Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karoline A (auch B), Pensionistin, Landessonderkrankenhaus Graz, vertreten durch ihre Sachwalterin Hildegard C, Graz, Jakob Redtenbachergasse 30, diese vertreten durch Dr. Gertrud Wiesner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Mag. Karin B, Angestellte, Graz, Swethgasse 4, vertreten durch Dr. Hella Ranner, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufhebung von Schenkungsverträgen (Streitwert 334.000 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 3.Juni 1985, GZ 2 R 77/85-56, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 31.Jänner 1985, GZ 17 Cg 166/82-49, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 11.333,85 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.030,55 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 12.Februar 1920 geborene ledige kinderlose Klägerin war in den Jahren 1972, 1974 und 1975 wegen depressiver Zustandsbilder in stationärer Behandlung. In den Jahren 1977 bis 1981 befand sie sich insgesamt sechsmal wegen chronischen Alkoholismus in stationärer Behandlung. Seit 28.April 1982 befindet sie sich wegen dieses Leidens im Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Graz. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 25.November 1981, 15 L 48/81-7, wurde die Klägerin gemäß § 1 Abs 2 EntmO beschränkt entmündigt.
Mit Vertrag vom 6.November 1978 schenkte die Klägerin ihre je 1/4- Anteile an den Liegenschaften EZ 27 und 439 KG Waltendorf (in Natur Wochenendhaus, Garage und Garten) mit einem Einheitswertanteil von 93.500 S an die Beklagte, ihre Nichte. Mit Vertrag vom 8.September 1980 schenkte die Klägerin die ihr gehörigen 61/1760-Anteile der EZ 216 KG II St. Leonhard (Eigentumswohnung in Graz, Swethgasse 4/17) mit einem Einheitswert von 147.336 S ebenfalls an die Beklagte. Das Eigentumsrecht der Beklagten wurde jeweils einverleibt. Die Klägerin begehrt, die Beklagte sei schuldig, in die Aufhebung der beiden Schenkungsverträge und in die Einverleibung des Eigentumsrechtes der Klägerin an den übergebenen Liegenschaftsanteilen einzuwilligen. Das Begehren werde u.a. auf mangelnde Handlungsfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse gestützt.
Die Beklagte wendete ein, die Klägerin sei sich bei Abschluß der Verträge der Tragweite ihres Handelns durchaus bewußt gewesen. Es sei immer die Absicht der Klägerin gewesen, die Liegenschaftsanteile der Beklagten zukommen zu lassen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß die Klägerin als geistig abgebaut zu bezeichnen sei. Es bestehe eine erhebliche Verringerung des Willensschwunges sowie der Eigeninitiative bei erhöhter Beeinflußbarkeit und Beeinträchtigung des Realitätsbewußtseins. Der Sinn für das Wesentliche sei verloren gegangen. Dieser fortschreitende chronische Abbau stehe weitgehend mit dem Alkoholmißbrauch im Zusammenhang, der erhebliche, irrevisible Ausfälle der Denkleistungen verursacht habe, die vermutlich einer alkoholbedingten, möglicherweise auch durch Gefäßstörungen mitverursachten Hirnatrophie zuzuordnen seien. Im Zeitpunkt der Errichtung der beiden Schenkungsverträge hätte bei der Klägerin ein Erlahmen der Denktätigkeit, mit Beeinträchtigung der Urteils- und Kombinationsfähigkeit, eine organische Hirnleistungsschwäche mit Beeinträchtigung der vitalen Dynamik, der Erfahrung, Sorgfalt und Beständigkeit sowie der geistigen Fähigkeit zur Anpassung an neue Aufgaben bestanden. Die Klägerin habe in einem solchen Ausmaße Ausfälle gehabt, daß sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Tragweite ihrer Erklärungen sowie Verhaltensweisen zur Wahrung ihrer eigenen Interessen in ausreichendem Maße zu erfassen. Eine vorübergehende Besserung des Geisteszustandes der Klägerin zu den Zeitpunkten der beiden Vertragsabschlüsse, ein lucidum intervallum, ein von ihrem krankhaften Abbau sowie den krankhaften Veränderungen ihrer Stimmungslage nicht beeinträchtigter Zustand, habe nicht bestanden. Beide Verträge seien daher gemäß § 865 ABGB nichtig.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteige. Die Beweiswürdigung des Erstgerichtes sei unbedenklich und widerspruchsfrei. Entscheidend sei, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse in der Lage gewesen sei, die Tragweite der konkreten Verträge zu beurteilen. Dies müsse verneint werden. Sie sei daher dem Zustand eines Kindes unter sieben Jahren gleichzusetzen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.
In Rechtsprechung und Lehre hat sich heute allgemein die Ansicht durchgesetzt, daß auch dann, wenn eine Entmündigung nicht ausgesprochen wurde, bei Vorliegen von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ein verpflichtendes Geschäft unwirksam ist, wenn die geistige Störung dazu führte, daß der Beeinträchtigte die Tragweite des konkreten Geschäftes nicht beurteilen konnte (SZ 55/166;
JBl 1977, 537; MietSlg 22.068; JBl 1960, 558 u.v.a.; Rummel, ABGB, § 865 Rdz 3; Aicher in Rummel ABGB § 21 Rdz 5;
Koziol-Welser 7 I 51; Ehrenzweig 2 I/1, 180). Die fehlende Einsicht in die Tragweite des Geschäftes muß sich entweder aus der Natur des geschlossenen Vertrages oder sonstigen besonderen Umständen ergeben (JBl 1977, 537). Die tatsächlichen Umstände und die persönlichen Eigenschaften des Vertragsabschließenden im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung fallen in den irrevisiblen Tatsachenbereich. Der auf Grund dieser Feststellungen gezogene Schluß, ob Handlungsfähigkeit im Einzelfall vorliege, stellt rechtliche Beurteilung dar (5 Ob 598/82, 1 Ob 744/79; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1926). Entgegen der in der Revision vorgetragenen Ansicht mangelte es der Klägerin auf Grund der bestehenden geistigen Störungen bei Abschluß beider Verträge an der Fähigkeit, die Tragweite der konkreten Geschäfte richtig zu beurteilen. Der Alkoholmißbrauch der Klägerin hatte bereits zu einem geistigen Abbau bei erhöhter Beeinflußbarkeit und Beeinträchtigung des Realitätsbewußtseins geführt. Aus den Feststellungen der Vorinstanzen ist auch, wenn die Klägerin nach den schon vor Einleitung dieses Verfahrens im Entmündigungsverfahren 15 L 48/81 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz von ihr gemachten Angaben (S 21) die Eigentumswohnung der Beklagten testamentarisch vermacht hat, der rechtliche Schluß zu ziehen, daß die Klägerin die jeweilige Tragweite der beiden Schenkungsverträge auf Grund der vorliegenden geistigen Störung nicht mehr beurteilen konnte. Der von der Revision gerügte Feststellungsmangel liegt nicht vor. Die Vorinstanzen gingen vielmehr zutreffend von einer mangelnden Geschäftsfähigkeit der Klägerin bei Abschluß der beiden Schenkungsverträge aus. Der Revision ist der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E06898European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0010OB00679.85.1127.000Dokumentnummer
JJT_19851127_OGH0002_0010OB00679_8500000_000