Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Waltraud A, Bedienerin, München, Heimeraustraße 61/5 bei Josef B, vertreten durch Dr. Josef Heis, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Johann A, technischer Zeichner, Bernau, a.Ch., Baumannstraße 81, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Oswin Bakay, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 7. August 1985, GZ 1 R 192/85-25, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17. Dezember 1984, GZ 16 Cg 349/84-9, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird stattgegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, über die Berufung des Beklagten unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden.
Die Rekurskosten sind Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Das Prozeßgericht erster Instanz sprach in Stattgebung des von der Ehefrau erhobenen Klagebegehrens sowie eines vom Beklagten gestellten Mitschuldantrages die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden beider Teile aus. Das Erstgericht hatte dem Beklagten die Verfahrenshilfe bewilligt, seinen Antrag auf vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes aber abgewiesen. Eine Ausfertigung des Scheidungsurteiles wurde dem Beklagten im Wege der Strafvollzugsanstalt, in der er damals eine Strafe verbüßte, am 16. Januar 1985 zugestellt.
Am 13. Februar 1985, somit am 28. Tag nach der erfolgten Zustellung der Urteilsausfertigung, brachte der Beklagte, der zu dieser Zeit in einer bayrischen Strafvollzugsanstalt einsaß, mittels einer 'an den Gerichtspräsidenten des Landesgerichtes...'
adressierten, expreß aufgegebenen Briefsendung zwei Schriftsätze zur Postaufgabe. Der eine Schriftsatz ist als 'Rechtsmittel' gegen das nach Datum, Gericht, Geschäftszahl und Benennung des Erstrichters bezeichnete Urteil überschrieben und enthält den Antrag auf Bestellung eines Rechtsanwalts zur Vertretung im Rechtsmittelverfahren. Der andere Schriftsatz ist an den Präsidenten des Erstgerichtes gerichtet, hat im wesentlichen ebenfalls den Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes zum Inhalt und enthält in einem Nachsatz die Bitte um Weiterleitung des zuerst erwähnten Schriftsatzes an die zuständige Stelle.
Die übernahme dieser Postsendung durch den dafür zuständigen Beamten der Einlaufstelle des Erstgerichtes wurde auf dem Briefumschlag nicht durch einen Eingangsvermerk aktenkundig gemacht. Nach dem besonderen Eingangsvermerk des Präsidiums des Erstgerichtes wurde die Briefsendung dort am 15. Februar 1985 geöffnet und das Ansuchen um Beigabe eines Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung an die zuständige Gerichtsabteilung weitergeleitet. Das Erstgericht beschloß in der Folge die Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe, der vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer benannte Rechtsanwalt überreichte innerhalb der vierwöchigen Frist ab Zustellung des Bestellungsbeschlusses an ihn eine Berufung, die das Erstgericht auch dem Berufungsgericht vorlegte.
Das Berufungsgericht wies die Berufung des Beklagten als verspätet zurück, weil der Postenlauf des am letzten Tag der Berufungsfrist zur Postaufgabe gebrachten Antrages um Beigebung eines Rechtsanwaltes infolge unrichtiger Adressierung der Briefsendung an den Präsidenten des Erstgerichtes anstatt an dieses selbst nicht als rechtzeitig im Sinne des § 464 Abs. 3 ZPO zu behandeln wäre.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen berufungsgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß erhobene Rekurs des Beklagten ist zulässig (§ 519 Abs. 1 Z 1 ZPO iVm der Unanwendbarkeit des § 528 Abs. 1 Z 5 ZPO, da Ehesachen nicht zu bewerten sind), er ist auch berechtigt.
Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht deckt sich mit der vom Obersten Gerichtshof in seiner nicht veröffentlichten Entscheidung vom 22. November 1961 zu 6 Ob 419/61 dargelegten Ableitung, Voraussetzung für die Nichteinrechnung der Tage des Postenlaufes in eine gesetzliche oder richterliche Frist gemäß § 89 Abs. 1 GOG sei die Adressierung der Sendung an das zuständige Gericht, die Adressierung an ein anderes Gericht schade ausnahmsweise nicht, wenn die Einlaufstelle dieses als Empfänger bezeichneten unzuständigen und des zuständigen Gerichtes gemäß § 37 Abs. 2 Geo vereint seien und dem Beamten der Einlaufstelle nach dem Inhalt der Eingabe die unverzügliche Zuteilung an die richtige Abteilung des zuständigen Gerichtes möglich sei; dies müsse aber ausgeschlossen werden, wenn die Briefsendung infolge Adressierung an den Behördenleiter, der als solcher nicht das Gericht, sondern Organ der Justizverwaltung sei, in der Einlaufstelle gemäß § 101 Abs. 1 Geo nicht geöffnet werden dürfe. Der erkennende Senat vermag nach neuerlicher Abwägung der Regelungszwecke und -inhalte des § 89 Abs. 1 GOG einerseits und der Bedeutung der Vorschriften über die innere Einrichtung und den Geschäftsgang der Gerichte nach der Geschäftsordnung für die Gerichte erster und zweiter Instanz andererseits die in inhaltlicher übereinstimmung mit dem angefochtenen Beschluß schon in der zitierten Vorentscheidung vertretene Auffassung nicht zu teilen. Zur Anbringung schriftlicher Eingaben soll den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren der Postweg offen stehen; bei fristgebundenen Verfahrenshandlungen soll ihnen dabei unabhängig von der vorhersehbaren Beförderungsdauer und auch deren zufälligen Verzögerungen die Ausnützung der vollen Frist dadurch gewahrt bleiben, daß auch eine nach dem Fristablauf bei dem Gericht, bei dem die Verfahrenshandlung zu setzen war, im Postwege einlangende Eingabe so behandelt werde, als wäre sie bereits am Tage der Postaufgabe an das erwähnte Gericht bei diesem eingelangt. Das setzt voraus, daß der Absender alles ihm Zumutbare für ein bei ordnungsgemäßem Postgang unverzügliches Einlangen der Sendung bei Gericht vorkehrt. Dazu gehört vor allem eine den Postvorschriften entsprechende Bezeichnung des Gerichtes, bei dem die Eingabe nach den Verfahrensvorschriften zu überreichen ist, als Empfänger. Unter diesem Gesichtspunkt des § 89 Abs. 1 GOG können alle Mängel bei der Postaufgabe vernachlässigt werden, die ohne Einfluß auf den ordnungsgemäßen Postenlauf geblieben sind, die also keine Abweichung von dem bei ordnungsgemäßer Postaufgabe zu erwartenden Postwege bewirkt haben. Eine solche sich auf Weg und Zeit der Postbeförderung negativ auswirkende Abweichung des Postweges ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Gleichgültig, ob die Postsendung mit dem Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe an den als Erstgericht einschreitenden Gerichtshof oder an den Präsidenten dieses Gerichtshofes adressiert wurde, sie war an kein anderes, der Post gegenüber als empfangsberechtigt ausgewiesenes Organ des Erstgerichtes auszufolgen und wurde auch nicht anders abgegeben.
Die weitere Behandlung der Gerichtssendung war aber ausschließlich eine Angelegenheit der inneren Einrichtung der Gerichte und hatte mit der Postbeförderung, die mit der Abgabe der Sendung abgeschlossen war, nichts mehr zu tun. Das veranschaulicht die überlegung, daß die gerichtsinterne Behandlung der Eingabe in derselben Weise wie bei einer übersendung im Postwege vorgesehen gewesen wäre, wäre die Eingabe in einem verschlossenen Briefumschlag mit derselben Adressierung am letzten Tag der Frist während der Amtsstunden in den Einlaufkasten des Erstgerichtes eingeworfen worden.
Eine auf den Vorschriften über die gerichtsinterne Behandlung von Eingaben beruhende Verzögerung ist aber einer Partei - soweit nicht auf der Hand liegt, daß diese vorsätzlich auf eine solche Verzögerung hinwirkte, was nach der Aktenlage im vorliegenden Fall nicht angenommen werden kann - nicht anzulasten. Der Regelung des § 106 Abs. 4 Satz 2 Geo über die übertragung des vorläufig auf den Briefumschlag gesetzten Eingangsvermerkes auf die Eingabe selbst kann sinnvollerweise nur die hier entwickelte Auslegung zugrundegelegt werden.
Der berufungsgerichtliche Zurückweisungsbeschluß war daher in Stattgebung des Rekurses aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Entscheidung über die Berufung des Beklagten unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E06750European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0060OB00644.85.1017.000Dokumentnummer
JJT_19851017_OGH0002_0060OB00644_8500000_000