Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23.September 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Schneider, Dr. Friedrich und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Wolf als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Richard A und andere wegen des Verbrechens der Notzucht nach dem § 201 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten Richard A sowie über die Berufung des Angeklagten Karl B gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 29.Mai 1985, GZ. 5 Vr 4.155/83-95, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Bassler, des Angeklagten Karl B und der Verteidiger Dr. Herbert Eichenseder und Dr. Hans Schreiber, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Richard A zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen der beiden Angeklagten wird Folge gegeben und die über Richard A verhängte Strafe auf 6 1/2 (sechseinhalb) Jahre und die über Karl B verhängte Strafe unter Bedachtnahme gemäß den §§ 31, 40 StGB auf die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 1.Dezember 1983, AZ 5 E Vr 3.610/83, und des Bezirksgerichtes Feldbach vom 11.Jänner 1984, AZ U 1.519/83, auf 17 (siebzehn) Monate und 25 (fünfundzwanzig) Tage herabgesetzt. Gemäß dem § 390 a StPO fallen den Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, in allen Punkten auf dem einstimmigen Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurden der am 8. Jänner 1957 geborene Landarbeiter Richard A und der am 20. Juli 1960 geborene Gelegenheitsarbeiter Karl B des Verbrechens der Notzucht nach dem § 201 Abs. 1 StGB, bei A qualifiziert nach dem 2. Deliktsfall des Abs. 2, B als Beteiligter nach § 12 StGB (A I und B I), A weiters des Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB (A II), des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB (A III), des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB (A IV) und des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs. 1 StGB (A V) schuldig erkannt. Karl B wurde überdies wegen des Verbrechens der Schändung nach dem § 205 Abs. 1 StGB verurteilt. Darnach mißbrauchte Richard A in der Zeit zwischen Juli und Herbst 1983 in Paldau die schwachsinnige Edith C, nachdem er ihren Widerstand mit Gewalt oder gefährlicher Drohung gebrochen hatte, wiederholt zum außerehelichen Beischlaf, wobei die Tat eine Schwangerschaft zur Folge hatte (A I 1 und 2). In einem Fall unterstützte ihn Karl B bei der überwältigung des Opfers (B I in Verbindung mit A I 1). In der Folge nötigte A sein Opfer zur Abstandnahme von einer Anzeigeerstattung (A II), widersetzte sich nach Aufkommen der Taten am 22.November 1983 mit Gewalt seiner Festnahme (A IV) und nötigte schon im Sommer 1982 Waltraud D zum außerehelichen Beischlaf (A V). Karl B liegt überdies zur Last, Ende Juli 1983 Edith C, die wegen ihres Schwachsinns sich der Bedeutung eines Geschlechtsverkehrs nicht bewußt war, in Kenntnis dieses Umstands zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht zu haben (B II). Nur den Schuldspruch wegen Diebstahls (A III) bekämpft der Angeklagte Richard A unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach dem § 345 Abs. 1 Z 6 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde. Den Strafausspruch fechten die beiden Angeklagten mit Berufung an.
Nach dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die an sie im Sinn des Anklagevorwurfes gestellte Hauptfrage III in Richtung des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB uneingeschränkt und einstimmig bejaht hatten, liegt A zur Last, im Sommer 1983 in Paldau der Edith C eine Halskette mit Anhänger sowie eine Armbanduhr mit Gliederband im Wert von zusammen 700 S mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Gegen diesen Schuldspruch wendet der Beschwerdeführer ein, aus der Aussage der Zeugin Edith C und den Angaben des Mitangeklagten Karl B ergebe sich, daß er Edith C die Halskette mit Anhänger sowie die Armbanduhr mit Gliederband nicht mit Bereicherungsvorsatz, sondern deshalb weggenommen habe, um sie stärker an sich zu binden. Demgemäß wäre aber eine Eventualfrage nach dem Vergehen der dauernden Sachentziehung zu stellen gewesen.
Dem Vorbringen ist folgendes entgegenzuhalten:
Rechtliche Beurteilung
Voraussetzung für die Stellung von Eventualfragen nach dem § 314 Abs. 1 StPO an die Geschwornen ist, daß in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Ein Vorbringen von Tatsachen im Sinn des § 314 Abs. 1 StPO ist dann anzunehmen, wenn in der Hauptverhandlung - wenn auch nur vom Angeklagten - Umstände vorgebracht wurden, durch die, sollten sie zutreffen, die Annahme dieser Tatsachen in den nahen Bereich der Möglichkeit rückt, mit denen sich sonach, wenn eine dem Schöffengericht zur Beurteilung zugewiesene Handlung vorläge, das Urteil im Sinn der Bestimmungen des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO auseinandersetzen müßte. Nicht schon abstrakt denkbare Möglichkeiten, sondern nur ein tatsächliches Verfahrensergebnis kann die Grundlage einer Eventualfrage sein, weil die Fragestellung an die Geschwornen dazu dient, den Tatbestand, der sich aus der Anklage und dem Verfahren ergibt, zu präzisieren, nicht aber dazu, über allfällige Mutmaßungen einen Wahrspruch einzuholen, der seinem Wesen nach einer Tatsachenfeststellung gleichkäme, für die eine entsprechende Feststellungsgrundlage fehlt (SSt. 44/29; EvBl. 1980/222; LSK 1984/100 zu § 313 StPO).
Vorliegend ergaben sich aber weder aus den Einlassungen des Angeklagten noch sonst im Verfahren dem Beschwerdevorbringen zuwider Anhaltspunkte dafür, daß der Beschwerdeführer der Edith C die in Rede stehenden Gegenstände allenfalls ohne den im § 127 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Bereicherungsvorsatz weggenommen habe. Der Angeklagte stellte nämlich die Sachwegnahme schlechthin in Abrede (S 424; 327/328). Der (geständige) Mitangeklagte Karl B gab dazu nur an, daß ihm der Beschwerdeführer zuhause zwei Schmuckstücke zeigte, die er Edith C weggenommen hatte (S 118; 427). Edith C deponierte in der Hauptverhandlung, daß ihr der Beschwerdeführer 'das Ketterl und die Uhr weggenommen hat' (S 434). Angesichts dieser die subjektive Tatseite nicht tangierenden Verfahrensergebnisse mangelt es daher an einem tatsächlichen Vorbringen, das - gegenüber der Tathergangsschilderung in der Hauptfrage III - (im Sinn des Beschwerdevorbringens) eine andere Beurteilung der juristischen Gestaltung der Tat zumindest für möglich erscheinen lassen und die vom Beschwerdeführer angestrebte Fragestellung in Richtung dauernder Sachentziehung indiziert hätte. Durch die Unterlassung der Stellung der reklamierten Eventualfrage nach dem Vergehen der dauernden Sachentziehung wurden sohin die Vorschriften über die Fragestellung nicht verletzt, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war. Das Schöffengericht verhängte über Richard A nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs. 2 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und wies ihn gemäß dem § 21 Abs. 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Karl B wurde gemäß den §§ 201 Abs. 1, 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Bei der Strafbemessung waren erschwerend bei A das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen und die Vorstrafen, bei B das Zusammentreffen zweier Verbrechen und die Vorstrafe, während bei A mildernd nur der Umstand war, daß es im Faktum A IV beim Versuch blieb, bei B aber sein Geständnis und daß er unter Einfluß des A handelte.
Mit ihren Berufungen streben die beiden Angeklagten die Herabsetzung der über sie verhängten Freiheitsstrafen an. Richard A ist zuzugeben, daß sich seine Vorstrafen
überwiegend auf Vermögensdelikte beschränken, sodaß sie nur zu dem (bei der Strafzumessung nicht besonders ins Gewicht fallenden) Diebstahl einschlägig sind. Allerdings ist - entgegen den Rechtsmittelausführungen - nicht zu übersehen, daß es sich bei A um einen von Jugend auf aggressiven und daher
dementsprechend gefährlichen Menschen handelt (Gutachten ON 22, 31, 72), der auch schon einmal einschlägig auffällig wurde (Strafakt 8 E Vr 2.776/77 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) und der auch bei den nunmehr abgeurteilten Taten seinen charakterbedingten Hang zur Gewalttätigkeit nicht nur gegen ein schwachsinniges Mädchen, sondern auch gegen die einschreitenden Gendarmeriebeamten auslebte. Der Oberste Gerichtshof vermeinte jedoch im Hinblick auf die erstmalige massive Delinquenz, die nach ihrem Aufkommen zur sofortigen Verhaftung des Täters führte, auch unter Bedachtnahme auf die Wiederholung der Notzuchtshandlungen und das Zusammentreffen mehrerer, teilweise ebenfalls gewichtiger strafbarer Handlungen doch noch mit der aus dem Spruch ersichtlichen, im unteren Bereich des von fünf bis fünfzehn Jahren reichenden Strafrahmens liegenden Unrechtsfolge das Auslangen finden zu können. Dies auch deshalb, weil der besonderen Gefährlichkeit des Täters (§ 32 Abs. 3 StGB) zufolge seiner hochgradigen geistigen Abartigkeit durch die Einweisung in die Anstalt nach § 21 Abs. 2 StGB Rechnung getragen wurde. Dies eröffnet einerseits die Möglichkeit der Unterbringung auf unbestimmte Zeit (§ 25 Abs. 1 StGB), verpflichtet aber andererseits das Gericht, jährlich von Amts wegen zu prüfen, ob eine weitere Unterbringung noch erforderlich ist, ob eine überstellung in den (nachfolgenden) Strafvollzug stattzufinden hat oder aber ob (unter Anrechnung der Zeit der Anhaltung) eine bedingte Entlassung möglich ist (§§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 3 StGB), sodaß die tatsächliche Dauer des Freiheitsentzuges letztlich vom Erfolg des Maßnahmenvollzuges abhängig sein wird.
Hinsichtlich des Zweitangeklagten B ist zunächst
festzuhalten, daß die Vorstrafe wegen § 133 StGB zu den Sittlichkeitsdelikten nicht einschlägig ist und damit auch nicht erschwerend sein kann (§§ 33 Z 2, 71 StGB). Allerdings irrt der Berufungswerber, wenn er meint, daß ihm die Einwilligung des schwachsinnigen Mädchens in den Geschlechtsverkehr (B II) als mildernd anzurechnen sei, weil ja gerade die mangelnde Kritik- und Handlungsfähigkeit der Frau den kriminalpolitischen Schutzzweck des § 205 StGB darstellt. Wenngleich dem Berufungswerber auch zum Nachteil gereicht, daß auch er (ohne Zutun AS) das Mädchen mißbrauchte, kommt ihm doch zugute, daß er das (mit höherer Strafe bedrohte) Verbrechen der Notzucht unter der dominierenden Einwirkung des Erstangeklagten beging und seine Taten während des Verfahrens nicht beschönigte, sodaß bei gehöriger Gewichtung dieser Milderungsgründe eine Strafreduzierung angebracht erscheint. Hiezu kommt noch, daß nunmehr im Berufungsverfahren auf die beiden im Spruch genannten - auch schon zum Zeitpunkt des Urteiles erster Instanz rechtskräftigen, aber noch nicht
aktenkundigen - einer gemeinsamen Aburteilung zugänglich gewesenen (§ 56 StPO) Urteile gemäß dem § 31 StGB Bedacht zu nehmen war. Bei der Prüfung, welche Strafe bei gemeinsamer Aburteilung aller dieser Straftaten zu verhängen gewesen wäre (§ 40 StGB), erwog der Oberste Gerichtshof, daß es sich um eher geringe Delikte, die auf einer anderen schädlichen Neigung beruhen, handelte, sodaß eine Gesamtstrafe von 2 1/4 Jahre (27 Monate) angemessen wäre. Zieht man von dieser Strafe die mit den beiden genannten Urteilen verhängten Strafen (70 Tagessätze oder 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe und 8 Monate Freiheitsstrafe bedingt, die allerdings gemäß § 55 Abs. 1 StGB zu widerrufen sein wird) ab, gelangt man zu dem aus dem Spruch ersichtlichen, nunmehr als Zusatzstrafe anzusehenden Strafausmaß.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E06452European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00123.85.0923.000Dokumentnummer
JJT_19850923_OGH0002_0110OS00123_8500000_000