Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Regen als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Karl A***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über den namens des Angeklagten von Dr. Helmut B*****, Rechtsanwalt in Krems/D, gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems/D als Schöffengericht vom 9. Mai 1985, GZ
10 c Vr 891/82-63, sowie die von dem genannten Verteidiger zugleich angebrachten Ausführungen dieser Rechtsmittel nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die zugleich angebrachten Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung werden zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Kreisgerichtes Krems/D vom 9. Mai 1985, GZ
10 c Vr 891/82-63, wurde der Angeklagte Karl A***** wegen eines Verbrechens und mehrerer Vergehen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Sofort nach Urteilsverkündung meldete der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und (ebenso wie in der Folge auch die Staatsanwaltschaft) Berufung an.
Auf seinen Antrag (ON 39) war dem Angeklagten gemäß § 41 Abs 2 StPO für die Hauptverhandlung und das anschließende Rechtsmittelverfahren mit Beschluß vom 20. September 1984 ein Verteidiger beigegeben (S 1 l) und (nach mehreren Umbestellungen) schließlich mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 6. Mai 1985 gemäß § 45 Abs 1 RAO Rechtsanwalt Dr. Helmut B***** zum Verteidiger bestellt worden (ON 61), der den Angeklagten insbesondere auch in der zum Urteil führenden Hauptverhandlung vom 9. Mai 1985 vertreten hat. Am 13. Juni 1985 langte beim Erstgericht ein von Rechtsanwalt Dr. Margarethe C***** gezeichneter Schriftsatz des Angeklagten ein, in welchem unter Vorlage einer mit
10. Juni 1985 datierten "Spezial-Strafvollmacht zu
10 c Vr 891/82, Hv 9/84" mitgeteilt wurde, daß der Angeklagte der genannten Rechtsanwältin Vollmacht erteilt hat; zugleich wurde um Akteneinsicht ersucht (ON 66).
Am 25. September 1985 verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Urteilsausfertigung an Rechtsanwalt Dr. B***** zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung und übermittelte gleichzeitig die Akten dem Landesgericht für Strafsachen Wien mit dem Ersuchen, Rechtsanwalt Dr. C***** Akteneinsicht zu gewähren, wobei darauf hingewiesen wurde, daß "das Urteil dem gemäß § 41 Abs 2 StPO bestellten Verteidiger Dr. B zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zugestellt wurde" (S 1 o verso). Die Zustellung der Urteilsausfertigung an Dr. B***** wurde am 25. September 1985 bewirkt (Rückschein bei S 1 o verso). Dr. C nahm am 7. Oktober 1985 Akteneinsicht (S 1 o verso).
Am 4. November 1985 überreichte Dr. B***** persönlich beim Erstgericht den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung (vgl EvBl 1975/131 uva) der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten und brachte gleichzeitig die Ausführung dieser Rechtsmittel an (S 1 p verso).
Mit Schriftsatz vom 8. November 1985 (ON 70) gab der Angeklagte durch Dr. C***** dem Gericht (abermals) bekannt, daß er auf Grund der bereits gelegten Vollmacht (ON 66) nunmehr durch die Genannte vertreten wird und ersuchte um sämtliche Zustellungen zu deren Handen sowie um Enthebung seines bisherigen Vertreters Dr. B*****.
Am 12. November 1985 stellte Dr. B***** seinerseits den Antrag, ihn von seiner Funktion als „Pflichtverteidiger“ mit Rücksicht auf die Bevollmächtigung von Dr. C***** zu entheben (ON 71).
Mit Beschluß vom 12. November 1985 (S 1 p verso) hat das Erstgericht "Dr. B***** als Verteidiger gemäß § 41 Abs 2 StPO enthoben, weil der Verurteilte einen Wahlverteidiger bekanntgegeben hat".
Dieser Beschluß wurde auch dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland zugestellt, der seinerseits am 14. November 1985 Dr. B***** als gemäß § 41 Abs 2 StPO und § 45 RAO bestellten Verteidiger seines Amtes enthob (ON 72). Rechtsanwalt Dr. Helmut B***** war aus folgenden Gründen weder zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages noch zur Ausführung der vom Angeklagten angemeldeten Rechtsmittel mehr legitimiert. Gemäß § 44 Abs 2 StPO erlischt der Auftrag des von Amts wegen bestellten Verteidigers, sobald der Beschuldigte einen anderen Verteidiger bestellt, wobei bereits mit der aktenkundig gewordenen Bevollmächtigung eines (Wahl-) Verteidigers die amtswegige Beigebung und Bestellung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs 3 StPO von selbst hinfällig wird, ohne daß es einer besonderen Enthebung bedarf (
Rechtliche Beurteilung
Dies gilt gleichermaßen für das Auftragsverhältnis des dem Beschuldigten gemäß § 41 Abs 2 StPO beigegebenen und gemäß § 42 Abs 1 StPO iVm § 45 RAO bestellten Verteidigers. Der Unterschied zwischen einem sog Verfahrenshelfer nach § 41 Abs 2 StPO und einem Amtsverteidiger gemäß dem Abs 3 dieser Gesetzesstelle liegt nämlich bloß darin, daß ersterer nur über Antrag dem Beschuldigten beigegeben wird und dieser dessen Kosten nicht zu tragen hat, während die Beigebung des Amtsverteidigers eben von Amts wegen erfolgt und der Beschuldigte grundsätzlich kostenersatzpflichtig ist. In der öffentlich-rechtlichen Natur des sonach in "beiden Fällen der Ex-officio-Verteidigung" (S. Mayer Anm 51 zu § 41 StPO) an die Person eines bestimmten Rechtsanwalts (§ 42 Abs. 1 StPO iVm § 45 RAO) gerichteten Auftrages besteht hingegen kein Unterschied, wie sich sinnfällig schon daraus ergibt, daß die den Bestellungsvorgang regelnden Bestimmungen (§ 42 Abs 1 StPO, § 45 RAO) nicht zwischen einem Verteidiger nach § 41 Abs 2 oder Abs 3 StPO unterscheiden.
Demgemäß besteht schon deshalb kein Grund, das an die Namhaftmachung eines Wahlverteidigers geknüpfte, in § 44 Abs 2 StPO normierte automatische Erlöschen des dem bestellten (sic !) Verteidiger erteilten Auftrages nur auf den von Amts wegen beigegebenen Verteidiger (§ 41 Abs 3 StPO) zu beziehen, zumal ja die Bestellung eines bestimmten Rechtsanwaltes - im Gegensatz zur Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO an sich - ohne (weiteren) Antrag des Beschuldigten erfolgt, das Gericht also insoweit (bei Veranlassung der Bestellung des Verteidigers) jedenfalls „von Amts wegen“ vorzugehen hat, sodaß eine wörtliche Auslegung des § 44 Abs 2 StPO erst recht zu dem Ergebnis führt, daß auch der Auftrag des Verfahrenshelfers (nicht nur des Amtsverteidigers) durch Bekanntgabe der Bevollmächtigung eines Wahlverteidigers von selbst, also ohne formellen Enthebungsakt erlischt (so im Ergebnis schon SSt 5/39, EvBl 1978/95 = JBl 1978, 327,
10 Os 92/82; siehe auch Roeder Lehrbuch 2 S 92). Mit der dem Gericht am 13. Juni 1985 zugekommenen Mitteilung der Bevollmächtigung Dris. C***** durch den Angeklagten ist daher der Auftrag Dris. B***** (als Verteidiger gemäß § 41 Abs 2 StPO) eo ipso erloschen, wovon dieser sowie der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer sogleich von Amts wegen - und nicht erst über Antrag (ON 70, 71) - zu verständigen gewesen wären. Der Beschluß des Erstgerichtes vom 12. November 1985 (S 1 p verso) auf Enthebung des Dr. Helmut B***** als Verteidiger gemäß § 41 Abs 2 StPO war demnach überflüssig und konnte lediglich deklaratorische Wirkung ex tunc (13. Juni 1985) entfalten; darüber hinaus war er aber auch insofern unzutreffend, als das Gericht nur über die Beigebung eines Verteidigers (bzw. deren Widerruf), nicht aber über die Bestellung eines bestimmten Rechtsanwaltes zu befinden hat, der in dieser Funktion konkret tätig werden soll. Dies ist vielmehr Aufgabe des Ausschusses der zuständigen Rechtsanwaltskammer (§ 42 Abs 1 StPO, § 45 RAO).
Rechtsanwalt Dr. B***** war daher nach dem 13. Juni 1985 zur Vertretung des Angeklagten nicht mehr legitimiert, weshalb sowohl der von ihm am 4. November 1985 gestellte Wiedereinsetzungsantrag als auch die zugleich angebrachten Rechtsmittelausführungen zurückzuweisen waren.
Aus dem Gesagten ergibt sich aber auch, daß die Zustellung der Urteilsausfertigung an Dr. B***** am 25. September 1985, zu einem Zeitpunkt also in dem der Genannte nicht mehr "bestellter Vertreter" (§ 79 Abs 2 StPO) des Angeklagten war, rechtsunwirksam gewesen ist und sonach den Lauf der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nicht auslösen konnte. Daraus folgt überdies, daß die prozessualen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung, nämlich der Ablauf einer Rechtsmittelfrist, noch gar nicht aktuell sind.
Nur der Vollständigkeit halber sei noch folgendes vermerkt:
Die Zustellung des Urteils an die seit dem 13. Juni 1985 allein zur Vertretung des Angeklagten gesetzmäßig berufene Wahlverteidigerin Dr. C***** wurde nicht etwa dadurch bewirkt, daß diese anläßlich der Akteneinsicht am 7. Oktober 1985 vom Inhalt der Entscheidung Kenntnis erlangt hat (Mayerhofer-Rieder, StPO2, E 100 zu § 80); ebensowenig durch den erwähnten Hinweis auf die Zustellung des Urteils an Dr. B***** und zwar selbst für den Fall nicht, daß ihr die Urteilsausfertigung durch letzteren übermittelt worden wäre, denn ein allenfalls heilbarer Zustellmangel kommt hier deshalb überhaupt nicht in Betracht, weil es an einer gerichtlichen Verfügung der Zustellung an Dr. C, also an ihrer ausdrücklichen Benennung als Empfänger (§ 7 ZustellG) fehlt (vgl Mayerhofer-Rieder, StPO2, E 106 zu § 80).
Das Erstgericht wird somit die Zustellung des Urteils (nicht auch der Berufungsausführung der Staatsanwaltschaft, die bereits ordnungsgemäß zugestellt worden ist - S 1 p verso) an Dr. C***** nachzuholen und damit die Frist zur Ausführung der Rechtsmittel des Angeklagten erst in Gang zu setzen haben.
Textnummer
E07185European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0100OS00154.850.1217.000Im RIS seit
18.01.1992Zuletzt aktualisiert am
30.09.2016