, ob nach dem Urteil über Rechtsmittel zu entscheiden sei oder allenfalls von der Rechtsmittelinstanz eine Verfahrenserneuerung angeordnet werde. Auch bei einer sogenannten Rückleitung an den Untersuchungsrichter verbleibe das Verfahren im Stadium der Hauptverhandlung, weil die Anklageschrift rechtswirksam bleibe und die Hauptverhandlung jederzeit fortgesetzt werden könne. Es liege daher der in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, AZ 11 Os 31/84 (= ÖJZ-LSK 1984/141 = EvBl. 1985/73 = JBl. 1985, 249) gemeinte Fall (einer Beendigung der Hauptverhandlung ohne absehbare Fortsetzungsmöglichkeit) nicht vor, weil gegebenenfalls die Rückleitung lediglich 'des Umfanges des durchzuführenden Beweisverfahrens wegen zur Vermeidung des besonderen Zeitaufwandes für das Schöffengericht dem Untersuchungsrichter übertragen wurde, keineswegs aber, weil das wesentliche Substrat der Anklageschrift in einer Weise in Zweifel gezogen werden könnte, welche eine Beurteilung als Rückleitung des Verfahrens in das Stadium der Ermittlung rechtfertigen könnte'.

Im übrigen aber wäre die Verlängerung der Untersuchungshaft bei Zulässigkeit der Erledigung des Antrages jedenfalls zu bewilligen gewesen, weil sämtliche Voraussetzungen des § 193 Abs. 4 StPO erfüllt seien.

II. Die Generalprokuratur erhob sowohl gegen den Beschluß des Schöffensenates vom 30. Mai 1985 auf Rückleitung der Strafsache an den Untersuchungsrichter als auch gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. Juni 1985 auf Zurückweisung des Antrages auf Verlängerung der höchstzulässigen Dauer der Untersuchungshaft beim Obersten Gerichtshof gemäß § 33 Abs. 2 StPO eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wegen Verletzung der §§ 276 bzw. 193 Abs. 4 und Abs. 5 StPO und führte zur Begründung u.a. wörtlich aus:

'1./ Gemäß § 276 StPO kann die Vertagung einer Hauptverhandlung nach Ermessen des Gerichtes u.a. auch dann beschlossen werden, 'wenn der Gerichtshof aus irgendeinem Anlaß vorläufig noch neue Erhebungen oder Untersuchungshandlungen oder die Herbeischaffung neuer Beweismittel anzuordnen findet'. Die Anordnung neuer Untersuchungshandlungen, in der Praxis 'Rückleitung an den Untersuchungsrichter' genannt, setzt als 'Anlaß' voraus, daß erst in der Hauptverhandlung die Tatsachen hervortreten, die sie erforderlich machen (S. Mayer, II/3, 495, RN 10). Eine 'Untersuchungshandlung' ist eine Beweisaufnahme, die zweckmäßigerweise außerhalb der Hauptverhandlung im schöffen- und geschwornengerichtlichen Verfahren geführt wird, auch wenn sie innerhalb dieser möglich wäre (anders im einzelrichterlichen Verfahren: § 488 Z 2 StPO). Innerhalb dieser weit gezogenen Grenzen bewegt sich das nach § 276 StPO eingeräumte Ermessen des Gerichtshofes, eine Ergänzung und Vervollständigung der Entscheidungsgrundlagen entweder sogleich durch unmittelbare Beweisaufnahme (allenfalls im nächsten Verhandlungstermin) herbeizuführen oder diese mittels Untersuchungshandlungen des Untersuchungsrichters vorbereiten zu lassen.

Vorliegend aber wurde die Rückleitung an den Untersuchungsrichter zur 'genauen Klärung, welche Fakten A und B tatsächlich gesetzt haben', beschlossen. Eben diese Klärung, welche Fakten ein Angeklagter tatsächlich gesetzt hat, ist die auf keine andere Gerichtsinstanz abwälzbare Aufgabe des erkennenden Gerichtes. überdies bleibt bei der zitierten Beschlußfassung im Dunkeln, wie der Untersuchungsrichter diese 'Klärung' durch die 'Beiziehung' sämtlicher in die polizeilichen Ermittlungen eingeschalteter Polizeibeamter denn eigentlich bewerkstelligen sollte.

Rechtliche Beurteilung

Indem der Schöffensenat dem Antrag des Staatsanwaltes vollinhaltlich stattgab und dessen Inhalt zum eigenen Beschluß erhob, überschritt er die bezeichneten Grenzen seines Ermessensbereiches, verletzte seine Entscheidungspflicht und versuchte, diese auf ein hiefür in diesem Verfahrensstadium unzuständiges Organ, den Untersuchungsrichter, abzuwälzen, dem dazu überdies in einer höchst unpräzisen Formulierung eine vollkommen unzweckmäßige Beweisaufnahme aufgetragen wurde.

Der Beschluß des Schöffensenates des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Mai 1985 verletzt das Gesetz daher in der Bestimmung des § 276 StPO.

2./ Bei diesem Sachverhalt wäre es primär Aufgabe des Oberlandesgerichtes Wien gewesen, im Sinne seiner im § 15 StPO normierten Pflicht zur Aufsicht über die Wirksamkeit der Strafgerichte seines Sprengels Abhilfe gegen die aufgezeigte Verschleppung des Verfahrens und die damit verbundene Verlängerung der Untersuchungshaft beider Angeklagter zu schaffen. Mangels einer solchen Vorgangsweise hätte es aber in der Frage der Zuständigkeit zur Verlängerung der Höchstdauer der Untersuchungshaft gemäß § 193 Abs. 4 StPO bedenken müssen, daß im Sinne der bereits weiter oben erwähnten, grundsätzlichen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 6. Juni 1984, 11 Os 31/84-8 (publiziert in LSK 1984/141 = EvBl. 1985/73 = JBl. 1985, 249), durch die 'Rückleitung' nach Verhandlungsbeginn die Hauptverhandlung sehr wohl ohne absehbare Fortsetzungsmöglichkeit beendet wird. Der Meinung des Oberlandesgerichtes Wien, daß dies im vorliegenden Fall nicht zuträfe, weil 'das wesentliche Substrat der Anklage nicht in einer Weise in Zweifel gezogen würde, welche eine Beurteilung als Rückleitung in das Stadium der Ermittlung rechtfertigen könnte', ist zu entgegnen, daß gerade im Anlaßfall das Substrat der Anklage zumindest in jenen Fällen, in denen sich der Angeklagte B auf die Unmöglichkeit der Tatbegehung während seiner Untersuchungshaft beruft, sehr wohl in Zweifel gezogen wird. überdies zeigt die Antragstellung des Staatsanwaltes ('sodann wolle der Akt neuerlich der Staatsanwaltschaft Wien übermittelt werden'), daß auf Grund des Ergebnisses der ergänzenden Ermittlungen des Untersuchungsrichters die Anklageschrift erst einer überprüfung durch den Staatsanwalt selbst unterzogen werden soll, eine sich unmittelbar an die Erhebungen des Untersuchungsrichters anschließende Fortsetzung der vertagten Hauptverhandlung also gar nicht beabsichtigt war.

Das Oberlandesgericht hätte daher über den Antrag des Vorsitzenden auf Verlängerung der Untersuchungshaft meritorisch entscheiden müssen. Mit seiner diesen Antrag zurückweisenden Beschlußfassung verletzte es das Gesetz in der Bestimmung des § 193 Abs. 4 und 5 StPO. Die Entscheidung über die Haftverlängerung ist auch bei (der zu 1.) begründeten Aufhebung des gesetzwidrigen Rückleitungsbeschlusses notwendig, weil diese nichts daran ändert, daß sich das Verfahren seit 30. Mai 1985 de facto nicht im Hauptverhandlungs-Stadium befindet.

Beide Gesetzesverletzungen wirkten sich zum Nachteil der Angeklagten aus, jene des Schöffengerichtes durch die damit unweigerlich verbundene Verlängerung der Untersuchungshaft, die des Oberlandesgerichtes Wien, weil ihr zufolge die Haft beider Angeklagter ohne jegliche Befristung (unbeschadet der sich aus dem Grundsatz der Angemessenheit der Haft nach § 193 Abs. 2 zweiter Halbsatz StPO ergebenden Beschränkung) andauert.'

Im Gerichtstag ergänzte die Generalprokuratur ihr Beschwerdevorbringen noch dahin, daß durch die bezeichneten Beschlüsse das Gesetz auch in der Bestimmung des § 193 Abs. 1 StPO verletzt worden sei, wonach sämtliche am Strafverfahren beteiligten Behörden verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, daß die Haft so kurz wie möglich dauere.

III. über diese zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 276 StPO kann eine Vertagung der Hauptverhandlung nach dem Ermessen des Gerichtes auch dann beschlossen werden, wenn der Gerichtshof aus irgendeinem Anlaß die Herbeischaffung neuer Beweismittel oder aber noch neue Erhebungen oder Untersuchungshandlungen anzuordnen findet, wobei nach herrschender Lehre und Rechtsprechung die Sache an den Untersuchungsrichter - ohne Unterschied, ob er bereits früher tätig gewesen ist - rückverwiesen werden kann, weshalb auch in der Praxis von einer 'Rückleitung an den Untersuchungsrichter' gesprochen wird (EvBl. 1964/177 = SSt. 34/66 mit Literaturnachweisen; vgl. auch Bertel, Grundriß des Strafprozeßrechts, Rz 589). Voraussetzung hiefür ist, daß diese Untersuchungshandlungen neu sind, also im Vorverfahren entweder überhaupt noch nicht oder nicht in einer bestimmten Richtung gepflogen wurden, sei es, daß obschon in den Akten enthaltene Anhaltspunkte für eine bessere Aufklärung des Sachverhalts bisher nicht oder nicht ausreichend genützt worden sind, sei es, daß erst in der Hauptverhandlung neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgetreten sind, die diese Untersuchungshandlungen notwendig erscheinen lassen. Die Entscheidung darüber, ob sich das erkennende Gericht zu dieser Vervollständigung der Voruntersuchung (vgl. § 224 Abs. 1 StPO und dessen durch § 488 Z 2 StPO mit § 276 StPO gleichgestellte Terminologie) aus Gründen der Zweckmäßigkeit des Untersuchungsrichters bedient, oder ob es diese Beweise - soferne sie nach Art und Umfang dazu geeignet sind - in der Hauptverhandlung selbst aufnimmt, liegt gleichermaßen wie der Vertagungsbeschluß selbst im pflichtgemäßen Ermessen des erkennenden Gerichts. Dieses (bzw. dessen Vorsitzender) bleibt auch nach Rückleitung der Akten an den Untersuchungsrichter mit Rücksicht auf den formellen Fortbestand der Anklage - unbeschadet der dem Ankläger gemäß § 227 StPO zustehenden Befugnisse - Herr des Verfahrens. Der Untersuchungsrichter hat zwar bei seiner ergänzenden Ermittlungstätigkeit alle sonst für ihn geltenden Vorschriften, insbesondere des Haftrechtes, zu beachten, ist aber in diesem Fall nicht wie in der Voruntersuchung selbständiges Untersuchungsorgan (§ 96 StPO), sondern insoweit Hilfsorgan des erkennenden Gerichtes und daher an dessen Ersuchen gebunden, sofern die beantragten Untersuchungshandlungen nach den für seinen Bereich geltenden gesetzlichen Bestimmungen zulässig sind (EvBl. 1964/177). Daraus folgt, daß in einem solchen üblicherweise als Rückleitungsbeschluß bezeichneten Ersuchen jene dem erkennenden Gericht noch notwendig erscheinenden Untersuchungshandlungen gezielt nach Beweismittel und Beweisthema unter Hinweis auf neue bzw. bisher nicht beachtete Verfahrensergebnisse zu präzisieren sind, um solcherart den Umfang des Auftrages eindeutig abzugrenzen.

Im vorliegenden Fall läßt sich zwar - entgegen der von der Generalprokuratur zur Begründung ihrer Beschwerde in erster Linie vorgetragenen Argumentation - aus der Formulierung der Zielrichtung des Rückleitungsbeschlusses allein ('zur genauen Klärung, welche Fakten A und B gesetzt haben') eine gesetzwidrige überschreitung des im § 276 StPO dem Gerichtshof eingeräumten Ermessens noch nicht ableiten, dient doch jede Untersuchungshandlung, sei es im eigentlichen Vorverfahren, sei es im Rahmen einer Vervollständigung der Voruntersuchung (§§ 224 Abs. 1, 276 StPO) letztlich der - wenn auch nur vorläufigen und erst durch das erkennende Gericht zu überprüfenden - 'genauen Klärung' des Tatvorwurfes, sodaß deshalb von einer unzulässigen Kompetenzabwälzung noch nicht gesprochen werden könnte, weshalb insoweit die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen wurde. Entscheidend ist, daß der Schöffensenat es vorliegendenfalls unterlassen hat, sein Ersuchen im oben gemeinten Sinne zu präzisieren, es vielmehr bei der allgemeinen und nichtssagenden Floskel bewenden ließ, das gewünschte Ergebnis durch 'Beiziehung sämtlicher in die polizeilichen Ermittlungen eingeschalteter Polizeibeamten' herbeizuführen, mithin gleichsam eine Wiederholung der polizeilichen Erhebungen anordnete, ohne neue Anhaltspunkte für eine voraussichtlich bessere Aufklärung des Sachverhalts gewonnen oder dargetan zu haben, als sie von der Polizei in ihrem Abschlußbericht vom 13. Dezember 1984 (S 275/I) ohnedies bereits dargelegt worden sind.

Der in Rede stehende Rückleitungsbeschluß war somit als gesetzwidrig festzustellen. Da jedoch der Untersuchungsrichter mittlerweile den an ihn ergangenen (eingeschränkten - vgl. Antrags- und Verfügungsbogen S 3 qu verso und 3 r) Aufträgen entsprochen und die neuerliche übermittlung der Akten an den Vorsitzenden bereits verfügt hat (Antrags- und Verfügungsbogen S 3 s verso), erübrigte sich insoweit die von der Generalprokuratur beantragte Anordnung einer konkreten Maßnahme.

Zuzustimmen ist der Generalprokuratur weiters, daß durch einen Beschluß auf Rückleitung der Akten an den Untersuchungsrichter nach Verhandlungsbeginn gemäß § 276 StPO die Hauptverhandlung jedenfalls ohne (absehbare) Fortsetzungsmöglichkeit beendet wird und daher in einem solchen Fall eine weitere Untersuchungshaft nur unter den Bedingungen Platz greifen kann, daß die gesetzlichen Haftfristen (allenfalls nach Verlängerung durch den Gerichtshof zweiter Instanz) noch nicht abgelaufen sind, mithin die zeitliche Beschränkung der Untersuchungshaft nach Rückleitung der Akten an den Untersuchungsrichter wieder auflebt (EvBl. 1985/73). Dies gilt - der Auffassung des Oberlandesgerichtes Wien in seinem Zurückweisungsbeschluß vom 13. Juni 1985 zuwider - ausnahmslos, begreift doch eine vom erkennenden Gericht als notwendig erachtete Vervollständigung der Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter im Sinne des § 276 StPO denknotwendig den Wiedereintritt des Verfahrens in jenes Stadium der Ermittlungen in sich, welches zumindest in Ansehung der Haftbefristung dem der Voruntersuchung gleichzuhalten ist. Dies unabhängig davon, in welchem Ausmaß das 'wesentliche Substrat der Anklageschrift (durch die notwendig gewordenen Untersuchungshandlungen) in Zweifel gezogen' worden ist; genug daran, daß das Schöffengericht die Ergänzung der Untersuchung in einem solchen Umfange für erforderlich hält, daß es diese selbst vorzunehmen für nicht zweckentsprechend erachtet. Eine dem Oberlandesgericht Wien offenbar vorschwebende Differenzierung je nach tatsächlicher Beeinträchtigung des - jedenfalls nach wie vor als dringend postulierten (Eingang § 180 Abs. 1 StPO) - Tatverdachtes (allenfalls nur in Teilbereichen des Anklagevorwurfes) wäre zudem nicht praktikabel und würde den Intentionen des Gesetzes zuwider dazu führen, daß es je nach Beurteilung des Fortbestandes der graduellen Dringlichkeit des Tatverdachtes im Ermessen des Untersuchungsrichters (des Vorsitzenden) gelegen wäre, die Akten gemäß § 193 Abs. 4 StPO dem Gerichtshof zweiter Instanz vorzulegen oder nicht. Ein solches Unterscheidungskriterium widerspräche der grade im Haftrecht in besonderem Maß gebotenen Rechtssicherheit. Es ist daher ausschließlich auf den einwandfrei determinierbaren Formalakt der Rückleitung an den Untersuchungsrichter abzustellen. Das Oberlandesgericht Wien hätte somit bei formal aufrechtem Bestand des Rückleitungsbeschlusses über den Antrag des Vorsitzenden auf Verlängerung der höchstzulässigen Dauer der Untersuchungshaft meritorisch entscheiden müssen. Dieser Verpflichtung wäre es nur dann ledig gewesen, wenn es in Wahrung seines Aufsichtsrechtes über die Wirksamkeit der ihm unterstellten Strafgerichte - auch aus dem Gesichtspunkt einer tunlichsten Abkürzung der Haftdauer (vgl. die auch von der Generalprokuratur zutreffend herangezogene Bestimmung des § 193 Abs. 1 StPO) - gemäß § 15 StPO dem Schöffengericht die Fortsetzung der Hauptverhandlung aufgetragen hätte, handelt es sich doch bei der Entscheidung, ob überhaupt die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 276 StPO vorliegen und, bejahendenfalls, ob eine vom erkennenden Gericht für notwendig erachtete neue Untersuchungshandlung durch es selbst oder durch den Untersuchungsrichter (in Form einer Rückleitung) erfolgen soll, um eine der Rechtskraft nicht fähige, bloß prozeßleitende Verfügung, auf die dem Gerichtshof zweiter Instanz zur Vermeidung von ungerechtfertigten Verzögerungen eine Einflußnahme zusteht (vgl. Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , E Nr 20 bis 24, 27 und 42 zu § 15). Somit verletzt der Zurückweisungsbeschluß des Oberlandesgerichtes Wien zum Nachteil der Angeklagten das Gesetz in der Bestimmung des § 193 Abs. 4 und Abs. 5 StPO, dem daher aufzutragen war, die meritorische Entscheidung über den Verlängerungsantrag des Vorsitzenden nachzuholen.

Anmerkung

E06593

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0100OS00098.85.0910.000

Dokumentnummer

JJT_19850910_OGH0002_0100OS00098_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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