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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des B, geboren am 28. Februar 1980, vertreten durch Mory & Schellhorn OEG, Rechtsanwaltsgemeinschaft in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 9. September 2004, Zl. Fr-55/1/04, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) vom 9. September 2004 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, gemäß § 33 Abs. 1 iVm § 37 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei am 4. September 2002 unter Zuhilfenahme von Schleppern illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, über den erstinstanzlich negativ entschieden worden sei. Dagegen habe der Beschwerdeführer zunächst Berufung eingebracht, dann jedoch mit Schreiben vom 30. Jänner 2004 seinen Asylantrag zurückgezogen. Seither befinde er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann i. Pg. vom 14. Juni 2004 sei der auf humanitäre Gründe gestützte Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer nicht der Quotenpflicht unterliegenden Erstniederlassungsbewilligung abgewiesen worden. Dies habe nichts an der Unrechtmäßigkeit seines Aufenthalts geändert. Seinen ins Treffen geführten persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet, er würde auf Grund seiner sparsamen Lebensverhältnisse in der Lage sein, monatlich EUR 200,--
in den Kosovo zu senden und so die Not seiner Angehörigen zu lindern, stehe das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes und des damit verbundenen Eingriffs in ein geordnetes Fremdenwesen gegenüber.
Die in der Berufung ins Treffen geführten humanitären Gründe (die sozioökonomischen Verhältnisse im Kosovo seien katastrophal, es herrsche Massenarbeitslosigkeit, es mangle an den notwendigen wirtschaftlichen Strukturen, der Beschwerdeführer wäre bei einer Rückkehr in den Kosovo von extremer Not und Armut betroffen) und die Ausführungen, wonach der Beschwerdeführer deshalb im Fall einer Abschiebung in den Kosovo einer Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG ausgesetzt wäre, könnten keine Berücksichtigung finden. Das Verfahren stelle lediglich auf die Situation in Österreich ab.
Der Beschwerdeführer verfüge über keine familiären Beziehungen zu Österreich. Seine in Österreich ausgeübte berufliche Tätigkeit könne nicht maßgeblich zu seinen Gunsten ausschlagen, da sein Aufenthalt derzeit auf keiner gültigen Rechtsgrundlage basiere. Die öffentlichen Interessen an der Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele seien höher zu bewerten als die eventuell nachteiligen Folgen einer Ausweisung für die Lebenssituation des Beschwerdeführers.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Ausführungen der belangten Behörde, dass er seinen Asylantrag am 30. Jänner 2004 zurückgezogen habe und sich seither nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Er bestreitet auch nicht, dass er nicht in Besitz eines Einreise- oder Aufenthaltstitels ist, der ihn zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigen würde. Im Hinblick darauf ist die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte (§ 33 Abs. 1 FrG), unbedenklich.
2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die "extreme materielle Notlage und Armut, Gefahr des Verlustes der materiellen Lebensgrundlage, Arbeitserlaubnis in Österreich, Arbeitstätigkeit in Österreich seit fast drei Jahren, dies alles bei einer katastrophalen, allgemeinen wirtschaftlichen Lage im Kosovo mit Massenarbeitslosigkeit und großer Armut für weite Teile der Bevölkerung" würden einen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Grund im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG darstellen, welcher die Erteilung der von ihm gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG beantragten quotenfreien humanitären Erstniederlassungsbewilligung rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer würde im Kosovo in eine extreme wirtschaftliche Notsituation geraten. Die Wohnverhältnisse in der Familie seien katastrophal und menschenunwürdig. Der Beschwerdeführer wäre zu einem Leben in totaler Armut gezwungen. Seine Lebenslage wäre derart trist, dass damit der Grad dessen, was ein Mensch noch ertragen könne, überschritten werde. Die belangte Behörde hätte zu der von ihm behaupteten wirtschaftlichen Lage im Kosovo, zur individuellen Not- und Armutssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie im Kosovo Feststellungen treffen müssen.
2.2. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Bei der Erlassung einer Ausweisung nach § 33 Abs. 1 FrG ist der Behörde insofern Ermessen eingeräumt, als sie ermächtigt ist, von dieser Maßnahme trotz Vorliegens der Voraussetzungen hiefür abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat hiebei in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung einer Ausweisung sprechen und sich dabei insbesondere von den Vorschriften des FrG leiten zu lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1998, Zl. 98/18/0252).
Darf ein Fremder in einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall aus humanitären Gründen iSd § 10 Abs. 4 FrG gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz FrG einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen und die Entscheidung darüber im Inland abwarten, so kann es nicht als im Sinn des Gesetzes gelegen angesehen werden, wenn die Fremdenpolizeibehörde von ihrer Ermächtigung zur Ausweisung im Rahmen des Ermessens gemäß § 33 Abs. 1 FrG Gebrauch macht.
2.3. § 10 Abs. 4 FrG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis (bzw. eine Erstniederlassungsbewilligung gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG) zu erteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2005, Zl. 2005/18/0144, mwN). Der Beschwerdeführer hat nicht nur ganz allgemein nachteilige Lebensumstände geschildert, mit denen er im Fall seiner Rückkehr in den Kosovo konfrontiert wäre. Diese können für das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles im Sinn von § 10 Abs. 4 FrG von Bedeutung sein.
2.4. Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Ausweisungsverfahren geltend gemacht, die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Sinn des § 19 Abs. 2 Z. 6 iVm § 10 Abs. 4 FrG beantragt zu haben. Damit hätte die Frage, ob er gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz FrG berechtigt ist, einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland zu stellen und den Ausgang des Verfahrens im Inland abzuwarten, nur dann nicht ins Blickfeld kommen können, wenn das Verfahren zur Erteilung der Niederlassungsbewilligung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits rechtskräftig negativ beendet gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. April 2005, Zl. 2005/18/0099). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der angefochtene (mit 9. September 2004 datierte) Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 11. März 2005 zugestellt. Zu diesem Zeitpunkt war das Niederlassungsverfahren noch nicht beendet (und die Frage des Vorliegens humanitärer Gründe iSd § 10 Abs. 4 FrG noch nicht geklärt), denn der den Antrag auf Erteilung der Erstniederlassungsbewilligung abweisende Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. März 2005 wurde dem Beschwerdeführer erst am 21. März 2005 zugestellt.
3. Während eines anhängigen Verfahrens zur Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung nach § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG kann keine Ausweisung erlassen werden, ohne das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falls iSd § 10 Abs. 4 FrG zu verneinen. In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde die Ansicht vertreten, dass die Situation des Beschwerdeführers in seinem Heimatland irrelevant sei. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 30. Juni 2005
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteErmessen VwRallg8Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005180125.X00Im RIS seit
09.09.2005Zuletzt aktualisiert am
03.02.2009