Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Zehetner und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton A, Forstfacharbeiter, 1237 Wien, Lainzer Tiergarten, Gütenbachtor, vertreten durch Dr. Friedrich Georg Paulitsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Johanna A, Hausfrau, 1130 Wien, Lainzer Tiergarten, Hermesvilla, vertreten durch Dr. Sieglinde Schubert, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 7. November 1984, GZ 16 R 229/84-126, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 30. Juni 1984, GZ 4 Cg 356/81-119, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil der ersten Instanz wieder hergestellt wird.
Die klagende Partei hat der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 4.956,30 S (darin 36 S Barauslagen und 447,30 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.953,50 S (darin 268,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 25. Mai 1929 in Sturmberg geborene Kläger und die am 16. Jänner 1926 in Bärnkopf geborene Beklagte schlossen am 15. September 1951 vor dem Standesamt Persenbeug die für beide erste Ehe. Am 16. September 1951 wurden sie auch kirchlich getraut. Der Kläger war damals Forstarbeiter und wohnte in Känigswald. Die Beklagte war Hausgehilfin und wohnte in Bärnkopf. Die Parteien sind Österreicher und rämisch-katholisch. In der Ehe wurden drei Kinder geboren: Maria am 21. Juni 1952, Anton am 21. Mai 1954 und Johannes am 25. Mai 1964.
Am 10. September 1973 brachte der Kläger eine Scheidungsklage wegen Verschuldens der Beklagten ein, in der er ihr grundlose Eifersucht, schwere Beschimpfungen, Mißhandlungen und Nichterfüllung ihrer Pflichten als Hausfrau, Mutter und Gattin vorwarf.
Die Beklagte bestritt dieses Vorbringen und beantragte zunächst nur die Abweisung des Scheidungsbegehrens.
In der Tagsatzung vom 17. September 1974 warf die Beklagte dem Kläger als 'weitere' Eheverfehlung schleppende und nur teilweise Zahlung des außergerichtlich vereinbarten Unterhaltsbeitrages von 1.700 S vor und beantragte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten über ihren Geisteszustand. Daraufhin vereinbarten die Parteien Ruhen des Verfahrens.
Am 10. Juni 1976 stellte der Kläger einen Fortsetzungsantrag. In der Tagsatzung vom 28. Oktober 1976 brachte er vor, daß die Parteien 'faktisch' seit Februar 1973 keine eheliche Gemeinschaft mehr hätten. Die Beklagte wohne, wirtschafte und koche in einem Zimmer, das mit den vom Kläger und dem (jüngeren) Sohn der Parteien bewohnten Räumen keine Verbindung habe. Deshalb stütze er sein Scheidungsbegehren nunmehr auch auf § 55 EheG.
Die Beklagte widersprach und führte dazu aus, der Kläger habe sie ausgesperrt und lasse sie nicht einmal in die Küche. Sie müsse sich das Wasser aus der gemeinsamen Toilette holen. Er gestatte ihr auch keinen Kontakt zum gemeinsamen Kind. Sie sei jederzeit zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft bereit.
Der zum Sachverständigen bestellte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Medizinalrat Dr. Otto B, bezeichnete die Beklagte als geisteskrank, weshalb ihr vom Kläger behauptetes Verhalten ihr nicht schuldhaft vorwerfbar sei. Diese Geisteskrankheit hebe die geistige Gemeinschaft auf, ohne daß eine Wiederherstellung zu erwarten sei. Hingegen sei die Beklagte prozeßfähig.
In der Tagsatzung vom 6. Juli 1978 behauptete die Beklagte, 'daß der Kläger seit einem Jahr manchmal übers Wochenende gesehen werde, wenn eine Frau da sei'.
Mit erstgerichtlichem Urteil vom 30. April 1979, ON 59, wurde die Ehe der Parteien geschieden, 'das Mehrbegehren auszusprechen, das Verschulden treffe die Beklagte', abgewiesen und der Kläger zum Ersatz von 3/4 der Prozeßkosten verpflichtet.
Das Erstgericht stützte seinen Scheidungsausspruch nur auf § 55 Abs. 3 EheG, weil die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit 13. Jänner 1972, somit seit mehr als sechs Jahren aufgehoben sei. Deshalb sei der Widerspruch der Beklagten bedeutungslos. Ein Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG sei nicht gestellt worden. Eine Scheidung nach § 49 EheG komme nicht in Betracht, weil der Beklagten ihre Eheverfehlungen wegen ihrer Geisteskrankheit nicht als schuldhaft vorzuwerfen seien. Eine Scheidung nach den §§ 50
und 51 EheG sei nicht begehrt worden.
Gegen dieses Urteil erhob nur die Beklagte Berufung. In der mündlichen Berufungsverhandlung am 5. Oktober 1979 stellte sie einen Antrag im Sinne des § 61 Abs. 3 EheG und begründete diesen damit, daß der Kläger ihr das Kind Johannes seit 1968 völlig entfremdet habe; daß der Kläger, als sie ihn in den Jahren 1968 bis 1973 wegen ihres Verhaltens mehrmals um Verzeihung gebeten habe, darauf in keiner Weise reagiert habe; daß er seine Unterhaltspflicht ihr gegenüber seit 1972 grob vernachlässigt habe; seit 1968 gegen ihren Willen seine Freizeit allein verbringe und sich in keiner Weise mehr um sie kümmere.
Der Kläger sprach sich gegen diesen Antrag aus und bestritt die diesen begründenden Behauptungen.
In seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1979, 16 R 151/79-65, bestätigte das Berufungsgericht das hinsichtlich der Abweisung des Mehrbegehrens, das Verschulden des Beklagten auszusprechen, nicht bekämpfte erstgerichtliche Urteil in seinem Scheidungsausspruch als Teilurteil und behielt die Kostenentscheidung hinsichtlich desselben dem Endurteil vor. Zur Entscheidung über den Antrag der Beklagten, das Verschulden des Klägers auszusprechen, verwies es die Rechtssache mit Beschluß unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück, wobei es die Berufungskosten zu weiteren Verfahrenskosten erklärte.
Diese Entscheidung blieb unbekämpft, so daß es im weiteren Verfahren nur mehr darum ging, ob der Kläger die Zerrüttung der nach § 55 Abs. 3 EheG rechtskräftig geschiedenen Ehe allein oder überwiegend verschuldet hat.
Dazu brachte die Beklagte in der Tagsatzung vom 5. März 1980 noch vor, daß ihr der Kläger im Februar (1980) keinen Unterhalt gezahlt habe.
Mit im Kostenpunkt berichtigtem Endurteil vom 2. Dezember 1980, ON 76, wies das Erstgericht den Antrag der Beklagten, nach § 61 Abs. 3 EheG auszusprechen, daß der Kläger die Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend verschuldet habe, ab. Weiters verpflichtete es den Kläger, der Beklagten 3/4 der Prozeßkosten bis zum Teilurteil vom 30. April 1979 zu ersetzen, und die Beklagte, dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens und des Verfahrens nach dem erwähnten Teilurteil zu ersetzen.
Das Erstgericht vertrat damals die Meinung, die Beklagte hätte ihren Antrag überwiegend auf Umstände nach der Zerrüttung gestützt. Die Entfremdung des Kindes, die angebliche Verletzung der Unterhaltspflicht, das Alleinverbringen der Freizeit könnten doch nur Folgen, aber nicht Ursachen der Zerrüttung der Ehe sein. Auch gegen dieses Endurteil erhob die Beklagte Berufung, der das Berufungsgericht mit Beschluß vom 26. Juni 1981, 16 R 37/81-84, Folge gab; das angefochtene Urteil wurde aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden als weitere Verfahrenskosten erklärt.
Das Berufungsgericht führte aus, wenn sich die Zerrüttung einer Ehe auch nicht auf den Tag genau feststellen lasse, so sei zur Beantwortung der Frage, ob und welche dem Kläger vorgeworfenen Eheverfehlungen zur Zerrüttung geführt oder beigetragen hätten, doch wenigstens eine annähernde Feststellung des Zeitpunktes der Ehezerrüttung erforderlich. Da die der Beklagten zur Last gelegten Eheverfehlungen auf ihre geistige Zerrüttung zurückzuführen seien, so daß der Beklagten kein Verschulden an der Ehezerrüttung zur Last gelegt werden könne, würden schon relativ geringfügige Eheverfehlungen des Klägers, die zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hätten, für einen Mitschuldausspruch im Sinn des § 61 Abs. 3 EheG ausreichen. Im fortgesetzten Verfahren seien Feststellungen für die Zeit von 1968 bis zur noch festzustellenden endgültigen Zerrüttung der Ehe zu treffen.
Mit dem nunmehrigen Endurteil vom 30. Juni 1984, ON 119, sprach das Erstgericht aus, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger allein treffe. Die Prozeßkosten bis zur Entscheidung vom 30. April 1979 teilte es im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Klägers; dann verpflichtete es die Beklagte zum Ersatz der Kosten des ersten Berufungsverfahrens, hingegen den Kläger zum Ersatz der weiteren Verfahrenskosten.
Das Erstgericht ging nunmehr im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Die Parteien wohnten bis etwa August 1967 in Känigswald im Waldviertel, wo sie eine kleine Landwirtschaft hatten. Dann zogen sie nach Wien, wo der Kläger (ganzjährig) als Holzarbeiter, die Beklagte zunächst im Sommer als Gartenarbeiterin der Forstverwaltung der Stadt Wien beschäftigt war. Erst später wurde sie Bedienerin. Bis zur Übersiedlung nach Wien und im ersten Jahr in Wien war die Ehe im wesentlichen harmonisch, der Haushalt ordentlich geführt, wobei der Kläger im wesentlichen die Einkäufe besorgte. Zumindest seit September 1968 leidet die Beklagte, bei der in den Jahren 1954 und 1955 vereinzelt Erscheinungen krankhafter Eifersucht aufgetreten waren, und die den Kläger im Jahr 1955 oder 1956 ohne feststellbaren Anlaß zum Herrgottswinkel gedrängt und auf ihn mit einem weihwassergetränkten Fetzen eingeschlagen hatte, weil sie einen in ihm steckenden Teufel austreiben wollte, an einer krankhaften Stärung ihrer Geistestätigkeit mit wahnhaften Eifersuchtsideen. Diese äußerten sich darin, daß sie gegen den Kläger und ihre Tochter unter Äußerung des Verdachtes deren unsittlichen Lebenswandels tätlich wurde und auch Hausmitbewohnerinnen sexueller Beziehungen mit dem Kläger verdächtigte. Unter dem Einfluß der Krankheit vernachlässigte sie den Haushalt. Durch die Eifersuchtsideen wurde die Beziehung zwischen den Ehegatten schwerstens gestärt. Am 18. Dezember 1968 wurde die Beklagte in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien-Baumgartner Höhe eingeliefert, nachdem sie am 10. oder 11. Oktober 1968 ihre damals fünfzehnjährige (richtig sechzehnjährige) Tochter wegen eingebildeter ehewidriger Beziehungen zum Kläger durch Ohrfeigen im Gesicht blutiggeschlagen hatte. In der im selben Haus gelegenen Wohnung des Ehepaares C, in die sich die Tochter geflüchtet und wo sich auch der Kläger eingefunden hatte, machte die Beklagte eine Szene, während der sie Frau C beschimpfte und ihr ehewidrige Beziehungen zum Kläger vorwarf. In den folgenden Tagen versuchte die Beklagte zwei- oder dreimal durch Klimmzüge am Fenster in die Wohnung des Ehepaares C hineinzusehen, weil sie sich einbildete, der Kläger wäre dort mit Frau C zusammen. Unter dem Druck der stationären Aufnahme und unter der Wirkung der Medikamente ließ die Beklagte durch einige Zeit von ihrem Wahn ab. Sie wurde auch vom Kläger, der über ihren Zustand informiert wurde, aus der Anstalt geholt und nach einer Beurlaubung am 17. April 1969 endgültig entlassen. Seither führte sie nicht mehr regelmäßig den Haushalt, so daß sich der Kläger 'teils' selbst kochen und den Sohn Johannes betreuen mußte. Wenn die Beklagte kochte, dann gab es drei oder vier Tage lang immer dasselbe Essen. Der Kläger reagierte darauf so, daß er das von der Beklagten gekochte Essen auf den Boden warf. In jeder Woche war ein paarmal die Wohnung nicht aufgeräumt. Der Kläger arbeitete damals bis 16 Uhr. Die Beklagte, welche die Forstkanzlei aufzuräumen hatte, arbeitete von Montag bis Freitag jeweils von 6 bis 7 Uhr und von 16 bis 18 Uhr. Wenn ihr der Kläger zuredete und ihr die Eifersucht auszureden und sie zur ordentlichen Haushaltsführung zu bewegen versuchte, zeigte sich die Beklagte ein oder zwei Tage einsichtig, dann war es wieder wie vorher. Bis das Ehepaar C im Juni 1969 wegzog, machte die Beklagte dem Kläger unbegründete Eifersuchtsvorwürfe wegen Frau C, bei der sich die Beklagte jedoch einmal entschuldigte und meinte, sie könne sich nicht vorstellen, warum sie das alles gemacht habe. Nachdem das Ehepaar C weggezogen war, begann die Beklagte ihrem Mann unbegründet Beziehungen zu Heidrun D vorzuwerfen und setzte dies solange fort, bis die genannte Frau 1973
wegzog. Die Beklagte ging in die Wohnung Frau DS, äffnete dort Kästen und schaute unter das Bett, um den Kläger zu suchen. Dabei sagte sie: 'Mein Mann ist da, mein Mann ist da'. Seit dem Winter 1971/72 beobachteten Besucher, daß der Kläger auf Anreden der Beklagten, die durchaus im guten erfolgten, keine Antwort gab und überhaupt nicht mit ihr sprach. Die Beklagte beschimpfte in den Jahren 1968 bis 1973 den Kläger infolge ihres Eifersuchtswahns wächentlich mehrmals. Sie behauptete auch, er verhure das ganze Geld, was jedoch nicht stimmte. Die Beklagte warf dem Kläger aber berechtigterweise vor, daß er zu viel arbeite. Zur 'endgültigen unheilbaren Zerrüttung der Ehe' kam es am 13. Jänner 1972 wegen folgenden Vorfalls: Die seit 1970 verheiratete Tochter der Parteien kam in deren Küche und erklärte dort der Mutter, sie werde kochen, weil diese zu bläd dazu wäre. Die Beklagte erklärte, die Tochter könne (bei sich) daheim kochen, hier würde sie selbst kochen. Als die Tochter ankündigte, den Kläger zu holen, zog sich die Beklagte in das bisher als eheliches Schlafzimmer verwendete Zimmer mit dem separaten Eingang zurück, weil sie fürchtete, wegen der Auseinandersetzung mit der Tochter wieder in eine psychiatrische Anstalt gebracht zu werden. Als der Kläger zu Mittag nach Hause kam, traf er dort die weinende Tochter, die ihm den Vorfall so erzählte, daß ihr die Mutter gesagt hätte, sie habe in der Wohnung nichts zu suchen. Der Kläger ging nach dem Essen weg, ohne die Beklagte gesehen zu haben. Abends wollte die Beklagte wieder in der Küche arbeiten, ihrer noch immer anwesenden Tochter, die wieder kochen wollte, dies aber nicht gestatten, so daß es zwischen Mutter und Tochter zu einer neuerlichen Auseinandersetzung kam. Der Kläger erklärte, daß nur er in der Küche zu reden habe und daß die Beklagte aus der Küche gehen solle. In der Folge ließ er die Beklagte nichts mehr in der Küche machen. Seit dem 13. Jänner 1972 wohnte die Beklagte in dem separaten Zimmer, in dem sie auch kochte und wirtschaftete, und das sie in Ordnung hielt. Der Kläger und der Sohn Johannes bewohnten die aus Vorzimmer, Küche und einem anderen Zimmer bestehende übrige Ehewohnung. Der Kläger kochte und wirtschaftete nunmehr für sich und den genannten Sohn. Etwa ab Juni 1973 zahlte er auf Grund einer im Rahmen eines Vergleichsversuches vor dem Bezirksgericht Hietzing geschlossenen Vereinbarung der Beklagten einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1.700 S, später nur noch
1.500 S, weil er 200 S für den von der Beklagten im separierten Zimmer verbrauchten Strom bezahlte. Vom 13. Jänner 1972 bis Juni 1973 bezahlte der Kläger seiner Frau trotz mehrmaliger diesbezüglicher gerichtlicher Vorladungen, bei denen er Ausflüchte machte, keinen Unterhalt. Seit 13. Jänner 1972 verkehrten die Ehegatten miteinander nur mehr einmal geschlechtlich, und zwar im Jahr 1973, weil die Beklagte den Kläger darum 'angebettelt' hatte. Seit dem Vorfall im Jänner 1972 befand sich der Sohn Johannes in Pflege und Erziehung des Vaters. Da der Vater nicht mit der Mutter sprach, verhielt sich Johannes zu ihr ähnlich, grüßte sie nicht und gab ihr keine Antworten. Er besuchte sie auch weder am Muttertag noch am Heiligen Abend. Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke gab er ihr teilweise zurück. Im Rahmen der Beweiswürdigung bezeichnete das Gericht das diesbezügliche Verhalten des Vaters als 'Abschirmen' des Kindes von der Mutter. Bis zum Jahr 1977, als in ihr Zimmer Fließwasser eingeleitet wurde, mußte die Beklagte das Wasser von der über den Gang zu erreichenden Toilette holen. Adele E, die nunmehrige Lebensgefährtin des Klägers, besuchte diesen seit 13. Jänner 1973 (richtig wohl 1972) drei- oder viermal an Sonntagen und einmal über das Wochenende, wobei sie mit ihm und dessen Sohn in einem Zimmer, allerdings in einem anderen Bett übernachtete. Daß der Kläger mit dieser Frau vor der Scheidung Zörtlichkeiten ausgetauscht oder geschlechtlich verkehrt hätte, konnte das Erstgericht nicht feststellen. Zwischen 1968 und 13. Jänner 1973 (richtig 1972) machte er keinen Urlaub und hatte praktisch keine Freizeit. Er übernahm meistens an den Wochenenden Arbeiten und betreute überdies den großen Garten. Eine gemeinsam verbrachte Freizeit der Parteien gab es in diesem Zeitraum nicht. Seit 1980 wohnt der Kläger in einer Dienstwohnung beim Gütenbachtor.
Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht noch aus, daß zwar schon vor dem 13. Jänner 1972 wegen der psychischen Erkrankung der Beklagten eine geistige Gemeinschaft zwischen den Eheleuten nicht (mehr) bestanden habe, daß der Kläger aber nach der von ihm veranlaßten Beurlaubung bzw. Entlassung der Beklagten aus dem psychiatrischen Krankenhaus zunächst offenbar versucht habe, die Ehe weiterzuführen. Bis zum 13. Jänner 1972 habe noch ein Minimum an ehelicher Gemeinschaft bei voller Aufrechterhaltung der häuslichen Gemeinschaft bestanden. Daher könne erst durch den Ausschluß der Beklagten aus der ehelichen Wohnung und ihre 'Verbannung' in das getrennte Zimmer von einer endgültigen Zerrüttung gesprochen werden. Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß das ehewidrige Verhalten der Beklagten nicht als Eheverfehlung zu betrachten sei, weil es in typischer Weise auf die geistige Zerrüttung zurückzuführen sei und es daher an einem Verschulden der Beklagten fehle. Dem Kläger sei hingegen vorzuwerfen, daß er seine Verpflichtung zur anständigen Begegnung und zum Beistand gegenüber der geisteskranken Beklagten nicht nachgekommen sei; insbesondere sei ihm vorzuwerfen, daß es seit ihrer Rückkehr aus dem psychiatrischen Krankenhaus bis zur Aufläsung der häuslichen Gemeinschaft praktisch keine gemeinsame Freizeit und keinen Urlaub gegeben habe. Der Kläger hätte in Anbetracht der Krankheit der Beklagten deren deshalb nicht ordnungsgemäße Haushaltsführung nicht so rüde unterbinden dürfen wie am 13. Jänner 1972. Auch daß er mit seiner Frau schon vor der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft und vor der endgültigen Zerrüttung der Ehe selbst dann nicht mehr gesprochen habe, wenn sie sich im guten an ihn gewendet habe, sei ihm als Eheverfehlung vorzuwerfen. All dies rechtfertige den von der Beklagten beantragten Ausspruch nach § 61 Abs. 3 EheG.
Gegen das Urteil erhob der Kläger Berufung wegen unrichtiger Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und unrichtiger Kostenfestsetzung. Zum letzteren Beschwerdegrund führte er aus, das Verfahren wäre wesentlich kürzer und äkonomischer geworden, wenn die Beklagte den Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG nicht erst in der ersten Berufungsverhandlung gestellt hätte. Deshalb wären dem Kläger nur die halben Prozeßkosten aufzuerlegen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, wies den Antrag der Beklagten auf Ausspruch des Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe ab, hob die Verfahrenskosten erster Instanz gegenseitig auf und verurteilte die Beklagte zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen, erblickte jedoch im festgestellten Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Verhalten der Beklagten auch kein geringgradiges Zerrüttungsverschulden. Selbst wenn die Beklagte wegen ihrer Krankheit dem Kläger während drei oder vier Tagen immer das gleiche Gericht gekocht hätte, hätte es geradezu psychiatrischer Schulung und therapeutischer Absicht bedurft, dies gleichgültig hinzunehmen und die Beklagte nicht schließlich aufzufordern, nichts mehr in der Küche zu machen. Ebenso entschuldbar sei, daß der Kläger seit dem Winter 1971/1972 auf Anreden der Beklagten keine Antwort gegeben und mit ihr überhaupt nichts gesprochen habe. Er habe ja nicht wissen können, wann sie ihn im guten anrede und ob ihre Wahnideen nicht während des Gesprächs wieder durchbrechen würden. Daß sich der Kläger in die Arbeit gestürzt und keine Freizeit und keinen Urlaub gehabt habe, könne nur so aufgefaßt werden, daß er dadurch den Auseinandersetzungen mit der Beklagten aus dem Wege gehen wollte. Ein Zusammensein mit anderen Ehepaaren wäre für die Beklagte nur Anlaß weiterer Eifersuchtsvermutungen und Vorhalte gewesen. Ein Zusammensein nur mit ihr wäre dem Kläger nicht zumutbar gewesen, weil schon der Alltag die in den Wahnideen der Beklagten wurzelnden Zerwürfnisse gebracht habe. Es sei daher geradezu auszuschließen, daß eine gemeinsam verbrachte Freizeit oder ein gemeinsamer Urlaub sinnvoll gestaltet werden hätte können. Das Verhalten des Klägers habe dazu geführt, den ständigen zermürbenden Vorwürfen der Beklagten zu entgehen. Es wäre ihm nicht zumutbar gewesen, sich geradezu in selbstschädigender Absicht ungerechtfertigten Bezichtigungen der Beklagten auszusetzen. Das Gesamtverhalten des Klägers sei daher als normale Reaktion eines gesunden einfachen Menschen auf das krankhafte Verhalten der Beklagten zu werten und daher nicht im Sinn des § 61 Abs. 3 EheG zu qualifizieren.
In ihrer mit unrichtiger rechtlicher Beurteilung begründeten Revision beantragt die Beklagte, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß ihrem Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG stattgegeben und der Kläger zum Ersatz der gesamten Verfahrenskosten verpflichtet werde, allenfalls die Aufhebung und Zurückverweisung. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel ist berechtigt.
Die Ehe der Parteien wurde weder wegen Verschuldens (Eheverfehlungen nach §§ 47 bis 49 EheG) noch wegen auf geistiger Stärung beruhenden Verhaltens (§ 50 EheG) oder Geisteskrankheit (§ 51 EheG) der Beklagten, sondern ausschließlich wegen tiefgreifender unheilbarer Zerrüttung der Ehe nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft seit sechs Jahren (§ 55 Abs. 3 EheG) rechtskräftig geschieden. Der Antrag der Beklagten auszusprechen, daß der Kläger die Zerrüttung (allein oder überwiegend) verschuldet hat, ist daher nach § 61 Abs. 3 EheG zulässig.
Der Oberste Gerichtshof teilt die vom Berufungsgericht abgelehnte Rechtsmeinung des Erstgerichtes, daß dieser Antrag der Beklagten auch begründet ist, weil der Kläger die Zerrüttung allein verschuldet hat.
Eine Ehe ist tiefgreifend unheilbar zerrüttet, wenn die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden geistigseelischkörperlichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist (vgl. § 55 Abs. 1 EheG; Schwind, Kommentar zum österreichischen Eherecht+2, 202 und 233; derselbe, Familienrecht 67; Pichler in Rummel, ABGB Rdz 3 zu § 49 EheG und Rdz 4 zu § 55 EheG; Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts+7 II 193 f. und 200).
Von einer solchen tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Parteien kann nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes jedenfalls bis zum 13. Jänner 1972 nicht gesprochen werden. Wenn die Beziehung zwischen den Ehegatten auch wegen der wahnhaften Eifersuchtsideen der Beklagten schwerstens gestärt war, bestand die eheliche Lebensgemeinschaft doch, vor allem als Wohn-, Wirtschafts-, Geschlechts- und hinsichtlich des jüngeren Sohnes auch als Erziehungsgemeinschaft weiter. Die geistig-seelische Komponente, die bei der einfachen Struktur der Parteien in deren Beziehung von Anfang an keine vorrangige Rolle gespielt haben wird, reduzierte sich jedoch wegen des von ihrer geistigen Erkrankung bestimmten Verhaltens der Beklagten und der diese Krankheit zu wenig berücksichtigenden Reaktionen des Klägers immer stärker. Der Kläger hat aber dadurch, daß er die Beklagte nach dem 13. Jänner 1972 nichts mehr in der Küche machen ließ und sie praktisch in das von den übrigen Räumen der Ehewohnung separierte frühere eheliche Schlafzimmer 'verbannte', das damals über keine ordentliche Kochgelegenheit und über keinen Wasseranschluß verfügte, so daß die Beklagte das Wasser aus der Toilette holen mußte, daß er nicht mehr mit ihr sprach und mit einer Ausnahme im Jahre 1973, in der sie ihn darum 'angebettelt' hatte, nicht mehr mir ihr geschlechtlich verkehrte, ihr trotz mehrmaliger gerichtlicher Vorladungen, bei denen er Ausflüchte machte, von Jänner 1972 bis Juni 1973 weder Naturalunterhalt noch Geldunterhalt leistete und ohne pflegschaftsgerichtliche Billigung die Beklagte von der auch ihr zustehenden Pflege und Erziehung des im Jänner 1972 noch nicht ganz acht Jahre alten jüngsten gemeinsamen Kindes nicht nur gänzlich ausschloß, sondern dieses Kind von der Mutter gänzlich 'abschirmte' und es zuließ, daß es die Mutter nicht mehr grüßte, mir ihr nicht sprach, ihre Fragen nicht beantwortete, ja sie nicht einmal am Muttertag und am Heiligen Abend besuchte und sogar Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke teilweise zurückgab, schwere Eheverfehlungen begangen.
Er verstieß nämlich gegen die im damals geltenden Ehe- und Familienrecht festgelegten Pflichten, in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, die Kinder gemeinsam zu erziehen und sich gegenseitigen Beistand zu leisten (§ 44 ABGB); gegen die Verbindlichkeiten zur sogenannten 'ehelichen Pflicht' und anständigen Begegnung (§ 90 ABGB in der bis 31. Dezember 1975 geltenden Fassung) und gegen die Pflicht, der Ehegattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu verschaffen (§ 91 ABGB in der erwähnten Fassung). Weiters mißbrauchte er grob das ihm als Haupt der Familie zustehende Recht, das Hauswesen zu leiten (§ 91 ABGB in der erwähnten Fassung) und hinderte als Vater mißbräuchlich die Mutter an ihrem Recht bzw. ihrer Verpflichtung zur Erziehung des jüngsten Kindes, insbesondere zur Pflege des Körpers und der Gesundheit (§§ 139, 141 und 144 ABGB in der bis 31. Dezember 1977 geltenden Fassung). Auch erzog er dieses Kind entgegen § 144 ABGB in der erwähnten Fassung nicht zur Ehrfurcht und zum Gehorsam gegen die Mutter.
Weil es sich dabei um schwere Eheverfehlungen handelt, braucht auf die insbesondere in der Lehre strittige Frage, ob Verfehlungen, die eine Scheidung wegen Verschuldens nach den §§ 47 bis 49 EheG nicht rechtfertigen würden, für einen Ausspruch nach § 61 Abs. 3 EheG ausreichen (vgl. Pichler in Rummel, ABGB Rdz 5 zu § 55 EheG und Rdz 5 zu § 61 EheG bzw. EFSlg. 41.290, 41.291), nicht näher eingegangen werden.
Durch diese anschließend an den Vorfall vom 13. Jänner 1972 begangenen schweren Eheverfehlungen hat der Kläger die tiefgreifende unheilbare Zerrüttung der Ehe, die bis dahin noch nicht eingetreten war, allein verschuldet, weil der Beklagten wegen ihrer geistigen Stärung kein diesbezügliches Verschulden vorgeworfen werden kann. Da die tiefgreifende unheilbare Zerrüttung der Ehe insbesondere erst durch die seit 13. Jänner 1972 begangenen schweren Eheverfehlungen des Klägers endgültig wurde, - der Vorfall vom 13. Jänner 1972 hätte bei einem anderen späteren Verhalten des Klägers vermutlich gar keine besondere Bedeutung erhalten - erübrigt es sich, näher darauf einzugehen, ob die vom Berufungsgericht beurteilten Vorfälle bis zum 13. Jänner 1972 für sich allein einen Ausspruch nach § 61 Abs. 3 EheG rechtfertigen könnten, und ob für einen solchen Ausspruch auch nach der tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangene schuldhafte Pflichtverletzungen von Bedeutung sein können (Schwind, Verschulden als Scheidungsgrund, Zerrüttungsursache und Faktor im Scheidungsfolgenrecht in ÖJZ 1983, 197 ff., zugleich Auseinandersetzunv mit EvBl. 1983/55; Koziol-Welser aaO 202). Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles abzuändern.
Die Kostenentscheidungen sind durch § 45 a Abs. 2 ZPO begründet. Schon im Hinblick auf diese Bestimmung ist die in der Berufung ON 120 erhobene Kostenbeschwerde unbegründet.
Anmerkung
E06928European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0030OB00534.85.1113.000Dokumentnummer
JJT_19851113_OGH0002_0030OB00534_8500000_000