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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §103 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der S GmbH i.Liqu., vertreten durch Dr. Eric Agstner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 11, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. September 2002, RV/027-06/05/2002, betreffend Zurückweisung eines Antrages und Erklärung eines Antrages als zurückgenommen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 10. April 2000 beantragte die beschwerdeführende GmbH, auf ihrem Abgabenkonto ein Guthaben von 29,464.153,87 S "durch entsprechende Buchungsmitteilung wiederherzustellen" und ihr diesen Betrag zu überweisen. Dieses Steuerguthaben sei vom Finanzamt zu Unrecht nicht anerkannt und statt dessen "aufgrund von Strafbescheiden" ein Rückstand von ca 35 Mio S ausgewiesen worden.
Mit Bescheid vom 4. Mai 2000 wies das Finanzamt das Anbringen als unzulässig zurück, weil es gesetzlich nicht vorgesehen sei.
In der Berufung gegen diesen Bescheid wird dessen ersatzlose Aufhebung und die Wiederherstellung und Überweisung des Guthabens beantragt.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 6. Juni 2000 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab.
In der Folge stellte die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 6. Juli 2000 den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Das Finanzamt gab sodann der Berufung mit zweiter Berufungsvorentscheidung vom 12. November 2001 Folge und hob den bekämpften Zurückweisungsbescheid auf. In der Bescheidbegründung wird ausgeführt, die Eingabe vom 4. Mai 2000 werde als Antrag auf Wiederaufnahme von (Abgaben-)Verfahren gewertet. Dieser Antrag sei zu Unrecht zurückgewiesen worden.
Gleichzeitig mit der zweiten Berufungsvorentscheidung erteilte das Finanzamt der Beschwerdeführerin einen Mängelbehebungsauftrag, womit hinsichtlich des Wiederaufnahmeantrages vom 4. Mai 2000 nähere Angaben (Bezeichnung der betroffenen Verfahren, etc) gefordert wurden.
Mit Eingabe vom 12. Dezember 2000 beantragte die Beschwerdeführerin erneut die Entscheidung die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und führte u.a. aus, die Eingabe vom 10. April 2000 sei nicht als Wiederaufnahmeantrag anzusehen.
Mit Bescheid vom 3. Jänner 2000 erklärte das Finanzamt die als Wiederaufnahmeantrag gewertete Eingabe vom 10. April 2000 gemäß § 85 Abs. 2 BAO als zurückgenommen.
Gegen diesen Bescheid vom 3. Jänner 2000 brachte die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 7. Jänner 2002 Berufung ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. September 2002 wies die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland die Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid vom 4. Mai 2000 als unbegründet ab und gab der Berufung gegen den Bescheid vom 3. Jänner 2000 (Gegenstandsloserklärung einer Eingabe) - durch dessen ersatzlose Aufhebung - Folge. Einer der Beschwerdeführerin zugegangenen Buchungsmitteilung vom 5. September 1996, welche ein Guthaben von 29,464.153,87 S ausweise, seien - in Anschluss an eine abgabenbehördliche Prüfung -
umfangreiche Abgabenfestsetzungen gefolgt. Gegen die Bescheide betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer 1992 bis 1994 sowie Gewerbesteuer 1992 und 1993 habe die Beschwerdeführerin Berufung eingebracht, diese Berufung aber mit Schreiben vom 10. September 1997 zurückgenommen. Gegen diese Abgabenbescheide, die zu einer Verringerung des Steuerguthaben geführt haben, zu berufen, wäre für die Beschwerdeführerin das geeignete Instrument zur Geltendmachung ihrer Rechte gewesen. Durch die Zurücknahme der Berufung habe die Beschwerdeführerin die Möglichkeit verwirkt, Bescheidänderungen herbeizuführen. Da Buchungsmitteilungen nicht normativ über rechtliche Interessen absprächen, sei das Anbringen betreffend Anerkennung von Steuerguthaben als nicht zulässig zurückzuweisen gewesen. Da die Eingabe vom 10. April 2000 kein Wiederaufnahmeantrag sei, hätte diesbezüglich weder ein Mängelbehebungsauftrag noch ein Zurücknahmebescheid ergehen dürfen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
In der Beschwerde wird vorgebracht, der angefochtene Bescheid sei der Beschwerdeführerin - auf ihren Antrag - am 11. Juni 2003 zugestellt worden.
In der Gegenschrift verweist die Finanzlandesdirektion darauf, dass der angefochtene Bescheid bereits am 25. Oktober 2002 der Kanzlei des Rechtsanwalts Mag. K (als Vertreter der Beschwerdeführerin) zugestellt worden sei. Was der Grund dafür sei, dass Mag. K den angefochtenen Bescheid mehr als ein halbes Jahr der Beschwerdeführerin vorenthalten habe, entziehe sich der Kenntnis der Finanzlandesdirektion. Die Finanzlandesdirektion habe den angefochtenen Bescheid deshalb nicht an den Liquidator der Beschwerdeführerin zugestellt, weil andere an dessen Adresse gerichtete Schreiben mit dem Vermerk "verzogen" zurückgekommen seien.
Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer Stellungnahme zur Gegenschrift vor, Mag. K habe nicht über eine Zustellvollmacht verfügt.
Aus der Aktenlage ist ersichtlich, dass Rechtsanwalt Mag. K. mit Telefax vom 28. Jänner 2002 dem Finanzamt mitgeteilt hat, dass er in der konkreten "Abgabensache" mit der Vertretung der Beschwerdeführerin beauftragt und bevollmächtigt sei.
§ 103 Abs. 2 BAO in der hier maßgeblichen Fassung vor der mit dem AbgÄG 2003, BGBl I 124/2003, vorgenommenen Änderung lautet:
"Eine Zustellungsbevollmächtigung ist Abgabenbehörden gegenüber unwirksam, wenn sie sich nicht auf alle dem Vollmachtgeber zugedachten Erledigungen erstreckt, die im Zuge eines Verfahrens ergehen oder Abgaben betreffen, hinsichtlich derer die Gebarung gemäß § 213 zusammengefasst verbucht wird."
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den hg. Beschluss vom 29. September 2004, 99/13/0248, und die dort angeführte Judikatur) war in den Fällen des § 103 Abs. 2 BAO in der Fassung vor dem AbgÄG 2003, BGBl. Nr. I 124/2003, die Abgabenbehörde nur dann zur Zustellung von Erledigungen an einen gewillkürten Vertreter verpflichtet (und berechtigt), wenn dieser die ausdrückliche Erklärung abgab, dass ihm alle dem Vollmachtgeber zugedachten Erledigungen zuzustellen sind, die im Zuge eines Verfahrens ergehen, und alle Erledigungen, die Abgaben betreffen, hinsichtlich derer die Gebarung gemäß § 213 BAO zusammengefasst verbucht wird, was auch im Falle des Einschreitens eines Rechtsanwaltes ungeachtet des Umstandes gilt, dass gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz RAO die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis ersetzt.
Im gegenständlichen Fall ist dem Finanzamt bzw der Finanzlandesdirektion keine Erklärung vorgelegen, dass Mag. K als Bevollmächtigte alle dem Vollmachtgeber zugedachten Erledigungen zuzustellen sind, die Abgaben betreffen, die gemäß § 213 BAO zusammengefasst verbucht werden. Im Gegenteil: Rechtsanwalt Mag. K ist nur für eine bestimmte "Abgabensache" Vollmacht erteilt worden. Jedenfalls aufgrund der Bestimmung des § 103 Abs. 2 BAO bestand somit keine wirksame Zustellvollmacht für Rechtsanwalt Mag. K.
In der Beschwerde wird behauptet, dass der Beschwerdeführerin der angefochtene Bescheid am 11. Juni 2003 zugestellt worden sei. Ein entsprechender Rückschein findet sich im Verwaltungsakt (Akt "Dauerbelege").
Gemäß § 260 BAO idF des Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetzes - AbgRmRefG -, BGBl. I Nr. 97/2002, hat über Berufungen gegen von Finanzämtern oder von Finanzlandesdirektionen erlassenen Bescheide der unabhängige Finanzsenat (§ 1 UFSG) als Abgabenbehörde zweiter Instanz durch Berufungssenate zu entscheiden, soweit nicht anderes bestimmt ist.
§ 260 BAO in der Fassung des AbgRmRefG trat gemäß § 323 Abs. 10 leg. cit. mit 1. Jänner 2003 in Kraft und ist, soweit er Berufungen und Devolutionsanträge betrifft, auch auf alle an diesem Tag unerledigten Berufungen und Devolutionsanträge anzuwenden.
Bescheide werden gemäß § 97 Abs. 1 BAO dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekannt gegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - durch Zustellung. Im Beschwerdefall ist die rechtswirksame Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides nicht vor der Zustellung vom 11. Juni 2003 erfolgt. Ungeachtet der Datierung des angefochtenen Bescheides mit 26. September 2002 sind das Berufungsverfahren und die Berufung bis zur Zustellung des angefochtenen Bescheides unerledigt gewesen.
Somit hätte über die am 1. Jänner 2003 noch unerledigte Berufung nicht die Finanzlandesdirektion, sondern der unabhängige Finanzsenat zu entscheiden gehabt.
Die Finanzlandesdirektion ist daher im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des von ihr erlassenen Bescheides unzuständig gewesen. Die Unzuständigkeit der belangten Behörde führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sie vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht worden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Oktober 2003, 2003/15/0035).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 29. Juni 2005
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003140058.X00Im RIS seit
22.07.2005