TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/30 2005/20/0082

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Veröffentlicht am 30.06.2005
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Index

E3R E19103000;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/02 Staatsbürgerschaft Staatenlosigkeit;

Norm

32003R0343 Dublin-II Art3 Abs2;
32003R0343 Dublin-II;
AsylG 1997 §23 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §24a Abs8 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §3 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §4 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §4a idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §5 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §5 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §5 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §5a Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §5a Abs4 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §5a idF 2003/I/101;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §66 Abs4;
Dubliner Übk 1997 Art3 Abs4;
MRK Art13;
MRK Art3;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A (alias G), geboren 1955, vertreten durch Mag. Johann Kopinits, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 12/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Jänner 2005, Zl. 254.688/0-VIII/22/04, betreffend §§ 5 und 5a AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsbürger, stellte Ende Mai 2004 in der Republik Ungarn einen Asylantrag und reiste - ohne die Erledigung dieses Antrages abzuwarten - nach Österreich weiter, wo er am 15. Juni 2004 (unter anderem Namen) auch die Gewährung von Asyl beantragte.

Diesen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 27. Oktober 2004 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück. Es sprach gleichzeitig aus, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-Verordnung) Ungarn zuständig sei. Unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm Abs. 4 AsylG aus dem Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen. Dieser Entscheidung war vorausgegangen, dass sich die (mit der "Dublin Koordination" befasste) ungarische Behörde mit Schreiben vom 6. Juli 2004 zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers bereit erklärt hatte.

Die belangte Behörde wies die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Berufung mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Jänner 2005 "gemäß § 5 Abs. 1 AsylG" ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat in der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, sie teile die Ansicht der Erstbehörde, dass durch die gegenseitige Zusicherung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das Prinzip des Non-Refoulement zu wahren und einander gegenseitig als sichere Staaten für Drittstaatsangehörige anzusehen, die zur Rechtslage vor der AsylG-Novelle "ergangene Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine konkrete Feststellung des effektiven Maßes an Rechtsschutz gegen das Refoulement (im Individualfall) zu prüfen (gemeint: zu treffen) ist, obsolet ist und dass für eine derartige Auseinandersetzung nunmehr kein Raum verbleibt". Eine Aufteilung "der nach Mitteleuropa einfließenden Flüchtlingsströme" auf die verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die rechtlich und faktisch geboten sei, könne nur funktionieren, wenn die Mitgliedstaaten von der "unwiderleglichen Vermutung" ausgingen, dass alle EU-Staaten sichere Drittstaaten seien, und keine individuelle Prüfung "irgendwelcher Kriterien" vorgenommen werde.

Diese Auffassung widerspricht sowohl der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes in dem - der belangten Behörde bereits bekannten und in anderem Zusammenhang im angefochtenen Bescheid auch zitierten - Erkenntnis vom 15. Oktober 2004, G 237/03 u.a. (Punkt III.4.7.4.3.; vgl. in diesem Sinne jetzt auch das Erkenntnis vom 17. Juni 2005, B 336/05), als auch jener des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0095, auf dessen Entscheidungsgründe im Einzelnen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Danach ist die zur verfassungskonformen Auslegung des § 5 AsylG in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003 ergangene Rechtsprechung - wonach die Bedachtnahme auf Kriterien der Art. 3 und 8 EMRK bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG, ungeachtet des Fehlens einer diesbezüglichen Anordnung in der Bestimmung selbst, als möglich und notwendig erachtet wurde - auf die aktuelle Rechtslage nach der AsylG-Novelle 2003 zu übertragen. Aus Art. 3 EMRK ergibt sich - unbeschadet internationaler Vereinbarungen oder gemeinschaftsrechtlicher Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen - das Erfordernis der Bedachtnahme auf ein allfälliges Risiko einer Kettenabschiebung, wobei in diesem Zusammenhang auch Verfahrensgestaltungen im Drittstaat von Bedeutung sein können. Maßgeblich ist unter diesem Gesichtspunkt, ob eine Gefahrenprognose zu treffen ist, der zufolge ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiiertes "real risk" besteht, ein auf Grund der Dublin II-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber werde trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt sein. In diesem Zusammenhang käme Berichten über derartige den Zielstaat betreffende Vorkommnisse ebenso maßgebliche Bedeutung zu wie diesbezüglich negativen Erfahrungswerten (wie sie etwa in dem mit der Gegenschrift vorgelegten UNHCR-Schreiben vom 2. Mai 2005 berichtet werden).

Das hat die belangte Behörde zwar verkannt, fallbezogen war aber - entgegen der Meinung in der Beschwerde - angesichts der Äußerung des Beschwerdeführers in der zweiten Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 19. Oktober 2004, er wolle "so schnell wie möglich" zurück nach Ungarn und "dann wahrscheinlich weiter nach Georgien", eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK nicht geboten, zumal auch in der Berufung in dieser Richtung kein konkretes, auf den Beschwerdeführer bezogenes Vorbringen erstattet wurde.

Der angefochtene Bescheid kann aber aus folgenden Erwägungen trotzdem keinen Bestand haben:

§ 24a Abs. 8 AsylG in der Fassung der AsylG-Novelle 2003 lautet:

"(8) Entscheidet das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringung des Antrages, dass der Asylantrag als unzulässig gemäß der §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, ist der Antrag zugelassen, es sei denn es werden Konsultationen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 geführt; Abs. 4 gilt. Die Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 oder eine Entscheidung gemäß der §§ 7 oder 10 ersetzt die Entscheidung im Zulassungsverfahren. Satz 1 gilt nicht, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzieht und das Verfahren eingestellt oder als gegenstandslos abgelegt wird."

Diese Bestimmung ordnet in ihrem ersten Satz für die Dauer von Konsultationen nach der Dublin II-Verordnung eine Fortlaufshemmung der genannten zwanzigtägigen Entscheidungsfrist an. Demnach läuft die begonnene Frist nach dem (erfolgreichen) Abschluss solcher Konsultationen weiter. Ist die Frist vor Erlassung des Zurückweisungsbescheides abgelaufen, so ist der Asylantrag kraft Gesetzes "zugelassen" und eine Unzuständigkeitsentscheidung nach § 5 AsylG kommt nicht mehr in Betracht (vgl. dazu im Einzelnen das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0038, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Im vorliegenden Fall wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers am 15. Juni 2004 eingebracht (iSd § 3 Abs. 3 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003). Das Ersuchen an die ungarischen Behörden um (Wieder)Aufnahme des Beschwerdeführers erging am 23. Juni 2004, somit am achten Tag nach der Einbringung des Asylantrages. Die positive Antwort Ungarns mit Schreiben vom 6. Juli 2004 langte am selben Tag beim Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost) ein. Der erstinstanzliche Bescheid dieser Behörde datiert vom 27. Oktober 2004 und wurde durch Zustellung an den Beschwerdeführer am nächsten Tag erlassen.

Im Hinblick auf diese Aktenlage ist evident, dass das Bundesasylamt im gegenständlichen Fall - auch unter Berücksichtigung der zuvor erwähnten Fortlaufshemmung - nicht binnen zwanzig Tagen ab Einbringung des Asylantrages über dessen Zulässigkeit nach § 5 AsylG entschieden, das heißt den Zurückweisungsbescheid erlassen hat. Selbst ausgehend von der - vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten - Ansicht, Konsultationen nach der Dublin II-Verordnung bewirkten eine Unterbrechung der zwanzigtägigen Frist und sie begänne nach deren Beendigung von Neuem, wäre hier nicht fristwahrend entschieden worden.

Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs gemäß § 5 Abs. 1 AsylG und die Ausweisung des Beschwerdeführers nach § 5a Abs. 1 iVm 4 AsylG war somit nicht mehr rechtmäßig. Dem hätte die belangte Behörde von Amts wegen (vgl. Punkt 4. der Entscheidungsgründe des erwähnten Erkenntnisses Zl. 2005/20/0038) - durch ersatzlose Behebung des erstinstanzlichen Bescheides - Rechnung tragen müssen. Da sie dies unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 und erfolgte im ziffernmäßig verzeichneten Umfang.

Wien, am 30. Juni 2005

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005200082.X00

Im RIS seit

29.07.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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