Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred A, Kaufmann, Bahnhofstraße 24, 8054 Graz, vertreten durch Dr.Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien
1.) Helmut B, Mechanikergeselle, Hauptstraße 39, 8141 Unterpremstätten, 2.) Margareta B, Hausfrau, ebendort,
3.) C D E, Brandstätte 7-9, 1010 Wien,
alle vertreten durch Dr.Bernd Fritsch, Dr.Hans-Peter Benischke und Dr.Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, 4.) Günther F, Angestellter, Dietrichsteinplatz 6 a, 8010 Graz, 5.) G H, D E, Hoher Markt 10-11, 1010 Wien, beide
vertreten durch Dr.Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 74.218,44 s.A., infolge der Revision der viert- und fünftbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14.Mai 1985, GZ 1 R 73/85-44, womit infolge Berufung der viert- und fünftbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 8.Februar 1985, GZ 10 Cg 128/84-39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung, soweit sie die viert- und fünftbeklagten Parteien betrifft, zu lauten hat:
'Die viert- und fünftbeklagte Partei sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger zur ungeteilten Hand mit den erst- bis drittbeklagten Parteien den Betrag von S 37.109,22 samt 4 % Zinsen seit 6.4.1984 zu bezahlen.
Das Mehrbegehren von S 37.109,22 samt Zinsen wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz werden hinsichtlich der viert- und fünftbeklagten Parteien gegeneinander aufgehoben.'
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden ebenfalls gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 17.Jänner 1984 ereignete sich um etwa 18,50 Uhr in Graz im Bereich der Kreuzung, die von der Idlhofgasse und der Zufahrt zur Lazarettgasse gebildet wird, ein Verkehrsunfall. Der Kläger lenkte seinen PKW durch die Lazarettgasse, bog nach links in die Zufahrtsstraße ein und von dieser nach rechts in die Idlhofgasse (in Fortsetzung der Idlhofgasse über die Zufahrtsstraße hinaus befindet sich eine Verkehrsfläche, die Autobussen vorbehalten ist). Vom Kläger aus gesehen am rechten Fahrbahnrand der Idlhofgasse hatte der Viertbeklagte seinen bei der Fünftbeklagten haftpflichtversicherten PKW abgestellt, und zwar reichte dieses Fahrzeug bis zum Scheitelpunkt der abgerundeten Gehsteigecke Idlhofgasse-Zufahrtsstraße. Aus der Idlhofgasse kam der PKW der Zweitbeklagten, der vom Erstbeklagten gelenkt wurde und bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert war. Der Erstbeklagte fuhr mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 65 km/h und hielt zur Bordsteinkante der 10 m breiten Fahrbahn der Idlhofgasse einen Seitenabstand von rund 3 m ein, was einem Seitenabstand von etwa einem Meter zu den rechts geparkten Fahrzeugen entspricht. Als er den von links kommenden PKW des Klägers wahrnahm, wollte er nach rechts lenken, nahm davon aber Abstand, weil von rechts aus einer Hauszufahrt ein PKW kam. Der Erstbeklagte nahm eine Vollbremsung vor, wobei es auch noch zu einem Auslenkmanöver kam. Auch der Kläger, der eine Geschwindigkeit von 21 km/h einhielt, reagierte auf das Auftauchen des vom Erstbeklagten gelenkten PKWs mit einer Vollbremsung und brachte sein Fahrzeug noch vor der Kollision zum Stillstand. Im Moment des Zusammenstoßes befand sich das Fahrzeug des Klägers rund 55 cm über der Leitlinie in der Fahrbahn des Erstbeklagten, während sich der von diesem gelenkte PKW, der noch eine Geschwindigkeit von ca 35 km/h hatte, nur mit der linken hinteren Ecke links der Leitlinie befand. Im Moment der Kollision befand sich das Heck des Fahrzeuges des Klägers noch auf dem Schutzweg. Dieser Schutzweg verlief von der abgerundeten Gehsteigecke diagonal zur gegenüberliegenden Gehsteigecke, der PKW des Klägers befand sich im Moment der Kollision noch teilweise vor der verlängert gedachten Gehsteigkante und noch zur Gänze vor der Häuserfluchtlinie der Zufahrtstraße (dies ergibt sich aus der graphischen Darstellung des Sachverständigen ON 19, AS 87, die laut Ersturteil als gerichtliche Tatsachenfeststellung zu gelten hat). Hätte der Kläger keine Vollbremsung vorgenommen, wäre der PKW nicht nach links abgetragen worden und hätte innerhalb seiner rechten Fahrbahnhälfte in die Idlhofgasse einbiegen können. Insofern hätte der PKW des Viertbeklagten kein Hindernis bedeutet. Der Abstand zwischen dem PKW des Viertbeklagten und jenem des Klägers betrug in der Anstoßposition einen Meter. Eine Sichtbehinderung im Verhältnis zwischen Kläger und Erstbeklagtem war durch den abgestellten PKW nicht gegeben. Wäre dieser PKW aber nicht an der Gehsteigecke gestanden, wäre es dem Kläger möglich gewesen, eine Fahrlinie einzuhalten, die im Bereich der Anstoßstelle um mindestens einen halben Meter weiter rechts verlaufen wäre, wodurch die Kollision vermieden worden wäre. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles vom Strafgericht rechtskräftig schuldig erkannt, eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit eingehalten und gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen zu haben.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage von allen fünf Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz seines Schadens von S 74.418,44 samt Zinsen mit der Begründung, der Erstbeklagte habe eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und sei nicht am rechten Fahrbahnrand gefahren, der Viertbeklagte habe verkehrswidrig geparkt. Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Hinsichtlich des Verschuldens des Erstbeklagten verwies es auf das Strafurteil. Ein Mitverschulden des Klägers sei zu verneinen, weil er ohne die durch das Fehlverhalten des Erstbeklagten ausgelöste Vollbremsung nicht über die Leitlinie geraten wäre. Der Viertbeklagte habe gegen § 24 Abs 1 lit b StVO verstoßen, was für den Schaden auch kausal gewesen sei, weil ohne das parkende Fahrzeug es dem Kläger möglich gewesen wäre, weiter rechts zu fahren. Dieses Ersturteil wurde nur von der viert- und fünftbeklagten Partei mit Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es führte aus, der Erstbeklagte habe sich gegenüber dem Kläger im Rechtsvorrang befunden, wobei sich der Rechtsvorrang auf die gesamte Kreuzung beziehe. Die rechte Hand-Regel könne allerdings nicht verletzt werden, wenn das im Vorrang befindliche Fahrzeug noch nicht sichtbar sei. Der Kläger habe das Ansichtigwerden des Fahrzeuges des Erstbeklagten zum Anlaß einer Vollbremsung genommen. Durch die dadurch verursachte weitgehende Lenkunfähigkeit seines PKWs habe er keine Möglichkeit gehabt, dem von rechts kommenden Fahrzeug den Vorrang zu gewähren. Ein Mitverschulden des Klägers am Zustandekommen des Unfalles könne somit nicht erblickt werden. Zur Haftung der viert- und fünftbeklagten Partei vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, der übergangsbereich zwischen der Idlhofgasse, der Busspur und der Zufahrt zur Lazarettgasse sei eine Kreuzung von Fahrbahnen. Der Viertbeklagte habe daher gegen § 24 Abs 1 lit d StVO verstoßen, somit gegen eine Schutznorm, die der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs diene und das Einbiegen anderer Fahrzeuge erleichtern solle. Der beim Einbiegen von Fahrzeugen eintretende Schaden liege innerhalb des Schutzzweckes dieser Norm. Es wäre daher Sache der Viert- und Fünftbeklagten gewesen zu beweisen, daß der Schaden auch ohne übertretung der Schutznorm eingetreten wäre.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zulässig sei, zumal weil die maßgeblichen Rechtsfragen bereits umfangreiche Behandlung erfahren hätten. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der viert- und fünftbeklagten Parteien. Sie stellen den Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß ihnen gegenüber das Klagebegehren abgewiesen werde. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweiwen, bzw ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Urteil des Berufungsgerichtes - entgegen dessen Ansicht - der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht entspricht; sie ist auch teilweise berechtigt.
Die Revisionswerber führen aus, dem Kläger sei eine Verletzung des Rechtsvorranges anzulasten, weshalb ein Schadensausgleich zwischen ihm und dem Erstbeklagten im Verhältnis 3 : 1 angemessen sei. Bei der Beurteilung einer allfälligen Mitverschuldenskomponente durch die Wahl der Abstellposition durch den Viertbeklagten komme eine quotenmäßige Haftung wegen Vernachlässigbarkeit nicht zum Tragen. Eine Sichtbehinderung habe durch das abgestellte Fahrzeug nicht bestanden, der Viertbeklagte habe die Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs nicht gefährdet, eine Kausalität seines Fehlverhaltens liege nicht vor.
Hiezu ist folgendes zu erwägen:
Wie auch das Berufungsgericht erkannte, ereignete sich der Unfall auf einer Kreuzung, der Erstbeklagte befand sich gegenüber dem Kläger im Rechtsvorrang. Richtig ist, daß die Vorrangbestimmungen die Wahrnehmbarkeit des anderen Fahrzeuges voraussetzen (ZVR 1973/125 uva). Dies gilt aber nur für den Fall, daß es dem Wartepflichtigen auch bei gehöriger Vorsicht und Aufmerksamkeit nicht möglich ist, das andere Fahrzeug wahrzunehmen (ZVR 1980/210, ZVR 1984/135 uva), nicht aber dann, wenn das Nichtwahrnehmen auf ein Fehlverhalten des Wartepflichtigen zurückzuführen ist (ZVR 1981/200, ZVR 1983/331, ZVR 1984/135 ua). Der Kläger hätte als Wartepflichtiger mit einem von rechts kommenden Verkehr rechnen müssen und wäre verpflichtet gewesen, seine Fahrweise darauf einzustellen, damit er einem von rechts kommenden Fahrzeuglenker den Vorrang einräumen kann. Er hat dies aber nicht getan, sondern fuhr mit einer Geschwindigkeit von 21 km/h in die Kreuzung ein, um dort nach rechts einzubiegen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß von rechts ein Fahrzeug kommen kann. Wohl hat er bei Ansichtigwerden des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges sofort gebremst, doch war ihm die Wahrung des Vorranges zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Das Fehlverhalten des Klägers besteht daher darin, daß er mit einer Geschwindigkeit in die Kreuzung einfuhr, die es ihm nicht erlaubte, bei Ansichtigwerden eines von rechts kommenden Fahrzeuges seiner Wartepflicht nachzukommen. Dem Kläger ist somit eine Verletzung des Rechtsvorranges anzulasten. Aber auch den Viertbeklagten trifft ein Verschulden. Er hat gegen § 24 Abs 1 lit d StVO verstoßen. Diese Norm dient nicht nur der Flüssigkeit, sondern auch der Sicherheit des Verkehrs (ZVR 1971/73, ZVR 1981/115 und 118 ua). Die Sicherheit des Verkehrs wird durch jede Einschränkung der Verkehrsfläche des Kreuzungsbereiches beeinträchtigt (ZVR 1981/115; 8 Ob 272/81). Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verstoß des Viertbeklagten gegen die Vorschrift des § 24 Abs 1 lit d StVO und dem Schadenseintritt ist daher zu bejahen, ebenso die Kausalität, weil die viert- und fünftbeklagten Parteien nicht nachgewiesen haben, daß der Schaden auch eingetreten wäre, wenn sich der Viertbeklagte vorschriftsgemäß verhalten hätte. Das Verschulden des Viertbeklagten wiegt allerdings wesentlich geringer, als das des Klägers und des Erstbeklagten, es kann aber doch nicht vernachlässigt werden, zumal weil es sich um einen besonders krassen Verstoß gegen § 24 Abs 1 lit d StVO handelte, da nicht etwa nur ein zu geringer Abstand zum Schnittpunkt der Fahrbahnränder bestand, sondern das Fahrzeug direkt an diesem Schnittpunkt abgestellt war. Dem in einer Vorrangverletzung bestehenden Verschulden des Klägers kommt aber größeres Gewicht zu als jenem des Erstbeklagten, dem eine überhöhte Geschwindigkeit und eine Verletzung des Rechtsfahrgebotes anzulasten ist.
Gegenüber den Erst- bis Drittbeklagten hat der Kläger zwar auf Grund der Rechtskraft des Ersturteils Anspruch auf vollen Schadenersatz, dies ist jedoch gegenüber den viert- und fünftbeklagten Parteien nicht bindend (ZVR 1978/207). Im Hinblick darauf, daß mehrere Haftpflichtige, die unabhängig voneinander eine Bedingung für den eingetretenen Erfolg gesetzt haben, in Anspruch genommen wurden, ist die Methode der Gesamtschau anzuwenden (ZVR 1978/207). Zwischen Kläger, Erstbeklagtem und Viertbeklagtem ist eine Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 2 : 1 gerechtfertigt. Der Kläger hat daher - wenn man den rechtskräftigen Teil des Ersturteiles außer Acht läßt - Anspruch auf Ersatz der Hälfte seines Schadens, wobei gemäß § 1302 ABGB beide Schädiger solidarisch haften. Daher sind die viert- und die fünftbeklagte Partei verpflichtet, dem Kläger die Hälfte seines Schadens, allerdings zur ungeteilten Hand mit den übrigen Beklagten, zu ersetzen. Der Revision war daher dahin teilweise Folge zu geben, daß dem Kläger gegenüber viert- und fünftbeklagter Partei nur die Hälfte seines Schadens zugesprochen, die andere Hälfte aber abgewiesen wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.
Anmerkung
E06502European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0020OB00042.85.0910.000Dokumentnummer
JJT_19850910_OGH0002_0020OB00042_8500000_000