Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Resch, sowie die Beisitzer Dr. Martin Meches und Hermann Peter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludwig KRENN, Transportunternehmer in Neuberg 114, vertreten durch Dr. Karl Baldauf, Rechtsanwalt in Güssing, wider die beklagte Partei Erich FREY, Kraftfahrer, St.Michael 236, vertreten durch Dr. Walter Hatvagner, Rechtsanwalt in Oberwart, wegen restl. S 50.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 29.August 1985, GZ 13 Cg 6/84-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Oberwart vom 20.Jänner 1984, (richtig 10. November 1983), GZ Cr 61/82-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes, das im Ausspruch über die Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S 60.000,-- samt 4 % Zinsen seit 3.Jänner 1981 als unangefochten unberührt bleibt, wird in seinem das Begehren auf Bezahlung von weiteren S 50.000,-- samt 4 % Zinsen seit 3.Jänner 1981 abweisenden Teil und im Kostenpunkt aufgehoben.
Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Beklagte war beim Kläger, einem Transportunternehmer, als Kraftfahrer beschäftigt. Am 19.November 1980 kam der von ihm gelenkte, mit Mandarinen beladene Sattelschlepper auf der Fahrt von Izmir nach Istanbul von der Fahrbahn ab, kippte um und wurde schwer beschädigt. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Begehren des Klägers auf Teilersatz der aufgewendeten Reparaturkosten, des Verdienstentganges und der durch den Unfall verursachten Folgekosten, während die Abweisung des Schadenersatzanspruches für den Verlust der Ladung und der aus Reiseabrechnungen behaupteten Schuld des Beklagten nicht bekämpft wird. Der Kläger brachte vor, der Unfall sei vom Beklagten grob fahrlässig durch überhöhte Geschwindigkeit und grobe Unaufmerksamkeit verursacht worden. Ihm seien daraus folgende Schäden erwachsen:
Reparaturkosten des Sattelaufliegers S 117.000,--
Verdienstentgang an 56 Tagen S 56.000,--
Reisespesen S 30.000,--
Kosten verlorengegangenen Werk-
zeuges und verlorengegangener Aus-
rüstungsgegenstände S 12.715,--
Selbstbehalt aus der Reparatur des
kaskoversicherten Motorwagens S 20.000,--
und Reparatur des Plateauanhängers S 7.749,57.
Unter Hinzurechnung einer - im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemachten - Forderung aus Reiseabrechnungen von S 3.200,-- ergebe sich ein Betrag von S 246.664,57. Hievon begehre er vom Beklagten unter Berücksichtigung der schadensgeneigten Tätigkeit zwei Drittel, somit S 164.443,04. Abzüglich einer Forderung des Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis in der Höhe von S 16.115,50 ergebe sich eine Forderung von S 148.327,54 sA.
Dieses Begehren schränkte der Kläger in erster Instanz zunächst ohne nähere Angabe von Gründen, aber erkennbar unter Einschränkung auf die Hälfte des Schadenersatzes, auf S 107.216,78 sA ein. Im Berufungsverfahren brachte der Kläger ergänzend vor, daß durch den Unfall die Ladung zur Gänze vernichtet und ihm dadurch ein weiterer Schaden von S 178.838,-- erwachsen sei. Der Gesamtschaden betrage daher S 425.502,57. Auf Grund der seinerzeitigen Einschränkung auf die Hälfte der Schadenssumme betrage seine Forderung S 212.751,30. Nach Abzug der Gehaltsforderung des Beklagten verbleibe ein Restbetrag von S 196.635,78, der im Sinne des § 2 Abs 1 DHG auf S 110.000,-- eingeschränkt werde. Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, er habe während der Heimfahrt im Rückspiegel bemerkt, daß sich ein Brett vom Planenaufbau gelöst bzw. immer mehr ausgebuchtet habe. Unterwegs habe er eine Reparatur nicht durchführen können, weil die Ladung plombiert gewesen sei und er sonst beim Zoll Schwierigkeiten gehabt hätte. Er habe daher öfters in den Seitenspiegel geblickt, um zu erkennen, ob sich der Schaden rasch vergrößere. Bei einem solchen Kontrollblick sei er mit den rechten Rädern von der befestigten Straße abgekommen und auf das aufgeweichte Bankett und anschließend in den Straßengraben geraten. Am Unfall treffe ihn kein oder höchstens ein ganz geringes Verschulden.
Das Erstgericht wies das ursprüngliche Klagebegehren von S 107.216,78 ab. Es vertrat auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhaltes die Auffassung, auf Seite des Beklagten liege nur eine entschuldbare Fehlleistung vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und wies das ausgedente Begehren von S 110.000,-- sA ab. Es verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z.3 ArbGG von neuem und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Nachdem der Beklagte am 19.November 1980 in Izmir Mandarinen geladen hatte, bemerkte er auf der Fahrt nach Istanbul, daß in der Plane des Sattelaufliegers eine immer weitere Ausbuchtung entstand, was offentsichtlich auf ein Verrutschen der Ladung zurückzuführen war. Da der LKW unter Zollverschluß stand, konnte der Beklagte nicht in das Innere des LKW-Zuges gelangen, um die verrutschte Ladung zurechtzuschieben. Anläßlich eines Aufenthaltes bei einer Fähre versuchte der Beklagte dies zwar, jedoch gelang es ihm nicht. In der Folge blickte der Beklagte durch den Außenspiegel immer wieder auf die Plane, weil er fürchtete, daß sie reißen könnte. Bei einer dieser Beobachtungen gelangte der Beklagte mit dem LKW-Zug auf der in diesem Bereich gerade verlaufenden zweispurigen Straße mit den rechten Rädern von der trockenen Fahrbahn auf das feuchte aufgeweichte Bankett. Die rechten Räder sanken dort ein und es gelang ihm deshalb nicht mehr, den LKW-Zug, mit welchem er zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von rund 70 km/h fuhr, auf die Straße zurückzulenken. Das Fahrzeug geriet in den anschließenden Straßengraben, dann auf die Gegenböschung und stürzte um. Hätte der Beklagte den LKW-Zug geradeaus weiterrollen lassen und nicht auf die Gegenböschung gelenkt, wäre der Sattelzug nicht umgekippt. Ein solches Verhalten wäre für einen Durchschnittsfahrer möglich gewesen. Nach dem Unfall, durch welchen der Beklagte eine Rippenprellung erlitten hatte, war er im Bereich der Knie in der Höhe des Lenkrades eingeklemmt. Deshalb konnte er die Motorstaubremse, welche mit den Füßen zu betätigen ist, nicht mehr erreichen. Infolge des ausfließenden Öls kam es zu einem Motorschaden am LKW. Der Beklagte, der durch den Unfall einen Schock erlitten hatte, konnte sich aus eigener Kraft aus dem Führerhaus des LKWs befreien. Die Tachografenscheiben wurden von ihm nicht entfernt. Mit den Polizeiorganen vereinbarte der Beklagte, daß diese den LKW-Zug und auch die Ladung bewachen sollten. Von der Polizei wurde auch eine Wachmannschaft gestellt. Durch den Unfall entstand am Sattelauflieger ein Schaden. Da der Auflieger nicht kaskoversichert war, mußte der Kläger zur Schadensbehebung S 138.060 aufwenden. Weiters mußte er für die Reparatur des Dreiachsplateauanhängers S 7.749,57 bezahlen. Die Reparatur des Motorwagens, welcher kaskoversichert war, erfolgte um S 310.845,35, wobei der Selbstbehalt für den Kläger S 20.000,-- betrug. Vom LKW-Zug kamen in der Türkei ein Kreuzschlüssel, Schneeketten, ein Wagenheber und verschiedenes Werkzeug abhanden. Der vom Kläger als erfahrener Kraftfahrer bezeichnete Beklagte verursachte vor dem Unfall während einer Fahrt in Deutschland mit einem LKW einen Unfall mit Sachschaden an einem PKW. Außerdem hatte er bei einem anderen Unfall dadurch, daß er einen PKW der ihm auf seiner Straßenseite entgegenkam, ausweichen mußte und mit seinem LKW einen Baum gestreift hatte, Sachschaden verursacht.
Rechtlich vertrat auch das Berufungsgericht die Auffassung, auf Seite des Beklagten liege nur eine entschuldbare Fehlleistung vor, weil er zwar wegen der ständigen Rückspiegelbeobachtungen infolge der verrutschten Ladung durch einen Fahrfehler von der Fahrbahn abgekommen sei, jedoch nicht damit habe rechnen müssen, daß sein LKW umkippen, der festgestellte Schaden entstehen und er so unglücklich im Führerhaus eingeklemmt sein werde, daß er mit den Füßen die Motorstaubremse nicht erreichen könne. Der Beklagte habe auch nicht mit dem Diebstahl der Ladung und von Werkzeug rechnen müssen, zumal er das Fahrzeug der Bewachung durch die Polizei übergeben habe. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, soweit eine Schadenersatzforderung von S 50.000,-- als Schadensanteil allein aus dem Umstürzen des LKW abgewiesen wurde, aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Anträgen, es dahin abzuändern, daß der Beklagte zum Schadenersatz in der Höhe von S 50.000,-- verurteilt werde, oder es aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht
vor (§ 510 Abs3 ZPO).
Hingegen ist die Rechtsrüge begründet.
Da sich der Unfall am 19.November 1980 ereignete, ist auf ihn
gemäß Art.II der Novelle vom 2.März 1983, BGBl. Nr.169, das
Dienstnehmerhaftpflichtgesetz in der Fassung vor dieser Novelle
anzuwenden. Gemäß § 2 Abs 1 aF kann das Gericht, wenn der
Dienstnehmer bei Erbringung seiner Dienstleistungen dem Dienstgeber
durch einen minderen Grad des Versehens einen Schaden zugefügt hat,
aus Gründen der Billigkeit den Ersatz mäßigen oder mit Rücksicht auf
die besonderen Umstände ganz erlassen. Hiebei ist insbesondere auf
den Grad der Ausbildung des Dienstnehmers, auf das Ausmaß der mit
der ausgeübten Tätigkeit verbundenen Verantwortung und darauf
Bedacht zu nehmen, ob bei der Bemessung des Entgelts das mit der
ausgeübten Tätigkeit verbundene Wagnis berücksichtigt worden ist und
ob sich die Größe des Verschuldens mehr einer auffallenden
Sorglosigkeit oder einer entschuldbaren Fehlleistung nähert;
außerdem ist zugunsten des Dienstnehmers zu berücksichtigen, ob mit
der von ihm erbrachten Dienstleistung oder mit den Umständen, unter
denen sie erbracht werden mußte, erfahrungsgemäß die nur schwer
vermeidbare Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines
Schadens verbunden ist. Für eine entschuldbare Fehlleistung haftet
der Dienstnehmer gemäß § 2 Abs2 DHG nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung (SZ 45/42; Arb 9179, Arb 9199 ua)
kann eine entschuldbare Fehlleistung nur angenommen werden, wenn die Fehlleistung auf einem leichtesten Grad der Fahrlässigkeit beruht, für den nach ABGB gerade noch zu haften wäre, die sich also bei Berücksichtigung der gesamten Arbeitslast im Drange der Geschäfte und mit Rücksicht auf deren Schwierigkeit ohne weiters ergeben kann, so daß der Schaden nur bei außerordentlicher Aufmerksamkeit abzuwenden ist.
Eine solche liegt hier nicht vor.
Der Unfall ereignete sich auf einer gerade verlaufenden zweispurigen Straße bei trockener Fahrbahn, während der Beklagte - wie vorher laufend - durch den Außenspiegel die Ausbuchtung der Plane beobachtete. Es wurde weder behauptet noch festgestellt, daß der Beklagte noch durch andere Umstände, wie etwa besonders starken Gegenverkehr oder ein vorschriftswidriges Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer abgelenkt worden sei. Wenn es dem Beklagten nicht möglich war, die Ladung von außen gegen ein weiteres Verrutschen - etwa durch Anbringung von Seilen - soweit zu sichern, daß ein gefahrloses Weiterfahren möglich war, hätte er die Fahrt nicht mehr mit der üblichen sondern nur mit stark verminderter Geschwindigkeit forsetzen dürfen, mußte ihm doch bewußt sein, daß er durch die laufende Beobachtung der Plane seine Aufmerksamkeit nicht mehr im erforderlichen Ausmaß der Lenkung des Fahrzeuges widmen konnte. Dazu kommt noch, daß er, nachdem er auf das Bankett geraten war, falsch reagierte und das Fahrzeug auf die Gegenböschung lenkte, anstatt es gerade weiterrollen zu lassen. Sein Verhalten stellt unter diesen Umständen insgesamt keine entschuldbare Fehlleistung, sondern eine leichte Fahrlässigkeit dar.
Die Rechtssache ist jedoch noch nicht spruchreif. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen über die behaupteten Folgeschäden, wie den Verdienstentgang und die Reisespesen getroffen und auch die Forderungen des Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis nicht festgestellt. Es hat ferner Feststellungen unterlassen, welche für die Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Mäßigung des Ersatzes gerechtfertigt ist, wesentlich sind, nämlich besonders über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten und seine Sorgepflichten.
In Stattgebung der Revision war daher das Urteil des Berufungsgerichtes im angefochtenen Umfang aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E07287European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0040OB00169.85.0114.000Dokumentnummer
JJT_19860114_OGH0002_0040OB00169_8500000_000