Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Karl Haas, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1.) J*****, und 2.) D*****-AG, *****, beide vertreten durch Dr. Walter Franek, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen S 521.000,- und Feststellung (S 10.000.-) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. April 1985, GZ 15 R 48/85-15, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 7. Dezember 1984, GZ 6 Cg 312/84-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit S 18.746,57 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 1.200.- und die USt. von S 1.595,19) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrte von den beiden Beklagten ein Schmerzengeld von S 500.000.-, weitere S 20.000.- für Besuche seiner Angehörigen im Krankenhaus und den Ersatz für Kleiderschäden von S 1.000.- somit insgesamt S 521.000.- s.A. Außerdem stellte er ein entsprechendes Feststellungsbegehren für zukünftige Schäden. Er habe am 26. 6. 1981 als Beifahrer des, ebenso wie er, bei der Firma B***** GesmbH & Co. KG in S***** beschäftigten und einen LKW dieses Unternehmens lenkenden Erstbeklagten bei einem von diesem verschuldeten Verkehrsunfall schwere Verletzungen davongetragen. Die Zweitbeklagte sei als Haftpflichtversicherer des Erstbeklagten haftbar.
Die Beklagten bestritten die Klageforderung dem Grunde und (mit Ausnahme des Kleiderschadens) auch der Höhe nach und wandten ein, daß dem Erstbeklagten als LKW-Lenker gegenüber dem Kläger als seinem Beifahrer die Stellung eines Aufsehers im Betrieb (§ 333 Abs. 4 ASVG) zukomme, der für die Folgen dieses nicht vorsätzlich herbeigeführten Arbeitsunfalls daher auch nicht haftbar gemacht werden könne.
Das Erstgericht erkannte mit Teilzwischenurteil, daß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren von S 521.000.- s.A. abwies.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz dahin abzuändern, daß jenes des Erstgerichtes wiederhergestellt wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Über Auftrag der B***** GesmbH & Co. KG lenkte der Erstbeklagte am 26. 6. 1981 einen dieser gehörigen und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten LKW mit Terrazzoplatten von S***** zu einer W***** Baustelle der genannten Gesellschaft, für welche Fahrt dem Erstbeklagten der Kläger als Beifahrer zugeteilt worden war. Die Ladepapiere hatte an diesem Tag der Kläger aus der Kanzlei der Gesellschaft abgeholt. Feste Regeln bestanden dafür bei der B***** GesmbH & Co. KG jedoch nicht, sondern wurden diese Papiere jeweils von dem geholt, der gerade dazu Zeit hatte.
Seitens der Gesellschaft bestanden keinerlei allgemeine Anordnungen über die Beziehungen von LKW-Lenkern und Beifahrern. Die Wahl der jeweiligen Fahrtroute und die Einteilung von Pausen stand jedoch ausschließlich im Ermessen des jeweils eingeteilten LKW-Fahrers, der der Gesellschaft auch für die Einhaltung einer optimalen Fahrtroute und die ordnungsgemäße Ablieferung der Fracht sowie die Rückkehr in angemessener Zeit verantwortlich war.
Die einzige Aufgabe des Klägers bei dieser – und auch bei sonstigen Fahrten, für die er von der Gesellschaft als LKW-Beifahrer eingeteilt war – bestand darin, daß er am Zielort die Bordwände zu öffnen und dann den den Autokran bedienenden Erstbeklagten für den Fall, als dieser keine freie Sicht auf den ihm vom jeweiligen Baustellenpolier angewiesenen – oder sonst von ihm selbst ausgesuchten – Abstellplatz für die in Paletten transportierten Baumaterialien hatte, mit dem Kran anzuweisen und nach erfolgter Abstellung der Paletten die Bordwände wieder zu schließen.
Nachdem dem Kläger der Empfang der Fracht vom Baustellenpolier ordnungsgemäß bestätigt worden war, wurde die Rückfahrt angetreten. Nach einer kurzen Rast am Autobahnparkplatz B***** kam es bei der Ausfahrt dadurch, daß der Erstbeklagte einen vor ihm fahrenden LKW-Zug übersah, zu einem Zusammenstoß mit diesem, wobei der Kläger leichte Verletzungen davontrug. Über den Erstbeklagten wurde wegen Vergehens der fahrlässigen leichten Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB rechtskräftig eine Geldstrafe von S 2.240.- verhängt.
Irgendwelche besonderen Aufträge wurden dem Kläger vom Erstbeklagten anläßlich dieser Fahrt nicht erteilt, wäre es dabei allerdings zu einer Panne gekommen, dann hätte der Kläger dem Erstbeklagten entsprechend dessen Weisungen zwecks der Behebung der Panne an die Hand gehen müssen.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Erstbeklagte lediglich den Wirkungskreis eines gewöhnlichen Kfz-Lenkers gehabt habe, dem es trotz seiner beschränkten Verantwortung für die Bedienung und Pflege des Wagens und für das Beladen mit Gütern an einer eigenen Verantwortung für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte fehlte. Der Umstand, daß der Erstbeklagte lediglich für den – konkret gar nicht aktuell gewordenen – Fall einer Panne des LKW befugt gewesen wäre, dem Kläger Anweisungen zu geben, mache ihn noch nicht zu dessen Vorgesetzten; vielmehr sei von einer Gleichstellung beider Arbeitnehmer auszugehen.
Das Berufungsgericht vertrat hingegen die Auffassung, daß es für die Annahme der Aufsehereigenschaft bei einer derartigen Zweimannpartie schon ausreiche, wenn einer auch nur bei einer bestimmten ihm aufgetragenen Arbeit entscheidungsbefugt ist. Von einer Gleichrangigkeit werde dann nicht mehr gesprochen, wenn einer entscheiden konnte, wer jeweils das Fahrzeug zu lenken hat. Eben dies sei aber die Befugnis des Erstbeklagten gewesen, welcher über die jeweilige Fahrtroute und die Einteilung der Pausen zu bestimmen hatte. Den Beklagten komme daher der Haftungsausschluß des § 333 Abs. 4 ASVG zugute.
Demgegenüber stellt sich der Kläger in der Revision auf den Standpunkt des Erstgerichtes. Seiner Argumentation kann jedoch nicht gefolgt werden:
Bei Beurteilung der Frage, ob der Erstbeklagte im Unfallszeitpunkt Aufseher im Betrieb war, kommt es nach ständiger Rechtsprechung (SZ 26/215; ZVR 1972/203, Arb. 8919, 2 Ob 328/84; 8 Ob 251/78 uva) vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Bei Beförderung von Personen ist zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber noch darüber hinausgehende Befugnisse und Pflichten hatte (ZVR 1974/59; SZ 51/128; 4 Ob 51/84 ua). Ein Arbeitnehmer, der einen im gleichen Betrieb tätigen Kollegen im eigenen Kraftwagen in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm diese Beförderung vom gemeinsamen Arbeitgeber aufgetragen worden wäre, führt diese Fahrt nicht im Rahmen des Betriebes und nicht in Erfüllung seiner Dienstpflicht aus. Er ist nur ein „gewöhnlicher“ Kraftwagenlenker und als solcher nicht Aufseher im Betrieb im Sinn des § 333 Abs. 4 ASVG. Einer solchen, auf reiner Gefälligkeit beruhenden Mitnahme von Arbeitskollegen im eigenen PKW kann aber die auf einer Anordnung der zuständigen Stelle der Betriebsleitung beruhende Beförderung von Betriebsangehörigen an einen bestimmten Arbeitsplatz nicht ohne weiteres gleichgehalten werden. Wer einen solchen Auftrag seines Dienstgebers befolgt, hat einen, wenn auch beschränkten Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszweckes dienen, hinsichtlich der beförderten Betriebsangehörigen eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen und ist damit „Aufseher im Betrieb“. Maßgebend ist, daß der beförderte Arbeitskollege hier nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben mitgenommen wird (SZ 23/266; Arb. 8660; ZVR 1974/97; 2 Ob 218/81; 4 Ob 51/84 uza).
Im konkreten Fall hatte der Erstbeklagte im Auftrag seines Arbeitgebers gemeinsam mit dem ihm zu diesem Zweck als Beifahrer beigegebenen Kläger Baumaterialien zu transportieren und diese am Bestimmungsort auch gemeinsam abzuladen. Im Falle einer Panne hatte der Kläger die Verpflichtung, dem Erstbeklagten entsprechend seinen Weisungen an die Hand zu gehen. Der Erstbeklagte bestimmte die Fahrtroute und war für die ordnungsgemäße Ablieferung der Fracht sowie die Rückkehr in angemessener Zeit verantwortlich. Diese Umstände zeigen deutlich, daß er den Kläger nicht bloß gefälligkeitshalber, sondern als von dem gemeinsamen Arbeitgeber zur Erzielung des optimalen Arbeitszweckes beigestellten Beifahrer mitnahm. Die gemeinsame Fahrt diente auch hinsichtlich dieses Betriebsangehörigen einer zweckgebundenen Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation. Der Erstbeklagte wurde daher vom Berufungsgericht zutreffend als Aufseher im Betrieb gegenüber dem Kläger angesehen. Die von der Judikatur zu diesem Themenkreis entwickelten Grundsätze treffen auf ihn voll zu.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E06692European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00054.850.0918.000Im RIS seit
26.09.1995Zuletzt aktualisiert am
26.09.2019