Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Johann A, Kaufmann, Wien 1., Graben 13, vertreten durch Dr. Helmut Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die Antragsgegnerin Gemeinde St. B am Arlberg, vertreten durch Dr. Franz Purtscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Einräumung eines Notweges, infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 3. September 1985, GZ. 1 b R 138/85-109, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Landeck vom 29. April 1985, GZ. 1 Nc 88/80-101, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Antragsteller ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 930 II der KG. St. Anton mit den Grundstücken 1914/5, 1914/6 und 1914/11. Die Liegenschaft entbehrt einer Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz. Es besteht jedoch die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über die südöstlich der Liegenschaft gelegenen Grundstücke 1913/3 bis 6. In dieser Richtung befindet sich auch der öffentliche Weg (Grundstück 2633/1). Zwischen dem öffentlichen Weg und den dienenden Grundstücken liegt das im Eigentum der Antragsgegnerin stehende Grundstück 1919/1. Der Antragsteller begehrt die Einräumung eines Notweges über dieses Grundstück. Bei der von ihm beanspruchten Fläche handelt es sich um eine bereits asphaltierte Fahrbahn, die von Anrainern bereits als Zufahrt benützt wird.
Das Erstgericht gab auch im dritten Rechtsgang dem Antrag statt und sprach der Antragsgegnerin eine Entschädigung von S 65.000 zu. Nach seinen Feststellungen kaufte der Antragsteller die Liegenschaft im Jahre 1973. Der Verkäufer benützte ebenso wie die übrigen Anrainer die Zufahrt über das Grundstück der Antragsgegnerin. Er hatte darüber auch eine schriftliche Bewilligung und war der Meinung, daß diese auch für seinen Rechtsnachfolger gelte. Er teilte dies auch dem Antragsteller mit, der sich beim damaligen Bürgermeister der Antragsgegnerin über die Zufahrt erkundigte. Der Bürgermeister versicherte dem Antragsteller mehrfach, "das mit der Zufahrt" über den Gemeindegrund gehe in Ordnung, der Antragsteller könne sich darauf verlassen. Noch im Jahre 1973 suchte der Antragsteller um eine Baubewilligung für zwei Mehrfamilienhäuser an. Die Bewilligung wurde rechtskräftig versagt, weil es sich um Appartementhäuser handelte, deren Errichtung nur auf dafür im Flächenwidmungsplan vorgesehenen Sonderflächen erlaubt ist. Im Zuge des Bewilligungsverfahrens beschloß der Gemeinderat, dem Antragsteller die Zufahrt über das Grundstück 1919/1 zu verweigern. Der Antragsteller plant ein neues Bauvorhaben. Ein Bebauungsplan besteht für den Bereich, in dem die Liegenschaft liegt, nicht, wohl aber sind Bebauungsrichtlinien vorhanden, und das Gebiet ist voll aufgeschlossen. Die Liegenschaft des Antragstellers war ursprünglich als Bauland gewidmet, sie wurde jedoch im Zusammenhang mit der Gründung der Agrargemeinschaft St. Anton in Baulandaufschließungsgebiet rückgewidmet. Die Antragsgegnerin hat zwar eine andere Zufahrtsmöglichkeit vorgeschlagen, sie ist jedoch nicht in der Lage, ein solches Projekt in absehbarer Zeit zu realisieren.
Das Erstgericht bejahte die Passivlegitimation der Antragsgegnerin, weil diese Eigentümerin der betroffenen Liegenschaft sei, und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Einräumung eines Notweges. Da der Antragsteller die Liegenschaft zum Zwecke der Bebauung erworben habe und die Liegenschaft im Bauaufschließungsland gelegen sei, gehöre eine Bebauung zu ihrer ordentlichen Bewirtschaftung und Benützung. Eine Rückwidmung in Bauaufschließungsland sei auch nur mangels gesicherter Zufahrt erfolgt. Eine auffallende Sorglosigkeit des Antragstellers in bezug auf den Mangel der Wegeverbindung sei mit Rücksicht auf die von ihm beim Kauf der Liegenschaft eingeholten Auskünfte auszuschließen. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es verneinte das Vorliegen der von der Antragsgegnerin behaupteten Verfahrensmängel, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsansicht.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist unzulässig. Im Verfahren nach dem Notwegegesetz ist die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses nach dem Außerstreitrecht zu beurteilen (RZ 1964, 142; SZ 33/73). Da das Gericht zweiter Instanz die Entscheidung des Erstgerichtes bestätigte, kommt ein Rechtzug an den Obersten Gerichtshof nur aus den Gründen des § 16 AußStrG in Betracht. Die Revisionsrekurswerberin macht eine offenbare Gesetzwidrigkeit geltend, die sie darin erblickt, daß das Rekursgericht den Begriff der ordentlichen Bewirtschaftung und Benützung im Sinne des § 1 NotwegeG verkenne, dem Begriff der offenbaren Sorglosigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 NotwegeG einen Inhalt beilege, der ihm nicht zukomme, und die im § 2 Abs. 1 NotwegeG vorgeschriebene Abwägung der Vor- und Nachteile überhaupt unterlassen habe.
Eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 AußStrG liegt nur vor, wenn die zur Beurteilung gestellte Frage im Gesetz so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (SZ 44/180 uva). Die Beurteilung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im konkreten Fall ein Notweg einzuräumen ist und ob die Notlage des Antragstellers durch eine auffallende Sorglosigkeit herbeigeführt wurde, kann - wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach erkannt hat - mangels Vorliegens einer solchen Voraussetzung eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht begründen (4 Ob 523/84; 4 Ob 547/83; 8 Ob 526/82 uva). Der Vorwurf, daß zur Frage, ob der Vorteil des Notweges die Nachteile nicht überwiegt, überhaupt jede Stellungsnahme unterlassen wurde (vgl. SZ 40/78), trifft nicht zu. Wie sich aus den vom Rekursgericht gebilligten Rechtsausführungen des Erstgerichtes zweifelsfrei ergibt, erachtete dieses in der Benützung des Weges auch für die Errichtung eines Bauwerkes keinen überwiegenden Nachteil. Nach Auffassung der Vorinstanzen seien lediglich das konkrete Bauvorhaben und die hiefür erforderliche konkrete Benützung des Weges in diesem Verfahren nicht zu erörtern. Die Nichteinbeziehung aller denkbaren Umstände des Einzelfalles in die Abwägung bildet jedoch aus den oben dargelegten Gründen keine offenbare Gesetzwidrigkeit (vgl. EFSlg. 39.808, 37.380). Demgemäß ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Anmerkung
E07028European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0020OB00659.85.1126.000Dokumentnummer
JJT_19851126_OGH0002_0020OB00659_8500000_000