TE OGH 1985/9/10 4Ob86/85

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Veröffentlicht am 10.09.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl und Dr.Resch sowie die Beisitzer Mag.Karl Dirschmied und Herbert Bauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef A, Transportunternehmer in Pöllau, Herrengasse 20 a, vertreten durch Dr.Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Josef B, Kraftfahrer, Pöllau, Rabenwald 21, vertreten durch Dr.Gerald Carli, Rechtsanwalt in Hartberg, wegen restl. S 35.000 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 19. Februar 1985, GZ 2 Cg 13/84-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Hartberg vom 12. Jänner 1984, GZ Cr 65/83-11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.069,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer und S 240,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte war vom März 1983 bis 31.7.1983 als Kraftfahrer im Transportunternehmen des Klägers beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis hatte der Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe Österreichs Anwendung zu finden. Das Dienstverhältnis endete durch Kündigung seitens des Beklagten. Am 23.4.1983 verschuldete der Beklagte einen Verkehrsunfall. Ein von ihm gelenkter LKW-Zug kippte bei Heilbronn über eine Böschung, weil der Beklagte eingeschlafen war. Durch den Unfall erlitt der Kläger einen Schaden von S 280.036,--. Hievon macht er mit der vorliegenden Klage nur S 90.000,-- geltend.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, sein Einschlafen sei die Folge einer übergroßen, dem Kollektivvertrag widersprechenden Belastung in der Woche vor dem Unfall gewesen und stelle daher eine entschuldbare Fehlleistung dar. Gegenforderungen sind nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhaltes die Auffassung, das zum Unfall führende Verhalten des Beklagten stelle nur eine entschuldbare Fehlleistung dar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und sprach aus, daß die Forderung des Klägers mit S 35.000,-- zu Recht, die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, und der Beklagte daher schuldig sei, dem Kläger S 35.000,-- sA zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 55.000,-- sA wies es ab. Das Berufungsgericht verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Im April 1983 stellte der Kläger fünf Transportfahrzeuge gegen Entgelt einer Firma C zur Verfügung. Der Beklagte hatte vom Kläger die Weisung, Aufträge der Firma C oder anderer Speditionsfirmen so auszuführen, als wären es Aufträge des Klägers. Der Unfall ereignete sich am Samstag, dem 23.4.1983 um 2 Uhr früh im Bereich des Autobahnkreuzes Weinsberg bei Heilbronn mit einem 38 t schweren, mit einer Schlafkabine ausgestatteten Sattelzug, mit dem der Kläger allein unterwegs war. In der Woche, die diesem Samstag vorausging, waren die Transportaufträge in zeitlicher und räumlicher Hinsicht so erstellt, daß es dem Beklagten größtenteils unmöglich war, die kollektivvertraglichen, gesetzlichen und internationalen Normen über Lenkzeiten und Lenkpausen sowie über Einsatz und Ruhezeiten einzuhalten. Am Montag, dem 18.4.1983 war der Beklagte mit nur 3 einstündigen Lenkpausen 15 Stunden im Einsatz. Nach bloß achtstündiger Ruhe betrug die Einsatzzeit am Tag darauf 17 Stunden, worin etwa 3 Stunden Entladezeit, 2 Stunden Beladezeit und eine einstündige Lenkpause enthalten waren. Nach wieder achtstündiger Ruhe folgte abermals eine 15-stündige Einsatzzeit mit nur einer einstündigen Pause.

Die Fahrt unmittelbar vor dem Unfall trat der Beklagte am Donnerstag, dem 21.4.1983 gegen 10 Uhr an. Er hatte telefonisch von der Firma C den Auftrag erhalten, den Sattelschlepper in Gratkorn mit Zellstoff beladen zu lassen und die Fracht bis 7 Uhr des nächsten Tages nach Güdingen bei Saarbrücken zu befördern. Er traf nach etwa einstündiger Fahrt in Gratkorn ein, ließ seinen Sattelzug beladen und begab sich um etwa 14 Uhr auf die ca.840 km lange Fahrt nach Güdingen, wo er am 22.4.1983 gegen 8 Uhr 30 eintraf, nachdem er die Nacht - abgesehen von einer etwa zweistündigen Lenkpause - im wesentlichen durchgefahren war. Nach telefonischer Rückfrage bei der Firma C nahm der Beklagte den Auftrag entgegen, nach Gondrange bei Thionville weiterzufahren, den Sattelschlepper mit Draht beladen zu lassen und die Fracht bis Montag, dem 25.4.1983 gegen 6 Uhr zum Zollamt in Leoben zu bringen. Nach Passieren der deutsch-französischen Grenze bei Saarbrücken am Freitag, dem 22.4.1983 um 11 Uhr, gelangte der Beklagte nach etwa dreistündiger Fahrzeit nach Gondrange, hatte dort unter anderem zum Abladen und Beladen etwa 5 Stunden Aufenthalt und trat um 19 Uhr die über 900 km lange Rückfahrt nach Leoben an. Er beabsichtigte, dort noch vor Inkrafttreten des Wochenend-LKW-Fahrverbotes, also vor 15 Uhr des 23.4.1983 einzutreffen. Da auf Autobahnen nur mit einer durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeit von 60 km/h und auf Bundesstraßen mit einer solchen von 50 km/h gerechnet werden kann, wäre das nur möglich gewesen, wenn der Beklagte wiederum die Nacht durchgefahren wäre. Bei Mannheim, wohin der Beklagte gegen 24 Uhr gelangte, machte er nur eine halbstündige Pause, wonach es im Bereich des Autobahnkreuzes Weinsberg bei Heilbronn gegen 2 Uhr des 23.4.1983 zum vorliegenden Unfall kam. Der Beklagte schlief dort beim Lenken ein, kam von der Autobahn ab und, geriet über die Böschung, worauf sein Fahrzeug über die rechte Flanke kippte und schwer beschädigt liegen blieb. Der Beklagte hätte um seinen Arbeitsplatz fürchten müssen, wenn er Transportaufträge abgelehnt hätte. Es wäre dem Beklagten aber möglich gewesen, unmittelbar vor dem Unfall, etwa im Bereich Mannheim, so lange zu schlafen, daß es mit größter Wahrscheinlichkeit nicht zum Unfall gekommen wäre. Er hätte dabei dennoch seinen Auftrag erfüllen und am Montag im wesentlichen rechtzeitig in Leoben sein können. Er hätte nämlich selbst bei Einhaltung einer etwa achtstündigen Ruhezeit in Mannheim die rund 480 km bis zur Staatsgrenze bis etwa 17 Uhr zurücklegen und die ca.230 km lange Strecke von der Staatsgrenze bis Leoben am Montag bewältigen können. Durch ein Wochenendfahrverbot in der Bundesrepublik Deutschland war der Beklagte dabei nicht behindert, zur Zeit des Unfalls war der Beklagte ledig und hatte keine Sorgepflichten. Sein Monatslohn betrug ohne überstunden knapp mehr als S 8.000,--, einschließlich überstunden in den Monaten März, April, Mai und Juli um S 10.000,-- netto und im Juni 1983 S 7.547,-- netto. Dazu erhielt er Spesen zwischen S 6.500,-- und S 7.500,-- ersetzt. Der zu Schaden gekommene LKW-Zug war nicht kaskoversichert. Mit dessen Lenkung hatte sich der Beklagte etwa 14 Tage vor dem Unfall vertraut machen können. Besonders eingeschult war er hiefür nicht.

Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, dem Beklagten sei grobes Verschulden anzulasten, weil er die Fernfahrt im übermüdeten Zustand fortgesetzt habe. Es habe keine Notwendigkeit bestanden, auch die zweite Nacht durchzufahren, ohne sich am Tage davor hinreichend auszuschlafen. Den Auftraggeber des Beklagten treffe jedoch ein gleichteiliges Mitverschulden, weil schon nach den zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten der Transportaufträge klar gewesen sei, daß der Beklagte Ruhezeiten und Lenkpausen nicht in jenem Ausmaß würde konsumieren können, wie das der Kollektivertrag, das Arbeitszeitgesetz und die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Normen - im wesentlichen EWG-Verordnungen - vorsehen. Sowohl die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland als auch jene in Österreich orientiere sich am D, BGBl. Nr.518/1975, also an einem internationalen übereinkommen, das für beide Staaten gelte. Für das Mitverschulden des Auftraggebers müsse der Kläger zufolge seiner Vertragsbeziehungen zum Beklagten nach § 1313 a ABGB einstehen, weil er die Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Beklagten der Firma C überlassen habe. Die verbleibende Ersatzpflicht des Beklagten sei gemäß § 2 Abs 2 E zu mäßigen. Dabei falle ins Gewicht, daß das Lenken eines schweren Sattelzuges eine schadensgeneigte Tätigkeit darstelle, deren Risiko mit einem Monatsentgelt von knapp mehr als S 8.000,-- brutto auch nicht annähernd abgegolten erscheine, zumal das Fahrzeug nicht kaskoversichert gewesen sei und der Beklagte die Fahrt ohne Beifahrer habe unternehmen müssen. Auch die verhältnismäßig geringe Möglichkeit des Beklagten, sich vor dem Unfall speziell in der Lenkung eines solchen Fahrzeuges einzuarbeiten, falle ins Gewicht. Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung erscheine auch seine Sorge um den Arbeitsplatz für den Fall verständlich, daß er die Aufträge der Firma C abgelehnt oder nur unzureichend erfüllt hätte. Unter diesen Umständen sei eine Mäßigung der Ersatzpflicht des Beklagten, die sich ohne eine solche mit rund S 140.000,-- errechnen würde, auf rund 1/4 dieser Summe, somit auf S 35.000,-- angemessen.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteiles richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Anträgen, das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen oder das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte wendet sich ausschließlich gegen die Beurteilung seines Verhaltens als grobe Fahrlässigkeit und vertritt weiterhin die Ansicht, es liege nur eine entschuldbare Fehlleistung vor. Dem kann nicht beigepflichtet werden.

Die für ein Schadensereignis kausale übermüdung eines Kraftfahrers beruht dann auf grober Fahrlässigkeit, wenn der Kraftfahrer die Unglücksfahrt antritt oder fortsetzt, obgleich im bewußt ist oder bewußt sein muß, daß er infolge seiner übermüdung die erforderliche Fahrtüchtigkeit nicht aufweist (Arb.10.064; ZVR 1980/331 mwN). Dieser Fall liegt hier vor. Der Beklagte setzte am 23.4.1983 auch nach Mitternacht die Fahrt fort, obwohl er seit 21.4.1983, 10 Uhr, unterwegs war, die Nacht vom 21.4. auf den 22.4.1983 durchgefahren war und auch am 22.4.1983 keine genügende Möglichkeit hatte, sich auszuschlafen, betrug doch der Aufenthalt in Gondrange nur etwa 5 Stunden. Dem Beklagten mußte unter diesen Umständen bewußt sein, daß er bei Fortsetzung der Fahrt in stark übermüdetem Zustand die erforderliche Fahrtüchtigkeit nicht aufwies. Wenn er dessen ungeachtet die Fahrt fortsetzte, stellte dieses Verhalten eine grobe Fahrlässigkeit dar. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die in den Tagen vor dem Unfall erhaltenen Transportaufträge dem Beklagten keine annähernd ausreichende Möglichkeit gaben, sich auszuruhen. Daß der Beklagte vor Antritt der Fahrt die Firma C telefonisch darauf hingewiesen habe, daß er ausgelaugt sei, wurde vom Berufungsgericht nicht festgestellt. Es kann dahingestellt bleiben, ob immer dann, wenn ein Unfall auch auf die dem Arbeitgeber erkennbare übermäßige Beanspruchung des um seinen Arbeitsplatz besorgten Kraftfahrers zurückzuführen ist, den Arbeitgeber nur ein gleichteiliges Mitverschulden am Unfall angelastet werden kann. Insoweit kommt es auf die näheren Umstände des Einzelfalles an. Im vorliegenden Fall muß aber berücksichtigt werden, daß es dem Kläger nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichtes möglich gewesen wäre, Leoben zeitgerecht zu erreichen, selbst wenn er in der Nacht vom 22.4. auf den 23.4.1983 ausreichend geschlafen hätte. Wenn der Beklagte in diesem Zusammenhang erstmals in der Revision vorbringt, ihm sei nicht bekannt gewesen, daß in der Bundesrepublik Deutschland kein Fahrverbot an Samstagen bestanden hat, ändert dies nichts an seinem groben Verschulden. Er hätte in seinem durch übermüdung besonders unfallgefährdeten Zustand die lange, noch zu bewältigende Fahrt selbst dann nicht fortsetzen dürfen, wenn dadurch die zeitgerechte Erfüllung des Transportauftrages nicht möglich gewesen wäre. überdies mußte es ihm, wenn ihm darüber tatsächlich nichts bekannt gewesen sein sollte, mit großer Leichtigkeit möglich gewesen sein, sich auch während der Fahrt darüber zu informieren, ob in der Bundesrepublik Deutschland an Samstagen ein Fahrverbot besteht. Unter diesen besonderen Umständen erscheint die Annahme eines gleichteiligen Mitverschuldens berechtigt.

Daß aber unter der Annahme einer groben Fahrlässigkeit die vom Berufungsgericht vorgenommene Mäßigung auf ein Viertel des zurechenbaren Schadens zu gering sei, wird in der Revision nicht behauptet. Diesbezüglich kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E06400

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00086.85.0910.000

Dokumentnummer

JJT_19850910_OGH0002_0040OB00086_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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