TE OGH 1985/11/19 11Os171/85

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Veröffentlicht am 19.11.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.November 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hausmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef A wegen des Vergehens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.Mai 1985, GZ 4 b E Vr 3.142/79-83, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.Mai 1985, GZ 4 b E Vr 3.142/79-83, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG in Verbindung mit dem § 53 StGB. Dieser Beschluß sowie alle darauf beruhenden gerichtlichen Verfügungen werden aufgehoben und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen, dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren AZ 4 b E Vr 3.142/79 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde dem Verurteilten Josef A mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 6.Oktober 1983 die über ihn verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten (ebenso wie der unverbüßte Teil einer in der Strafsache AZ 19 U 320/78 des Jugendgerichtshofes Wien festgesetzten Strafe) mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren erlassen (ON 65 d.A).

Danach wurde Josef A in dem mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 6.Juni 1984 abgeschlossenen Verfahren AZ 9 d Vr 9.107/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien des am 13.Mai 1983 verübten Vergehens der schweren Körperverletzung schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Wegen der neuerlichen Verurteilung sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluß vom 20.Mai 1985, GZ 4 b E Vr 3.142/79- 83, unter Zitierung des § 53 Abs. 1 StGB aus, daß in dieser Strafsache vom Widerruf der im Gnadenwege erteilten bedingten Strafnachsicht abgesehen und gleichzeitig die Probezeit auf insgesamt fünf Jahre verlängert werde.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluß steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Beim gnadenweisen Nachlaß einer gerichtlichen Strafe mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht unter Festsetzung einer Probezeit - wie im vorliegenden Fall - werden Inhalt und Auswirkungen des individuellen Gnadenaktes des Bundespräsidenten, also auch die Voraussetzungen für einen Widerruf des Strafnachlasses, materiell- und verfahrensrechtlich durch die jeweils geltenden Bestimmungen über das Institut der bedingten Strafnachsicht determiniert. Demzufolge obliegt die Vollziehung eines derartigen Gnadenaktes dem Gericht, sodaß der Gnadenerweis durch den Bundespräsidenten einer Gewährung bedingter Strafnachsicht durch ein Urteil erster, aber auch letzter Instanz und sohin der Zeitpunkt dieses Gnadenaktes jenem des Eintritts der Rechtskraft eines derartigen gerichtlichen Erkenntnisses entspricht. Wird somit eine schon vor dem Gnadenakt begangene weitere Straftat des Begnadigten erst nach der Entscheidung des Bundespräsidenten abgeurteilt, muß entsprechend den Bestimmungen des § 55 Abs. 1 und Abs. 2 StGB auf erweiterter Erkenntnisgrundlage eine nochmalige Überprüfung der Gnadenentschließung vorgenommen werden, die jedoch kraft der Verfassungsbestimmung des Art. 65

Abs. 2 lit. c B-VG. in die ausschließliche Kompetenz des Staatsoberhauptes fällt. Für eine in Vollziehung des Gnadenaktes ergehende gerichtliche Entscheidung ist in diesen Fällen - anders als bei einer Delinquenz des Begnadigten innerhalb der ihm eingeräumten Probezeit - kein Raum (siehe SSt. 48/85, 12 Os 184/84). Demgemäß hätte das Landesgericht für Strafsachen Wien die nachträgliche Verurteilung des Josef A im Verfahren AZ 9 d Vr 9.107/83 dieses Gerichtshofes nicht zum Anlaß nehmen dürfen, um selbst über einen allfälligen Widerruf der mit Entschließung vom 6. Oktober 1983 gnadenweise gewährten bedingten Strafnachsicht zu entscheiden und zudem noch eine im Gesetz nicht vorgesehene Verlängerung der Probezeit wegen eines vor ihrem Beginn verübten Deliktes zu verfügen, sondern es hätte die Akten dem Bundesministerium für Justiz auf dem im § 411 StPO vorgeschriebenen Weg zur Entscheidung der Widerrufsfrage durch den Bundespräsidenten zuleiten müssen (siehe hiezu JABl. 1979/7), wie dies im Parallelverfahren AZ 9 U 320/78 des Jugendgerichtshofes Wien geschah und übrigens auch in der gegenständlichen Strafsache zunächst von Anklagebehörde und Gericht ohnehin zutreffend ins Auge gefaßt worden war (S 298 d.A).

Mithin war spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E06869

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00171.85.1119.000

Dokumentnummer

JJT_19851119_OGH0002_0110OS00171_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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