Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz Paul A, Versicherungsangestellter, 5302 Henndorf, Parkstraße 8, vertreten durch Dr.Gerald Kopp und Dr.Michael Wittek-Jochums, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei REPUBLIK ÖSTERREICH, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 16.414,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 24. Jänner 1985, GZ32 R 421/84-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 18. September 1984, GZ13 C 1549/84-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat der beklagten Partei die mit S 2.148,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei Schadenersatz in der Höhe von S 16.414,-- s.A. mit folgendem Vorbringen: Er sei am 16.1.1984 um ca.8.00 Uhr mit seinem Fahrzeug auf der Bundesstraße 1 unter der Überführung Zilling der Westautobahn gefahren, als von dieser Überführung plötzlich Schneematsch, vermischt mit Steinen, heruntergeschleudert worden sei und sein Fahrzeug beschädigt habe. Zum Zeitpunkt des Unfalles seien auf der Autobahnbrücke Schneeräumarbeiten durchgeführt worden. Die beklagte Partei sei als Eigentümerin des Bauwerkes zum Schadenersatz gemäß § 1318 ABGB verpflichtet. Der Oberste Gerichtshof habe mehrfach dargelegt, daß das Wort "Wohnung" in § 1318 ABGB nicht "engherzig" auszulegen, sondern "generell in Richtung Bauwerk" zu interpretieren sei. In diesem Zusammenhang dürfe man auch den besonderen Zweck dieser Bestimmung nicht aus dem Auge verlieren, nämlich den Schutz des Vorübergehenden - hier des unten Durchfahrenden - gegen unvermutet von oben herabfallende, vorher gar nicht wahrnehmbare Gegenstände, zumal weil der Betroffene nur selten den Beweis erbringen könne, wer an dem Herabfallen des schädigenden Gegenstandes die Schuld trage. Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Selbst wenn der vom Kläger behauptete, von ihr aber bestrittene Sachverhalt zuträfe, könne der ausdrücklich auf § 1318 ABGB gegründeten Klage kein Erfolg zuteil werden. In der vom Kläger zitierten Entscheidung JBl1958,402 sei die Wertung eines Magazins als Wohnung abgelehnt worden. Auch bei großzügiger Auslegung müsse nämlich eine Deckung im Gesetzeswortlaut gegeben sein, eine Autobahnbrücke habe aber mit einer Wohnung nichts zu tun. Voraussetzung einer Haftung nach § 1318 ABGB sei im übrigen, daß die Räumlichkeit in der alleinigen Verfügungsgewalt des Inhabers stehe, was auf die im Gemeingebrauch befindliche Autobahnbrücke nicht zutreffe. Eine Verschuldenshaftung sei ebenfalls nicht gegeben.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab; es sprach aus, daß gegen seine Entscheidung die Revision zulässig sei. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt der Kläger eine auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision mit dem sinngemäßen Antrage auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Nach den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen fuhr der Kläger am 16.1.1984 um ca.8.10 Uhr mit seinem PKW auf der Bundesstraße 1 unter der Autobahnüberführung Zilling der Westautobahn, als von einem der drei auf dieser Autobahnbrücke schneeräumenden Räumfahrzeuge durch die dort vorhandenen Maschendraht-Schutzgitter, welche eine Maschenweite von 3 cm aufwiesen, zerstäubter Schneematsch auf die Bundesstraße 1 fiel. Dadurch wurde das Fahrzeug des Klägers an der Motorhaube und Windschutzscheibe getroffen und ein Schaden in der Höhe von S 16.414,-- verursacht. Von welchem der Räumfahrzeuge der Schneematsch heruntergeschleudert worden war, ist nicht feststellbar.
In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte das Erstgericht, in dem vom Kläger gegen Alfred B, eines der Fahrer der Schneeräumfahrzeuge, und gegen den Haftpflichtversicherer dieses Fahrzeuges geführten Rechtsstreit 13 C 1045/84 des Bezirksgerichtes Salzburg sei Ruhen eingetreten, weil der Kläger zur Einsicht gekommen sei, daß er den Beweis nicht erbringen könne, von welchem Schneeräumfahrzeug Schneematsch heruntergeschleudert worden sei und welcher Fahrer daher am Schadensereignis Schuld trage. Somit bliebe ihm nur die Klagsmöglichkeit gemäß § 1318 ABGB. Zwar könne das Schadensereignis dem Wortlaut dieser Gesetzesstelle nicht ohne weiteres subsumiert werden, auch verneinten Judikatur und Lehre eine weite Auslegung des dort enthaltenen Begriffes Wohnung, doch werde andererseits in der Rechtsprechung immer wieder darauf hingewiesen, daß "die für den Geschädigten gegebene Unaufklärbarkeit, von wem die Sache aufgestellt oder geworfen worden sei, ein wesentliches Kriterium für die Haftung nach § 1318 ABGB darstelle". Auch bei einer Autobahnbrücke sei für den Geschädigten Unaufklärbarkeit dahin gegeben, wer die schädigende Sache gefährlich aufgestellt oder heruntergeworfen habe. In gleicher Weise wie bei einer Wohnung sei aber auch das Moment der Allgemeingefährlichkeit zufolge des Höhenunterschiedes gegeben. Die Erkennbarkeit der Gefahr für einen unterhalb der Autobahnbrücke Durchfahrenden sei unerheblich, weil der Gefahrenbereich nicht gemieden werden könne. Der Zweck der Bestimmung des § 1318 ABGB liege im Schutz des Vorübergehenden gegen unvermutet von oben herabfallende, vorher nicht wahrnehmbare Gegenstände, zumal auch deshalb, weil der Betroffene nur selten den Beweis erbringen könne, wer an dem Herabfallen des schädigenden Gegenstandes Schuld trage. Da vorliegendenfalls der Kläger nicht den Beweis erbringen könne, welchen der Fahrer ein Verschulden am Schadensereignis treffe, erscheine es gerechtfertigt, in ausdehnender Auslegung die Haftung nach § 1318 ABGB auch auf den vorliegenden Fall auszudehnen. Im übrigen treffe irgendein Organ der beklagten Partei mit Sicherheit ein Verschulden, weil der Schnee von der Autobahnbrücke nicht sorgfältig genug geräumt worden sei. Auch wegen dieses Verschuldens sei ihre Haftung daher zu bejahen. Das Berufungsgericht ging auf die von der beklagten Partei erhobene Rüge der unrichtigen Tatsachenfeststellung nicht ein, weil es schon deren Rechtsrüge für gerechtfertigt ansah. Zunächst verwies es darauf, daß der Kläger seine Klage ausdrücklich auf die Bestimmung des § 1318 ABGB gestützt und keinerlei Behauptungen aufgestellt habe, aus welchen sich eine Haftung der beklagten Partei aus schuldhaftem Verhalten oder nach den ersatzrechtlichen Bestimmungen des EKHG ergeben könnte. Einen diesbezüglichen Anspruch habe der Kläger vielmehr im Verfahren 13 C 1045/84 des Bezirksgerichtes Salzburg geltend gemacht. Das Gericht sei daher an den in der vorliegenden Klage angezogenen Rechtsgrund gebunden und dürfe ihr nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben. Demgemäß gingen die Ausführungen des Erstgerichtes zur Verschuldenshaftung von vornherein ins Leere. Im Sinne des § 1318 ABGB haftpflichtig sei der Inhaber einer Wohnung beziehungsweise eines anderen, gleich zu behandelnden Raumes (Geschäftslokal, Theater, Amtsraum, mitbenützte Außenflächen usw.), wobei die tatsächliche Verfügungsgewalt über diesen Raum maßgebend sei. Der Sinn dieser Gesetzesstelle liege hinsichtlich der Haftung des Rauminhabers für andere Personen darin, daß derjenige, der über gewisse abgegrenzte Räumlichkeiten verfüge, die Entstehung der genannten Schadensursachen verhindern solle. Voraussetzung der Haftung sei die Beherrschbarkeit möglicher Ursachen hinsichtlich der Schadensvermeidung, relativ freie Zugänglichkeit ohne faktischen Ausschluß Dritter schließe die Haftung aus. Vorliegendenfalls mangle es an allen diesen Voraussetzungen der Haftung nach § 1318 ABGB, sodaß die Klage abzuweisen sei. Auch die vom Erstgericht bezogene Gefahr des Beweisnotstandes für den Geschädigten vermöge die ausdehnende Auslegung des Gesetzes nicht zu rechtfertigen.
In der Revision führt der Kläger aus, es sei ihm durchaus bewußt, daß im Rahmen der bisherigen Judikatur eine Haftung der beklagten Partei für den klagsgegenständlichen Schaden nicht gegeben sei. Der Zweck des § 1318 ABGB gebiete jedoch eine weitere Interpretation des Gesetzeswortlautes. In Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung erscheine auch eine Autobahnbrücke dem Begriff "Wohnung" subsumierbar. Dabei könne durchaus von der Entscheidung JBl1958/402 ausgegangen werden, in welcher die Haftung hinsichtlich eines von einer Magazinsrampe herabgefallenen Gegenstandes nur wegen des fehlenden Merkmals einer unvermuteten Einwirkung verneint worden sei. Vorliegendenfalls sei die Schädigung unvermutet erfolgt, liege die Gefährlichkeit der von der Höhe kommenden Einwirkung vor und der Kläger befinde sich in einem unüberwindlichen Beweisnotstand. Somit bleibe nur die Frage der Verfügungsgewalt offen. Hier sei zu sagen, daß die REPUBLIK ÖSTERREICH deswegen, weil sie sowohl die Westautobahn als auch die unter dieser durchgeführte Bundesstraße 1 dem Gemeingebrauch zugeführt habe, vom Schutzzweck des § 1318 ABGB her eine Haftung für den gegenständlichen Schaden treffen müsse. Sie habe die objektive Gefahr geschaffen, ein Verschulden am Schadensereignis könne der Geschädigte nach den örtlichen Gegebenheiten einer bestimmten Person aber niemals nachweisen. Somit sei durch eine weite Interpretation des § 1318 ABGB der Schutz desjenigen geboten, der dem Gemeingebrauch dienende, unter Brücken durchführende Straßen benütze. Dem Standpunkt des Revisionswerbers kann nicht beigetreten werden. Zutreffend geht die Revision im Sinne der diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichtes ausschließlich von dem in der Klage geltend gemachten Haftungsgrund des § 1318 ABGB aus (SZ 23/74, SZ 42/138 u.a.). Entgegen ihrer Ansicht hat das Berufungsgericht diesen Haftungsgrund aber zu Recht verneint.
Nach der Anordnung des § 1318 ABGB haftet in dem Falle, als jemand durch Herabfallen einer gefährlich aufgehängten oder aufgestellten Sache oder durch Herauswerfen oder Herausgießen aus einer Wohnung beschädigt wird, derjenige, aus dessen Wohnung geworfen oder gegossen worden oder die Sache herabgefallen ist, für den Schaden. Hinsichtlich dieser Bestimmung herrscht in Lehre und Judikatur (hiezu Koziol, Haftpflichtrecht 2 II, 388, Anm.12), wovon auch der Revisionswerber ausgeht, jedenfalls insoweit völlige Übereinstimmung, als ihre Anwendung das Vorhandensein einer Räumlichkeit oder zumindest eines Zusammenhanges der schädigenden Sache mit einer solchen voraussetzt. Der Oberste Gerichtshof hat demgemäß in den Entscheidungen SZ 46/36 und 2 Ob 182/71 ausdrücklich ausgesprochen, daß eine ausdehnende Auslegung der Bestimmung des § 1318 ABGB ihre Grenze im Vorhandensein eines Raumes (Geschäftslokal, Waschküche, Amtsräume, Theater usw.) findet. Daß eine Autobahnbrücke in diesem klargestellten Sinne keine Räumlichkeit darstellt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Schon allein am Mangel dieser, auch nach Ansicht des erkennenden Senates vom Wortlaut und gemäß der Systematik des Gesetzes - nicht der Besitzer des Hauses als eines Bauwerkes (§ 1319 ABGB) sondern der Wohnungsinhaber (vgl. Zeiller, Comm III/2, Anm.3 zu § 1318) haftet -; so auch 6 Ob 663/81 jedenfalls geforderten, Voraussetzung scheitert somit die Argumentation des Revisionswerbers. Auf seine weiteren Revisionsausführungen - der Inhalt der Entscheidung JBl1958,402 wurde unrichtig wiedergegeben - ist daher nicht mehr einzugehen. Der ungerechtfertigten Revision muß ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E07239European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0020OB00014.85.1210.000Dokumentnummer
JJT_19851210_OGH0002_0020OB00014_8500000_000