TE OGH 1985/10/29 11Os125/85

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Veröffentlicht am 29.10.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Oktober 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den §§ 83 Abs. 1, 85 Z 1, 2 und 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichtes vom 6. Mai 1985, GZ 9 d Vr 13.195/84-31, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwalts Dr. Hauptmann als Vertreters des Generalprokurators, des Angeklagten Peter A und des Verteidigers Dr. Rast zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19.Feber 1960 geborene Tankwart Peter A schuldig erkannt, dadurch das Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den §§ 83 Abs. 1, 85 Z 1, 2 und 3 StGB begangen zu haben, daß er am 21.Oktober 1983 in Wien den Thomas B durch Drücken eines zerbrochenen (Wein-)Glases in das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzte, indem er ihm zwei Schnittwunden und eine Augenverletzung, die zur Entfernung des rechten Augapfels führte, zufügte, wobei die Tat eine dauernde schwere Schädigung des Sehvermögens, eine erhebliche Verstümmelung und die Berufsunfähigkeit des Thomas B als Taxilenker zur Folge hatte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Dem einleitenden Vorbringen zur Mängelrüge (siehe deren Punkt a) zuwider begnügte sich das Erstgericht bei Begründung der Annahme eines (wenigstens bedingt) eine schwere Verletzung mit dauernder erheblicher Beeinträchtigung des Sehvermögens umfassenden Vorsatzes des Angeklagten (AS 184 unten in Verbindung mit AS 190 erster und zweiter Abs.) keineswegs mit der lapidaren Erwähnung der objektiven Vorhersehbarkeit dieser Verletzungsfolge. Vielmehr beruhen die - wohl auch unter Punkt c) der Mängelrüge unter dem Gesichtspunkt mangelnder subjektiver Vorhersehbarkeit infolge Schnelligkeit des Tatablaufs (vgl. Punkt b)

bekämpften - Feststellungen zur inneren Tatseite auf denkmöglichen Schlußfolgerungen (AS 189, 190) aus dem äußeren Tathergang, aus dessen Zusammenhang mit der von den Zeugen C (AS 165, 166) sowie D (AS 169, 170) geschilderten tataktuellen Aggressivität des Angeklagten und aus der Beurteilung seiner Persönlichekit durch den psychiatrischen Sachverständigen (AS 175, 176). Diese Urteilsannahmen sind mit der Plötzlichkeit der Tatausführung vereinbar, weil der Tatvorsatz nicht auf längerer überlegung beruhen muß, sondern auch spontan gefaßt werden kann.

Soweit der Beschwerdeführer (gleichfalls unter Punkt a der Mängelrüge) vorbringt, seine Tathandlung könnte auch ein - nicht gegen die Person gezielter - Aggressionsschlag in die Luft' oder ein 'heftiges Ausschütten des Weinrestes' gewesen sein, weist er lediglich auf die Denkbarkeit für ihn günstigerer Tatsachenfeststellungen zur subjektiven Tatseite hin. Damit bringt er aber keinen formalen Begründungsmangel im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung, sondern bekämpft lediglich die Beweiswürdigung nach Art einer - gegen Schöffengerichtsurteile unzulässigen - Schuldberufung. Gleiches gilt für die unter dem Gesichtspunkt der Unvollständigkeit der Urteilsbegründung vorgebrachte Behauptung des Angeklagten, die Widersprüchlichkeit seiner Angaben im Lauf des Verfahrens über das Ausmaß seines Alkoholkonsums sei teils auf eine noch zur Zeit der Vorführung vor den Amtsarzt nicht abgeklungene schwere Alkoholisierung (vgl. hiezu allerdings die Feststellung einer bloß leichten Alkoholisierung durch diesen Arzt, AS 19), teils auf erst nachträglich vom Zeugen E erhaltene Informationen über die Menge des genossenen Alkohols zurückzuführen und spreche daher nicht gegen die Glaubwürdigkeit seiner (letzten) Verantwortung. Mängel des psychiatrischen Gutachtens, die einer Erörterung in der Urteilsbegründung bedurft hätten, sind - den Ausführungen der Mängelrüge (unter Punkt d) zuwider - nicht gegeben: Das Fehlen verläßlicher Angaben über den Alkoholkonsum des Angeklagten vor der Tat hindert keineswegs die Beurteilung seines tataktuellen Geisteszustandes aus forensisch-psychiatrischer Sicht. In freier Würdigung des Sachverständigengutachtens - demzufolge auch bei qualitativer und quantitativer Beurteilung der vom Angeklagten behaupteten Erinnerungslücke keine Hinweise auf den Zustand einer schweren alkoholischen Beeinträchtigung zur Tatzeit hervorkamen, und insoweit 'eher' ein Verdrängungsmechanismus vorliegt (AS 153 f, 175 f) - sowie der Angaben der Tatzeugen konnte das Erstgericht daher durch einen nach dem § 258 Abs. 2 StPO zulässigen Wahrscheinlichkeitsschluß zur Verneinung einer tiefgreifenden, eine echte Erinnerungslücke nach sich ziehenden Bewußtseinsstörung des Angeklagten zur Tatzeit gelangen. Diese Feststellung wurde - dem abschließenden Vorbringen in der Mängelrüge zuwider - in der Urteilsbegründung mit hinreichender Deutlichkeit getroffen (AS 183 erster Abs.; vgl. auch die Erwähnung bloßer Vortäuschung einer Amnesie AS 187 unten); deren vermeintliche Abschwächung an anderer Stelle (AS 187: 'wobei es sich hier wohl eher um das Vorliegen eines Verdrängungsmechanismus handelt ....') stellt in Wahrheit nur ein Zitat aus dem Sachverständigengutachten dar (AS 153 unten). Der Sache nach als Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z 10 StPO) stellt sich das auf eine ausschließliche Beurteilung der Tat nach dem § 83 Abs. 1 StGB abzielende Beschwerdevorbringen unter Punkt b) der Mängelrüge dar, daß es auf Grund der erstgerichtlichen Feststellungen an der objektiven Vorhersehbarkeit der schweren Verletzungs-(Dauer-)folgen fehle. Der Ansicht des Angeklagten zuwider ist aber auch die erwähnte - aus dem Erfordernis wenigstens fahrlässiger Herbeiführung des qualifizierenden Erfolges (§ 7 Abs. 2 StGB) abgeleitete - Voraussetzung für die objektive Zurechenbarkeit der Dauerfolgen nach dem § 85 Z 1, 2 und 3 StGB (die tateinheitlich zusammentreffen können - vgl. u.a. Leukauf-Steininger 2 zu § 85 StGB, RN 4 und 9) erfüllt. Denn weder die immerwährende Schädigung des Sehvermögens noch die Verstümmelung durch Verlust eines (vor der Tat funktionsfähigen) Augapfels oder die dadurch bedingte Unfähigkeit zur Ausübung intaktes Sehvermögen voraussetzender Berufe sind atypische Folgen eines Angriffes auf einen Menschen durch (heftiges) Drücken (laut AS 184 oben und AS 188 ganz unten: Stoßen) eines Weinglases in den Augenbereich (vgl. SSt. 51/25); sie sind vielmehr einem solchen Tatverhalten durchaus adäquat, entsprechen sohin dem durch die Tatverübung eingegangenen Risiko. Darauf, daß ein bereits teilweise zerbrochenes Glas als Angriffswaffe verwendet wurde, kommt es demnach gar nicht mehr an. Auf fehlende subjektive Vorhersehbarkeit der qualifizierten Verletzung infolge Unvermögens, in der kurzen zwischen Tatentschluß und -ausführung liegenden Zeitspanne die Gefährlichkeit des Tatwerkzeuges zu erfassen und eingehende Erwägungen über mögliche Folgen anzustellen, könnte sich der Angeklagte nicht einmal dann mit Erfolg berufen, wenn das Erstgericht ihm nicht sogar (in AS 190 oben erster und zweiter Abs.) die bewußte Verwendung des bereits zerbrochenen Weinglases als Waffe mit einem wenigstens bedingt die dauernde Schädigung des Sehvermögens umfassenden Vorsatz unterstellt hätte. Diese Urteilsannahme schließt nicht nur die tatsächliche Voraussicht einer im § 85 Z 1 StGB angeführten Dauerfolge in sich (und macht insoweit die Prüfung subjektiver Voraussehbarkeit entbehrlich), sondern ist auch der Beurteilung subjektiver Voraussehbarkeit der weiteren Dauerfolgen - immerwährender erheblicher Verstümmelung und Berufsunfähigkeit - zugrundezulegen. An der Erfüllung der erwähnten Voraussetzung für die Zurechnung auch dieser Tatfolgen (als im Sinn des § 7 Abs. 2 StGB wenigstens fahrlässig herbeigeführt) kann angesichts des festgestellten Wissensstandes des Angeklagten kein Zweifel bestehen, zumal aus den Verfahrensergebnissen keinerlei Anhaltspunkte für ein nicht auf einem Charaktermangel beruhendes individuelles Unvermögen hervorgehen, die betreffenden Gefahren zu erkennen.

Sollte aber der Beschwerdeführer mit seinem Hinweis auf die überforderung durch die Schnelligkeit des Tatablaufs den (allerdings in Ansehung der vorsätzlich herbeigeführten Folge nach § 85 Z 1 StGB gleichfalls ins Leere gehenden) materiellrechtlichen Einwand der Unzumutbarkeit (§ 6 Abs. 1 StGB) einer Prüfung der erhöhten Gefährlichkeit seiner Vorgangsweise erheben, wäre ihm zu entgegnen, daß nach den Urteilsfeststellungen keine Situation - etwa eine im Gang befindliche oder wenigstens angedrohte Aggression gegen seine Person - vorlag, in welcher auch von einem mit den rechtliche geschützten Werten verbundenen Menschen gleicher körperlicher und geistiger Ausstattung keine größere Umsicht zu erwarten gewesen wäre (vgl. EvBl. 1977/103; Burgstaller in WrK § 6 Rz 97 mit Literaturhinweisen, § 7 StGB, Rz 23).

Soweit der Angeklagte schließlich unter ausdrücklicher Heranziehung der Z 9 lit. a (der Sache nach jedoch erneut unter dem Gesichtspunkt materieller Urteilsnichtigkeit nach der Z 10) des § 281 Abs. 1 StPO. das Unterbleiben einer Urteilsfeststellung über die von ihm vor der Tat konsumierte Alkoholmenge rügt, weil nur auf Grund einer solchen Feststellung über eine allfällige Subsumtion nach dem § 287 Abs. 1 StGB abgesprochen werden könne, ist ihm zu entgegnen, daß weder die Annahme noch der Ausschluß einer vollen Berauschung von der Feststellung einer bestimmten Blutalkoholkonzentration, geschweige denn von der Konstatierung eines Alkoholkonsums bestimmten Ausmaßes abhängt. Es besteht nicht einmal ein Erfahrungssatz, wonach jeder Mensch von einer bestimmten Blutalkoholkonzentration an als zurechnungsunfähig zu beurteilen wäre. Vielmehr kommt es in jedem Einzelfall darauf an, ob (vorliegend nicht indizierte) Umstände - wie etwa ungenügende Orientierung in Zeit und Raum, absolute Sinnlosigkeit oder auffallender Gegensatz des Täterverhaltens zum sonstigen Charakter des Täters sowie echter Erinnerungsverlust - Anhaltspunkte für eine auf einem Rauschzustand beruhende tiefgreifende Störung des Bewußtseins bieten (vgl. Leukauf-Steininger 2 , § 287 StGB, RN 9). Die zum Teil nicht gesetzmäßig ausgeführte, im übrigen aber unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über Peter A nach dem § 85 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten. Bei der Strafbemessung wertete es das brutale Vorgehen und das durch Vorstrafen getrübte Vorleben als erschwerend, während es demgegenüber eine gewisse Schuldeinsicht und die 'bereits zum Teil effektiv gewordene Bereitschaft zur Zahlung von Schmerzengeld' als mildernd ansah.

Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung des Strafausmaßes und die Gewährung bedingter Strafnachsicht (allenfalls unter Erteilung von Weisungen) an.

Die Berufung ist nicht begründet, weil das vom Erstgericht ohnehin im unteren Bereich des Strafrahmens gefundene Strafmaß in Anbetracht der Tatschuld und der außerordentlich schweren Verletzungsfolgen keinen Anlaß für eine weitere Reduzierung bietet. Der Gewährung einer bedingten Strafnachsicht steht bei dem vorbestraften Angeklagten schon das Fehlen einer qualifizierten Zukunftsprognose (§ 43 Abs. 2 StGB) entgegen.

Auch der Berufung konnte daher kein Erfolg beschieden sein. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E06777

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00125.85.1029.000

Dokumentnummer

JJT_19851029_OGH0002_0110OS00125_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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