Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B W***handelsgesellschaft mbH, Wels, Am Bahndamm 42, vertreten durch Dr.Franz Kriftner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Ö*** C*** Allgemeine
Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Wipplingerstraße 33, vertreten durch Dr.Otto Philp und Dr.Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 1,000.000,-- s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 10.Mai 1985, GZ.2 R 73/85-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 17.Jänner 1985, GZ.14 Cg 38/83-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 1,000.000,-- samt 14,5 % Zinsen seit 1.11.1982 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 167.943,95 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 17.795,60 Barauslagen und S 13.649,85 USt.) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei betreibt mit dem Standort Wels, Am Bahndamm 42, in einem an das in Massivbauweise errichtete Hauptgebäude westlich angrenzenden Holzzubau die Erzeugung von Koststoffschildern. Sie schloß mit der beklagten Partei für ihren Betrieb eine Gewerbebündelversicherung mit einer Vertragsdauer vom 28.9.1981 bis 1.10.1991 ab, die auch eine Feuerversicherung mit einem Deckungsumfang von S 1 Mill. umfaßt. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS 1971, im folgenden nur ABS) zugrunde. Der Art.12 dieser Bedingungen hat folgenden Wortlaut: "Wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt oder sich bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadenfall frei (Abs.1). Ist der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen wegen des herbeigeführten Schadens oder wegen eines bei Ermittlung der Entschädigung begangenen Betruges oder Betrugsversuches rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt, so gilt die Leistungsfreiheit als festgestellt (Abs.2)."
Am 14.9.1982 brach im Betriebsobjekt der klagenden Partei ein Brand aus, der nach den Behauptungen der klagenden Partei das gesamte Inventar und den Lagerbestand vernichtete. Der Geschäftsführer der klagenden Partei Walter E
wurde wegen dieses Brandes vom Strafgericht rechtskräftig wegen des Vergehens der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst nach den §§ 170 Abs.1 und 169 Abs.1 StGB begangen dadurch, daß er mit einer Trennscheibe Arbeiten in dem Holzzubau durchführte, wodurch es durch Funkenflug zur Entzündung des Gebäudes gekommen ist, zu einer Strafe verurteilt.
Gegen das auf Versicherungsleistung gerichtete Klagebegehren wendet die beklagte Partei unter anderem Leistungsfreiheit nach Art.12 ABS ein. Nach Meinung der beklagten Partei habe der Geschäftsführer der klagenden Partei den Schaden grob fahrlässig herbeigeführt.
Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Klagsanspruch dem Grunde nach zu Recht bestehe. Nach seinen Feststellungen wurde der Holzzubau im Jahre 1975 ohne Baubewilligung neu instandgesetzt. Die Innen- und Außenwände bestanden aus Nut- und Federbrettern, der Zwischenraum war mit Stroh ausgefüllt. Die Untersicht der Decke und der Boden des Dachbodens bestanden gleichfalls aus Nut- und Federbrettern. In der Decke war eine Transportöffnung eingelassen. Der Deckenoberraum diente als Filmarchiv, es wurden dort aber auch Leergebinde, Kunststoffplatten, Putzpapier, Schrauben etc. gelagert. Der estrichlose, grobschotterige Boden wurde einmal zum Wochenende gekehrt. Auf Grund einer Anrainerbeschwerde fand Ende Mai 1982 eine Begehung des Objektes durch Amtssachverständige des Magistrates der Stadt Wels statt. Auf Grund dieser Begehung wurde mit Bescheid vom 14.6.1982 die Behebung folgender Mängel angeordnet: 1./ Die zwei Handfeuerlöscher sind auf ihre Einsatzfähigkeit überprüfen zu lassen, worüber eine Prüfplakette auf den Löschern Auskunft gegeben muß; 2./ Die Lacke- und Verdünnungsmittel dürfen nur in einem Behälter aus unbrennbarem Material gelagert werden. Es darf jeweils nur der Tagesbedarf aus diesem Behälter entnommen werden; 3./ Die Stahlsäule im Anbau ist brandhemmend zu verkleiden; 4./ Im Bereich der Holzdecken ist auf der Seite des Dachbodens jeweils ein brandhemmender Abschluß (Betonflötz oder dgl.) herzustellen. Die Öffnungen im Bereich der verlegten Holzdecken sind fachgemäß abzumauern; 5./ Die Elektroinstallationen sind den ÖVE-Vorschriften entsprechend instandzusetzen, zu ergänzen oder zu entfernen; 6./ Die geflickten Sicherungen sind durch neue zu ersetzen; 7./ Sämtliche leicht brennbaren Gegenstände, wie Papier, Pappe, Säcke, Decken, Plastik, Porit und dgl. sind vom Dachbodenraum zu entfernen. Ebenso das vorhandene Heu; 8./ Der lockere Verputz beim ortsseitigen Rauchfang im Bereich des Dachbodens ist abzuschlagen, das Mauerwerk ist wieder fachgemäß zu verputzen; 9./ Das Kaminmauerwerk des Rauchfanges im Bereich des Erdgeschoßes bei der Dunkelkammer ist fachgemäß und dicht zu verputzen; 10./ Das Putztürchen beim benützten Rauchfang in der Speisekammer ist durch ein der Kehrtürchenverordnung entsprechendes Türl zu ersetzen; 11./ Die Tür zwischen dem ehemaligen Stall im Erdgeschoß und dem Dachgeschoß ist vorzusehen; 12./ Die Kehrung der Kamine ist gemäß den Vorschriften der oö. Feuerpolizeiordnung monatlich durchzuführen; 13./ Der mittlere Kamin darf beim derzeitigen Zustand nicht als Abgasfang benützt werden. Die Vorschreibungen nach Punkt 12 und 13 waren Dauervorschreibungen, die Behebung des unter Punkt 6 genannten Mangels wurde mit 30.6.1982 befristet, den übrigen Vorschreibungen war bis 30.11.1982 zu entsprechen. Im Zeitpunkt des Brandes war die Auflage gemäß Punkt 6 zur Gänze, die Auflage gemäß Punkt 5 zum Teil erfüllt. Die oö.Feuerpolizeiordnung und die oö.Brandverhütungsverordnung enthalten keine Vorschriften betreffend funkenziehende Arbeiten. Der Geschäftsführer der klagenden Partei Walter E arbeitete am Brandtag gegen Mittag
ca.1/2 Stunde in der Werkstätte mit einem Winkelschleifgerät; er schnitt Winkeleisen ab. Der Brand wurde gegen 13,20 Uhr entdeckt. In der Betriebsstätte lagerten im Brandzeitpunkt Fertig- und Halbfabrikate sowie die zur Fertigung erforderlichen Hilfsmittel wie Farben, Plastik, der Tagesbedarf an Lösungsmitteln, Nitroverdünnung und ein Kanister mit Benzin. Das hochgefährliche Lösungsmittel befand sich im Freien. Im Umkreis von 2 m des Arbeitsplatzes befanden sich keine leicht brennbaren Gegenstände. Die Reißfunken der Trennschneidearbeit besaßen eine ausreichende Zündenergie, um Staub zu entzünden. Der Brand ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Schwelbrand durch Staub verursacht worden. Staublagen können sehr leicht zu Zündvermittlern werden, weil sich ein Schwelbrand über längere Zeit fortzupflanzen pflegt, aufflammt und weitere brennbare Stoffe zünden kann.
Das Erstgericht verneinte eine grobe Fahrlässigkeit des Geschäftsführers der klagenden Partei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.
Die Rechtsmeinung der Vorinstanzen, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers nur dann gemäß § 12 Abs.2 ABS als festgestellt gilt, wenn die im § 12 Abs.1 genannten Verschuldensgrade vorliegen, und daß das Strafurteil die Zivigerichte nicht in bezug auf einen nicht zum strafrechtlichen Tatbestand gehörenden besonderen Grad des Verschuldens, wie z.B grober Fahrlässigkeit bindet, entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 53/145 mwN) und ist zu billigen. Abzulehnen ist dagegen die Beurteilung des Verhaltens des Geschäftsführers der klagenden Partei als einer in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Person im Sinne des § 12 Abs.1 ABS als bloß leichte Fahrlässigkeit. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung dahin auszulegen, daß sich das Versehen über das Maß der alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, sodaß der Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich vorhersehbar ist. Die Sorglosigkeit muß auffallend und ungewöhnlich sein, wie sie nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorzukommen pflegt. Dabei sind die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles zu berücksichtigen (SZ 48/39; SZ 47/39 uva). Nach Koziol, Haftpflichtrecht I 2 131 ist allerdings mit diesen allgemeinen Formulierungen für den Einzelfall höchstens eine schwache Richtlinie vorgezeichnet: Als weitere brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanspannung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht. In diesem Sinne ist für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, daß grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen. Die Außerachtlassung allgemein gültiger Sicherheitsregeln ist grob fahrlässig, wenn die Kenntnis dieser Regeln nach dem Grad ihrer Verbreitung allgemein vorausgesetzt werden muß (Prölss-Martin, VVG 22 365 mwN). Auch die besondere Gefahrenträchtigkeit des Handelns fällt ins Gewicht (Bruck-Möller, VVG II 8 551 f; 7 Ob 64/83).
Daß eine funkensprühende Schneidearbeit von vornherein die Gefahr des Entstehens eines Brandes in sich birgt, ist jedermann einleuchtend. Für einen Menschen mit natürlicher Einsicht ist es gleichfalls leicht erkennbar, daß bei Vornahme solcher Arbeiten ein Abstand von nur 2 m zu brennbaren Gegenständen als Sicherheitsabstand zu gering ist. Auf der gleichen Ebene liegt die Erkennbarkeit der Gefahr eines größeren Brandes bei Vornahme solcher Arbeiten in einem Holzzubau (vgl. SZ 50/136). Geradezu ins Auge springen muß die besondere Gefahrenträchtigkeit einer funkensprühenden Schneidearbeit aber dann, wenn sich unter den im Holzzubau gelagerten Sachen solche mit extremer Brennbarkeit befinden, wie hier die Lösungsmittel und Benzin. Zur Gewinnung dieser Einsichten bedarf es keiner besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen. Es kommt daher nicht darauf an, ob es sich für Walter E bei der funkensprühenden Schneidearbeit um
eine "branchenfremde Tätigkeit" handelte. Indem Walter E die aufgezeigten, mühelos erkennbaren gefahrenträchtigen Umstände vernachlässigte, handelte er in einem Maße sorglos, das nur bei besonders leichtsinnigen Menschen vorzukommen pflegt. Sein Verhalten ist daher als grob fahrlässig zu qualifizieren. Daran kann auch nichts der Umstand ändern, daß die Erfüllung der Auflagen gemäß den Punkten 1 bis 5 und 7 bis 11 des Bescheides des Magistrates der Stadt Wels bis 30.11.1982 befristet und die Frist im Zeitpunkt des Brandes noch nicht abgelaufen war, der Auflage gemäß Punkt 6 und teilweise auch der Auflage gemäß Punkt 5 des Bescheides aber bereits entsprochen worden war. (Aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich überdies, daß offensichtlich auch die Auflage des Punktes 2, nur den Tagesbedarf an Verdünnungsmitteln dem Behälter zu entnehmen, eingehalten wurde.)
In dem Bescheid wurde auf eine funkenziehende Tätigkeit nicht Bedacht genommen, die Auflagen betreffen mit Ausnahme der Punkte 2, 5 und 6 jeweils nur Maßnahmen, die die Ausbreitung eines Brandes verhindern sollen. Die Gefahrenträchtigkeit der Schneidetätigkeit bestand aber unabhängig von diesen Vorkehrungen. Sie wurde nur durch das Fehlen der brandhemmenden Maßnahmen und durch die Lagerung von leicht brennbaren Gegenständen auf dem Dachboden im Sinne eines Ausbruches einer Feuersbrunst erhöht. Gerade auf Grund des Bescheides hätte dies aber dem Geschäftsführer der klagenden Partei im Zeitpunkt der Vornahme seiner Schneidetätigkeit bewußt sein müssen.
Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E07088European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00034.85.1107.000Dokumentnummer
JJT_19851107_OGH0002_0070OB00034_8500000_000