TE OGH 1985/10/24 8Ob31/85

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Veröffentlicht am 24.10.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Andrea R*****, vertreten durch ihre Mutter Anna R*****, diese vertreten durch Dr. Hartmut Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Maria S*****, 2.) Rudolf S*****, 3.) G*****, alle vertreten durch Dr. Heinrich Kammerlander jun., Rechtsanwalt in Graz, wegen S 2,055.259,50 samt Anhang und Leistung einer Rente (Streitwert S 432.000,--) und Feststellung (Interesse S 100.000,--) (Revisionsinteresse insgesamt S 496.150,-- s.A.), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 23. Jänner 1985, GZ 4 R 10/85-64, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 24. September 1984, GZ 13 Cg 213/81-57, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 11. 7. 1979 um ca. 10,30 Uhr ereignete sich auf der Steiermärkischen Landesstraße 315 in der Gemeinde S***** ein Verkehrsunfall, an dem die damals 6 Jahre und 2 Monate alte Klägerin als Fußgängerin und die Erstbeklagte als Lenkerin eines vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW VW beteiligt waren. Die Erstbeklagte fuhr mit ihrem Fahrzeug gegen die vor ihr die Fahrbahn überquerende Klägerin. Die Klägerin wurde schwer verletzt. Die Erstbeklagte wurde strafgerichtlich rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gesprochen.

Mit Klage vom 13. 8. 1981 forderte die Klägerin unter Hinweis auf die strafgerichtliche Verurteilung der Erstbeklagten und deren Alleinverschulden an der Unfallsverursachung ein Schmerzengeld von S 600.000,-- abzüglich einer geleisteten Teilzahlung von S 20.000,--, sohin von S 580.000,-- s.A. und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Unfallfolgen der Klägerin.

Die Beklagten anerkannten ein Teilbegehren von S 200.000,--, worüber in der Folge - unter Abzug der bereits geleisteten Teilzahlung von S 20.000,-- - ein Anerkenntnisurteil über S 180.000,-- erging. Im übrigen beantragten die Beklagten Klagsabweisung, da die Klägerin den Unfall durch unachtsames Überqueren der Fahrbahn knapp vor dem Beklagtenfahrzeug mitverschuldet habe, das Schmerzengeldbegehren überhöht sei und die Unfallsverletzungen voraussichtlich gänzlich ausgeheilt würden.

Nach mehreren Klagsausdehnungen und -einschränkungen lautete das Klagebegehren zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz wie folgt:

a) Schmerzengeld unter Berücksichtigung erfolgter Teilzahlung bzw. des Anerkenntnisteilurteiles

                                                               S 1,100.000,--

Verunstaltungsentschädigung                   S 400.000,--

Kleiderschaden                                     S        8.500,--

Besuchskosten                                     S 22.400,--

Wohnungsinvestitionsablöse                   S 50.000,--

Wohnungsmiete                                     S 7.000,--

Kosmetische Operation                            S         8.500,--

Pflegekosten für die Zeit vom 1. 9. 1979

bis August 1983                                     S 456.000,--

b) Pflegekostenrente ab 1. 9. 1983

von monatlich                                     S 12.000,--;

Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Unfallfolgen der Klägerin.

Die Beklagten wendeten hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 26. 8. 1983 erfolgten Ausdehnung der Klage hinsichtlich der Besuchskosten und der Verunstaltungsentschädigung sowie der Neugeltendmachung von Operationskosten ausdrücklich Verjährung ein. Gegenüber der Klagsausdehnung vom 13. 4. 1984 wendeten die Beklagten nochmals ausdrücklich Verjährung ein, insbesondere hinsichtlich der nunmehr ausgedehnten Beträge für die kosmetische Operation und das Rentenbegehren.

Das Erstgericht sprach auf der Grundlage der Alleinhaftung der Beklagten für die Unfallfolgen der Klägerin S 1,022.600,-- s.A. und eine monatliche Rente von S 5.000,-- ab 1. 9. 1983 zu und gab dem Feststellungsbegehren statt. Das Mehrbegehren von S 1,029.159,50 s.A. wurde abgewiesen.

Infolge Berufungen der Klägerin und der Beklagten hob das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich eines Zuspruches von S 38.000,-- s.A und einer Abweisung von S 114.000,-- s.A. ohne Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und wies die Rechtssache im Umfang der Aufhebung und zur Entscheidung über ein weiteres Rentenbegehren von S 3.000,-- monatlich ab 1. 9. 1983 an das Erstgericht zurück; im übrigen wurde das Urteil des Erstgerichtes unter Einbeziehung seiner unbekämpften Teile dahin als Teilurteil teilweise bestätigt und teilweise abgeändert, daß der Klägerin insgesamt S 934.600,-- s.A. zugesprochen und das Mehrbegehren auf weitere S 965.959,50 s.A. abgewiesen wurde; weiters wurde der Klägerin ab 1. 9. 1983 eine Rente von S 4.000,-- monatlich zugesprochen und die Haftung der Beklagten für alle künftigen Unfallfolgen der Klägerin zur Gänze festgestellt. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Bestätigung des Urteils betroffene Wert des Streitgegenstandes zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil S 300.000,-- übersteigt und die Revision gegen den abändernden Teil des Berufungsurteiles nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne des Zuspruches von lediglich S 471.150,-- s.A. an die Klägerin und Feststellung der Haftung der Beklagten für die künftigen Unfallfolgen im Ausmaß von nur 75 %; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zunächst ist darauf zu verweisen, daß die Revision ohne die im § 503 Abs. 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig ist, weil der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt (§ 502 Abs. 4 Z 2 ZPO) und auch die im § 502 Abs. 2 Z 2 ZPO bzw. im § 502 Abs. 3 ZPO normierten Revisionsbeschränkungen nicht zum Tragen kommen. Der Streitgegenstand des abändernden Teiles übersteigt an Geld S 15.000,-- jener des bestätigten Teiles S 60.000,-- und der Streitgegenstand insgesamt S 300.000,--. Der Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 3 ZPO ist als nicht beigesetzt anzusehen, weil dann, wenn der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt, die Revision im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 2 ZPO jedenfalls zulässig ist und daher ein Ausspruch nach § 500 Abs. 3 ZPO nicht zu erfolgen hat (siehe dazu Petrasch in ÖJZ 1983, 201, 8 Ob 31/84 ua).

Im Revisionsverfahren sind noch die Frage eines Mitverschuldens der Klägerin, die Höhe des Schmerzengeldes und der Verunstaltungsentschädigung, der Zuspruch des Ersatzes einer Wohnungsinvestitionsablöse von S 50.000,-- und die Verjährungsfrage strittig.

Diesbezüglich hat das Erstgericht im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Die Landesstraße 315 ist 5,7 m breit, rauh asphaltiert und verläuft in allgemeiner Richtung Südost-Nordwest. Sie weist im aus der Ankommrichtung der Erstbeklagten auf ca. 100 m frei einsehbaren Unfallsbereich eine langgezogene Linkskrümmung auf. In dieser Ankommenrichtung findet sich ca. 43 m vor der späteren Unfallstelle das Gefahrenzeichen „Kinder“ gemäß § 50 Z 12 StVO. An den nordöstlichen Fahrbahnrand schließt sich ein Gehsteig an, daran eine abfallende Böschung zum Vorplatz eines Kaufhauses. Über die Böschung ist etwa auf der Höhe von 2 bis 4 m nach (= nordwestlich) der späteren Unfallstelle ein Stiegenaufgang angelegt. Die Erstbeklagte mäßigte auf Höhe des Gefahrenzeichens „Kinder“ ihre vorher eingehaltene Fahrgeschwindigkeit auf 60 bis 70 km/h. Als sie ca. 11,5 m vor der späteren Unfallstelle fuhr, bemerkte sie erstmals die Klägerin, welche über den Stiegenaufgang auf den Gehsteig emporgelaufen war und nun versuchte, schnell laufenden (2,6 m/sec) die Fahrbahn der Landesstraße in Richtung Süden (= Winkel von 40 bis 50o zur Längsachse der Straße) zu überqueren. Der Anstoß der rechten vorderen Ecke des Beklagtenfahrzeuges an den Körper der Klägerin erfolgte ca. 1 bis 1,5 m innerhalb der Fahrbahn. Die Erstbeklagte reagierte erst nach dem Anstoß, doch ist eine Verspätung dieser Reaktion auf die erstmalige Wahrnehmung der Klägerin nicht gegeben. Die Klägerin erlitt ein schweres Schädelhirntrauma mit apallischem Durchgangssyndrom, eine Unterschenkelfraktur links, eine Schambeinfraktur links, eine Milzruptur, ein Lungenherdabzeß, eine Bronchopneumonie und eine Meningitis. Sie musste mehrere Operationen an Kopf und Rumpf über sich ergehen lassen, befand sich 300 Tage in stationärer Behandlung und hatte durch 94 Tage starke, durch 218 mittlere sowie durch 200 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Das Krankheitsbild ist nunmehr bereits der erreichbare Endzustand. Es blieben zurück eine hochgradige Lähmung aller vier Gliedmaßen, sodaß die Klägerin selbständig nur liegen oder sitzen, nicht aber stehen oder gehen kann, weiters eine Blasenfunktionsstörung, sodaß die Klägerin Windeln tragen muß, weiters eine schwere Hirnschädigung, die bewirkt, daß die Klägerin einem deutlichen Intelligenzabbau unterworfen ist und intellektuell nur mehr das Niveau eines 2 1/2 bis 3-jährigen Kindes aufweist. Auf diesem Niveau kann die Klägerin zwar an sie gerichtete Worte verstehen, aber selbst nur einzelne Worte aussprechen. Besserungen dieses Zustandes sind nicht zu erwarten. Die Klägerin weist Operationsnarben an Hals und Oberbauch auf. Besonders die Narbe am Hals ist aus objektiv-ästhetischer Sicht störend auf Grund ihres eingezogenen Aussehens und empfindet dies die Klägerin auch, wenn sie ihre Mitschüler in der Sonderschule darauf aufmerksam machen. Auf Grund der schweren Hirnstammschädigung ist die Klägerin zu 100 % invalid und völlig pflegebedürftig. Da sie selbst einfache Handgriffe nicht besorgen kann, braucht sie eine ständige 24-stündige Betreuung. Insbesondere muß sie wegen der Blasenfunktionsstörung mehrmals täglich umgezogen werden. Auch muß sie mehrmals monatlich von ihrer Mutter, die die Pflege versieht, zur Behandlung von V***** nach G***** gebracht werden. Wegen des Zustandes der Klägerin war ihre Mutter gezwungen, die von der Familie bisher bewohnte Wohnung aus sanitären Gründen aufzugeben. Sie bezog mit der Klägerin und deren Bruder Ewald eine sanitär entsprechende Mietwohnung, wofür sie eine Investitionsablöse von S 70.000,-- für Möbeleinrichtung und einen Mietzins von S 2.160,-- zuzüglich rund S 1.500,-- Betriebskosten monatlich zu bezahlen hat. In der alten Mietwohnung hatte die monatliche Miete S 400,-- betragen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß die Erstbeklagte den Unfall dadurch allein verschuldet habe, daß sie eine angesichts des Gefahrenzeichens „Kinder“ wesentlich zu hohe Fahrgeschwindigkeit eingehalten habe, die ihr eine Reaktion auf das durch das Gefahrenzeichen bereits angekündigte eventuelle Auftauchen von Kindern auf der Fahrbahn nicht mehr ermöglicht habe. Das Schmerzengeld erachtete das Erstgericht mit S 700.000,--, die Verunstaltungsentschädigung im Hinblick auf die völlig vernichteten Heiratsaussichten und beruflichen Chancen der Klägerin mit S 200.000,-- als angemessen. Die Investitionskostenablöse für die neu angemietete Wohnung könne die Klägerin nicht ersetzt begehren, weil durch diese Ablösezahlung ihre Mutter Eigentümerin der Möbel geworden sei, die sie weiterverkaufen könne, sodaß diesbezüglich der Klägerin kein Schaden entstanden sei.

Das Berufungsgericht verneinte gleich dem Erstgericht ein Mitverschulden der Klägerin, billigte die Bemessung des Schmerzengeldes mit insgesamt S 700.000,-- und der Verunstaltungsentschädigung mit insgesamt S 200.000,-- und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Unfallfolgen der Klägerin zur Gänze. Hingegen erachtete es den Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Wohnungsinvestitionsablöse für gerechtfertigt und führte diesbezüglich aus, es sei zuzugeben, daß der Ablösezahlung der Mutter der Klägerin ein Vermögenswert, nämlich das in ihr Eigentum gelangte Mobiliar, gegenüberstehe. Damit sei aber noch nicht gesagt, daß ein Schaden nicht doch schon entstanden sei oder künftig dadurch noch entstehen könne, daß die Ablösezahlung den Wert der abgelösten Gegenstände mehr oder weniger übersteige, sodaß diese nur mehr um eine geringere Ablösezahlung seinerzeit weiter veräußert werden könnten. Sei schon solcherart ein Schaden möglicherweise eingetreten oder zu befürchten, so sei auch zu beachten, daß jeder Aufwand, der nur und erst durch den Unfall unabweislich erforderlich wurde, ersatzfähiger positiver Schaden sei, gleichgültig, ob dem ein beim Geschädigten oder einem Dritten eingetretener vermögenswerter Vorteil gegenüberstehe oder nicht. Fraglich könne nur sein, ob die Klägerin zur Geltendmachung der von ihrer Mutter geleisteten Ablösezahlung als Ersatz eigenen Schadens legitimiert sei. Denn nicht die Mutter der Klägerin, sondern diese selbst mache den diesbezüglichen Aufwand anteilig als eigenen Schaden geltend. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen stehe unbekämpft fest, daß die Klägerin unfallskausal in der vor dem Unfall bewohnten Mietwohnung nicht mehr hätte verbleiben können, sondern auf eine sanitär besser ausgestattete Wohnung ausweichen mußte. Diesbezüglich notwendige Aufwendungen der Klägerin selbst wären als vermehrte Bedürfnisse im Sinne der §§ 13 Z 3 EKHG, 1325 ABGB anzusehen, die im Zeitpunkt des Unfalles, spätestens aber mit der Rückkehr der Klägerin in den mütterlichen Haushalt entstanden und ihr jedenfalls zu ersetzen seien. Nach ständiger Rechtsprechung würden Kosten für Vermehrung der Bedürfnisse einem Verletzten auch dann zugesprochen, wenn ihm die infolge Bedürfnisvermehrung erforderlichen Fremddienste von Dritten kostenlos erbracht werden und dem Geschädigten selbst hiedurch kein vermögenswerter Schaden entstanden sei. Die Dienste würden nämlich von Dritten regelmäßig nicht zur Entlastung des Schädigers erbracht; er wolle sie vielmehr in der Regel dem Geschädigten unabhängig von dessen Ersatzanspruch gegen den Schädiger und zusätzlich zu diesem zuwenden. Daß dies hier anders wäre, sei nicht hervorgekommen. Seien nun die seitens eines Dritten dem Geschädigten erbrachten kostenlosen Dienstleistungen dem Geschädigten unter dem Titel der vermehrten Bedürfnisse zu ersetzen, so könne dies analog auch für Sachanschaffungen eines Dritten gelten, die unfallsbedingt unter den Titel der vermehrten Bedürfnisse für den Geschädigten getätigt werden müßten, auch wenn der Dritte hiedurch Eigentümer der zur Abdeckung der vermehrten Bedürfnisse des Geschädigten angeschafften Sachen geworden sei. Der Aufwand für die Wohnungsanschaffung, anteilig im Betrag von S 50.000,-- geltend gemacht, sei der Klägerin daher zu ersetzen. Daß diese Forderung verjährt sei, sei in I. Instanz nicht geltend gemacht worden, da der Verjährungseinwand ausdrücklich nur gegenüber der Ausdehnung des Verunstaltungsschadens auf S 400.000,-- und der Aufwendungen für Besuchskosten auf S 22.400,-- sowie gegenüber der Neugeltendmachung von Operationskosten und einer Rentenleistung ab 1. 9. 1983 als Pflegekostenersatz erhoben worden sei. Auch im übrigen sei der Verjährungseinwand der Beklagten nicht berechtigt. Die Klägerin habe im Lauf des Verfahrens I. Instanz verschiedene Ansprüche aus dem Schadensereignis erhoben. Die Beklagten hätten einzelnen dieser Ansprüche gegenüber den Verjährungseinwand erhoben. Mangels einer ausdrücklichen umfassenden Verjährungseinwendung könne die Verjährung gemäß § 1501 ABGB nur hinsichtlich jener Ansprüche geprüft werden, denen gegenüber ein Einwand vorliege. Das sei von den im Berufungsverfahren noch strittigen Ansprüchen nur der Pflegekostenersatzanspruch ab 1. 9. 1983. Die Erklärung der Beklagten in der Tagsatzung vom 13. 4. 1984 laute nämlich ausdrücklich dahin, daß Verjährung neben anderen
- nicht mehr interessierenden - Ansprüchen gegenüber dem erhobenen Rentenbegehren eingewendet werde. Nur für die Zeit ab 1. 9. 1983 habe die Klägerin aber ein Rentenbegehren erhoben. Die vorher abgereiften Ersatzbeträge habe sie im Schriftsatz vom 26. 8. 1983 kapitalisiert. Hinsichtlich des Rentenbegehrens sei aber Verjährung nicht eingetreten, da die Rente nur für einen nach der ursprünglichen Klagseinbringung (13. 8. 1981) liegenden Zeitraum, also für die Zukunft, begehrt werde und die ab Klagseinbringung künftig vorhersehbarerweise noch zu erwartenden Schäden vom schon am 13. 8. 1981 ebenfalls erhobenen Feststellungsbegehren gedeckt seien.

Die Beklagten bringen in ihrer Revision zur Frage des Mitverschuldens der Klägerin vor, die Ausführungen der zweiten Instanz über die nicht gegebene Schulpflicht und Verkehrserziehung der Klägerin stellten durch das Beweisverfahren nicht gedeckte Annahmen dar. Das Gericht hätte mangels gegenteiliger Beweise vielmehr annehmen müssen, daß es sich bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalles um ein durchschnittlich begabtes und erzogenes, 6 Jahre und 2 Monate altes Kind gehandelt habe. Es hätte auch Überlegungen anstellen müssen, daß ein durchschnittlich begabtes und erzogenes, 6 Jahre und 2 Monate altes Kind in der motorisierten Umgebung der heutigen Zeit durchaus in der Lage sein müsse, einzusehen, daß es die Fahrbahn einer öffentlichen Straße nicht überraschend betreten dürfe, wenn ein Fahrzeug herannahe. Da die Klägerin jedoch die Fahrbahn einer öffentlichen Straße vor dem Herannahen eines Fahrzeuges überraschend betreten habe, hätten die Untergerichte von einem Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalles von 25 % ausgehen müssen.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß gemäß § 2 SchulpflichtG BGBl. 1962/241 die allgemeine Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des 6. Lebensjahres folgenden 1. September beginnt. Da die Klägerin am 20. 4. 1979 das 6. Lebensjahr vollendet hat, begann für sie die allgemeine Schulpflicht im September 1979. Zum Zeitpunkt des Unfalles (11. 7. 1979) war die Klägerin daher noch nicht schulpflichtig. Daß die Klägerin dessenungeachtet Verkehrserziehung erhalten hätte, haben die für ein allfälliges Mitverschulden der Klägerin behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten in erster Instanz gar nicht vorgebracht, geschweige denn bewiesen. Wohl sind nach österreichischem Recht auch Unmündige, ja sogar Kinder unter 7 Jahren nicht notwendig deliktsunfähig. Doch ist ein Verschulden bei ihnen nur ausnahmsweise möglich, nämlich dann, wenn ihnen im Einzelfall ein solches zur Last gelegt werden kann. Dabei ist zu beachten, ob für ein solches Kind unter den im Einzelfall gegebenen Umständen das Verbotene seiner Handlungsweise erkennbar war, und ob es nach seinen Fähigkeiten auch in der Lage gewesen wäre, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten. Es ist davon auszugehen, daß die Klägerin zur Unfallszeit das 6. Lebensjahr kaum vollendet hatte und noch nicht die Schule besuchte. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt diesen Umständen für die Beurteilung der Einsichtsfähigkeit der Klägerin entscheidende Bedeutung zu. Bei einem Kind dieses Alters, das noch gar nicht die Schule besucht, ist auch bei gewöhnlichem Entwicklungsgrad die erzieherische Belehrung über das Verkehrsverhalten durch Eltern und sonstige Erziehungspersonen noch keineswegs so verfestigt, daß es nach seinen Fähigkeiten in der Lage wäre, das Verbotene seines Verhaltens stets zu erkennen, geschweige denn sich stets gemäß den erhaltenen Belehrungen zu verhalten. Wegen der den Beklagten obliegenden Beweislast für das Mitverschulden der Klägerin ist zu deren Gunsten davon auszugehen, daß für sie die Verkehrssituation nur schwer überschaubar war, sodaß ihr unter diesen Umständen ein Mitverschulden nicht angelastet werden kann (vgl. ZVR 1981/42). Ohne Rechtsirrtum haben daher die Vorinstanzen ein Mitverschulden der Klägerin verneint.

Zum Schmerzengeldanspruch führen die Beklagten aus, ein Schmerzengeld von insgesamt S 600.000,-- wäre im vorliegenden Fall hinreichend gewesen. Die Klägerin habe die Unfallfolgen auf Grund ihres Alters nicht so intensiv empfinden können. Im Falle der Entscheidung 2 Ob 229/76 sei dem dortigen Kläger keine Verständigung mit der Umwelt möglich gewesen, dennoch seien ihm nur S 600.000,-- an Schmerzengeld zugesprochen worden.

Hierauf ist zu erwidern, daß die angeführte, fast 10 Jahre alte Entscheidung schon mit Rücksicht auf die seither eingetretene Geldentwertung keine taugliche Vergleichsgrundlage darstellen kann. Demgegenüber hat das Berufungsgericht zutreffend darauf verwiesen, daß im Fall der Klägerin neben den schweren Verletzung, dem langen Krankenhausaufenthalt und den zahlreichen Operationen besonders der fatale Endzustand ins Gewicht fällt. Ein Mensch, der zeitlebens an den Rollstuhl gebunden ist, weil er wegen Lähmung der Gliedmaßen nicht gehen und stehen kann, der wegen Störung der Blasenfunktion auf das durch Pflegepersonen vorzunehmende mehrmals täglich wiederkehrende Wechseln der Windeleinlagen angewiesen ist und schließlich - als gravierendster Einriff in seine Lebensumstände - auf den intellektuellen Status eines Dreijährigen zurückgeworfen ist und dort verbleiben wird, ist tatsächlich seines Lebensinhaltes beraubt. Besonders die mit diesem Endzustand verbundenen psychischen Beeinträchtigungen durch Verlust der Lebensfreude sind zu berücksichtigen. Daß die seelischen Unfallsfolgen wegen des Alters der Klägerin von dieser nicht so schwer empfunden würden wie bei einem Erwachsenen, kann nicht gesagt werden. Eine diesbezügliche Behauptung haben die Beklagten in I. Instanz in bezug auf die konkreten Verhältnisse bei der Klägerin nicht aufgestellt. Auch ist keineswegs notorisch, daß Derartiges in der Regel der Fall ist. In der Ausmessung des Schmerzengeldes mit insgesamt S 700.000,-- kann daher keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden.

Gegen die Festsetzung der Verunstaltungsentschädigung durch das Berufungsgericht bringen die Beklagten vor, die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Unfalles nur etwas über 6 Jahre alt gewesen. Auf Grund des geringen Alters habe sie unter der Vernichtung der Heiratschancen und des beruflichen Fortkommens nicht so stark zu leiden wie ein Erwachsener. Wenn ein querschnittgelähmter und an den Rollstuhl gefesselter Erwachsener eine Verunstaltungsentschädigung von S 200.000,-- zugesprochen erhalte, wäre für die Klägerin eine solche von S 100.000,-- ausreichend.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß im vorliegenden Fall die Klägerin nicht nur durch Narbenbildung an Hals und Oberbauch verunstaltet, sondern im besonderen durch die nach außen stets in Erscheinung tretende körperliche Lähmung mit Rollstuhlgebundenheit und geistige Reduzierung mit Sprach- und Intelektsstörungen jedenfalls zur Gänze um ihre Heiratsaussichten gebracht ist. Unter diesen Umständen ist ihre Beeinträchtigung des besseren Fortkommens durchaus nicht geringer zu bewerten, als jene eines erwachsenen Querschnittsgelähmten. Die Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung von S 200.000,-- läßt daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes erkennen.

Bezüglich der Wohnungsinvestitionsablöse vertreten die Beklagten die Auffassung, diese sei nicht unmittelbar wegen des Unfalles zu bezahlen gewesen, sondern erst mittelbar im Zusammenhang mit der Anmietung einer neuen Wohnung entstanden. Das Gericht hätte daher nicht ohne weiteres von einem ersatzfähigen Schaden ausgehen dürfen. Die Wohnungsinvestitionsablöse sei zum Teil auch für die Mutter der Klägerin und deren Bruder bezahlt worden. Schließlich handle es sich um einen Aufwand, den die Mutter der Klägerin für sich selbst getätigt habe. Die Klägerin habe niemals vorgebracht oder bewiesen, daß der Aufwand für sie selbst getätigt worden wäre. Sie sei daher auch nicht berechtigt, diesbezüglich einen Ersatz zu begehren.

Dem ist folgendes zu entgegnen:

Bei dem hier zu beurteilenden Anspruch der Klägerin auf Ersatz von Kosten der Beschaffung einer anderen Wohnung, die infolge ihrer unfallsbedingten schweren körperlichen Behinderung notwendig wurden, handelt es sich um einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen auf Grund einer unfallsbedingten Vermehrung ihrer Bedürfnisse, die der Klägerin nicht nur nach der Bestimmung des § 13 Z 3 EKHG, sondern auch nach der Vorschrift des § 1325 ABGB zusteht, die nach nunmehr ständiger Rechtsprechung unter entsprechender Berücksichtigung der erstgenannten Gesetzesstelle auszulegen ist (ZVR 1965/225; ZVR 1969/322; ZVR 1982/67 ua.). Daß derartige unfallsbedingt vermehrte Bedürfnisse der Klägerin von ihrer Mutter befriedigt wurden, ändert nichts daran, daß es sich dabei um einen Schaden der Klägerin handelt, der jedenfalls von ihr selbst geltend gemacht werden kann. Erbringt nämlich ein Dritter auf Grund familienrechtlicher Verpflichtungen Leistungen an oder für den Geschädigten, dann geschieht dies nicht zu dem Zweck, den Schädiger zu entlasten. Solche Leistungen werden nicht auf den Schaden angerechnet, der Schädiger wird durch sie nicht befreit. Es handelt sich hier in Wahrheit um Schäden, die typischerweise beim unmittelbar Geschädigten eintreten, im besonderen Fall aber durch ein bestimmtes Rechtsverhältnis auf einen Dritten überwälzt werden. Es wird also kein Schaden in die Betrachtung einbezogen, der nicht ohnehin normalerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt und daher zu ersetzen wäre. Es handelt sich hier um einen Fall der Schadensverlagerung (siehe dazu Koziol, Haftpflichtrecht2 I 278 ff), nicht aber um einen nicht ersatzfähigen mittelbaren Schaden der Mutter der Klägerin (ÖRZ 1984/12 S 42 ua.). An der Anspruchsberechtigung der Verletzten besteht insoweit kein Zweifel (Koziol aaO 285 f., ÖRZ 1984/12 S 42). Soweit die Revisionswerber ausführen, die Klägerin habe weder vorgebracht, noch bewiesen, daß der Aufwand für sie selbst vorgenommen worden sei, weichen sie vom festgestellten Sachverhalt ab und bringen in diesem Punkt die Rechtsrüge nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Der von der Klägerin anteilig begehrte Ersatzbetrag von S 50.000,-- wurde ihr daher ohne Rechtsirrtum zugesprochen. Im übrigen kann hiezu auf die zutreffende Begründung des Urteils der zweiten Instanz verwiesen werden.

Auch soweit die Beklagten schließlich ausführen, sie hätten in der Streitverhandlung vom 13. 4. 1984 einen „globalen Verjährungseinwand“ erhoben, die Vorinstanzen hätten daher hinsichtlich der Ausdehnung des Schmerzengeldanspruches über S 600.000,-- und der Geltendmachung der Verunstaltungsentschädigung sowie der Wohnungsinvestitionsablöse eine Überprüfung des Verjährungseinwandes vornehmen müssen, nachdem die Geltendmachung nach Ablauf der Verjährungsfrist erfolgt sei, kann ihnen nicht gefolgt werden. Selbst wenn man nämlich das Vorbringen der Beklagten in der Streitverhandlung vom 13. 4. 1984 - es wurde „nochmals ausdrücklich Verjährung eingewendet, insbesondere hinsichtlich der nunmehr ausgedehnten Beträge für die kosmetische Operation sowie für das Rentenbegehren“ - zu ihren Gunsten auch auf die Ausdehnung des Schmerzengeldes und der Verunstaltungsentschädigung sowie die Geltendmachung des Anspruches auf Ersatz der Wohnungsinvestitionsablöse beziehen würde, wäre für die Beklagten nichts gewonnen. Durch die Einbringung der Feststellungsklage, der dann stattgegeben wurde, innerhalb der Verjährungsfrist wurde nämlich die Verjährung aller in diesem Zeitpunkt zukünftigen Schadenersatzansprüche der Klägerin unterbrochen (vgl. SZ 39/19 uva.). Entgegen der Auffassung der Revision kann daher den im Revisionsverfahren noch streitverfangenen Ansprüchen auf Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung und Ersatz der Wohnungsinvestitionsablöse der Einwand der Verjährung nicht mit Erfolg entgegengesetzt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 392 Abs 2 ZPO.

Textnummer

E06856

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00031.850.1024.000

Im RIS seit

04.09.1995

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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