Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B***
C M.B.H., Wien 23., Perfektastraße/Herziggasse, vertreten durch Dr. Gerald Hausar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Lutz D, gestorben am 27. April 1984, zuletzt wohnhaft Bad Aussee, Kurhausplatz 57, vertreten durch Dr. Heinrich Hofrichter, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen restl. S 22.431,94 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 25. April 1985, GZ. 6 R 51/85-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 8. Jänner 1985, GZ. 3 Cg 459/83-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin A B*** C M.B.H. ist
schuldig, der Beklagten die mit S 2.959,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 240,- Barauslagen und S 247,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 27.4.1984 verstorbene Lutz Absolon war Eigentümer des Hauses Bad Aussee, Kurhausplatz 57. Dieses Objekt besteht aus einem Wohnhaus mit L-förmigem Grundriß, an welches nördlich ein kleiner Hofraum anschließt. Die östliche Giebelseite des Wohnhauses steht unmittelbar am Rand der hier vorbeiführenden Gemeindestraße. Der anschließende Gebäudetrakt ist ost-west-orientiert. Der Hofraum ist zur Gemeindestraße durch eine rund 2,5 m hohe Mauer abgeschlossen. Unmittelbar nördlich an das Haus anschließend befindet sich eine 3,5 m breite Hofeinfahrt mit rundbogenförmiger Überdachung. Eine Absicherung zur Gemeindestraße durch ein entsprechendes Tor ist nicht gegeben. Es ist auch kein Hinweis vorhanden, daß es sich um Privatgrund handelt und daß das Einfahren oder Parken verboten ist. Am 17.3.1981 fuhr Helmut E mit einem der Klägerin gehörigen PKW zu dem Haus, um einen Kundenbesuch in dem dort etablierten Geschäft der Firma F vorzunehmen. Da er in unmittelbarer Nähe des Hauses keinen Parkplatz fand, fuhr er, wie schon mehrfach früher, in den Hof des Hauses hinein und parkte dort den PKW im unmittelbaren Bereich der nordseitigen Hausmauer. Er hat sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, ob es sich hiebei um einen privaten Hof handeln könne. Aus diesem Grund hat er nie jemanden um die Erlaubnis zum Parken gefragt. Als er gerade bei geöffneter Heckklappe im Kofferraum nach Unterlagen suchte, löste sich von der Dachfläche des Hauses eine Dachlawine, die auch den PKW beschädigte. Während das Erstgericht der Klägerin unter Abweisung eines Mehrbegehrens von S 11.217,48 S 22.434,94 s.A. zusprach, wies das Berufungsgericht das gesamte Klagebegehren ab. Es erklärte allerdings die Revision für zulässig. Im Gegensatz zum Erstgericht vertrat es die Rechtsansicht, bezüglich privater Hofflächen, deren Benützung der Eigentümer Fremden nicht gestattet hat, bestehe nicht die Verpflichtung des Hauseigentümers zur Sicherung gegen den Abgang von Dachlawinen. Im vorliegenden Fall habe der Hauseigentümer keinerlei Voraussetzungen geschaffen, die die Annahme, es handle sich um einen der Öffentlichkeit zugänglichen Parkplatz, gerechtfertigt hätten. Demnach komme eine Haftung für den Abgang einer Dachlawine auf diesen Hof nicht in Frage. Nach § 1319 ABGB sei die Sache nicht zu beurteilen, weil Dachlawinen dieser Bestimmung nicht subsumiert werden könnten.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision (welchen Revisionsgrund die Klägerin geltend machen will, kann zwar ihrer Anfechtungserklärung nicht eindeutig entnommen werden, doch kann es sich hiebei nur um den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beruteilung, allenfalls der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens handeln) ist nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht hat keine selbständige Beweiswürdigung vorgenommen, sondern ist von dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt ausgegangen. Daß es sich bei dem Hof des Hauses des verstorbenen Lutz D um einen öffentlichen Parkplatz gehandelt habe, kann auch die Klägerin nicht ernsthaft behaupten. Die Frage, ob bei den gegebenen Umständen eine gegenteilige Annahme eines Benützers gerechtfertigt gewesen wäre, ist eine Rechtsfrage und keine Tatfrage.
Bei der rechtlichen Beurteilung ist davon auszugehen, daß der Hof eines Hauses keine öffentliche Verkehrsfläche darstellt und demnach die Bestimmungen des § 93 StVO nicht anwendbar sind. Irgendwelche von Lutz D geschaffene Umstände, die geeignet gewesen wären, bei einem Fremden die Vermutung zu rechtfertigen, es handle sich um einen öffentlichen Parkplatz, wurden nicht festgestellt. Der Hof grenzt nicht unmittelbar an die öffentliche Verkehrsfläche an, sondern ist von dieser durch eine Mauer deutlich abgegrenzt. Daß man von der Straße zu ihm durch ein Tor gelangen kann, rechtfertigt noch nicht die Annahme, es handle sich um eine öffentliche Verkehrsfläche, weil in der Regel fast jede private Fläche durch ein Tor von der Straße her erreichbar ist. Ein Grundsatz der besagt, im Zweifel könne angenommen werden, daß jede von der Straße aus irgendwie erreichbare Fläche von der Allgemeinheit ohne weiters benützt werden dürfe, ist dem österreichischen Recht fremd. Demnach besteht auch keine allgemeine Verpflichtung des jeweiligen Grundeigentümers ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß Fremden der Zutritt zu seinem Grund verboten ist. Es steht zwar fest, daß Helmut E schon früher mehrfach den Hof zum Abstellen des PKWs der Klägerin benützt hat, doch wurde nicht festgestellt, daß dies dem Hauseigentümer bekannt war. Nach den getroffenen Feststellungen waren die örtlichen Verhältnisse so, daß man nicht zu der Annahme verleitet wurde, es handle sich bei dem Hof um einen öffentlichen Parkplatz. Mangels Kenntnis des Umstandes, daß der Hof ungeachtet der fehlenden Berechtigung, fallweise auch von Außenstehenden zum Abstellen ihrer Fahrzeuge verwendet wurde, kann es daher dem Hauseigentümer nicht als Verschulden angelastet werden, daß er nicht durch Anbringung einer Tafel noch zusätzlich auf das unerlaubte Abstellen von Fahrzeugen verwiesen hat. Vielmehr konnte der Hauseigentümer sich darauf verlassen, daß seine durch die Art der Anlage klar erkennnbaren Privatrechte an der Grundfläche von Außenstehenden respektiert werden. Da der Hauseigentümer im vorliegenden Fall keinen allgemeinen Verkehr auf seiner Liegenschaft eröffnet hat, traf ihn auch keine Verkehrssicherungspflicht. Voraussetzung für die Verpflichtung zum Tätigwerden ist, daß dem Betroffenen bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt überhaupt erkennbar ist, daß er eine derartige Gefahrenquelle geschaffen hat (SZ 52/33, ZVR 1980/94 u.a.). Dies war nach den getroffenen Feststellungen hier nicht der Fall.
Ob im Gegensatz zu der bisherigen Judikatur und in Übereinstimmung mit einem Teil der neueren Lehre (Reischauer in Rummel, Rdz 10 zu § 1319 ABGB, Koziol-Welser 7 I 421) durch Dachlawinen verursachte Schäden unter § 1319 ABGB zu subsumieren sind, ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, weil auch dann, wenn als Haftungsgrundlage neben § 93 Abs. 2 StVO nur die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Vorschriften der §§ 1295 ff. ABGB oder auch eine analoge Anwendung des § 1319 ABGB in Betracht kommen, die Haftung eines Verschulden des Besitzers des Gebäudes bedarf (ZVR 1980 293, 8 Ob 158/80 u.a.). § 1319 ABGB führt nur zu einer Beweislastumkehr. Diese Bestimmung läßt den Besitzer des Gebäudes dann haften, wenn durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder eines anders auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht wird, falls das Ereignis die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Der Besitzer hat also zu beweisen, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet hat. Der Entlastungsbeweis ist erbracht, wenn er beweist, daß er Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs erwartet werden können (Reischauer in Rummel, Rdz 17 zu § 1319, MietSlg. 34.289, JBl. 1970, 623 u.a.). Es gehört nicht zu der erforderlichen Sorgfalt des Hauseigentümers, Flächen seines Grundstückes, die von der Allgemeinheit nicht zum Parken von PKWs verwendet werden dürfen und bezüglich derer er auch nicht damit rechnen muß, daß sie von Fremden zum Abstellen von Kraftfahrzeugen verwendet werden könnten, vor abgehenden Dachlawinen zu schützen. Wenn daher ein Schaden durch eine Dachlawine nur dadurch entsteht, daß ein Unbefugter eine fremde Liegenschaft zum Parken von Kraftfahrzeugen verwendet hat, ohne daß dies durch irgendwelche Maßnahmen oder Unterlassungen des Hauseigentümers gerechtfertigt gewesen wäre, so würde der Hauseigentümer für die durch den Abgang der Dachlawine an dem Kraftfahrzeug entstandenen Schäden auch dann nicht haften, wenn man dieses Ereignis unter § 1319 ABGB subsumieren würde.
Im vorliegenden Fall scheidet sohin eine Haftung der Beklagten für die geltend gemachten Schäden auf jeden Fall aus, gleichgültig unter welche Bestimmung man Ereignisse, wie die vorliegenden, subsumiert, weil das Befahren des Hofes mit PKWs widerrechtlich war. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Hiebei war nur von einem restlichen Streitwert von S 22.431,54 auszugehen.
Anmerkung
E07086European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00643.85.1120.000Dokumentnummer
JJT_19851120_OGH0002_0070OB00643_8500000_000