Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Dr. Elmar Peterlunger und Johann Friesenbichler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton A, Angestellter, Graz, Reitschulgasse 20, vertreten durch Dr. Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei B
Werkzeuge und Maschinen Handelsgesellschaft mbH in Salzburg-Kasern, Alte Mattseer Landstraße 25, vertreten durch Dr. Michael Wittek-Jochums, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen restl. S 144.162,98 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 17. Mai 1984, GZ 2 Cg 12/84-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Graz vom 24.Oktober 1983, GZ 2 Cr 141/83-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.372,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 960,-Barauslagen und S 492,-- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 1.3.1982 bei der beklagten GmbH als Angestellter mit einem monatlichen Garantieeinkommen von (zuletzt) S 27.000,--, 14 mal im Jahr, beschäftigt. Mit Schreiben der beklagten Partei vom 9.3.1983 wurde er fristlos entlassen. Mit der Behauptung, daß diese Entlassung ohne rechtfertigenden Grund ausgesprochen worden sei, begehrt der Kläger von der beklagten Partei eine Kündigungsentschädigung (einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen) bis 30.6.1983 im Betrag von S 115.615,38 sowie eine restliche Urlaubsentschädigung von S 34.559, zusammen also S 150.174,38 sA.
Die beklagte Partei hat dieses Begehren nur dem Grunde nach bestritten. Der Kläger habe mit dem ihm zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeug innerhalb kurzer Zeit zwei Verkehrsunfälle mit Sachschaden verursacht und dabei jeweils Fahrerflucht begangen. Da er auch der beklagten Partei hievon keine Meldung gemacht habe, sei der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG gegeben.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei - insoweit rechtskräftig - schuldig, dem Kläger S 6.011,40 brutto sA an restlicher Urlaubsentschädigung und Urlaubsabfindung zu zahlen, und wies das auf Zahlung weiterer S 144.162,98 brutto sA gerichtete Mehrbegehren mit der Begründung ab, daß die Entlassung des Klägers nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens aus dem Grunde des § 27 Z 1 AngG gerechtfertigt gewesen sei.
Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Berufungsgericht führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem durch und nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Der Kläger hatte die Aufgabe, die Handelstätigkeit der beklagten Partei in Österreich aufzubauen. Zu diesem Zweck hatte ihm die beklagte Partei einen geschlossenen Klein-LKW der Type Mercedes 207 D als Demonstrationsfahrzeug zur Verfügung gestellt. Auf Grund seines Anstellungsvertrages hatte der Kläger dieses Kraftfahrzeug, auf welchem der Name der beklagten Partei aufgeklebt war, in einwandfreiem Zustand zu halten und Unfälle 'sofort und ohne Umschweife' zu melden.
Um den 18.2.1983 erlitt der Kläger bei einem Skiunfall einen Bruch der linken Hand. Er befand sich in der Folge im Krankenstand, erklärte sich jedoch freiwillig bereit, dringende Arbeiten auch während dieser Zeit durchzuführen.
Am Nachmittag des 8.3.1983 fuhr der Kläger mit dem genannten Dienstfahrzeug im Stadtgebiet von Graz von Mariagrün in Richtung Autal. Als er um 16,05 Uhr die Hartenaustraße in Richtung Leonhardstraße durchfuhr, streifte er den abgestellten PKW der Elfriede C. Dabei wurde das linke Hinterende des PKWs ziemlich stark eingedrückt und auch die hintere Stoßstange beschädigt. Am LKW der beklagten Partei wurde der rechte vordere Kotflügel beschädigt und die vordere Stoßstange rechts nach unten gedrückt. Nach der Kollision hielt der Kläger einige Sekunden lang an und fuhr dann, ohne auszusteigen, in die Leonhardstraße ein. Zwei Zeugen, welche den Vorfall beobachtet hatten, vermerkten ihre Namen auf einem Zettel, welchen sie am PKW Elfriede CS anbrachten.
Als der Kläger im Anschluß daran um ca. 16,10 Uhr durch die Plüddemanngasse stadtauswärts fuhr, geriet er mit seinem LKW plötzlich auf die linke Fahrbahnseite, so daß der ihm mit einem Kombiwagen entgegenkommende, in seiner Fahrtrichtung ganz rechts fahrende Johann D nicht mehr ausweichen konnte. Der LKW des Klägers stieß mit seiner linken Vorderseite gegen die linke Seite des anderen Fahrzeuges, wodurch diese in ihrer Gesamtheit stark eingedrückt und die beiden seitlichen Fensterscheiben zertrümmert wurden; am LKW des Klägers wurde der linke Kotflügel eingebeult, die vordere Stoßstange links nach unten gedrückt und das linke Blinkerglas zertrümmert. Nachdem der Kläger einen Augenblick angehalten hatte, setzte er seine Fahrt fort, ohne sich weiter um den Unfall zu kümmern. Der Lenker eines hinter dem Kläger fahrenden Kraftfahrzeuges blieb zunächst bei Johann D stehen und sagte, daß er dem fahrerflüchtigen Lenker nachfahren werde; er meldete sich aber in der Folge nicht mehr. Johann D verständigte die Polizei, von welcher der Unfall aufgenommen wurde. Kurze Zeit später fand Johann D den LKW des Klägers vor dem Haus Am Ring 3 abgestellt und machte davon der Polizei Mitteilung. Da er auf dem LKW den Namen der beklagten Partei und deren Telefonnummer in Frankfurt am Main vorfand, rief er am nächsten Tag (9.3.1983) dort an, wurde jedoch an die Geschäftsstelle in Salzburg verwiesen. Daraufhin schilderte er dem Leiter dieser Niederlassung, Franz E, telefonisch den Sachverhalt. Nachdem F
mehrmals vergeblich versucht hatte, den Kläger zu erreichen, sprach die beklagte Partei - nach Rücksprache mit ihrer Zentrale in der Bundesrepublik Deutschland - mit Schreiben vom 9.3.1983 die Entlassung des Klägers aus.
Der Kläger war nach dem Unfall in der Plüddemanngasse von einem unbekannten PKW-Fahrer zur Firma G in Autal gebracht worden, wo er Valium einnahm und nächtigte. Als er am Vormittag des folgenden Tages sein abgestelltes Kraftfahrzeug aufsuchte, fand er dort eine Benachrichtigung der Polizei vor. Er rief hierauf einen ihm bekannten Kriminalbeamten an und erfuhr von diesem, daß der Polizeibeamte, der den Unfall aufgenommen hatte, erst am Abend wieder seinen Dienst im Wachzimmer Schillerstraße antreten werde. Um 21 Uhr erschien der Kläger in diesem Wachzimmer und wurde dort zur Sache befragt.
Erst am nächsten Tag (10.3.1983) rief der Kläger bei der beklagten Partei in Salzburg an und teilte ihr seinen Unfall in der Plüddemanngasse mit. Dabei wurde ihm nichts davon gesagt, daß ein Entlassungsschreiben bereits unterwegs war.
Als Franz E am 11.3.1983 den LKW vom Kläger übernahm, stellte er fest, daß das Fahrzeug an beiden Seiten beschädigt war. Er fragte daraufhin den Kläger, ob auch der Schaden an der rechten Vorderseite von dem Unfall mit D stamme; der Kläger bejahte dies und sagte, es habe ihn mit dem Fahrzeug herumgedreht, so daß die Beschädigung rechts vorne erfolgt sei. Zugleich übergab er Friedrich E auch den Tagesbericht für den 8.3.1983, in welchem der Besuch der Fa.G und seine Anwesenheit in Mariagrün nicht erwähnt waren.
Der dem Kläger übergebene Klein-LKW der beklagten Partei ist nur teilkaskoversichert. Für die Behebung der Schäden hatte die beklagte Partei S 13.689,50 zuzüglich Mehrwertsteuer aufzuwenden. Elfriede C hatte das Kennzeichen des Fahrzeuges, das ihren PKW beschädigt hatte, von den beiden Unfallszeugen erfahren. Sie erhob hierauf den Haftpflichtversicherer des LKWs und gab ihm den Sachverhalt bekannt. Mit Schreiben vom 25.3.1983 ersuchte diese Versicherungsanstalt die beklagte Partei, ein Schadensanzeigeformular auszufüllen; erst dadurch erfuhr die beklagte Partei von diesem weiteren Unfall des Klägers. Wegen seines Verhaltens beim Unfall in der Plüddemanngasse wurde über den Kläger von der Bundespolizeidirektion Graz eine Geldstrafe von S 5.000 verhängt, und zwar (ua) wegen der Verwaltungsübertretungen nach § 4 Abs 1 lit a und Abs 5 StVO. Rechtlich hielt das Berufungsgericht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (§ 27 Z 1 AngG) für gegeben, weil der Kläger mit einem Kraftfahrzeug der beklagten Partei, welches deren Firmenaufschrift trug,in zwei Fällen hintereinander Fahrerflucht begangen habe und dabei seiner vertraglichen Verpflichtung, Unfälle sofort zu melden, nicht nachgekommen sei. Durch diese mehrfache Verletzung der Treuepflicht des Klägers gegenüber seinem Arbeitgeber sei die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien in einem solchen Maße erschüttert worden, daß der beklagten Partei eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nicht für die Dauer der Kündigungsfrist zugemutet werden könne.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird vom Kläger mit Revision aus dem Grund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO bekämpft. Der Kläger beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß seinem Zahlungsbegehren im vollen Umfang stattgegeben werde. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der dem Kläger zur Last gelegte Entlassungsgrund der
Vertrauensverwirkung nach § 27 Z 1 AngG liegt vor, wenn sich der
Angestellte 'einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens
des Dienstgebers unwürdig erscheinen läßt'. Dabei kommt es vor allem
darauf an, ob für den Arbeitgeber vom Standpunkt vernünftiger
kaufmännischer Interessen die gerechtfertigte Befürchtung besteht,
daß seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien. Maßgebend
ist, ob durch das Verhalten des Angestellten - und zwar nicht nach
dem subjektiven Empfinden des Arbeitgebers, sondern unter Anlegung
eines objektiven Maßstabes - das Vertrauen des Arbeitgebers so
schwer erschüttert worden ist, daß ihm die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist
nicht mehr zugemutet werden kann. Auch bloß fahrlässiges Verhalten
des Angestellten kann im Einzelfall eine solche
Vertrauensunwürdigkeit begründen (Arb.9238 = SozM I A d 1109 mwN;
Arb.9624; Arb.9631 = RdA 1979, 116 = ZAS 1981, 14;
Arb.9862 = SozM I A d 1213; 10.001, 10.072, 10.212;
JBl 1981,161 uva; Kuderna, Entlassungsrecht 63, 88 f;
Martinek-Schwarz,AngG 6 , 604 ff § 27 Anm. 12).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben: Der Kläger hat am Nachmittag des 8.3.1983 mit dem ihm zur Verfügung gestellten LKW der beklagten Partei innerhalb weniger Minuten zwei Verkehrsunfälle mit Sachschaden verursacht und in beiden Fällen die im Gesetz vorgeschriebene Verständigung der Sicherheitsbehörde unterlassen, also Fahrerflucht begangen. Daß durch dieses Verhalten auch das Ansehen der beklagten Partei ernstlich gefährdet worden war, weil der Kläger ein mit dem Namen und der Telefonnummer seiner Arbeitgeberin gekennzeichnetes Fahrzeug gelenkt und nach dem zweiten Unfall im beschädigten Zustand auf der Straße stehengelassen hatte, liegt auf der Hand. Darüber hinaus hat der Kläger auch die in seinem Anstellungsvertrag normierte Verpflichtung, Vorfälle dieser Art sofort seiner Arbeitgeberin zu melden, verletzt, so daß die beklagte Partei von beiden Unfällen erst durch dritte Personen - von der Kollision in der Plüddemanngasse am 9.3.1983 durch Johann D, von dem vorangegangenen Unfall in der Hartenaustraße erst durch das Schreiben der Haftpflichtversicherung vom 25.3.1983 - in Kenntnis gesetzt wurde. Bei einem so schwerwiegenden, in mehrfacher Hinsicht gegen die Dienstpflichten verstoßenden Fehlverhalten des Klägers mußte die beklagte Partei in der Tat eine ernstliche Gefährdung ihrer dienstlichen Interessen befürchten. Die hier offen zutage getretene Unzuverlässigkeit und Unaufrichtigkeit des Klägers war geeignet, ihr Vertrauen zu diesem Arbeitnehmer in einem solchen Maße zu erschüttern, daß ihr eine Weiterbeschäftigung nicht mehr zugemutet werden konnte. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit mit Recht bejaht.
Was der Kläger in der Revision gegen diese Auffassung vorbringt, ist nicht stichhältig: Ob und in welcher Höhe die beklagte Partei durch das Verhalten des Klägers tatsächlich einen Vermögensschaden erlitten hat, kann auf sich beruhen, weil es bei der Beurteilung des Entlassungstatbestandes nach § 27 Z 1 AngG nach ständiger Rechtsprechung (Arb.10.072; JBl 1981, 161 ua; ebenso Martinek-Schwarz aa0 605) weder auf eine Schädigungsabsicht des Arbeitnehmers noch auf eine tatsächliche Schädigung des Arbeitgebers, sondern allein darauf ankommt, ob für den Arbeitgeber vom Standpunkt vernünftiger kaufmännischer Interessen die gerechtfertigte Befürchtung besteht, daß seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien. Die in § 3 des Anstellungsvertrages des Klägers normierte Verständigungspflicht war entgegen der Meinung des Klägers keineswegs eine 'reine Ordnungsvorschrift', muß doch der beklagten Partei ein legitimes Interesse daran zugebilligt werden, von den durch ihre Fahrzeuge verursachten Unfällen besonders dann so rasch wie möglich informiert zu werden, wenn diese wie hier mit einer Beschädigung sowohl des eigenen als auch eines fremden Fahrzeuges verbunden sind. Aus welchem einsehbaren Grund es der Kläger unterlassen hat, die beklagte Partei, wenn schon nicht am Abend des 8.3.1983, so doch zumindest am Morgen des folgenden Tages telefonisch von den beiden Unfällen zu verständigen, kann auch der Revision nicht entnommen werden. Sind damit aber die dem Kläger angelasteten, von den Vorinstanzen als erwiesen angenommenen Pflichtverletzungen für sich so schwerwiegend, daß der beklagten Partei eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden konnte, dann ist der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG gegeben, ohne daß es eines besonderen Sach- und Beweisvorbringens der beklagten Partei über konkrete Gründe einer solchen Unzumutbarkeit bedürfte.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E06647European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00115.84.1028.000Dokumentnummer
JJT_19851028_OGH0002_0040OB00115_8400000_000