Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Februar 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Breycha als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz P*** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 und Abs. 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 20.November 1985, GZ 7 Vr 2727/85-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Scheibenpflug, und des Verteidigers Dr. Stenitzer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und es werden der Teil des Wahrspruches zur Hauptfrage I, wonach die Tat auch eine Schwangerschaft zur Folge hatte, und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinem darauf beruhenden gleichlautenden Ausspruch und in der rechtlichen Unterstellung der unter Punkt 1 angeführten Tat auch unter die Qualifikation des § 206 Abs. 2 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Graz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen, wobei die unberührt bleibenden Teile des Wahrspruches und des Urteiles der neuen Entscheidung mitzugrundezulegen sind.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 2.September 1951 geborene Landwirt Franz P*** des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (1), des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 StGB
(2) und des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs. 1 StGB (3) schuldig erkannt.
Dieser Schuldspruch erging auf Grund des einstimmigen Wahrspruches der Geschwornen, welche die an
sie - anklagekonform - gerichteten Hauptfragen bejahten, daß der Angeklagte schuldig sei, er habe
I. in den Jahren 1983 bis Anfang 1985 in Flattendorf mit der am 4. Mai 1971 geborenen unmündigen Marianne S*** oftmals den außerehelichen Beischlaf unternommen, wobei die Tat eine Schwangerschaft zur Folge hatte;
II. im Jahr 1982 in Flattendorf mehrmals die am 4.Mai 1971 geborene unmündige Marianne S*** durch Betasten ihres Geschlechtsteiles und Durchführung eines Mundverkehrs auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht und III. durch die in den Hauptfragen I./ und II./ genannten Taten sein minderjähriges, seiner Erziehung und Aufsicht unterstehendes Stiefkind Marianne S*** unter Ausnützung seiner Stellung (als Stiefvater) zur Unzucht mißbraucht.
Der Schuldspruch wird vom Angeklagten mit einer auf den § 345 Abs. 1 Z 4, 5 und 9 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.
Rechtliche Beurteilung
Soweit die Beschwerde vermeint, der ersterwähnte Nichtigkeitsgrund (Z 4) sei deshalb verwirklicht, weil die Kriminalbeamtin des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark Sylvia M***, welche an der niederschriftlichen Vernehmung des Opfers und seiner Mutter, der Gattin des Angeklagten, beteiligt war (S 27 bis 35), in der Hauptverhandlung am 20.November 1985 als Zeugin einvernommen wurde (S 249, 250), ohne zuvor im Sinn des § 151 Z 2 StPO von ihrer amtlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden worden zu sein, übersieht sie, daß die Aussage dieser Beamtin eigene dienstliche Wahrnehmungen betraf. Wer aber als Organ der Strafjustiz über Vorgänge aussagen soll, die zur Erstattung der Strafanzeige geführt haben (siehe S 7, 65), bedarf bei seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Strafgericht keiner Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht (Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , § 151, E Nr 16, 17; zuletzt auch ÖJZ-LSK 1984/202).
Dieser Nichtigkeitsgrund wird aber auch mit der Behauptung nicht aufgezeigt, die Zeugin Marianne S*** sei vor ihrer
Einvernahme in der Hauptverhandlung (S 249) nicht gemäß dem § 247 StPO zur Angabe der Wahrheit ermahnt worden. Denn abgesehen davon, daß inhaltlich des (vollen Beweis machenden) Hauptverhandlungsprotokolls (den Beschwerdebehauptungen zuwider) sämtliche Zeugen vorschriftsmäßig ermahnt wurden, wahrheitsgemäß auszusagen (S 247 oben), stünde - mangels Zitierung des § 247 StPO in der Z 4 des § 345 Abs. 1 StPO - selbst eine Verletzung dieser Vorschrift nicht unter Nichtigkeitssanktion.
Schließlich gehen auch die ausschließlich auf Formulierungen der Niederschrift der Geschwornen Bezug nehmenden Beschwerdeausführungen zum Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 9 StPO fehl, mit denen - da der Beschwerdeführer die gemäß dem § 331 Abs. 3 StPO zu verfassende Niederschrift ersichtlich mit der (undeutlichen, unvollständigen oder widersprüchlichen) Antwort der Geschwornen auf die gestellten Fragen verwechselt - nicht einmal der Versuch unternommen wird, diesen Nichtigkeitsgrund in der zur gesetzmäßigen Darstellung erforderlichen Weise (Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , § 331, E Nr 10 ff; § 345 Z 9, E Nr 7) aus dem Wahrspruch selbst abzuleiten. Insoweit war die Beschwerde zu verwerfen.
Berechtigung kommt ihr jedoch zu, soweit der Angeklagte rügt, durch die Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Einholung eines gerichtsärztlichen Gutachtens (Blutuntersuchung) in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt worden zu sein (Z 5). Dieser Antrag war zum Beweis dafür gestellt worden, daß der Angeklagte nicht der Vater des (bereits zehn Monate alten) Kindes der Marianne S*** sei (S 251) und verfiel deshalb der Abweisung, weil nach Ansicht des Schwurgerichtshofes auf Grund der bisherigen Beweisergebnisse keinerlei Indizien dafür vorlägen, daß der Angeklagte als Vater auszuschließen sei (S 252). Eine solche Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses vermag jedoch einer Überprüfung nicht stand zu halten, weil es nach Lage des Falles nur die Aufgabe der Geschwornen sein kann, auf Grund der vorliegenden, aber auch weiterer, nach der Lebenserfahrung und dem Wissenstand der Richter der Wahrheitsfindung dienlichen und auch formgerecht angebotenen Beweise zu entscheiden, ob das vom Tatopfer später geborene Kind durch den Beischlaf mit dem Angeklagten oder bei einem Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann - etwa dem vom Angeklagten wiederholt genannten Onkel des unmündigen Mädchens (S 9, 27, 31, 43, 205 d, 248) - gezeugt wurde. Der Angeklagte gab zwar zu, an der Unmündigen den außerehelichen Beischlaf unternommen zu haben, bestritt aber den Beischlaf vollzogen und (daher) in einer Weise gehandelt zu haben, die eine Schwangerschaft bewirken konnte (S 247, 248).
Da ungeachtet der den Angeklagten belastenden und die Zeugung des Kindes durch einen anderen Mann ausschließenden Angaben der Marianne S*** (S 31, 249) die Einholung des beantragten Gutachtens ein für die Beurteilung der Richtigkeit oder der Unrichtigkeit der (die besondere Tatfolge, nämlich Schwängerung des Opfers leugnenden) Verantwortung des Beschwerdeführers brauchbares Ergebnis zeitigen könnte, bewirkte die Abweisung des mehrfach erwähnten Beweisantrages somit Nichtigkeit im Sinn des § 345 Abs. 1 Z 5 StPO.
Dieser Verfahrensmangel betrifft - wie
dargelegt - ausschließlich die für die Annahme der strafsatzbestimmenden Qualifikation nach dem § 206 Abs. 2 StGB allerdings maßgebende, im Rahmen der Beantwortung der Hauptfrage I durch eine (allfällige) Beschränkung im Sinn des § 330 Abs. 2 StPO zu beurteilende Tatfolge, ob die Tat eine Schwangerschaft der unmündigen Person zur Folge hatte, während der Wahrspruch zum Grundtatbestand des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 StGB ebenso unberührt bleibt wie die Beantwortung der Hauptfragen II und III. Nach der das Prinzip der "Konservierung des gesunden Teils des Wahrspruchs der Geschwornen" normierenden Bestimmung des § 349 Abs. 2 StPO (siehe hiezu SSt 47/11 und die dort zitierte Judikatur und Literatur) konnte sich der Oberste Gerichtshof daher damit beschränken, den Wahrspruch und das darauf beruhende Urteil nur soweit aufzuheben (und eine Verfahrenserneuerung anzuordnen), als sie von dem aufgezeigten Nichtigkeitsgrund betroffen sind, wogegen die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs der neuen Entscheidung (mit-)zugrunde zu legen sein werden.
In diesem eingeschränkten Ausmaß war daher der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Anmerkung
E07572European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0110OS00207.85.0218.000Dokumentnummer
JJT_19860218_OGH0002_0110OS00207_8500000_000