Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Otto BRÄUER, Pensionist, 8934 Altenmarkt Nr.157, vertreten durch Dr.Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagten Parteien 1. Ewald K***, Kochlehrling, 8934 Altenmarkt Nr.105, 2. A*** E*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, 1013 Wien, Bösendorferstraße 13, beide vertreten durch Dr.Roger Haarmann, Rechtsanwalt in Liezen, wegen restlicher S 62.000,-- samt Anhang und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 1. Oktober 1985, GZ.1 R 145/85-34, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 24. Mai 1985, GZ.5 Cg 221/84-26, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien haben dem Kläger zur ungeteilten Hand die mit S 4.937,09 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 339,74 Umsatzsteuer und S 1.200,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 28.September 1982 wurde der auf der Bundesstraße 117 im Gemeindegebiet Altenmarkt/Enns auf der Fahrbahn gehende Kläger von dem mit seinem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Motorfahrrad nachkommenden Erstbeklagten niedergestoßen und schwer verletzt. Wegen dieses Unfalles sprach das Bezirksgericht Liezen den Erstbeklagten rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung schuldig (Verfahren U 434/82).
In der Klage wird das Alleinverschulden des Erstbeklagten am Unfall behauptet und (nach Klagsausdehnung) die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 350.000,-- sowie der Ersatz von Sachschäden in der Höhe von S 1.000,-- begehrt und weiters die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für die künftigen Unfallsfolgen des Klägers, bei der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme, beantragt.
Die beklagten Parteien wendeten ein Mitverschulden des Klägers am Unfall von einem Drittel ein, bestritten das Vorliegen von Dauerfolgen und die Angemessenheit des begehrten Schmerzengeldes und stellten der Klagsforderung unfallsbedingte Gegenforderungen des Erstbeklagten in der Gesamthöhe von S 45.000,-- aufrechnungsweise gegenüber.
Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit S 75.750,-- und die eingewendete Gegenforderung mit S 4.950,-- als zu Recht bestehend fest, sprach dem Kläger demgemäß einen Betrag von S 70.800,-- samt Anhang zu und wies das Mehrbegehren von S 280.200,-- samt Anhang ab. Dem Feststellungsbegehren gab es unter Abweisung des Mehrbegehrens im Ausmaß einer Haftung für 75 % der künftigen Unfallsschäden statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien nicht, dagegen jener des Klägers teilweise Folge. Es stellte die Klagsforderung mit S 120.800,-- und die Gegenforderung mit S 3.960,-- als zu Recht bestehend fest und sprach dem Kläger unter Abweisung des Mehrbegehrens einen Betrag von S 116.840,-- samt Anhang zu. Dem Feststellungsbegehren gab es im Ausmaß einer Haftung für 80 % der künftigen Unfallsschäden Folge. Es sprach aus, daß der Wert des von der Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles betroffenen Streitgegenstandes S 15.000,--, jener des die Bestätigung betreffenden Teiles des Streitgegenstandes S 60.000,-- und der Streitwert insgesamt S 300.000,-- übersteige. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erheben die beklagten Parteien eine auf § 503 Abs 1 Z.4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung dahin, daß auf der Grundlage eines Mitverschuldens des Klägers von einem Drittel und einem rechnungsmäßigen Schmerzengeld von S 90.000,-- sowie unter Bedachtnahme auf die festgestellten Unfallsschäden des Erstbeklagten diesem lediglich ein Gesamtbetrag von S 54.066,66 samt Anhang zuerkannt und die Haftung der beklagten Parteien nur im Ausmaß von 66,6 % bei der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme, festgestellt, das jeweilige Mehrbegehren aber abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Nach den für das Revisionsgericht bindenden Sachverhaltsfeststellungen ist der Kläger bei Straßenkilometer 0,438 etwa 100 m südlich des Ortskernes von Altenmarkt im Ortsgebiet auf der rechten Seite der Fahrbahn innerhalb dieser in Richtung Süden gegangen, während seine neben ihm gehende Ehefrau sich schon außerhalb der Fahrbahn, nämlich jenseits der weißen Randlinie, bewegte. An die Fahrbahn schließt auf dieser Seite der Bundesstraße ein ca. 1 m breiter Rasenstreifen an. Es herrschte Dunkelheit, die Straßenbeleuchtung war eingeschaltet. Der Erstbeklagte kam in Richtung Süden fahrend mit seinem Moped unter Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 40 bis 50 km/h dem Kläger nach. Als dieser das Motorgeräusch des Mopeds vernahm, wollte er hinter seine Ehefrau treten. Der Erstbeklagte, der aus der im Unfallsbereich gegebenen Linkskurve der übersichtlich verlaufenden, 5,7 m breiten Straße kam, beobachtete nicht die Fahrbahn vor ihm, sondern blickte ohne verkehrsbedingte Gründe "einige Zeit" zur Seite. Erst aus einer Entfernung von 10 m nahm er den Kläger wahr, konnte jedoch, da er diese Strecke in ca. 1 Sekunde durchfuhr, nicht mehr wirksam abbremsen. Beim Anstoß befand sich der Kläger "noch auf der Fahrbahn der Bundesstraße innerhalb der Randlinie". Auf der anderen Straßenseite verläuft neben der Fahrbahn ein Gehsteig. Der Kläger war mit seiner Frau auf dem Heimweg zu seiner Wohnung, die auf dieser Straßenseite liegt. Bei Benützung des gegenüberliegenden Gehsteiges hätten die beiden somit zweimal die Fahrbahn überqueren müssen. Beim Unfall erlitt der Kläger einen offenen Impressionsbruch des Stirnbeines links mit Eröffnung der linksseitigen Stirnhöhle, eine ausgedehnte Weichteilwunde, Brüche der 6. bis 9.Rippe links, einen offenen Stückbruch des linken Wadenbeines und einen knöchernen Kreuzbandausriß am rechten Kniegelenk. Wegen der Gehirnerschütterung war der Kläger unruhig, desorientiert und in erster Zeit reagierte er nur auf seine bestehenden Schmerzen. Am 21.Oktober 1982 wurde er gebessert aus der stationären Behandlung entlassen, wobei er links einen Unterschenkelgehgips und rechts eine Oberschenkelgehgipshülse trug. Bei der gerichtsärztlichen Untersuchung am 17.Dezember 1984 fand sich an der linken Stirnseite des Klägers eine bogenförmig geschwungene, 12 cm lange, glatt abgeheilte Operationsnarbe; in deren Mitte war ein 3 x 2,5 cm großer, von leicht aufgeworfenen Knochenrändern umgebener, eingesunkener Defekt zu sehen und durch diesen Pulsationen des Gehirnes erkennbar. Dadurch ist die Gefahr der Verletzung dieses Gehirnbereiches erhöht. Bei Betastung ist dieser Defekt leicht schmerzhaft. Im Brustkorbbereich besteht ein Stauchungsschmerz. Am rechten Knie liegt als Unfallsfolge eine Beugeeinschränkung vor. Bis zum 31.Dezember 1982 erlitt der Kläger unfallsbedingt 8 Tage starke, 15 Tage mittelstarke und 50 Tage leichte Schmerzen. Mit diesem Zeitpunkt sind die Schmerzen auf ein Mindestmaß abgeklungen. Andauernd bestehen gelegentlich leichte Kopfschmerzen, eine Wetterfühligkeit und Vergeßlichkeit. Die Beugeeinschränkung am rechten Knie ist eine Dauerfolge. Die andauernden Folgen begründen eine Verringerung des Wohlbefindens des Klägers. Seine unfallsbedingten Sachschäden betragen S 1.000,--. Der Erstbeklagte wurde beim Unfall ebenfalls verletzt.
In seiner rechtlichen Beurteilung lastete das Erstgericht dem Erstbeklagten wegen gravierender Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr das überwiegende Verschulden am Unfall im Ausmaß von 75 % an. Das Mitverschulden des Klägers sah es darin, daß er unter den gegebenen Umständen zur Benützung des Gehweges verpflichtet gewesen sei. Hinsichtlich des Schmerzengeldbegehrens des Klägers vertrat das Erstgericht die Ansicht, nach den gesamten Umständen des Falles sei ein solches von S 100.000,-- angemessen. Jenes des Erstbeklagten hielt es in der Höhe von S 18.000,-- für gerechtfertigt. Die von diesem geltend gemachten Sachschäden von S 1.800,-- sprach es unter Anwendung des § 273 ZPO anteilsmäßig zu.
Das Berufungsgericht hielt die von allen Streitteilen erhobenen Verfahrens- und Beweisrügen nicht und von den Rechtsrügen auf der Grundlage der im Berufungsverfahren erfolgten Außerstreitstellungen und der getroffenen ergänzenden Feststellungen nur jene des Klägers teilweise für gerechtfertigt. Der Kläger habe nach der zutreffenden erstgerichtlichen Ansicht gegen die Bestimmung des § 76 Abs 1 StVO 1960 verstoßen, weil er den auf der linken Straßenseite vorhandenen Gehweg hätte benützen müssen. Angefangen von Straßenkilometer 0,400 bis 100 m über diese Position hinaus habe er die Möglichkeit gehabt, sich auf diesem Gehweg seiner Wohnung zu nähern. Auch wenn er dabei zweimal die Bundesstraße überqueren hätte müssen, wäre ihm dies durchaus zumutbar gewesen. Auch seine Gehweise "innerhalb der Randlinie auf der Fahrbahn" sei ihm gemäß § 76 Abs 1 StVO 1960 vorzuwerfen. Der Erstbeklagte habe aber eine große Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr zu verantworten, denn er hätte schon durch ein geringfügiges Auslenkmanöver den Unall vermeiden können. Das schuldhafte Verhalten des Klägers trete demgegenüber zwar nicht ganz in den Hintergrund, doch rechtfertige es eine Verschuldensaufteilung von 1:4 zu seinen Gunsten. Das Schmerzengeld des Klägers sei wegen der nach dem Sachverständigengutachten noch unvorhersehbaren künftigen Beschwerden mit dem Tag des Verhandlungsschlusses (13.März 1985) zu begrenzen und im Hinblick insbesondere auf die schweren Schädelverletzungen auf S 150.000,-- zu erhöhen.
In der Revision wird der Standpunkt vertreten, das Mitverschulden des Klägers sei wegen der zur Unfallszeit herrschenden Dunkelheit und die dadurch gegebene erschwerte Erkennbarkeit eines auf der stark befahrenen Bundesstraße gehenden Fußgängers mit einem Drittel zu veranschlagen. Bei der Schmerzengeldbemessung sei zu bedenken, daß sich der Kläger lediglich 24 Tage im Krankenhaus befunden habe und die Beschwerden auf Grund der Unfallsverletzungen kein besonderes Ausmaß erreicht hätten. Demgemäß erscheine ein global ohne zeitliche Begrenzung zu bemessendes Schmerzengeld von S 90.000,-- gerechtfertigt. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Nach den Feststellungen verläuft die Bundesstraße, wie auch aus den im Strafakt erliegenden Lichtbildern hervorgeht, im Unfallsbereich übersichtlich, die Unfallsstellt liegt im Ortsgebiet nahe dem Ortskern von Altenmarkt/Enns und die Straßenbeleuchtung - eine Peitschenlampe befindet sich nach dem Lichtbild 2 des Strafaktes AS 27 direkt im Unfallsbereich - war eingeschaltet. Unter diesen Umständen kann an der rechtzeitigen Wahrnehmbarkeit des Klägers für den Erstbeklagten, dessen Fahrzeugbeleuchtung zu dem einen entsprechenden Sichtbereich ausleuchten mußte, nicht gezweifelt werden. Daß die Straße im Unfallszeitpunkt stark befahren worden sei, wurde nicht festgestellt. Damit erweisen sich die von den Revisionswerbern angeführten Argumente für ein höheres Mitverschulden des Klägers am Unfall als nicht stichhältig.
Im Hinblick darauf, daß die Wohnung des Klägers, der er zuging, auf der von ihm benützten Straßenseite liegt, erscheint es fraglich, ob die für ihn lediglich auf 100 m mögliche Benützung des auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorhandenen Gehsteiges der Verkehrssicherheit in erheblichem Maße gedient hätte (vgl. ZVR 1974/88), weil damit die Notwendigkeit verbunden gewesen wäre, in geringen Abständen die Bundesstraße zweimal zu überqueren. Wohl mußte der Kläger aber im Sinne des § 76 Abs 1 StVO 1960 jedenfalls außerhalb der Fahrbahn gehen. Sein vorschriftswidriges Verhalten tritt aber im Hinblick darauf, daß er immerhin am Rande der Fahrbahn ging, auf den nachkommenden Verkehr achtete und im Ortsbereich wegen der vorhandenen Straßenbeleuchtung leicht wahrnehmbar war, gegenüber dem groben Verstoß des Erstbeklagten, der seinen Blick durch "einige Zeit" von der Fahrbahn überhaupt abgewendet hatte, ganz erheblich zurück. In der berufungsgerichtlichen Verschuldensteilung von 1:4 zugunsten des Klägers kann daher kein Rechtsirrtum erkannt werden. Was den bekämpften berufungsgerichtlichen Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 150.000,-- anlangt, so unterliegt es überhaupt keinem Zweifel, daß die schweren, ja lebensgefährlichen (Sachverständigengutachten AS 99) Schädelverletzungen, deren Folgen noch immer nicht zur Gänze behoben sind - es ist auch weiterhin ein nicht ungefährlicher Knochendefekt vorhanden - in Zusammenhalt mit den mehrfachen Rippenbrüchen sowie dem offenen Stückbruch des linken Wadenbeines und der schweren Verletzung des rechten Knies, also beider Beine, diesen Betrag mit der zeitlichen Begrenzung rechtfertigen.
Der insgesamt ungerechtfertigten Revision war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E07466European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00059.85.0121.000Dokumentnummer
JJT_19860121_OGH0002_0020OB00059_8500000_000