Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §131;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde des K L in W, vertreten durch Dr. Stefan Joachimsthaler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Kandlgasse 32/10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom 29. Dezember 1999, Zl. RV/272-15/10/95, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1987 bis 1989, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.172,88 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine Berufung, welche gegen die nach Durchführung einer abgabenbehördlichen Prüfung erlassenen Bescheide hinsichtlich Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer 1987 bis 1989 erhoben worden war, ab.
In der Berufung war unter anderem vorgebracht worden, bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Buchhaltung sei eine fortlaufende Nummerierung der Ausgangsrechnungen nicht zwingend erforderlich. Hieraus eine Schätzungsbefugnis gemäß § 184 BAO abzuleiten, werde für nicht gesetzeskonform gehalten. Der Beschwerdeführer rügte aber auch, dass im Rahmen der Kalkulation auf seine Angaben unzureichend eingegangen worden sei.
Dem hielt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid entgegen, dass gemäß § 184 Abs. 3 BAO unter anderem dann zu schätzen sei, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen habe, nicht vorlege, oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig seien oder solche formelle Mängel aufwiesen, die geeignet seien, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes werde die sachliche Richtigkeit ordnungsgemäß geführter Bücher und Aufzeichnungen im allgemeinen nur dann in Zweifel zu ziehen sein, wenn beim Umsatz das Ergebnis der Aufschreibungen um mehr als 10 % von der auf allgemeinen Erfahrungssätzen aufgebauten Kalkulation abweiche. Im gegenständlichen Fall habe der Prüfer eine Nachkalkulation unter weitgehender Verwendung der Angaben des Beschwerdeführers und des Zeugen Miodrag M durchgeführt und sei zu Umsatzabweichungen von 46 % im Jahr 1987, 26 % im Jahr 1988 und 20 % im Jahr 1989 gekommen. Diese Abweichungen indizierten eine sachliche Unrichtigkeit der Aufzeichnungen. Diese Annahme werde dadurch verstärkt, dass die Ausgangsrechnungen nicht fortlaufend nummeriert seien und der Leistungszeitraum nicht angegeben sei. Hiedurch sei eine Vollzähligkeitskontrolle der Ausgangsrechnungen und die Überprüfung der Zeit des produktiven Arbeitseinsatzes nicht möglich. Eine Schätzung sei, wie aus den Bestimmungen des § 184 BAO erhelle, keine Ermessensentscheidung. Die Abgabenbehörde habe, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen könne, diese zu schätzen. Eine Schätzung sei somit ein Akt der Tatsachenfeststellung und nicht ein solcher der freien Willensbildung oder Willensentfaltung der Abgabenbehörde. Wenn der Beschwerdeführer in einer eigens erstellten Kalkulation zwecks Berechnung der "fakturierten Leistungserlöse pro Stunde" dieser Berechnung drei näher angeführte Rechnungen aus dem Jahre 1992 zu Grunde lege, also Rechnungen, welche während der laufenden Betriebsprüfung erstellt worden seien, und im Zuge dieser Kalkulation einen nicht näher begründeten Abschlag von 10 % vornehme (gleichzeitig werde erklärt, dieser Abschlag könne genauso gut 5 %, 20 %, 25 % oder vielleicht 30 % betragen) werde mit einer auf Basis dieser Werte erstellten Kalkulation die "Glaubwürdigkeit in die Berechnungen der Betriebsprüfung" nicht erschüttert. Demgegenüber habe der Prüfer sein Zahlenmaterial an Hand der auch vom Beschwerdeführer bekannt gegebenen Stundensätze von S 480,-- für Fliesenleger und Helfer (S 270,-- für den Meister bzw. S 210,-- für den Helfer) unter Gewichtung an Hand der im Laufe der Betriebsprüfung ermittelten produktiven Arbeitszeiten ermittelt. Die vom Prüfer so ermittelten Stundensätze (von rund S 254,--) lägen im Übrigen im unteren Bereich der für Hafner und Fliesenleger in Ausgangsrechnungen festgestellten, weiterverrechneten Stundenlöhne (zwischen S 220,-- und S 320,-- für das Jahr 1987) der in den Branchenmerkblättern ermittelten Kennzahlen für diese Branche. Bezüglich der produktiven Zeiten des Meisters sei im Laufe der Prüfung insofern Einigung erzielt worden, als 57 % unproduktive Zeiten angenommen worden seien. Bezüglich der unproduktiven Zeiten des Facharbeiters Miodrag M seit der Prüfer anfänglich von einem branchenüblichen unproduktiven Anteil von 10 % ausgegangen, im Zuge der Prüfung habe der Beschwerdeführer glaubhaft vorgebracht, dieser Anteil sei richtigerweise mit 15 % festzusetzen. Wenn der Beschwerdeführer diesen festgestellten unproduktiven Anteil, welchen der Prüfer seinen Berechnungen zu Grunde gelegt habe, in der Berufung mit dem Argument bekämpfe, dieser betrage in Wirklichkeit 42 % (inklusive 7 % nicht näher erklärter "Leerzeiten") und eine ebenfalls im Nachhinein erstellte Aufzeichnung (Vorhaltsbeantwortung vom 24. September 1992) als Beweis dafür vorlege, hätte diesem Vorbringen nicht die notwendige Beweiskraft beigemessen werden können. Der vom Prüfer im Einvernehmen mit dem Beschwerdeführer ermittelte ursprüngliche Wert (15 % unproduktive Zeiten) sei der Berechnung richtigerweise zu Grunde zu legen. Wenn der Beschwerdeführer bezüglich der unproduktiven Zeiten des Günther T, welcher niederschriftlich gegenüber dem Prüfer erklärt habe, 507 Stunden pro Jahr für den Beschwerdeführer tätig gewesen zu sein, nun - bei einem einvernehmlichen Ansatz von 200 Stunden laut der Niederschrift des Beschwerdeführers unter Ansatz eines ebenfalls 15 %igen unproduktiven Anteiles - den vom Prüfer den Berechnungen zu Grunde gelegten Ansatz von 170 produktiven Stunden (gegenüber 507 von Günther T erklärten Stunden) mit dem Begehren bekämpfe, lediglich 50 Stunden pro Jahr als produktiv der Berechnung zu Grunde zu legen (75 % unproduktiv plus 7 % Leerzeiten ergäbe 82 % unproduktiv), so könne diesem Begehren seitens der belangten Behörde auch deswegen kein Glaube geschenkt werden, da der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens ausgeführt habe, die Arbeitsleistung des Günther T sei hauptsächlich bei Engpässen bzw. beim Transport der Fliesen zum Verlegeort in Anspruch genommen worden. Das Vorbringen, dass jemand, der bei Engpässen aushilfsweise tätig werde, einen unproduktiven Anteil inklusive Leerzeiten von 82 % erreichen könne, könne nicht nachvollzogen werden. Bezüglich der Glaubwürdigkeit der Aussage des Günther T, welcher erklärt habe, 507 Stunden für den Beschwerdeführer gearbeitet zu haben und diese Aussage vor einem Notar revidiert habe, sei auszuführen, dass einerseits bereits die durch den Beschwerdeführer erklärten 200 Stunden pro Jahr der Berechnung des Prüfers zu Grunde gelegt worden seien, andererseits sei darauf hinzuweisen, dass schon der Prüfer in seinem Bericht richtigerweise ausgeführt habe, die notarielle Beurkundung einer Sachverhaltsdarstellung mache keinen Beweis dafür, dass die Sachverhaltsdarstellung der Wahrheit entspreche. Die notarielle Beurkundung mache vielmehr vollen Beweis nur darüber, dass die betroffene Person eine bestimmte Sachverhaltsdarstellung im Beurkundungszeitpunkt gegeben habe. Die Erstaussage habe die Vermutung für sich, dass sie der Wahrheit am nächsten komme. Die vom Befragten zunächst vorhandene rechtliche Unbefangenheit könne nämlich nach der Lebenserfahrung als eine gewisse Gewähr für die Übereinstimmung der Erstaussage mit den tatsächlichen Verhältnissen angesehen werden. Es reiche durchaus hin, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen möglichen Ereignissen eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich habe und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließe oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lasse.
Es sei bei dieser Sachlage noch die Frage zu prüfen, ob das Ergebnis der vom Prüfer durchgeführten Schätzung und die als Folge davon ermittelten Besteuerungsgrundlagen mit den Lebenserfahrungen im Einklang stünden oder nicht. Dazu vertrete die belangte Behörde die Ansicht, dass im vorliegenden Fall das Finanzamt die entscheidungswesentlichen Tatsachen auf Grund eines mängelfreien Verfahrens und auf Grund schlüssiger Überlegung festgestellt habe, die nicht im Widerspruch zur Lebenserfahrung stünden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
Zu schätzen ist gemäß § 184 Abs. 2 BAO insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.
Zu schätzen ist gemäß § 184 Abs. 3 leg. cit. ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.
Gemäß § 163 BAO haben Bücher und Aufzeichnungen, die den Vorschriften des § 131 entsprechen, die Vermutung ordnungsmäßiger Führung für sich und sind der Erhebung der Abgaben zu Grunde zu legen, wenn nicht ein begründeter Anlass gegeben ist, eine sachliche Richtigkeit in Zweifel zu ziehen.
Solche sachlichen Unrichtigkeiten hat die Abgabenbehörde in einem einwandfreien Verfahren nachzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 2003, 99/13/0162).
Im Beschwerdefall begründet die belangte Behörde die Notwendigkeit und Zulässigkeit einer Schätzung im Sinne des § 184 BAO damit, dass eine auf allgemeinen Erfahrungssätzen aufgebaute Nachkalkulation des Prüfers zu Umsatzabweichungen im Ausmaß von 46 % (1987), 26 % (1988) und 20 % (1989) gegenüber den vom Beschwerdeführer erklärten Umsätzen gekommen sei. Dieses Abweichen indiziere eine sachliche Unrichtigkeit der Aufzeichnungen des Beschwerdeführers, was noch dadurch verstärkt werde, dass die vom Beschwerdeführer erstellten Ausgangsrechnungen nicht fortlaufend nummeriert und die jeweiligen Leistungszeiträume nicht angegeben seien.
Im angefochtenen Bescheid wird in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Nachkalkulation "unter weitreichender Verwendung der Angaben des Beschwerdeführers" erfolgt sei.
Von einer solchen weitgehenden Verwendung der Angaben des Beschwerdeführers kann aber deswegen keine Rede sein, weil der Prüfer seiner Nachkalkulation produktive Arbeitsstunden von rund 2900 in den Jahren 1987 und 1988 und 2400 im Jahr 1989 sowie "fakturierte LE/h" von rund S 254,-- zu Grunde legte, während nach den Angaben des Beschwerdeführers in seiner bereits im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung erstatteten Vorhaltsbeantwortung vom 24. September 1992 von produktiven Arbeitsstunden im Ausmaß von rund 2300 in den Jahren 1987 und 1988 sowie von rund 2000 im Jahr 1989 und "fakturierten LE/h" in Höhe von S 214,-- auszugehen gewesen wäre, woraus sich zweifellos eine entscheidende Verringerung allfälliger, im Beschwerdefall zur Schätzung Anlass gebender Kalkulationsdifferenzen ergeben hätte.
Bereits in der Berufung hatte der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass vom Prüfer unter anderem auf die ausführliche Vorhaltsbeantwortung vom 24. September 1992 "nicht Stellung bezogen" worden sei. In der Berufung wurde auch darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der vom Prüfer seiner Kalkulation zu Grunde gelegten produktiven Arbeitsstunden des Günther T auf näher angeführte Unterlagen nicht Bezug genommen worden sei. Im angefochtenen Bescheid wurde dazu lediglich festgestellt, dass mit der Kalkulation des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit in die "Berechnungen des Prüfers" nicht erschüttert werde. Die belangte Behörde berief sich in diesem Zusammenhang zwar darauf, dass die vom Prüfer ermittelten "Stundensätze" (in Höhe von rund S 254,--) im unteren Bereich der für Hafner und Fliesenleger in Ausgangsrechnungen festgestellten, weiterverrechneten Stundenlöhnen der in den Branchenmerkblättern ermittelten Kennzahlen für diese Branche lägen, berücksichtigten aber nicht, dass auch der nach Ansicht des Beschwerdeführers zum Ansatz zu bringende Stundensatz (von S 214,--) nur geringfügig unter der in diesen Kennzahlen dargestellten Bandbreite von S 220,-- bis S 320,-
- im Jahr 1987 lag. Den Feststellungen des Prüfers oder dem angefochtenen Bescheid ist auch nicht zu entnehmen, dass sich die Behörde mit der Frage auseinandergesetzt hätte, welcher Stundensatz nach den betreffenden Kennzahlen für einen Betrieb mit der Struktur des Betriebes des Beschwerdeführers (lediglich ein Meister und ein Facharbeiter) in Betracht kommt, und auf welcher nachprüfbaren Grundlage diese Kennzahlen erstellt wurden.
Hinsichtlich der produktiven Arbeitszeiten insbesondere des Miodrag M spricht die belangte Behörde den Aufzeichnungen des Beschwerdeführers die notwendige Beweiskraft lediglich deshalb ab, weil sie "im Nachhinein" erstellt worden seien. Allerdings beruhen diese Aufzeichnungen auf tatsächlichen, wenngleich im Zeitraum der abgabenbehördlichen Prüfung stattgefundenen Arbeitsabläufen, ohne dass die belangte Behörde darauf hingewiesen hätte, dass sich die Arbeitsabläufe in den Zeiträumen, für welche die abgabenbehördliche Prüfung durchgeführt wurde, von den Zeiträumen, in denen diese Prüfung durchgeführt wurde, entscheidend geändert hätten. Es ist daher nicht zu erkennen, dass die belangte Behörde den in Rede stehenden Aufzeichnungen die notwendige Beweiskraft zu Recht abgesprochen hätte.
Auch bezüglich der "produktiven" Arbeitszeiten des Günther T beschränkte sich die belangte Behörde darauf, zum Ausdruck zu bringen, es könne nicht nachvollzogen werden, dass jemand, der bei Engpässen aushilfsweise tätig werde, einen "unproduktiven Anteil inklusive Leerzeiten" von 82 % erreichen könne. Dies bedarf jedenfalls einer weiteren Konkretisierung.
Zutreffend wird in der Beschwerde auch vorgebracht, dass die "Leerzeiten" entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid sehr wohl näher erklärt, nämlich etwa mit mangelnden Aufträgen begründet worden sind. Es wurde daher auch der sich auf das Ergebnis der Nachkalkulation auswirkende Umstand, dass die "Leerzeiten" (und was die belangte Behörde darunter versteht) unberücksichtigt blieben, unzureichend begründet.
Da die Begründung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Mängel der Kalkulation somit weder geeignet ist, die Schätzungsberechtigung aufzuzeigen noch die Richtigkeit der Schätzungsmethode darzutun, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 29. Juni 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2000140199.X00Im RIS seit
19.08.2005