Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Petrasch, sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Wurz und Dr. Egermann als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) Annemarie G*****, vertreten durch Dr. Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und 2.) Georg S*****, vertreten durch Dr. Dieter Havranek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die jeweils beklagte Partei Josefine S*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Watzke, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unwirksamkeit eines Testaments und Erbvertrags (Streitwert je 200.000 S), infolge der Revisionen aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichts vom 11. Juli 1984, GZ 4 R 111, 112/84-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 30. April 1984, GZ 23 C 62/84-5, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben, wohl aber den Revisionen der klagenden Parteien:
Das angefochtene Urteil wird im bestätigenden Teil bestätigt und im abändernden Teil dahin abgeändert, dass das Ersturteil in der Hauptsache zur Gänze und im Kostenspruch betreffend die zweitklagende Partei wiederhergestellt wird.
Im Kostenpunkt betreffend die erstklagende Partei hat das Ersturteil zu lauten:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei die mit 9.140,50 S bestimmten Prozesskosten (darin 610,-- S Barauslagen und 775,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der erstklagenden Partei die mit 22.176,98 S (darin 2.008 S Barauslagen und 1.833,54 S USt) und der zweitklagenden Partei die mit 22.458,15 S (darin 2.640 S Barauslagen und 1.801,65 S USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 2. 12. 1943 schloss Peter S***** mit seiner ersten Ehefrau Ottilie einen Ehe- und Erbvertrag, womit die Eheleute ihre Liegenschaften EZ ***** und ***** KG ***** in eine allgemeine Gütergemeinschaft einbrachten, sich wechselseitig als Alleinerben einsetzten und verpflichteten, ihr ganzes, also das eigene und das vom vorverstorbenen Ehegatten erhaltene Vermögen ihrer Adoptivtochter, der nunmehrigen Beklagten, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder von Todes wegen ins Eigentum zu überlassen. über das vom Ehe- und Erbvertrag ausgenommene Vermögensviertel errichteten Peter und Ottilie S***** am selben Tag ein gemeinschaftliches Testament, mit welchem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und bestimmten, dass die im Ehe- und Erbvertrag festgesetzte Überlassungsverpflichtung zugunsten der Beklagten auch für das vom Erbvertrag ausgenommene Vermögensviertel gelte.
Ottilie S***** verstarb am 27. 3. 1944. Ihr Nachlass wurde aufgrund des Erbvertrags und gemeinschaftlichen Testaments dem Witwer Peter S*****, beschränkt durch die Nacherbschaft der Beklagten, eingeantwortet. Aus einer zweiten Ehe des Peter S***** stammen die beiden Kläger und ein weiteres Kind Christian, das jedoch im vorliegenden Rechtsstreit keine Ansprüche geltend macht. Am 24. 2. 1981 starb Peter S***** ohne Hinterlassung einer weiteren letztwilligen Verfügung. Die Erbansprüche auf das ihm von Ottilie S***** hinterlassene Vermögen sind durch die rechtskräftige Einantwortung der Hälften der beiden Liegenschaften an die beklagte Partei als Nacherbin erledigt. Im vorliegenden Rechtsstreit machen die Kläger ein gesetzliches Erbrecht zu je einem Viertel der zweiten Hälfte des Nachlasses ihres Vaters mit der Begründung geltend, dass sie als nachgeborene Kinder übergangen worden seien und dass ihnen daher nach den §§ 762 ff und 777 ABGB nicht bloß der Pflichtteil, sondern die gesetzliche Erbquote zustehe.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Er folgte auf der Grundlage des unstrittigen Sachverhalts der Rechtsansicht der Kläger und vertrat weiters die Meinung, der Beklagten komme ein vertragliches Anwartschaftsrecht aus dem Erbvertrag nicht zu, weil auf die Begünstigung eines Dritten Testamentsrecht anzuwenden sei; und es rechtfertige weder das behauptete Herrühren des größeren Vermögenswerts von der ersten Frau noch die lange Zeit zwischen der Geburt der Kinder aus der zweiten Ehe und dem Tod des Erblassers die Annahme, dass dieser auch bei Kenntnis der Zeugung weiterer Kinder die gleichen letztwilligen Verfügungen getroffen hätte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil im Ausspruch der Unwirksamkeit des Testaments des Peter S***** vom 2. 12. 1943 und der Zuerkennung eines gesetzlichen Erbrechts der Kläger zu je einem Achtel des Nachlasses (also in Ansehung der in die Gütergemeinschaft eingebrachten Liegenschaften zu je einem Sechzehntel), änderte es aber im Übrigen im Sinne einer Abweisung des Mehrbegehrens, auch den Erbvertrag für ungültig zu erklären und den Klägern ein weiteres Erbrecht zu je einem Achtel zuzuerkennen, ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat, 15.000 S und der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat, 60.000 S, insgesamt aber nicht 300.000 S übersteigt, und erklärte die Revision in beiden Teilen für zulässig.
Das Berufungsgericht folgte der Rechtsansicht des Erstrichters, wonach das Testament vom 2. 12. 1943 den Klägern gegenüber aus dem Grunde des § 777 ABGB unwirksam sei, weil das bloße Verstreichen einer langen Zeit zwischen der Geburt der Kläger und dem Ableben des Erblassers noch keineswegs den Schluss zulasse, dass er die Vereinbarung zugunsten der Beklagten habe aufrechterhalten wollen. Damit sei der Nachweis noch nicht erbracht worden, dass die Verfügung des Erblassers auch bei Kenntnis der nachfolgenden Sachlage getroffen worden wäre. Die im Erbvertrag getroffene Verfügung zugunsten der Beklagten stelle hingegen eine Veräußerungsauflage vor, die wie eine auflösende Bedingung wirke und nach der Annahme durch den anderen Ehegatten einen einseitig unwiderruflichen Vertrag zugunsten Dritter nach § 881 ABGB darstelle. über die Zulässigkeit einer solchen Anordnung seien sich Rechtsprechung und Lehre einig.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt, wohl aber die Revision der Kläger.
Die Streitwertaussprüche des Berufungsgerichts entsprechen zwar insoweit nicht ganz dem Gesetz, als sie nicht auch noch für jeden der verbundenen Ansprüche gesondert erfolgten und der Ausspruch über einen Streitwert von insgesamt nicht über 300.000 S nur im Zusammenhang mit dem Ausspruch über den Streitwert des bestätigenden Teils des Berufungsurteils erfolgte. Aus der Zulässigerklärung der Revision in beiden Teilen ergibt sich aber mit hinreichender Deutlichkeit die Absicht des Berufungsgerichts, den Streitwert jedes Teilanspruchs mit über 15.000 S bzw über 60.000 S und den Gesamtstreitwert jeder Klage mit nicht über 300.000 S zu bestimmen.
Zur Berufung der Beklagten:
Auszugehen ist von der unstrittigen Tatsache, dass der Erbvertrag aus dem Jahre 1943 in Entsprechung des § 1253 ABGB nur über drei Viertel des Nachlasses der damaligen Ehegatten abgeschlossen wurde, sowie von der ebenfalls unstrittigen Rechtslage nach § 777 ABGB, wonach den nach dem Gesetz erbberechtigten nachgeborenen Kindern aus der zweiten Ehe des Erblassers, also den Klägern, ein gleiches Erbrecht wie dem am mindesten begünstigten Noterben (der Beklagten) zukommt, soferne der Beklagten nicht der Beweis gelingt, dass der Erblasser seine seinerzeitige Verfügung auch bei Kenntnis des wahren Sachverhalts, nämlich der späteren Geburt weiterer Kinder, getroffen hätte.
Die Revisionswerberin hält an ihrer Rechtsansicht fest, dass allein der lange Zeitablauf zwischen der Geburt der Kinder aus der zweiten Ehe und dem Ableben des Erblassers den zwingenden Schluss auf eine solche Absicht zulasse. Zu dieser Frage gibt es noch keine Rechtsprechung; sie ist aber mit dem Berufungsgericht zu verneinen. Stillschweigen gilt schon allgemein nur unter besonderen Verhältnissen als Zustimmung (SZ 37/119 uva). Dies muss umso mehr hier gelten, weil der Grundgedanke der §§ 777 f ABGB darauf beruht, dass der Erblasser sein irrtümlich übergangenes Kind seinen übrigen Kindern in der Regel nicht nachsetzen will (JBl 1975, 427 mit Hinweis auf Ent, ÖJZ 1972, 277). Nur eine absichtliche Übergehung soll also dem nicht bedachten Kind schaden. Die Bestimmung dient zugleich dem Schutz des Erblassers vor einer unerwünschten Bindung an eine ohne vollen Bedacht auf seine (spätere) Nachkommenschaft abgegebene Erklärung (SZ 56/64). In der bloßen Unterlassung einer neuen letztwilligen Verfügung nach der Geburt seiner Kinder aus der zweiten Ehe selbst durch viele Jahre kann aus beiden Schutzzwecken kein zwingender Schluss auf eine Absicht des Erblassers abgeleitet werden, diese Kinder zu benachteiligen. Mindestens gleich schwer wiegt das Gegenargument, dass der Erblasser auf den Schutz dieser Kinder durch das Gesetz vertrauen konnte.
Der weiteren Rechtsansicht der Revisionswerberin, schon die im Erbvertrag und gemeinschaftlichen Testament eingegangene Bindung des Erblassers stehe jeder Berücksichtigung der nachgeborenen Kinder entgegen, weil im Zeitpunkte des Todes ihres Vaters gar kein Nachlassvermögen mehr vorhanden gewesen sei, kann nicht gefolgt werden. Der Erblasser hatte bis zu seinem Tode keine rechtsgeschäftliche Verfügung zugunsten der Beklagten getroffen. Er war dazu auch nicht verpflichtet, weil ihm eine entsprechende Zuwendung auch durch ein Rechtsgeschäft von Todes wegen eingeräumt war. Dazu hätte auch ein Testament gehört (Welser in Rummel, ABGB, Rz 1 zu §§ 552, 553). Darüber hinaus lag im Umfang des freien Viertels (§ 1253 ABGB) des nicht aus der Verlassenschaft nach seiner ersten Frau abgeleiteten Vermögens des Erblassers nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichts schon ursprünglich bloß ein (wechselseitiges) Testament des Vaters der Streitteile vor, das den Rechten der in der Folge übergangenen nachgeborenen Kinder nach § 777 ABGB keineswegs einen Abbruch tun konnte. Hinsichtlich dieses Teils des Nachlasses des Erblassers besteht keine andere Bindung wie sonst durch ein Testament. Diesem gegenüber gilt aber das Gleichstellungsgebot des § 777 ABGB. Daran kann auch das seinerzeit einverleibte Veräußerungs- und Belastungsverbot mit der Beschränkung des Erblassers auf die Rechte eines Fruchtnießers nichts ändern, weil ein solches Verbot nach § 364c ABGB nur den ersten Eigentümer, nicht aber seine Erben oder sonstigen Rechtsnachfolger verpflichtet. Umso weniger wurde durch die Grundbuchseintragung die Erbfolge berührt.
Die Rechtsrüge der Beklagten ist schließlich auch insofern verfehlt, als sie meint, dass den beiden Klägern nur je ein Viertel (Zahl der Kinder) des vom Testament betroffenen Viertels des Nachlasses, also nur je ein Sechzehntel und damit von den nur zur Hälfte in den Nachlass fallenden Liegenschaften nur je ein Zweiunddreißigstel gebühre. Der Erblasser hatte zur Erfüllung der Auflage des Erbvertrags zugunsten der Beklagten keine Verfügung unter Lebenden getroffen. Die Revisionswerberin kann deshalb nicht besser gestellt werden, als wenn der Erblasser im Sinne der ihm eingeräumten Wahlmöglichkeit ein Testament zu ihren Gunsten errichtet hätte. Ein solches Testament konnte aber den Nachlass (in der Höhe des halben Vermögens) nicht schmälern. Andererseits haben die ungewollt übergangenen Kinder nach § 777 ABGB den gleichen Erbteil zu erhalten, der für den am mindesten begünstigten Noterben (also hier für die Beklagte selbst) ausfällt. Da der gesetzliche Erbteil der Revisionswerberin nur ein Viertel des Nachlasses ausmacht und sie dieses Viertel infolge der Beschränkung des Klagebegehrens der Kläger auf je ein weiteres Viertel des Nachlasses ohnehin erhält, kommt eine weitere Schmälerung der Rechte der Kläger jedenfalls nicht in Betracht.
Zur Revision der Kläger:
Diese Revisionswerber wenden sich mit Recht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach die vom nunmehrigen Erblasser als zunächst überlebendem Ehegatten im Erbvertrag mit seiner ersten Frau übernommene „Veräußerungsauflage“ als Vertrag zugunsten Dritter zulässig und einseitig unwiderruflich sei. Wohl vertritt Weiss in Klang2 V 912 f diese Ansicht (ebenso Tiefenthaller, NZ 1949, 158; schon die von Weiss zitierte Entscheidung ZBl 1932/114 wertet die Auflage einer letztwilligen Verfügung hingegen als widerruflich). Nach der herrschenden Lehre und Rechtsprechung sind aber die in einem Erbvertrag auf den Todesfall getroffenen Verfügungen zugunsten eines Dritten frei widerruflich (SZ 23/339 ua), weil Erbverträge zugunsten Dritter dem österreichischen Recht überhaupt fremd sind (SZ 31/21 ua, bes 4 Ob 653/71 unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Ansicht von Gschnitzer in Klang2 IV/1, 234 und Weiss aaO 906). Diese Rechtsprechung wird auch in der Lehre überwiegend gebilligt (s Petrasch in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 1249 mwN; zuletzt Koziol-Welser, Grundriß7 II 321; aA allerdings nun auch Kralik in Ehrenzweig3 , Erbrecht 156 ohne neue Arg).
Über diese grundsätzliche Erwägung hinaus fällt auch hier zu Lasten der Beklagten ins Gewicht, dass der Erblasser tatsächlich keine Vermögensveräußerung unter Lebenden vorgenommen hatte. Der Erbvertrag als solcher konnte aber die Rechte der übrigen Noterben gemäß § 1254 ABGB nicht schmälern. (Die Entscheidung EvBl 1959/156, nach der ein vertraglich begründetes Besitznachfolgerecht den Versprechenden meist den Übernehmer einer Liegenschaft oder den Geschenknehmer derart binde, dass die betreffende Liegenschaft gar nicht mehr in den Nachlass falle, betraf keinen Fall eines Erbvertrags und auch nicht einen Fall der wahlweise aufgetragenen Errichtung einer letztwilligen Verfügung.)
Damit fallen auch die restlichen drei Viertel des nicht schon durch die fideikommissarische Substitution erledigten halben Nachlasses entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ohne eine erbvertragliche Bindung in die Verlassenschaft. Die Beklagte muss sich ungeachtet der seinerzeitigen Zuwendungszusage des Erblassers auch hinsichtlich dieser restlichen drei Viertel des Nachlasses der Gleichstellung aller Kinder nach § 777 ABGB unterwerfen. Ihr kommt auch in diesem Umfang kein vertragliches Sonderrecht zu, sondern nur die Rechte aus einer letztwilligen Verfügung, aus der sie aber nicht besser gestellt werden darf als die übergangenen anderen Noterben. Das Ersturteil war demnach im vollen Umfang wiederherzustellen. Aus Anlass der Wiederherstellung des Ersturteils war auf den Kostenrekurs der Kläger gegen das Ersturteil Bedacht zu nehmen. Diesem Rechtsmittel kam Berechtigung zu, weil bei gesonderter Vertretung mehrerer Parteien jede von ihnen auf die vollen Kosten ihres Vertreters und nicht nur auf dessen Substitutionsauslagen auch für jene Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung Anspruch hat, bei der ein Rechtsvertreter durch den anderen substituiert war. Bemessungsgrundlage ist in diesem Fall, wie im Rekurs begehrt, für jede Partei der Streitwert des eigenen Anspruchs.
Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens (einschließlich der Kosten des Kostenrekurses nach TP 3 A 5b) beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Bemessungsgrundlage für die Schriftsätze der Kläger im Rechtsmittelverfahren sind jeweils nur ihre eigenen Ansprüche.
Textnummer
E119008European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00692.840.0912.000Im RIS seit
18.08.2017Zuletzt aktualisiert am
18.08.2017