Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Karl H*****, vertreten durch Dr. Friedrich Rammel, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wider die erstbeklagte und widerklagende Partei Ing. Lothar P*****, vertreten durch Dr. Ernst Fasan, Rechtsanwalt in Neunkirchen und die zweitbeklagte Partei Werner M*****, vertreten durch Dr. Johannes Schuster, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wegen S 551.178,-- sA und Feststellung, infolge Revision der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28. Mai 1985, GZ. 11 R 201/84-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 17. Mai 1984, AZ. 1 Cg 659/82, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung
1.) zu Recht erkannt:
Beiden Revisionen wird teilweise Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes, das in den unbekämpften Teilen unberührt bleibt und in den übrigen Punkten bestätigt wird, wird im Punkt 6 seiner Entscheidung dahin abgeändert, daß das Begehren des Klägers und Widerbeklagten, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, ihm ab 1. Juni 1982 monatlich eine abstrakte Rente von S 2.000,-- zu bezahlen, abgewiesen wird;
die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster, zweiter und dritter Instanz bleibt dem Endurteil vorbehalten;
2.) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Soweit die Rechtsmittel der Beklagten den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes bekämpfen, werden sie als unzulässig zurückgewiesen;
die Beklagten haben die Kosten ihres insoweit als Rekurs zu behandelnden Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile wurden mit dem Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 10. 9. 1981, 12 a Vr 1239/81, bestätigt mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 15. 12. 1981, 11 Os 172/81, wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1, 85 Z 3 StGB verurteilt, weil anläßlich eines Raufhandels die Beklagten dem Kläger und der Kläger dem Erstbeklagten Verletzungen mit schweren Dauerfolgen zugefügt hatten.
In den verbundenen Rechtssachen 1 Cg 659/82 (Klage des Karl H***** gegen Ing. Lothar P***** und Werner M*****) und 3 Cg 658/83 (Feststellungsklage des Ing. Lothar P***** gegen Karl H*****) begehrte der Kläger von den Beklagten - unter Anerkennung eines Eigenverschuldens von einem Drittel - ein Schmerzengeld von S 200.000,-- s.A., seinen Verdienstentgang von S 73.178,-- s.A. und eine abstrakte Rente von S 2.000,-- monatlich ab 1. 6. 1982; außerdem beantragte er die Feststellung, daß ihm die Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Schadensereignis vom 13. 7. 1980 zur ungeteilten Hand haften.
Der Erstbeklagte wendete - unter Anerkennung eines Eigenverschuldens zur Hälfte - als Gegenforderung ein Schmerzengeld von S 100.000,-- und eine abstrakte Rente von S 1.500,-- monatlich ab 1. 6. 1982 ein. Mit der Widerklage begehrte er die Feststellung der Haftung des Klägers für seine künftigen Schäden aus dem genannten Schadensereignis.
Die Streitteile beantragten jeweils die Abweisung des Klagebegehrens der Gegenseite. Sie bestritten die Darstellung der gegnerischen Prozesspartei über den Hergang der Tätlichkeiten. Das Verschulden an dem Streithandel sei jeweils mit dem von ihnen veranschlagten Prozentsatz zu teilen. Die geltendgemachten Ansprüche seien zum Teil dem Grunde und im übrigen der Höhe nach nicht berechtigt.
Das Erstgericht stellte fest, daß die Beklagten dem Kläger zur ungeteilten Hand und der Kläger dem Erstbeklagten für alle künftigen Schäden aus dem Schadensereignis vom 13. 7. 1980 jeweils zur Hälfte haften, die vom Kläger gegen beide Beklagte erhobene Forderung mit S 90.000,--, die vom Erstbeklagten erhobene Forderung mit S 30.000,-- zu Recht, im übrigen aber nicht zu Recht bestehen. Die Beklagten seien daher zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger S 60.000,-- s.A. zu bezahlen; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Das Erstgericht traf - zusammengefaßt dargestellt - nachstehende Feststellungen:
Am 13. 7. 1980 war der Erstbeklagte noch mit Iris P***** verheiratet; seine Ehe verlief aber bereits nicht mehr harmonisch. Der Erstbeklagte hatte den Verdacht, daß seine Frau mit dem Kläger ein intimes Verhältnis unterhalte. Als er in den frühen Morgenstunden des 13. 7. 1980 bemerkte, daß seine Frau nicht zu Hause war, sah er sich in seiner Vermutung neuerlich bestätigt und fuhr mit dem Zweitbeklagten Werner M*****, seinem Schwager, der das Verhältnis seiner Schwester zum Kläger mißbilligte, zum Kosmetikgeschäft seiner Frau, wo er den ihm bekannten PKW des Klägers abgestellt und das Geschäftslokal von innen versperrt vorfand. Iris P***** öffnete auf Verlangen nicht. Die Beklagten warteten daher vor dem Geschäftslokal. In der Folge verließen mehrere Personen das Geschäftslokal. Die Beklagten, die wegen ihrer Erwartung, Iris P*****hi bei einem ehestörenden Verhalten zu ertappen, aber auch deshalb sehr erregt waren, weil sie längere Zeit ins Lokal nicht eingelassen wurden, sahen sich überdies in ihrer Erwartung enttäuscht, weil sich offensichtlich mehrere Personen in dem Lokal aufgehalten hatten, worauf sie derart in Zorn gerieten, daß sie nunmehr hintereinander in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit dem Vorsatz in das Lokal stürmten, den Kläger nicht nur wörtlich zur Rede zu stellen, sondern auch am Körper zu verletzen. Dem Kläger war seinerseits bekannt, daß die beiden Beklagten vor dem Lokal warteten, zunächst nicht eingelassen wurden und daher nunmehr, nachdem die Eingangstüre geöffnet wurde, eine heftige Auseinandersetzung drohte; er bedachte dabei nicht nur die Möglichkeit, daß die drohende Auseinandersetzung auch in Tätlichkeiten ausarten könnte, sondern war auch bereit eine solche anzunehmen. Nachdem die anderen Personen das Lokal verlassen hatten, stellte er sich daher breitbeinig vor die Tür und provozierte damit einen tätlichen Angriff auf seine Person, die er überdies durch die mündliche Aufforderung an den Erstbeklagten verschärfte, indem er ihm zurief: „Komm' her Bürscherl, jetzt kriegst ein paar Ohrfeigen.“ Tatsächlich stürzten sich die Beklagten auf den Kläger. Der - zumindest bedingte - Vorsatz sämtlicher Beteiligten im Zuge dieses heftigen, sehr emotionell geführten Raufhandels ging dahin, dem bzw. die jeweiligen Widersacher auch schwer zu verletzen. Tatsächlich wurden der Erstbeklagte und der Kläger in der Folge schwer verletzt und die heftige Auseinandersetzung erst dadurch beendet, daß der Kläger letztlich praktisch wehrunfähig wurde.
Der Kläger erlitt bei dem Vorfall einen Bruch des sechsten Halswirbels, wurde operiert und der gebrochene Wirbel mit dem nächsthöheren Wirbelkörper mit Metallschrauben fixiert. Der Kläger, der seit September 1979 ein Friseurgeschäft betreibt, war 5 Monate lang arbeitsunfähig. Am 1. 9. 1980 nahm der Kläger daher eine weitere Friseuse auf. Im folgenden halben Jahr war die Erwerbsfähigkeit des Klägers um 40 %, während des darauffolgenden Jahres um 30 % gemindert; auch derzeit liegt beim Kläger noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 bis 25 % vor. Der Kläger hat noch immer eine mäßige Halsbeweglichkeitseinschränkung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind arthrotische Veränderungen in der Nachbarschaft des Wirbelbruchs zu erwarten; dadurch ist mit verfrühten Verschleißvorgängen und Abnützungserscheinungen spontylarthrotischer Art zu rechnen. Der Kläger erlitt 28 Tage starke, 43 Tage mittelgradige dauernde Schmerzen und zusammengefaßt 102 Tage leichte Schmerzen.
Nach der Eröffnung seines Geschäftes war der Kläger bestrebt, den Umfang des Geschäfts laufend zu erweitern; dies ist ihm tatsächlich gelungen. Die Steigerung des Umsatzes hielt auch nach dem 13. 7. 1980 an. Die Aufnahme von Brigitte S***** wirkte sich umsatzsteigernd aus.
Der Erstbeklagte erlitt neben einigen leichteren Verletzungen eine Läsion des Bandapparates im rechten Kniegelenk. Er erhielt für 8 Wochen einen Gips. Das Kniegelenk blieb jedoch unstabil und wird es auch in Zukunft bleiben. Auch beim Erstbeklagten besteht die Möglichkeit vorzeitiger Abnützungserscheinungen und arthrotischer Veränderungen im Gelenk. Auch der Erstbeklagte leidet noch an den Nachwirkungen der Verletzung; weitere Folgen sind möglich. Derzeit ist der Erstbeklagte bei seiner Berufsausübung nicht beeinträchtigt.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß von einem gleichteiligen Verschulden der Streitteile auszugehen sei, sodaß sie die Folgen zu gleichen Teilen zu vertreten hätten. Das Feststellungsbegehren für künftige Schäden sei daher in diesem Ausmaß berechtigt. Für den Kläger sei ein Schmerzengeld von insgesamt S 180.000,-- und für den Erstbeklagten von S 60.000,-- angemessen, sodaß der Schmerzengeldanspruch des Klägers mit S 90.000,-- und der des Erstbeklagten mit S 30.000,-- zu Recht bestehe. Beiden Teilen stehe eine abstrakte Rente nicht zu, weil das Beweisverfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, daß es künftig einer Mehrleistung bedürfe, um das bisherige Einkommen weiterhin zu erzielen.
Die Beklagten ließen das erstgerichtliche Urteil unbekämpft.
Der Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung mit Teil- und Teilzwischenurteil dahin ab, daß es dem Feststellungsbegehren des Klägers gegen die Beklagten zur ungeteilten Hand zu zwei Drittel und jenem des Erstbeklagten gegen den Kläger zu einem Dritten stattgab. Es erkannte die Forderung des Klägers gegen die Beklagten mit S 200.000,--, die des Erstbeklagten gegen den Kläger mit S 30.000,-- zu Recht und verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand, dem Kläger S 170.000,-- s.A. zu bezahlen. Dem Kläger wurde eine abstrakte Rente dem Grunde nach zu zwei Drittel zuerkannt. Hinsichtlich des begehrten Verdienstentganges von S 73.178,-- und der Höhe des Rentenbegehrens hob das Gericht zweiter Instanz das Ersturteil auf; ein Rechtskraftvorbehalt wurde diesem Beschluß nicht angefügt.
Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1:2 zu Lasten der vorsätzlich handelnden und daher solidarisch haftenden Beklagten vorzunehmen sei. Dem Kläger stünde ein Schmerzengeld von S 300.000,-- zu, was unter Berück-sichtigung der Mitverschuldensquote S 200.000,-- ergebe. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer abstrakten Rente seien gegeben. Die Höhe hänge aber ebenso wie die Frage des vom Kläger begehrten Verdienstentganges von weiteren Feststellungen des Erstgerichtes ab, weshalb diesbezüglich mit einer Aufhebung vorzugehen sei.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die Revisionen des Erst- und des Zweitbeklagten. Unter Heranziehung der Revisionsgründe des § 503 Abs. 1 Z. 2 und 4 ZPO beantragen sie die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
In den Revisionsbeantwortungen beantragt der Kläger, den Revisionen der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen sind teilweise berechtigt, teilweise sind die Rechtsmittel als unzulässige Rekurse zurückzuweisen.
Die Ausführungen der Beklagten betreffen im wesentlichen den gleichen Fragenkomplex, weshalb sie zwar zweckmäßigerweise gemeinsam, jedoch unter Gliederung nach Sachfragen behandelt werden:
1) Verschuldensteilung:
Beide Beklagten suchen ihren Standpunkt durchzusetzen, daß sie nur mit der Hälfte des Verschuldens zu belasten seien. Ihnen kann diesbezüglich jedoch nicht gefolgt werden. Wird jemand bei einem Raufhandel (Seite 3 des Berufungsurteiles) verletzt, ist es für die Verschuldensteilung nicht ausschlaggebend, ob ihm die Verletzung selbst von einem oder mehreren Tätern zugefügt wird (SZ 43/141). Bei vorsätzlicher Schadenszufügung - wie hier - besteht jedenfalls gemäß § 1302 zweiter Satz erster Fall ABGB Solidarhaftung aller am Erfolg beteiligten Schädiger ohne Rücksicht auf ihren allfälligen Anteil an der Schadenszufügung (Wolff in Klang2 VI, 55). Die Quote, mit welcher die Beklagten für die Schadenszufügung haften, hängt aber davon ab, welcher Verschuldensanteil dem Kläger anzulasten ist. Hat er - wie im vorliegenden Fall - provoziert, d.h. hat er ein Verhalten an den Tag gelegt, das geeignet war, einen anderen so zu erregen, daß dieser tätlich werden konnte (SZ 15/44; SZ 17/38; SZ 24/214; 3 Ob 542/57 u.a.), dann muß er sein Mitverschulden gemäß § 1304 ABGB gegen sich gelten lassen, gleichgültig, ob er von einem oder von mehreren, solidarisch haftenden Tätern (§ 1302 ABGB) verletzt wurde. Dabei kann es auch keinen Unterschied machen, ob er die mehreren Täter mit einer Klage belangt und ihm diese nun gemeinsam sein Mitverschulden entgegenhalten (vgl. auch dazu SZ 17/38) oder ob er zunächst nur einen der ihm solidarisch haftenden Täter klagt (SZ 32/24; SZ 43/141 ua).
Unter diesen Aspekten betrachtet kann es zwar keinem Zweifel unterliegen, daß der Kläger die Beklagten provozierte; seine Haltung war aber bereits aus einer Position der Verteidigung heraus geprägt; denn die Beklagten wollten ihn nach den getroffenen Feststellungen nicht bloß zur Rede stellen, sondern gemeinsam „verprügeln“. Ihre Anstalten waren in jeder Hinsicht überaus bedrohend. Es darf nicht übersehen werden, daß sie die Tätlichkeiten zu zweit, also mit wesentlich vermehrter Intensität, begannen, den Kläger wehrunfähig schlugen und erst dann die Schlägerei beendeten. Zutreffend ging daher das Berufungsgericht davon aus, daß ihr Verschuldensanteil größer ist, als jener des Klägers. Gegen die Verschuldensteilung von 1:2 zu ihren Lasten bestehen daher keine Bedenken.
2) Schmerzengeld:
Der Kläger hat gemäß § 1325 ABGB Anspruch auf ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld. Dieses Schmerzengeld kann nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der körperlichen und seelischen Schmerzen des Verletzten sowie der Art und der Schwere seiner Verletzungsfolgen, nach freier Überzeugung des Gerichtes global festgesetzt werden (8 Ob 308/81; 8 Ob 120/82; 8 Ob 153/83; 8 Ob 44/84 u.v.a.).
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß der Kläger im Wesentlichen zwar nur eine Verletzung erlitt, diese aber - Bruch des sechsten Halswirbels - gerade für ihn als relativ jungen Friseurmeister schwerwiegendste Folgen hatte. Von den beträchtlichen, oben dargestellten Schmerzperioden abgesehen, war er fünf Monate arbeitsunfähig; im folgenden Halbjahr betrug die Arbeitsunfähigkeit 40 % und darauf ein Jahr lang 30 %. Hinzu kam, daß nach den Feststellungen des Erstgerichtes (Seite 11 des Ersturteils) mit dem Halswirbelbruch eine starke Formveränderung verbunden war. Der Eintritt einer sekundären Verschiebung war im losen Streckverband nicht zu verhindern. Es kam zweieinhalb Wochen nach dem Vorfall zur operativen Verblockung des Wirbelkörpers mit Metallfixierung und unter Verwendung von Schrauben. Den dadurch erforderlichen plastikstarren Verband mußte der Kläger drei Monate lang tragen. Zu diesen Unbilden kommt hinzu, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit mit arthrotischen Veränderungen in der Nachbarschaft des Wirbelbruches spontylarthrotischer Art zu rechnen ist, was den Kläger als Friseur besonders stark belastet und worauf das Berufungsgericht mit Recht hingewiesen hat.
Berücksichtigt man daher im Gegensatz zu den Ausführungen der Revisionen alle Umstände des Falles, kann in der vom Berufungsgericht gegenüber dem Erstgericht vorgenommenen Erhöhung des Schmerzengeldbetrages auf S 300.000,-- ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden.
3) Abstrakte Rente:
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes steht dem Verletzten nicht die Wahl zu, entweder den konkreten Verdienstentgang ersetzt zu verlangen oder eine abstrakte Rente zu fordern (JBl. 1966, 566; EvBl. 1971/179; 8 Ob 71, 72/89; 8 Ob 79/83; 8 Ob 205/83 u.a.). Begehrt der Kläger den Zuspruch einer abstrakten Rente, so kommt nach ständiger Rechtsprechung der Zuspruch einer Rente wegen eines konkreten Verdienstentganges nicht in Betracht, weil diese Schadenersatzansprüche auf verschiedenen Rechtsgründen beruhen (JBl. 1966, 566; EvBl. 1971/179; ZVR 1982/140; 8 Ob 99/83; 8 Ob 205/83 ua).
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bildet die abstrakte Rente eine Ausnahme für jene Härtefälle, in denen der Verletzte trotz eines körperlichen Dauerschadens leer ausgehen müßte, weil ihm zufällig und vorläufig kein ziffernmäßig erfaßbarer Verdienstentgang erwachsen ist. Da der Zuspruch einer solchen Rente seine Grundlage in der Bestimmung des § 1325 ABGB hat, wonach der Schädiger bei Eintritt eines Dauerschadens des Geschädigten diesem auch den künftig entstehenden Verdienstentgang zu ersetzen hat, muß ein innerer Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstentgang gewahrt bleiben. Es genügt daher für den Anspruch auf eine solche Rente nicht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit. Es muß vielmehr eine Einkommensminderung wegen der unfallbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein (SZ 40/173; EvBl. 1970/361; 8 Ob 177/76; 8 Ob 166/77; 8 Ob 5/81; 8 Ob 73/83 ua). Die abstrakte Rente hat nicht nur eine Ausgleichs-, sondern auch eine Sicherungsfunktion. Sie gebührt daher nicht, wenn sie im Einzelfall nur eine dieser Aufgaben erfüllt, sondern erst, wenn beide Voraussetzungen für den nach Schluß der Verhandlung in erster Instanz liegenden Zeitraum bejaht werden können (8 Ob 8/81; ZVR 1982/270; 8 Ob 73/83; 8 Ob 205/83 ua). Haben die Unfallsfolgen zu keiner Erwerbseinbuße des Geschädigten geführt, dann liegt es an ihm, konkrete Umstände zu behaupten und zu beweisen, die den Verlust seines Arbeitsplatzes und eine damit verbundene Einkommenseinbuße wahrscheinlich machen könnten; eine nicht ausschließbare allgemeine Möglichkeiten künftiger Einkommenseinbußen genügt in diesem Zusammenhang nicht (ZVR 1977/232; 8 Ob 166/77; 8 Ob 184/78; 8 Ob 28/79; 8 Ob 5/81; 8 Ob 73/83; 8 Ob 205/83; 8 Ob 44/84 ua).
Werden Vorbringen und Feststellungen des Verfahrens in dieser Richtung untersucht, ist zunächst aus ersterem Aspekt klarzustellen, daß der Kläger nur das Vorliegen einer der beiden Funktionen behauptet (vgl. AS 59 und AS 62); es fehlen eindeutige Ausführungen dahin, daß eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Falles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein werden. Demgegenüber haben die Vorinstanzen sogar das Gegenteil festgestellt. Die Steigerung seines Umsatzes hielt auch nach dem 13. 7. 1980 an (Seite 7 des Berufungsurteiles und umfassendere Feststellungen Seite 18, 19 des Ersturteiles). Fehlt es aber wie hier an der Sicherungsfunktion, kann der Zuspruch einer abstrakten Rente nicht erfolgen. Dies hat das Erstgericht im Ergebnis richtig erkannt.
4) Beide Revisionen beinhalten auch Darlegungen zum geltend gemachten Verdienstentgang. Diesbezüglich liegt aber ein aufhebender Beschluß des Berufungsgerichtes vor. Insoweit sind die genannten Ausführungen als Rekurse anzusehen, welche jedoch - mangels Rechtskraftvorbehaltes - als unzulässig zurückzuweisen sind.
Zusammengefaßt erwiesen sich beide Revisionen in den Punkten 1) Verschuldensteilung und 2) Schmerzengeld nicht, im Punkte 3) abstrakte Rente berechtigt und im Punkte 4) als Rekursausführungen unzulässig. Dies hat zur Folge, daß wie im Spruch zu entscheiden war.
Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 392 Abs. 2, 393 Abs. 4 ZPO bzw. §§ 40, 50 ZPO.
Textnummer
E130978European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00614.850.1211.000Im RIS seit
24.03.2021Zuletzt aktualisiert am
24.03.2021