TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/30 2002/20/0592

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Veröffentlicht am 30.06.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in W, geboren 1970, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. September 2002, Zl. 216.694/0-VI/17/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein in Damaskus geborener, staatenloser Palästinenser, reiste am 9. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte noch am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. Juni 1999 gab er im Wesentlichen an, er sei im Jahr 1981 als Jugendlicher zur Al Fatah angeworben worden, habe seine Mitgliedschaft aber im Jahr 1988 aus Angst vor dem syrischen Geheimdienst, der die Mitglieder der Al Fatah verfolgt habe, beendet. Von 1989 bis 1992 habe er in der palästinensischen Befreiungsarmee unter syrischer Kontrolle den Militärdienst geleistet, danach habe er als Anstreicher gearbeitet. Im August 1994 habe ihn eine Spezialabteilung des syrischen Geheimdienstes unter dem Verdacht, ein Anhänger Arafats zu sein, festgenommen und vier Jahre lang ohne Gerichtsverhandlung oder Verurteilung in einem Gefängnis in Damaskus festgehalten. Im November 1998 sei er entlassen worden, weil es nicht gelungen sei, ihm eine Verbindung zur Al Fatah nachzuweisen, und er diese auch nicht zugegeben habe. Jeder Palästinenser in Syrien kenne aber die Praxis der syrischen Behörden, Gefangene nur vorübergehend freizulassen, um sie beobachten zu können, und sie in der Folge wieder festzunehmen. Der Beschwerdeführer habe nach der Entlassung Angst gehabt, dass syrische Spitzel hinter seine ehemalige Verbindung zu Al Fatah kommen würden. Er habe kaum das Haus verlassen, sei aber noch mehrere Monate in Syrien geblieben, um seinen behinderten Bruder und seine Mutter nicht im Stich zu lassen, und weil er zunächst auch nicht genug Mut gehabt habe, die Flucht ins Ausland zu wagen. Wenn er jetzt zurückkehre, würde er sofort wieder inhaftiert, weil die syrischen Behörden sicher schon festgestellt hätten, dass er nicht mehr im Land sei. Daraus würden sie schließen, dass er doch - wie sie es vermutet hatten - mit der Al Fatah in Verbindung stehe.

Bei der Einvernahme gab der Beschwerdeführer auch an, er werde sich von seiner Mutter in Syrien seinen amtlichen Personalausweis für Palästinenser nach Österreich schicken lassen. Am 25. August 1999 legte er stattdessen einen mit 29. Juni 1999 datierten Auszug aus dem Zivilregister vor, den das Bundesasylamt von der Kriminaltechnischen Zentralstelle des Bundesministeriums für Inneres untersuchen ließ.

Der Untersuchungsbericht vom 25. Oktober 1999 lautete

auszugsweise wie folgt:

"Untersuchungsergebnis:

Formular: Zum fraglichen Formularvordruck fehlt hier entsprechende(s) authentisches Vergleichsmaterial. Die bei der Untersuchung erhaltenen Befunde lassen keine Aussage über die Echtheit zu.

Stempelabdrucke: Zu den entsprechenden Stempelabdrucken fehlt hier authentisches Vergleichsmaterial. Die bei der Untersuchung erhaltenen Befunde lassen keine Aussage über deren Echtheit zu.

Ausfüllschriften: Die Untersuchung der Ausfüllschriften ... ergab, dass ursprüngliche Eintragungen mit einem anderen Schreibmittel nachgezogen wurde(n) ...

Veränderungen am Untersuchungsmaterial: Die angeheftete Übersetzung wurde vom fraglichen Dokument getrennt. Es wird ersucht, die Übersetzer anzuweisen keine Veränderungen ... vorzunehmen."

Mit Bescheid vom 10. April 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien für zulässig.

Das Bundesasylamt legte dieser Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde ("Der von Ihnen vorgebrachte Sachverhalt wird zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben"). Dem Vorbringen könne "keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. Furcht vor solcher entnommen werden". Der Beschwerdeführer behaupte zwar, Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, doch hätten diese "nicht bis zur Ausreise angedauert":

"Schon längere Zeit zurückliegende Verfolgungshandlungen begründen keinen Asylanspruch, wenn der Asylwerber bis zu seiner tatsächlichen Flucht nicht ständig in 'wohlbegründeter Furcht' vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen gelebt hat. Da es der von Ihnen erwähnten Haft am notwendigen zeitlichen Konnex zu Ihrer Ausreise mangelt, kommt diesem Vorbringen keine Relevanz mehr zu, wenn überdies festzustellen ist, dass der von Ihnen behaupteten Furcht aus objektiver Sicht nicht gefolgt werden kann, hätten Sie ja andernfalls schon wesentlich früher den Entschluss gefasst, Syrien als Staat Ihres gewöhnlichen Aufenthaltes zu verlassen. Dass diese Furcht aus objektiver Sicht nicht nachvollziehbar ist, schließt die erkennende Behörde auch aus dem Umstand, dass Sie von November 1998 bis zur Ausreise im Juni 1999 keinerlei Verfolgungshandlung ausgesetzt waren.

Das Bundesasylamt gelangt nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass es nicht glaubhaft ist, dass Ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht, und ist Ihr Asylantrag aus diesem Grund abzuweisen."

Die Begründung der Entscheidung gemäß § 8 AsylG lautete im Wesentlichen wie folgt:

"Wie bereits in der Entscheidung zum Asylantrag festgestellt worden ist, kann Ihrem Vorbringen keinerlei (gemeint offenbar: Gefahr einer) Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention entnommen werden. Da aus objektiver Sicht auch sonst keine Ihnen unmittelbar drohende Behandlung gemäß § 57 FrG erkennbar ist, gelangt die Behörde zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, dass Sie im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefen, in Syrien einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen war, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist."

In der Berufung gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer - vertreten durch eine Mitarbeiterin des Evangelischen Flüchtlingsdienstes - ergänzend vor, er kenne "viele syrische Palästinenser, die grundlos 10, 11 Jahre lang einfach inhaftiert waren, da man ihnen unterstellte, Arafat-Sympathisanten zu sein." Dass Entlassungen nach der Praxis der syrischen Behörden "lediglich provisorisch" seien, sei "allen Palästinensern bekannt". In Bezug auf die Frage, ob dann, wenn die Entlassung aus dem Gefängnis schon eine Weile zurückliege, im Falle einer Rückkehr aus dem Ausland - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers - nicht mit Verfolgung zu rechnen sei, sei das Bundesasylamt seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen.

Die belangte Behörde ließ den im erstinstanzlichen Verfahren vom Beschwerdeführer vorgelegten Auszug aus dem Zivilregister durch das Deutsche Orient-Institut begutachten. In dessen Antwortschreiben vom 2. Juni 2002 wurde die Ansicht vertreten, das Formular könne durchaus echt sein, das Nebeneinander verschiedener Aussteller und andere Einzelheiten sprächen aber unter Plausibilitätsgesichtspunkten gegen die Echtheit der Urkunde. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer die Fahrt von Aleppo nach Istanbul nicht, wie vor dem Bundesasylamt erwähnt, in sechs Stunden zurückgelegt haben könne. Für diese Strecke benötige man mindestens zwanzig Stunden.

Auf Vorhalt dieses Schreibens durch die belangte Behörde erstattete der Beschwerdeführer durch seine Vertreterin eine Berufungsergänzung, in der er den Argumenten des Deutschen Orient-Institutes entgegentrat und geltend machte, wesentliche Fragen betreffend die Art, wie ein solcher Registerauszug in der fraglichen Zeit zustande gekommen sei, seien noch klärungsbedürftig. Darüber hinaus erklärte er, dass es seiner Mutter nun doch gelungen sei, seinen Personalausweis zu finden und nach Österreich bringen zu lassen. Es werde beantragt, die Echtheit dieses Ausweises überprüfen zu lassen und zur endgültigen Klärung der Echtheit des Registerauszuges über die österreichische Botschaft in Damaskus insbesondere in Erfahrung zu bringen, ob es möglich sei, dass bei der Ausstellung einer solchen Urkunde mehrere Behörden zusammenwirken.

In der mündlichen Berufungsverhandlung am 19. Juli 2002 erläuterte der Beschwerdeführer, seine Mutter habe sich im Juni 1999 um einen Zivilregisterauszug bemüht, weil sie seinen Personalausweis damals nicht gefunden habe. Er halte es für ausgeschlossen, dass der Registerauszug eine Fälschung sei. Außerdem verwies der Beschwerdeführer darauf, dass er in Bezug auf die türkische Stadt, in der er nach sechsstündiger Fahrt von Aleppo aus in einen anderen LKW umgestiegen sei, beim Bundesasylamt nicht angegeben habe, dass dies Istanbul gewesen sein müsse. Er habe gesagt, es könne auch eine andere Stadt gewesen sein.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer nun an, er habe Angst gehabt, dass ihn der syrische Geheimdienst "wieder verhaften und wieder foltern" würde. Nach nochmaliger Darstellung der Vorgänge nach seiner Entlassung aus der Haft im November 1998 -

der Beschwerdeführer musste seinen Angaben zufolge in dieser Zeit zusammen mit seiner Mutter und seinem behinderten Bruder aus der baufällig gewordenen Mietwohnung in Damaskus in das Jarmana-Lager südlich Damaskus übersiedeln - und Angaben über den "Zweig des Geheimdienstes", der ihn 1994 verhaftet habe, sowie über seine frühere Mitgliedschaft in der Al Fatah wurde der Beschwerdeführer vom Verhandlungsleiter aufgefordert, zu schildern, was mit ihm nach seiner Verhaftung passiert sei.

Der Beschwerdeführer schilderte nun, wie er am ersten Tag der Haft "zum Empfang" mit Hilfe eines Autoreifens fixiert und mit einer Peitsche auf die Fußsohlen geschlagen worden sei. Im Zuge der Haft sei er insgesamt sieben Mal gefoltert worden. Die zweite Folter sei ähnlich wie die erste gewesen, nur sei kein Reifen verwendet worden. Bei den weiteren Vorfällen sei er an den Haaren aus der Zelle gezogen, mit Faustschlägen und Fußtritten misshandelt und dabei beschimpft worden.

Auf Frage des Verhandlungsleiters, warum er diese Vorfälle beim Bundesasylamt nicht erwähnt habe, antwortete der Beschwerdeführer, er sei mit einer Frage unterbrochen worden. Was der Dolmetscher dem Beamten von der begonnenen Erzählung übersetzt habe, könne er nicht beurteilen. Die Rückübersetzung sei keine wortwörtliche gewesen. Der einvernehmende Beamte habe ihm keine Gelegenheit gegeben, weiterzuerzählen.

Zur fortgesetzten Berufungsverhandlung am 19. September 2002 lud die belangte Behörde den Leiter der Einvernahme beim Bundesasylamt (zugleich Verfasser des erstinstanzlichen Bescheides) sowie den damaligen Dolmetscher als Zeugen.

Der Leiter der erstinstanzlichen Einvernahme äußerte dazu in einem Schreiben vom 29. August 2002 an den Leiter des Bundesasylamtes u.a., es sei "durchaus möglich ..., dass weitere Befragungen hiezu dann entfallen, wenn meines Erachtens nach dem diesbezüglichen Vorbringen - wie auch im vorliegenden Fall - keine Asylrelevanz zukommt". Was schon gesagt worden sei, werde aber protokolliert. Seine Zeugenaussage sei nicht erforderlich, "wäre die Entscheidung über den Asylantrag doch auch bei behaupteter Folter nicht anders erfolgt".

Die Seite im Verhandlungsprotokoll vom 19. September 2002, die offenbar den Großteil der Aussage dieses - trotzdem vernommenen - Zeugen vor der belangten Behörde enthält, fehlt in den von der belangten Behörde vorgelegten Akten (und wird auch im angefochtenen Bescheid nicht zitiert). Dem vorliegenden Schluss der Aussage zufolge räumte der Zeuge ein, dass er "insbesondere Zwischenfragen" stelle.

Der Dolmetscher gab an, sich an die konkrete Einvernahme nicht mehr zu erinnern. In der "Hitze des Gefechtes" könne es vorkommen, dass eine Aussage über eine Folter nicht gleich protokolliert werde, wenn der Beamte noch eine Frage habe. In einem solchen Fall erinnere dann der Dolmetscher den Beamten an die begonnene Darstellung der Folter. Meistens dränge der Asylwerber selbst "zum Erzählen der Foltergeschichte". Die Rückübersetzungen seien genaue, wörtliche Übersetzungen.

Die belangte Behörde befragte den Beschwerdeführer dazu, warum er "nach der Rückübersetzung nicht die ggst. Foltergeschichte in das Protokoll hineinreklamiert" und weshalb er in der Berufung "nicht einmal ansatzweise etwas über (seine) Foltergeschichte vorgebracht" habe, und schloss die Beweisaufnahme.

Eine Erörterung des kriminaltechnischen Gutachtens vom 13. August 2002, dem zufolge der vom Beschwerdeführer am 19. Juli 2002 vorgelegte Personalausweis - beurteilt anhand zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterials - authentisch sei und die Untersuchung keine Hinweise auf eine Verfälschung ergeben habe, findet sich in den vorgelegten Teilen der Verhandlungsniederschrift nicht.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie traf folgende Feststellungen zum Sachverhalt:

"1.1. Der Berufungswerber hat den im Spruch angeführten Namen, ist Angehöriger der palästinensischen Volksgruppe und hatte seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien; er ist aber kein syrischer Staatsangehöriger.

1.2. Nicht kann hingegen festgestellt werden, dass der Berufungswerber Syrien aus den von ihm angegebenen Gründen verlassen hat und er bei einer allfälligen Rückkehr nach Syrien dort eine relevante Bedrohung zu befürchten hätte. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass er in Syrien in Haft war und während dieser Zeit gefoltert wurde."

Zur Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, die Identität des Beschwerdeführers sei durch den vom Bundeskriminalamt als echt qualifizierten Ausweis "als erwiesen anzusehen". Hingegen komme der Steigerung seines Vorbringens durch die über die erstinstanzlichen Angaben hinausgehenden Ausführungen über "die gegenständliche Foltergeschichte" keine Glaubwürdigkeit zu. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer auch aus weiteren Gründen "als Person völlig unglaubwürdig". Er habe in der Berufungsverhandlung am 19. September 2002 eine anfängliche Behauptung darüber, an welcher Stelle der erstinstanzlichen Einvernahme er am 21. Juni 1999 unterbrochen worden sei, zurückgenommen. Auch die Vorlage "einer Urkunde, die von zwei anerkannten Stellen als nicht echt qualifiziert wurde", sei nicht geeignet, seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Die Kriminaltechnische Untersuchungsstelle habe "die angebliche Geburtsurkunde als fragliches Dokument" bezeichnet und das Deutsche Orient-Institut habe "präzise aus(geführt), was alles klar gegen die Echtheit des Auszuges aus dem Zivilregister spricht". "Am Rande" werde noch angemerkt, dass auch "die Angaben des Berufungswerbers zu seinem Fluchtweg nicht den Tatsachen entsprechen können". Er habe nämlich behauptet, die Fahrt von Aleppo nach Istanbul in sechs Stunden zurückgelegt zu haben. Wenn er auf diesbezüglichen Vorhalt "vermeint" habe, damals gesagt zu haben, es könne auch eine andere Stadt gewesen sein, so sei "ihm entgegenzuhalten, dass er dies vor der Erstbehörde so nicht zu Protokoll gegeben hat."

Zusammenfassend sei zur Beweiswürdigung "auszuführen, dass der Berufungswerber als Person unglaubwürdig ist. Zu diesem Ergebnis gelangt die Berufungsbehörde auf Grund der Vorlage einer offensichtlich gefälschten oder verfälschten Urkunde, der unwahren Angaben des Berufungswerbers zur Rückübersetzung des Ersteinvernahmeprotokolls, der unplausiblen Ausführungen zur Begründung der späten Vorbringenssteigerung, der nicht korrekten Schilderung des Fluchtwegs und des innerhalb der Verhandlung vorgenommenen Widerrufs einer vorangegangenen Aussage."

Ausführungen zu den Verhältnissen in Syrien - insbesondere zur Berichtslage betreffend die übliche Behandlung Festgenommener in Vernehmungszentren des Geheimdienstes - sind im angefochtenen Bescheid nicht enthalten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat ihre für den Beschwerdeführer nachteilige Beweiswürdigung zunächst auf Argumente gestützt, die nur die Glaubwürdigkeit der vermeintlichen "Steigerung" betreffen, der zufolge der Beschwerdeführer vor allem zu Beginn der behaupteten vierjährigen Haft auf die in der Berufungsverhandlung beschriebene Weise misshandelt worden sei.

Wäre - wie die belangte Behörde auf Seite 6 des angefochtenen Bescheides resümiert - wegen des späten Zeitpunktes dieser Beschreibung davon auszugehen, "dieser Steigerung" komme "aus den oben ausgeführten Gründen keine Glaubwürdigkeit zu" bzw. "die über das im erstinstanzlichen Verfahren erhobene Vorbringen hinausgehenden Ausführungen" seien nicht glaubwürdig, so wäre die Annahme der belangten Behörde, es sei nicht feststellbar, dass sich der Beschwerdeführer überhaupt je in Haft befunden habe, damit noch nicht begründet.

Von den Argumenten, die die belangte Behörde noch hinzugefügt hat, um die "völlige Unglaubwürdigkeit" des Beschwerdeführers "als Person" zu begründen, hält jedoch keines einer auch nur oberflächlichen Prüfung stand:

Zunächst ist nicht erkennbar, weshalb die nicht über entsprechende Vorhalte, sondern am Schluss der Berufungsverhandlung initiativ erfolgte Zurücknahme der Behauptung, nach mehr als drei Jahren angeben zu können, an welcher Stelle der erstinstanzlichen Einvernahme die Unterbrechung von Ausführungen über die Haftzeit erfolgt sei, den Beschwerdeführer "als Person völlig unglaubwürdig" erscheinen lassen soll. Dieses Argument ist angesichts des großen Zeitabstandes und der Freiwilligkeit der Zurücknahme der vorangegangenen Behauptung nicht nachvollziehbar.

In Bezug auf die Beurteilung des Auszuges aus dem Zentralregister wiederholt die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung einen aktenwidrigen Vorhalt aus der Berufungsverhandlung (vgl. zu dieser Art der Verhandlungsführung unter dem Gesichtspunkt eines "fairen Asylverfahrens" schon die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430, und vom 20. März 2003, Zl. 2001/20/0068). In der Verhandlung am 19. Juli 2002 wurde dem Beschwerdeführer u.a. vorgehalten, "zwei Stellen", darunter "die KTZ", seien "zum Ergebnis" gekommen, "dass die Urkunde ... nicht echt" sei. Angesichts der oben wiedergegebenen "Untersuchungsergebnisse" vom 25. Oktober 1999 kann davon - in Bezug auf die Kriminaltechnische Zentralstelle - keine Rede sein. Dessen ungeachtet wird auch im angefochtenen Bescheid behauptet, die Urkunde sei u.a. von dieser Stelle "als nicht echt qualifiziert" worden.

Näher dargestellt wird dies im angefochtenen Bescheid mit dem Hinweis darauf, die Kriminaltechnische Zentralstelle habe die Urkunde "als fragliches Dokument" bezeichnet. Träfe dies - im Sinne von "fragwürdig" - zu, so würde dies noch nicht bedeuten, dass die Kriminaltechnische Zentralstelle das Dokument "als nicht echt qualifiziert" habe, wie die belangte Behörde behauptet (vgl. im Übrigen zu nicht näher begründeten Einschätzungen dieser Art etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 2001, Zl. 2000/20/0015). Das Zitat ("fragliches Dokument") stammt in Wahrheit aber aus einem Abschnitt in dem Untersuchungsbericht, der überhaupt nicht von der Authentizität der Urkunde, sondern vom Ablösen der vom Dolmetscher an sie angeklebten Übersetzung handelt ("Die angeheftete Übersetzung wurde vom fraglichen Dokument getrennt"). Dem Beschwerdeführer auf der Grundlage dieser Formulierung entgegenzuhalten, die Kriminaltechnische Zentralstelle habe das Dokument "als nicht echt qualifiziert", ist - soweit hierauf für die Zwecke der vorliegenden Entscheidung eingegangen werden muss - keine schlüssige Gedankenführung.

Nichts anderes gilt auch für den Gebrauch, den die belangte Behörde von der Expertise des Deutschen Orient-Institutes zu machen versucht, um daraus die "völlige Unglaubwürdigkeit" des Beschwerdeführers "als Person" abzuleiten. Zunächst setzt sich die belangte Behörde hier wortlos über das Vorbringen in der Berufungsergänzung und über die dort erstatteten Beweisanträge hinweg. Dass Plausibilitätsbeurteilungen, die im Zusammenhang mit der Prüfung syrischer Urkunden auf Gesichtspunkten bürokratischer Zweckmäßigkeit und Logik beruhen, nicht ganz unproblematisch sein können, scheint die belangte Behörde in ihre Überlegungen ebenfalls nicht einbezogen zu haben (vgl. zu Unregelmäßigkeiten in syrischen Registerauszügen zuletzt etwa Hajo/Savelsberg, Status und Lebenssituation staatenloser Kurden, im Internet zugängliche Stellungnahme vom 15. Oktober 2004 an das VG Bayreuth). Überhaupt nicht nachvollziehbar ist dieses Element der Beweiswürdigung der belangten Behörde aber in Verbindung mit dem als echt qualifizierten und von der belangten Behörde ausdrücklich als beweiskräftig akzeptierten Personalausweis des Beschwerdeführers, der die gleichen Angaben enthält wie der Registerauszug.

Was schließlich die zunächst nur "am Rande bemerkte", dann aber gleichgewichtig mit den anderen Argumenten als "nicht korrekte Schilderung des Fluchtwegs" ins Treffen geführte Frage der Fahrtdauer von Aleppo nach Istanbul anlangt, so wendet sich die Beschwerde mit Recht gegen die Formulierung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe "dies" - nämlich, dass es auch eine andere Stadt als Istanbul gewesen sein könnte, in der er nach sechs Stunden Fahrt umgestiegen sei - "vor der Erstbehörde so nicht zu Protokoll gegeben". Wenn der Beschwerdeführer den gleichen Sachverhalt vor dem Bundesasylamt nicht "so", sondern anders zu Protokoll gab ("Frage: Woher wissen Sie, dass Sie in Istanbul waren? Antwort: Das weiß ich nicht. Ich nehme es nur an"), so lässt sich daraus kein Argument gegen ihn gewinnen. Nur der Vollständigkeit halber ist - im Zusammenhang mit der behaupteten Unsicherheit darüber, um welche Stadt es sich gehandelt habe - hinzuzufügen, dass der Beschwerdeführer seiner Darstellung nach in dieser Stadt nur aus dem Laderaum eines LKW in den Laderaum eines anderen LKW umgestiegen sein soll.

Sind die zusätzlichen Argumente für die "völlige Unglaubwürdigkeit" des Beschwerdeführers "als Person" in der im angefochtenen Bescheid dargebotenen Form somit nicht nachvollziehbar, so verbleibt noch das eingangs erwähnte Argument der "Steigerung" des Vorbringens, mit dem die belangte Behörde - ohne die zusätzlichen Argumente - zunächst die Unglaubwürdigkeit der "über das im erstinstanzlichen Verfahren erhobene Vorbringen hinausgehenden Ausführungen" zu begründen suchte und das sie wohl auch in die Beurteilung des Beschwerdeführers "als Person" maßgeblich einfließen lassen wollte.

Die belangte Behörde führt in diesem Zusammenhang aus, es handle sich um "sehr spät gemachte Angaben", bei denen sich der Schluss aufdränge, "dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollen". Einen "derartigen Hauptgrund seiner Flucht, wie es sich zweifellos um (gemeint offenbar: um den es sich zweifellos bei) Furcht vor Verfolgung wegen erlittener Folter handelt", habe ein Asylwerber "von sich aus vorzubringen". Der Beschwerdeführer habe in seinen "allgemein gehaltenen Ausführungen" vor dem Bundesasylamt aber "bloß" angegeben, er sei (zu ergänzen: nach vier Jahren) aus der Haft entlassen worden, weil man ihm keine Verbindung zur Al Fatah habe nachweisen können und er diese auch nicht zugegeben habe. Die "gegenständliche Foltergeschichte" habe er weder in das erstinstanzliche Einvernahmeprotokoll "hineinreklamiert" noch in der Berufung erwähnt.

Diese Ausführungen gehen am Kern des Vorbringens vorbei und unterstellen dem Beschwerdeführer einen "Hauptgrund seiner Flucht", den er im Verwaltungsverfahren auch vor der belangten Behörde nicht für sich ins Treffen führte. Der Beschwerdeführer hatte vor dem Bundesasylamt angegeben, aus politischen Gründen und ohne Gerichtsverfahren vier Jahre lang vom syrischen Geheimdienst gefangen gehalten worden zu sein und zu wissen, dass Freilassungen nach einer solchen Haft oft nur vorübergehend seien. Ob es zutrifft, wie der Beschwerdeführer drei Jahre später meinte, dass er bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt begonnen hatte, auch von Misshandlungen während der Haft zu erzählen, und dabei unterbrochen wurde, und weshalb er nicht darauf beharrte, diese Einzelheiten zu Protokoll zu geben (oder den abgebrochenen Beginn einer solchen Darstellung "hineinzureklamieren"), kann aus den im Folgenden darzustellenden Gründen auf sich beruhen. Das Bundesasylamt hielt dem Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Bescheid nämlich nicht entgegen, vier Jahre Haft in einem Gefängnis des syrischen Geheimdienstes seien kein ausreichend intensiver Eingriff, um als asylrechtlich relevante Verfolgung zu gelten. Es vertrat die Ansicht, die früheren Verfolgungshandlungen stünden in keinem "zeitlichen Konnex" mehr zur Ausreise, wofür es darauf, ob der Beschwerdeführer in der Haft misshandelt worden war, aus der - im Schreiben vom 29. August 2002 ausdrücklich bestätigten - Sicht des Bundesasylamtes überhaupt nicht ankam.

Bei dieser Verfahrenslage bestand für den Beschwerdeführer kein Anlass, in der Berufung - oder auch in der Berufungsverhandlung, solange die belangte Behörde nicht Zweifel an der ausreichenden Intensität vierjähriger Haft im Gewahrsam des syrischen Geheimdienstes äußerte - von sich aus auf Einzelheiten seiner Behandlung während der Haft, im Besonderen zu deren Beginn, einzugehen. Die Interpretation der Beschreibung solcher Einzelheiten - auf ausdrückliches Befragen durch die belangte Behörde - als Täuschungsmanöver zur "Asylerlangung um jeden Preis" überzeugt schon deshalb nicht. Der vom Beschwerdeführer gleich bleibend angegebene "Hauptgrund seiner Flucht" bestand darin, dass er nicht nochmals in mehrjährige Gefangenschaft des Geheimdienstes geraten wollte, wobei die ausreichende Intensität des in einer solchen Gefangenschaft liegenden Nachteils während des gesamten Verfahrens nie in Zweifel stand.

Davon abgesehen ist aber auch fraglich, ob überhaupt von einer "Steigerung" gesprochen werden kann. Weder das Bundesasylamt noch die belangte Behörde haben sich im vorliegenden Fall auch nur ansatzweise mit der in den entscheidungsrelevanten Zeiträumen maßgeblichen Lage in Syrien auseinandergesetzt. Die vorgelegten Akten enthalten kein Dokumentationsmaterial, die Bescheide keine Feststellungen über den historischen und politischen Hintergrund der behaupteten Vorgänge und über die Berichtslage betreffend das Verhalten des syrischen Geheimdienstes gegenüber Arafat-Sympathisanten unter den in Syrien lebenden Palästinensern. Dem Bescheid der belangten Behörde ist auch nicht entnehmbar, welche Art von Behandlung durch die "allgemein gehaltenen" Behauptungen des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt - bei entsprechender Sachkenntnis, die von den Asylbehörden zu verlangen ist - nach Ansicht der belangten Behörde (bloß) impliziert wurde. Sollte es sich bei der späteren Darstellung von Misshandlungen um eine "Steigerung" handeln, so müsste aber wohl davon ausgegangen werden, eine dem erfolglosen Versuch des Nachweises bestimmter politischer Verbindungen dienende vierjährige Haft im Gewahrsam des syrischen Geheimdienstes könne misshandlungsfrei verlaufen.

Bei Lektüre einschlägigen Berichtsmaterials entsteht nicht dieser Eindruck. Die Berichte sprechen von "routinemäßigen" Misshandlungen und Folterungen, insbesondere in der ersten Zeit nach einer Verhaftung oder im Zusammenhang mit Verlegungen (sogenannter "Empfang", wie vom Beschwerdeführer beschrieben), von der "systematischen" Anwendung von Folter durch die syrischen Sicherheitsbehörden zur Erlangung von Informationen und davon, dass es "ständiger Praxis" der syrischen Geheimdienste entspreche, "jede Art von Verhör oder Festnahme durch körperliche Züchtigungen oder Misshandlungen einzuleiten". Als eine der üblichen Foltermethoden findet auch die vom Beschwerdeführer behauptete Verwendung eines Reifens ("dullab") vielfach Erwähnung (vgl. an allgemein zugänglichen Berichten dieser Art - aus der Zeit vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides - etwa die Syrien betreffenden Länderberichte des U.S. Department of State vom 23. Februar 2000 und vom 23. Februar 2001, Berichte von amnesty international vom 13. August 2001 und vom 19. September 2001, Punkt 9.3. eines dänischen CIREA-Berichtes über Erhebungen in Syrien im September 2001 und eine Stellungnahme von amnesty international an das VG Berlin vom 9. Dezember 2001; zuletzt etwa eine Anfragebeantwortung von amnesty international an das VG Leipzig vom 22. März 2004; zur Unterstützung der palästinensischen Opposition gegen Arafat und zu den damit verbundenen Maßnahmen gegen Arafat-Anhänger in Syrien - weniger einheitlich in Bezug auf Zeitangaben - etwa die Erwähnung von Arafat-Anhängern in syrischen Gefängnissen in einem Schreiben der Arabischen Kommission für Menschenrechte vom 13. August 2001, eine Stellungnahme des deutschen Auswärtigen Amtes an das VG Sigmaringen vom 19. Juni 2001, Punkt 5. des schon erwähnten dänischen CIREA-Berichtes, den niederländischen CIREA-Bericht über Palästinenser in Syrien vom Jänner 2002 und zuletzt etwa die schon erwähnte Anfragebeantwortung von amnesty international an das VG Leipzig vom 22. März 2004).

Die Kenntnis dieser Verhältnisse kann bei dem aus Syrien stammenden Beschwerdeführer vorausgesetzt werden und muss nicht bedeuten, dass er selbst derartige Erlebnisse hatte. Hätte sich die belangte Behörde mit dem Sachverhalt vertraut gemacht, so wäre sie aber nicht der Fehleinschätzung erlegen, die Beschreibung von Misshandlungen im Gewahrsam des syrischen Geheimdienstes im Vergleich zur Behauptung der Gefangenschaft als solcher als unglaubwürdige Steigerung zu bewerten. Eine solche Würdigung wäre nur nachvollziehbar, wenn der Beschwerdeführer eine ausdrückliche Frage danach, ob er in der Haft misshandelt worden sei, vor dem Bundesasylamt verneint hätte, was jedoch nicht der Fall ist.

Der in mehrfacher Hinsicht gedanklich fehlerhafte Bescheid der belangten Behörde war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. Juni 2005

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002200592.X00

Im RIS seit

29.07.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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