TE OGH 1985/12/18 3Ob627/85

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Veröffentlicht am 18.12.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Mag.Engelmaier als Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen ehelichen Kinder Johanna A, geboren am 14. April 1973, und Heike A, geboren am 4.Juli 1977, beide Schülerinnen, deren gegenwärtiger Aufenthalt nicht bekannt ist, infolge Revisionsrekurses der Mutter Margit A,

Angestellte, Steindorf 12, 4863 Seewalchen, vertreten durch Dr.Friedrich Wilhelm Ganzert, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom 9. Oktober 1985, GZ.R 848/85-30, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 19.August 1985, GZ.P 58/85-22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Vater und Mutter der gemeinsamen ehelichen Kinder österreichischer Staatsbürgerschaft beantragten im April 1985, das Gericht möge entscheiden, welchem Elternteil die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten künftig allein zustehen, weil die Eltern bei aufrechter Ehe nicht bloß vorübergehend getrennt leben.

Der als Rauchfangkehrermeister tätige, am 5.September 1946 geborene, Vater brachte vor, die Kinder hätten bisher mit der Mutter in der Ehewohnung gewohnt. Die am 14.April 1973 geborene Tochter besuche das Hauptschulinternat einer Klosterschule; die am 4. Juli 1977 geborene Tochter habe die Volksschule am Wohnort besucht, sei aber vom Vater vor kurzem bei der väterlichen Großmutter in der Steiermark untergebracht worden, weil die Mutter Beziehungen zu einem Mann aufgenommen habe, gegen den ein Strafverfahren anhängig sei. Er nehme die elterlichen Rechte und Pflichten nun allein in Anspruch.

Die am 1.Mai 1955 geborene Mutter trat diesem Antrag entgegen und begehrte die Entscheidung, daß die elterlichen Rechte und Pflichten künftig ihr allein zustehen. Der Vater habe Beziehungen zu anderen Frauen aufgenommen, sich um die Kinder nicht gekümmert und eigenmächtig und grundlos die 7-jährige Tochter zu seiner 70-jährigen Mutter gebracht. Das Kind sei der Mutter vorläufig zur Erziehung zurückzustellen.

Auch der Vater beantragte, ihm vorläufig bis zur Beendigung des Verfahrens die elterlichen Rechte und Pflichten allein zuzuteilen, nachdem sich im Mai 1985 ergeben hatte, daß die Mutter beide Kinder ins Ausland gebracht hatte.

Das Erstgericht entschied, daß die elterlichen Rechte und Pflichten, die minderjährigen Kinder zu pflegen und zu erziehen, sie zu vertreten und ihr Vermögen zu verwalten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die endgültige Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten einstweilen dem Vater zugeteilt werden. Es ging dabei davon aus, daß die am 24.August 1973 geschlossene Ehe der Eltern aufrecht ist. Seit Oktober 1984 leben die Eltern getrennt. Die Mutter blieb mit den Kindern in der Ehewohnung. Die ältere Tochter war im Internat der Schulschwestern in Vöcklabruck untergebracht, das jüngere Mädchen besuchte die Volksschule am Wohnort. Die Mutter freundete sich im Frühjahr 1985 mit einem Mann an, der auch in ihrer Wohnung übernachtete. Gegen ihn ist beim Kreisgericht Wels ein Strafverfahren wegen der Verbrechen der Untreue, des teils versuchten teils vollendeten gewerbsmäßigen schweren Betruges und der betrügerischen Krida anhängig. Der Mann kam zur Hauptverhandlung am 29.April 1985 nicht. Sein Aufenthalt ist seither unbekannt. Die Mutter holte die ältere Tochter am 15. Mai 1985 vom Unterricht an der Mädchenhauptschule ab, nahm auch das vom Vater bei der väterlichen Großmutter untergebrachte jüngere Kind an sich und verreiste mit beiden Kindern mit zunächst unbekanntem Ziel. Die Mutter hält sich seit dem 31.Juli 1985 wieder in Österreich auf. Sie gibt an, daß die Kinder in der Dominikanischen Republik leben, wohin sie mit ihrem Onkel Adolf K*** gereist sei. Die Mutter weigert sich, den Aufenthaltsort der Kinder zu nennen und anzugeben, ob ihre Beziehung zu dem vom Strafgericht verfolgten Mann aufrecht ist und ob dieser sich im Lebensbereich der beiden Töchter aufhält. Sie will mit den Kindern ein Jahr in der Dominikanischen Republik bleiben, wo die Kinder ab Herbst 1985 eine Privatschule besuchen sollen, an der der Unterricht in englischer Sprache erfolgt. Die jüngere Tochter leidet an einer skoliotischen Fehlhaltung der Wirbelsäule und einem Knick-Senkfuß. Eine ständige ärztliche Überwachung und Behandlung ist geboten. In der Dominikanischen Republik sind die Kinder nicht krankenversichert. Das Erstgericht meinte, eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 177 Abs2 ABGB könne nicht erfolgen, solange nicht einmal der genaue Aufenthalt der Kinder bekannt sei, weil die Persönlichkeit der Kinder und der Elternteile wie ihre künftigen Lebensverhältnisse noch nicht überblickt werden und auch die Anhörung des schon über 10 Jahre alten Kindes ausstehe. Es sei aber mit einstweiliger Vorkehrung das Wohl der Kinder zu sichern. Die Mutter habe sie an einen unbekannten Ort in der Dominikanischen Republik gebracht. Eine gehörige Schulausbildung sei nicht gewährleistet, die Finanzierung der Kosten des beabsichtigten Unterrichts an der englischsprachigen Privatschule sei ebensowenig gesichert wie die der ärztlichen Versorgung. Es sei auch nicht ausgeschlossen, daß der Bekannte der Mutter, dem schwere Straftaten vorgeworfen werden, auf die Erziehung der Mädchen einen nachteiligen Einfluß nehme. Die Mutter habe die Kinder im Ausland zurückgelassen und sei selbst am 31.Juli 1985 nach Österreich zurückgekehrt. Sie wolle offenbar die Kinder dem Vater fernhalten. Es gehe ihr daher bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse der Kinder nicht ausschließlich um deren Wohl, das eine Rückführung in den Heimatstaat gebiete, wo die schulische Ausbildung und die ärztliche Versorgung gesichert seien. Der Vater sei bemüht, dies durchzusetzen. Ihm seien daher vorläufig die elterlichen Rechte und Pflichten allein zu übertragen. Das Rekursgericht gab dem von der Mutter erhobenen Rechtsmittel nicht Folge. Die vorläufige Zuteilung der Elternrechte sei zulässig, wenn schon vor Abschluß der Erhebungen im Interesse der Kinder eine Maßnahme geboten sei. Die Mutter habe durch die Verbringung der Mädchen in die Dominikanische Republik gegen die wohlverstandenen Interessen der Kinder verstoßen, sie aus der gewohnten und vertrauten Umgebung gerissen, die schulische Ausbildung unterbrochen und die Kinder in ein fernes Land gebracht, dessen Landessprache sie nicht beherrschen und dessen Lebensgewohnheiten ihnen fremd und unvertraut seien. Die Mutter habe die Kinder in der Fremde allein gelassen, könne nicht nachweisen, daß die ärztliche Versorgung der Kinder im Aufenthaltsstaat gesichert sei, und auch keinen Grund nennen, warum sie die Kinder vorübergehend in ein so weit entferntes Land brachte, wo die Kinder in der Obhut eines Onkels und einer Fremden allein zurückblieben.

Diesen bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes bekämpft die Mutter mit ihrem Revisionsrekurs. Sie macht offenbare Gesetzwidrigkeit geltend.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist nicht zulässig, weil es sich nicht auf einen der im § 16 AußStrG zur Anfechtung der bestätigenden Entscheidung der zweiten Instanz allein zugelassenen Rekursgrund stützen kann. Nach § 16 Abs1 AußStrG findet nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof statt, wenn das Rekursgericht in Gegenständen außer Streitsachen den Beschluß des Erstrichters bestätigt hat. Die Revisionsrekurswerberin nennt daher als Rechtsmittelgrund, daß die Entscheidung offenbar gesetzwidrig sei.

Davon kann aber nicht gesprochen werden.

Dieser Anfechtungsgrund liegt nur vor, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich oder so klar geregelt ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und dennoch eine damit in Widerspruch stehende Entscheidung getroffen wurde (EFSlg44.642 u.v.a.), wenn die Entscheidung Grundprinzipien des Rechts verletzt (SZ 23/289; EFSlg44.647; EFSlg42.328 u.v.a.) oder das Wohl des minderjährigen Kindes gänzlich außer acht läßt (EFSlg44.648; EFSlg42.334 u.a.).

Die Frage, welchem Elternteil bei einer nicht bloß vorübergehenden Trennung die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten zustehen sollen, wird im Gesetz nicht bestimmt gelöst. Es werden nur bestimmte Kriterien genannt, die in die Ermessenserwägungen des Gerichtes einzubeziehen sind (EFSlg42.339; EFSlg39.834 u.a.). Die nach dem § 177 Abs2 und dem § 180 a ABGB zu treffende Entscheidung über die Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten kann als Lösung einer Ermessensfrage dann nicht offenbar gesetzwidrig sein, wenn in die Erwägungen alle nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Kriterien einbezogen wurden und das Wohl des Kindes dabei nicht übergangen wurde (EFSlg44.656; EFSlg44.657; EFSlg42.339; EFSlg42.340 u.a.). Dies muß umso mehr gelten, wenn es nur darum geht, durch eine vorläufige Maßnahme, die im Interesse des Wohls der Kinder aus den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles heraus geboten ist, sicherzustellen, daß bis zur endgültigen Entscheidung über die Anträge nach dem § 177 Abs2 ABGB die Kinder nicht zwischen den Elternteilen, denen die Rechte und Pflichten nach § 144 ABGB zustehen, deren Einvernehmen aber fehlt, hin und her gerissen werden und vor allem zu verhindern, daß zum Nachteil und Schaden der Kinder von einem Elternteil eine Rechtsausübung erfolgt, durch die der endgültigen Zuteilung der Elternrechte und Elternpflichten vorgegriffen werden soll.

In der Bestätigung der vorläufigen Zuteilung der Rechte und Pflichten an den Vater kann keine Willkür erblickt werden. Auch der weitere Vorwurf der Rechtsmittelwerberin, die Vorinstanzen hätten sich mit Allgemeinsätzen begnügt und seien auf die Verhältnisse des Falles nicht eingegangen, ist völlig unberechtigt. Das Erstgericht wie das Rekursgericht haben sich bei ihrer Entscheidung ausschließlich am Wohl der Kinder orientiert. Wenn sie zu der Überzeugung gelangten, daß der - als vorübergehend

geplante - Aufenthalt der jetzt 8 und 12 Jahre alten Mädchen in einem fernen Land, zu dem weder die Kinder noch deren Mutter eine Bindung besitzen, wegen der durch die Weigerung der Mutter, die derzeitigen Lebensverhältnisse der von ihr ins Ausland verbrachten und dort zurückgelassenen beiden Mädchen offenzulegen, verbliebenen erheblichen Unsicherheit der Gewährleistung einer erzieherischen, schulischen und medizinischen Betreuung deren wohlverstandenes Interesse verletzt und es daher vorzuziehen ist, daß vorläufig die Elternrechte dem Vater überlassen werden, der für die Betreuung und den Schulbesuch im Heimatstaat der Kinder vorzusorgen bereit ist und der auch stets betont hat, daß die Schwestern, deren Trennung nur kurzfristig als Notmaßnahme verfügt war, künftig gemeinsam aufwachsen sollen, so ist der Rahmen des bei einer solchen Entscheidung zu wahrenden pflichtgemäßen Ermessens keineswegs überschritten. Es wurden daher weder Grundprinzipien des Rechtes verletzt noch das Wohl der Kinder außer acht gelassen. Da eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht vorliegt und auch sonst kein nach § 16 Abs1 AußStrG zulässiger Anfechtungsgrund geltend gemacht wurde, fehlt es an der Zulässigkeit des außerordentlichen Revisionsrekurses.

Das unzulässige Rechtsmittel ist zurückzuweisen.

Anmerkung

E07254

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0030OB00627.85.1218.000

Dokumentnummer

JJT_19851218_OGH0002_0030OB00627_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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