Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Jänner 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hausmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josefa H*** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach dem § 198 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schladming vom 26.Jänner 1984, GZ U 1066/83-6, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Gehart, und der Angeklagten Josefa H*** zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Bezirksgerichtes Schladming vom 26.Jänner 1984, GZ U 1066/83-6, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 198 Abs 1 StGB.
Dieses Urteil wird - zum Teil auch gemäß dem § 290 Abs 1 StPO - zur Gänze aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Liezen die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Text
Gründe:
Josefa H***, geboren am 28.Jänner 1953, wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Schladming vom 26.Jänner 1984, GZ U 1066/83-6, des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach dem § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Inhaltlich des Urteilsspruches hat sie "im Zeitraum vom 1.12.1982 bis heute (= 26.1.1984) nur mangelhaft ihre gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber ihrem 12 Jahre alten ehelichen Sohn Johann H*** erfüllt, sodaß per 31.1.1984 ein Unterhaltsrückstand von 14.700 S besteht" (S 23). Hiezu stellte das Gericht unter Bezugnahme auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Pflegschaftsakt AZ P 47/75 des Bezirksgerichtes Liezen fest, daß der aus der geschiedenen Ehe der Josefa H*** stammende Johann H*** (geboren am 18.Juli 1971) der Mutter der Beschuldigten, Johanna R***, rechtskräftig in Pflege und Erziehung überwiesen wurde. Josefa H*** wurde, beginnend mit 1.Mai 1982, zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1.050 S (früher 500 S) verpflichtet; mit Stichtag 31.Jänner 1984 bestand ein Rückstand von 14.700 S. Da sich die Beschuldigte (unter anderem) auch damit verantwortete, sie zahle deshalb keinen Unterhalt, weil sie ihr Kind nicht sehen dürfe, sah das Gericht den Tatbestand des § 198 Abs 1 StGB in subjektiver und objektiver Hinsicht erfüllt (S 24, 25).
Dieses unangefochten in Rechtskraft erwachsene Urteil steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Die Generalprokuratur zeigt zu Recht auf, daß bei dem durch den Schlußantrag des Bezirksanwaltes auf "Schuldspruch und Bestrafung" der in der Hauptverhandlung anwesenden Beschuldigten allenfalls noch ohne Überschreitung der Anklage ermöglichten Schuldspruch (Mayerhofer-Rieder 2 , E 38, 38 a zu § 262 StPO, EvBl 1979/211) "bis heute" jedenfalls völlig unbeachtet blieb, daß die Beschuldigte in der Zwischenzeit ein (außereheliches) Kind geboren hatte. Sie gab nämlich schon in der (dann vertagten) Hauptverhandlung am 13. Oktober 1983 an, schwanger zu sein und die Niederkunft in zwei Monaten zu erwarten (S 18), und brachte in der Hauptverhandlung am 26. Jänner 1984 vor, am 28.Dezember 1983 ein Kind geboren zu haben (S 22). Darnach kann ihr die Unterlassung einer Erwerbstätigkeit in den letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung und anschließend bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung (Schutzfristen nach den §§ 3 Abs 1 und 5 Abs 1 MutterschutzG 1979) nicht als gröbliche Verletzung ihrer Unterhaltspflicht zum Vorwurf gemacht werden (11 Os 58,59/77, LSK 1979/169). Der Beginn der Schutzfrist fiele diesfalls (unter Zugrundelegung des seinerzeit angegebenen, ansonsten aber nicht aktenkundigen voraussichtlichen Entbindungstermins) auf Mitte Oktober 1983 und die Schutzfrist bestand zum Urteilszeitpunkt jedenfalls noch weiter. Aber auch zum verbleibenden, vor der Schutzfrist liegenden Deliktszeitraum unterließ es das Gericht (das entgegen der Vorschrift des § 260 Abs 1 Z 1 StPO nicht einmal im Spruch das Tatbestandsmerkmal der "Gröblichkeit" anführte), Feststellungen darüber zu treffen, ob es der Beschuldigten in ihrer neuen durch Übersiedlung auf einen Bergbauernhof entstandenen Lebenssituation zumutbar war, einer (unselbständigen oder selbständigen) Erwerbstätigkeit nachzugehen, die ihr die Erbringung der aufgetragenen Unterhaltsleistungen erlaubte: Für das Merkmal der Gröblichkeit sind neben der Dauer der Pflichtverletzung (welche unmittelbar durch die Höhe des festgestellten Rückstandes berücksichtigt wurde) jedenfalls auch die finanzielle Situation, die Verdienstmöglichkeiten und die Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen sowie dessen bisheriges Verhalten und die Gründe für die Nichterbringung der Unterhaltsleistung maßgebend (Leukauf-Steininger 2 , RN 16 bis 30 zu § 198 StGB, LSK 1979/312). Aus dieser rechtlichen Sicht ist von Bedeutung, daß Josefa H*** schon anläßlich ihrer Vernehmung durch die Gendarmerie angab, seit Dezember 1982 arbeitslos zu sein, bei ihrem Lebensgefährten Matthias W*** zu wohnen und bis 1.Jänner 1983 Arbeitslosengeld bezogen zu haben (nach der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Auskunft des Arbeitsamtes Liezen bezog sie vom 7.Oktober bis 31.Dezember 1982 ein Arbeitslosengeld von 3.696 S monatlich). Sie gab auch zu, seit dem 1. Dezember 1982 keinen Unterhaltsbeitrag zu zahlen (bis dahin hatte sie offensichtlich bezahlt, wie auch aus ON 52 des genannten Pflegschaftsaktes hervorgeht), weil sie kein Einkommen habe und auch gar nicht zahlungswillig sei, wenn man ihr das Erziehungsrecht verweigere (S 13). Diese Verantwortung erweiterte sie in der Hauptverhandlung vom 13.Oktober 1983 noch dahin, daß sie ihre Arbeit (in einer Lodenfabrik) aufgegeben habe, als sie eine Lebensgemeinschaft einging und auch nicht mehr arbeiten konnte, weil sie schwanger sei (S 18). Die nunmehrige (durch die Sorgepflicht für ein Kleinkind allerdings verschärfte) familiäre Situation veranlaßte das Pflegschaftsgericht mit Beschluß vom 18.August 1984 festzustellen, daß Josefa H*** zu einer materiellen Unterhaltsleistung nicht mehr verpflichtet ist (ON 68 des Aktes P 47/75 des Bezirksgerichtes Liezen).
Damit zeigt sich aber, daß das Urteil neben der fehlenden Konstatierung des Beginnes und der Dauer der Mutterschutzfristen insgesamt an gravierenden Feststellungsmängeln (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) leidet, die eine Beurteilung, ob die objektiv feststehende Unterhaltspflichtverletzung durch längere Zeit der Kindesmutter Josefa H*** auch in subjektiver Richtung als das Vergehen nach dem § 198 Abs 1 StGB anzulasten ist, derzeit nicht zulassen.
Es war daher das von der Generalprokuratur nur teilweise angefochtene Urteil gemäß dem § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen (EvBl 1973/172, 9 Os 83/84) auch für den übrigen, vor dem Oktober 1983 liegenden Deliktszeitraum aufzuheben und aus Gründen der Zweckmäßigkeit dem Bezirksgericht Liezen die Verfahrenserneuerung aufzutragen (§ 292 letzter Satz StPO in Verbindung mit § 288 Abs 2 Z 3 StPO).
Anmerkung
E07424European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0110OS00203.85.0128.000Dokumentnummer
JJT_19860128_OGH0002_0110OS00203_8500000_000