TE OGH 1985/9/18 9Os123/85

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Veröffentlicht am 18.09.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.September 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hardegg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin A wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Graz als Jugendschöffengericht vom 15.Juni 1985, GZ 3 a Vr 534/84-29; nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, der Vertreterin des Jugendamtes Voitsberg, Ursula Eggert und des Verteidigers Dr. Gnesda, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Martin A wird von der weiteren Anklage, er habe es am 17. Jänner 1984 in Köflach vorsätzlich unterlassen, Gustav B, dessen Verletzung am Körper (§ 83 StGB) er durch Versetzen mehrerer Faustschläge verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten, indem er sich vom Tatort entfernte und um den Genannten nicht kümmerte und er habe hiedurch das Vergehen des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gemäß § 13 Abs. 1 JGG 1961 wird der Ausspruch und die Vollstreckung der über ihn wegen des (laut Urteil vom 25. September 1984, ON 15, verbleibenden Schuldspruchs wegen des) Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von 3 (drei) Jahren vorläufig aufgeschoben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 11.Dezember 1967 geborene Martin A, der im ersten Rechtsgang rechtskräftig des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt worden war (ON 15), im zweiten Rechtsgang auch des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Insoweit liegt ihm zur Last, es am 17.Jänner 1984 in Köflach vorsätzlich unterlassen zu haben, Gustav B, dessen Verletzung am Körper (§ 83 StGB) er durch Versetzen mehrerer Faustschläge verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten, indem er sich vom Tatort entfernte und um Gustav B nicht kümmerte. Diesen Schuldspruch (im ersten Rechtsgang war der Angeklagte vom Anklagevorwurf des Vergehens nach § 94 Abs. 1 StGB freigesprochen worden, wogegen die Staatsanwaltschaft erfolgreich Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen hatte; !vgl ON 20 des erstgerichtlichen Aktes ) bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der er behauptet, er sei entschuldigt, weil ihm nach Lage des Falles 'Hilfeleistung nur unter Verletzung anderer überwiegender Interessen' möglich gewesen wäre (§ 94 Abs. 3 zweiter Satz letzter Fall StGB). Infolge seines jugendlichen Alters, seiner körperlichen Unterlegenheit gegenüber dem Verletzten, seiner mittelgradigen Alkoholisierung, seiner Erregung 'über die Provokation durch B' und die daraus resultierende tätliche Auseinandersetzung sowie auf Grund des Umstandes, daß er vom Zeugen Hubert C vom Tatort 'weggezerrt' und in das Zimmer seiner Mutter gesperrt worden war, sei er weder physisch in der Lage gewesen, seiner Hilfeleistungspflicht nachzukommen, noch sei ihm eine solche psychisch zuzumuten gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der die Fragen einerseits nach der tatsächlichen Möglichkeit einer Hilfeleistung durch den Verursacher einer Körperverletzung als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung und andererseits nach der Zumutbarkeit der Hilfeleistung als Schuldelement (vgl Kienapfel, BT I 2 , RN 40, 41, 44 zu § 94 und derselbe im Strafrecht, Allgemeiner Teil Z 28 RN 5 und 6; Leukauf-Steininger, StGB 2 , RN 12 zu § 94) vermengenden Beschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Denn nach den entscheidungswesentlichen Feststellungen wurde der zur Tatzeit mittelgradig alkoholisierte und erregte Beschwerdeführer vom Zeugen Hubert C wegen seines aggressiven Verhaltens, das weitere Attacken gegen das verwundet am Boden liegende Opfer befürchten ließ, noch während der Tätlichkeiten von B weggezerrt und in der Folge - um eine nochmalige Auseinandersetzung zu verhindern (AS 122, 123, 128) - unter Mithilfe des Wolfgang A, eines Bruders des Angeklagten, in ein Zimmer des Gasthofes D gesperrt, vor dem sich die Tat ereignet hatte. Solcherart war er objektiv gegen seinen Willen an der Rückkehr zum Tatort verhindert, sodaß eine - in der Regel dort zu

treffende - Entscheidung darüber, ob er helfen wollte oder nicht, für ihn gar nicht aktuell war. Wegen der deswegen unterbliebenen Hilfeleistung kann ihm, wie das Erstgericht an sich richtig erkannte, der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens nicht gemacht werden. Daß der Angeklagte in der Folge zu einer Zeit, als der Verletzte noch hilflos an dem in unmittelbarer Nähe befindlichen Tatort verweilte, seine Dispositionsmöglichkeit wieder erlangte und danach beschloß, dem B die erforderliche Hilfe zu verweigern, wurde - mangels entsprechender Verfahrensergebnisse, die eine solche Annahme gerechtfertigt erscheinen ließen - im Urteil nicht festgestellt. Derartige Konstatierungen sind nach Lage des Falles auch bei einem nochmaligen Rechtsgang nicht zu erwarten. Insoweit stellte das Erstgericht in den Entscheidungsgründen lediglich theoretische Erörterungen darüber an, was der Angeklagte hätte machen können, wenn er sich 'nach einer gewissen Zeit' beruhigt hätte und von seinem Bruder und dem Zeugen C aus der Wohnung gelassen worden wäre bzw wenn er allenfalls die Letztgenannten um Hilfe für sein Opfer gebeten hätte. Derartige Hypothesen aber, die genau besehen zudem den Problemkreis einer dem Angeklagten eventuell unterlaufenen Fahrlässigkeit betreffen, stellen keine geeignete Grundlage für einen wegen eines Vorsatzdeliktes zu fällenden Schuldspruch dar. Es war sohin mit einem Freispruch vorzugehen. In Ansehung des bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB erachtete der Oberste Gerichtshof - von den tatrichterlichen Strafzumessungsgründen ausgehend - die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 JGG 1961 für gegeben und eine Probezeit von drei Jahren für angemessen. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Anmerkung

E06435

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0090OS00123.85.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19850918_OGH0002_0090OS00123_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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