Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Christa W***, Liegenschaftsbesitzerin, 7423 Grafenschachen 187, vertreten durch Dr. Hans Günther Medwed, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Herta R***, Weinkellerarbeiterin, 8044 Graz, Mariatrosterstraße 213, vertreten durch Dr. Franz Wiesner und Dr. Gertrud Wiesner, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 57.641,08 s.A. und Räumung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 17. Oktober 1985, GZ 3 R 306/85-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 30. Juni 1985, GZ 6 C 447/84-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 4.597,35 (darin S 1.200,-- Barauslagen und S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit 1984 Alleineigentümerin einer Liegenschaft in Graz mit dem Hause Mariatrosterstraße 213. Voreigentümerin war Maria K***, welche das Haus 1976 erworben hatte. Die Beklagte ist auf Grund des Mietvertrages vom 1.8.1972 Hauptmieterin einer im ersten Stock des Hauses gelegenen Wohnung. Bei Zulässigkeit einer freien Vereinbarung zwischen den Streitteilen über die Höhe des Hauptmietzinses würde sich für die Beklagte in der Zeit von Juli 1982 bis Oktober 1984 ein Mietzinsrückstand von S 57.641,08 ergeben; der Mietzins wäre auch angemessen. Bei Einstufung der Wohnung der Beklagten in die Mietzinskategorie D würde für diesen Zeitraum kein Mietzinsrückstand bestehen.
Die Klägerin begehrte mit der Behauptung, sie habe infolge Säumigkeit der Beklagten mit der Bezahlung des vereinbarten Mietzinses den Mietvertrag zur Auflösung gebracht, die Verurteilung der Beklagten zur Räumung des Bestandobjektes und zur Zahlung des rückständigen Mietzinses von S 57.641,08 samt Anhang. Eine freie Mietzinsvereinbarung sei gemäß § 1 Abs4 Z 2 MRG zulässig gewesen, da das Haus im Jahre 1902/1903 als Einfamilienhaus errichtet, durch Jahrzehnte hindurch nur von den Hauseigentümern benutzt worden sei und nicht mehr als zwei selbständige Wohnungen aufweise. Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, daß in diesem Haus "seit eh und je" drei selbständige Wohnungen vorhanden gewesen seien und es sei auch bis vor einigen Jahren von "drei Parteien" benützt worden. Auch stünden der Beklagten Gegenforderungen aus der Einschränkung der Wohnmöglichkeiten und aus der Rückforderung der unzulässigen Mietzinsbeträge zu, welche geltend gemacht würden, aber nicht konkretisiert wurden. Das Erstgericht wies das Räumungs- und Zahlungsbegehren ab. Es stellte über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch fest:
Beim gegenständlichen Haus handelt es sich um eine Altbauvilla, welche offenbar um die Jahrhundertwende erbaut wurde. Es ist nicht zu eruieren, wann hiefür eine Bau- bzw. Benützungsbewilligung erteilt wurde. Im Zeitpunkt des Erwerbes des Hauses durch die Voreigentümerin der Klägerin (August 1976) waren drei Wohnungen vorhanden, wie sie auch im Zeitpunkt des Ortsaugenscheines noch zu sehen waren; eine bewohnte die Beklagte, im Dachboden wohnte Anton D*** als Mieter und die dritte Wohnung im Tiefparterre stand leer. Seit Jahrzehnten bestanden schon immer mindestens drei Wohnungen in diesem Haus, die alle immer von ebensovielen Mietern bewohnt wurden. Im Dachgeschoß war ehemals eine durch Jahrzehnte bewohnte "eigene" Wohnung vorhanden. Derzeit befindet sich das Dachgeschoß des Hauses im Umbau. Eine abgeschlossene Wohnung wird von einer Mieterin namens K*** bewohnt. Die Wohnung der Beklagten besteht aus Vorraum, einer Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer. Zum Bestandobjekt der Beklagten gehört noch ein weiteres Zimmer, welches getrennt zugänglich ist. Im Stiegenhaus, also außerhalb der Wohnung der Beklagten, befindet sich das WC zur Wohnung der Beklagten. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß der Klägerin der ihr obliegende Beweis, wonach das gegenständliche Haus ein solches im Sinne des § 1 Abs4 Z 2 MRG sei, nicht gelungen sei. Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich, daß das Haus zumindest seit Jahrzehnten schon jedenfalls über mehr als zwei selbständige Wohnungen verfügte, wobei sich keinerlei Anhaltspunkte dafür fanden, daß ein nachträglicher Dachgeschoßausbau stattgefunden habe. Mittlerweile - jedenfalls also auch zum Zeitpunkt der Anmietung durch die Beklagte - lasse sich von einem Wohnhaus mit mehr als zwei selbständigen Wohnungen sprechen und stelle dies keine Ausnahme im Sinne des § 1 Abs4 Z 2 MRG dar. Für den fraglichen Zeitraum bestehe daher kein Mietzinsrückstand, weshalb das Klagebegehren abzuweisen gewesen sei.
Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteigt und daß die Revision zulässig sei. Es traf auf Grund einer teilweisen Beweiswiederholung folgende ergänzenden Feststellungen:
Die Liegenschaft Graz, Mariatrosterstraße 213, wurde 1917 von Heinrich und Helene G*** käuflich erworben. Im Zeitpunkt des Ankaufes handelte es sich um ein Einfamilienwohnhaus, das nur aus einer Wohnung bestand. Im übrigen übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte im Ergebnis auch dessen rechtliche Beurteilung. Es führte aus, die Beurteilung als Ein- oder Zweifamilienhaus im Sinne des § 1 Abs4 Z 2 MRG setze voraus, daß es a) (im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses) nur Wohnzwecken diente und b) im Zeitpunkt der Errichtung (laut Baubewilligung) höchstens zwei selbständige Wohnungen waren; der nachträgliche Dachgeschoßausbau sei bedeutungslos; die Teilung oder Neuerrichtung von Objekten stehe hingegen der Annahme entgegen. Im vorliegenden Fall sei wohl mangels entgegenstehender Behauptungen und Beweisergebnisse davon auszugehen, daß das Wohnhaus im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nur Wohnzwecken diente. Für die zweite Voraussetzung, wonach für die Beurteilung des Ausnahmetatbestandes der Zeitpunkt der Errichtung maßgeblich sei, lägen jedoch keine Grundlagen vor. Da es sich um eine Ausnahme von der zu vermutenden vollen Anwendbarkeit des MRG handelt, sei diese von der Partei, die sich darauf berufe, zu behaupten und zu beweisen. Die Klägerin habe hiezu zwar Behauptungen aufgestellt, jedoch sei ihr der Beweis für die Tatsache, daß im Wohnhaus im Zeitpunkt der Errichtung höchstens zwei selbständige Wohnungen vorhanden waren, nicht gelungen. Auch die Tatsache, daß es sich im Jahre 1917 um ein Einfamilienhaus handelte, welches nur aus einer Wohnung bestand, besage noch nicht, daß es auch im Zeitpunkt der Errichtung so gewesen sei.
Die Ausnahmeregelung des § 1 Abs4 Z 2 MRG hinsichtlich der freien Mietzinsbildung komme hier demnach nicht zum Tragen, weshalb das Erstgericht, da die Wohnung der Beklagten im Zeitpunkt der Vermietung infolge ihres Ausstattungszustandes (kein Klosett im Inneren) der Mietzinskategorie D zu unterstellen war und für diesen Fall unbestritten kein Mietzinsrückstand besteht, das Klagebegehren zu Recht abgewiesen habe.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs4 Z 1 ZPO), aber nicht berechtigt.
Die Klägerin führt in ihrem Rechtsmittel aus, im vorliegenden Fall handle es sich um ein Einfamilienhaus und demnach nur um eine "selbständige Wohnung" im Sinne des § 1 Abs4 Z 2 MRG, zumal das Haus nur über ein WC verfüge. Eine Wohnung ohne Klosett im Inneren sei nicht als "selbständige Wohnung" im Sinne des § 1 Abs4 Z 2 MRG zu beurteilen. § 44 MRG komme nicht zur Anwendung, da in dem Hause nicht mehr als zwei selbständige Wohnungen vorhanden seien, sondern vielmehr nur eine selbständige Wohnung, unabhängig davon, daß zeitweise Teile des Einfamilienhauses an mehrere Mieter vergeben waren.
Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Im vorliegenden Fall kommt der Frage entscheidende Bedeutung zu, ob auf das Haus der Klägerin die Bestimmung des § 1 Abs4 Z 2 MRG zur Anwendung komme. Nach dieser Vorschrift gelten die §§ 14, 29 bis 36, 45, 46 und 49, nicht jedoch die übrigen Bestimmungen des I. und II. Hauptstückes des Mietrechtsgesetzes für Wohnungen in einem Wohnhaus mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen, wobei Wohnräume, die nachträglich durch einen Ausbau des Dachbodens neu geschaffen wurden oder werden, nicht zählen. Unter einem Zweifamilienhaus im Sinne der genannten Gesetzesstelle ist - wenn man von dem hier nicht in Betracht kommenden nachträglichen Dachbodenausbau absieht - ein Wohnhaus mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen zu verstehen (JBl. 1985, 238). Der Begriff der (selbständigen) Wohnung wird im Mietrechtsgesetz ebensowenig definiert wie früher im Mietengesetz; es ist vielmehr bei der Begriffsbestimmung - wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 5 Ob 73/85 unter Berufung auf Bernat in Korinek-Krejci, Handbuch zum MRG 104, Eckharter-Hauswirth-Meinhart-Rollwagen, Die Nutzfläche im Wohnrecht 44 f. mwN und MietSlg. 34.370/7 ausgesprochen hat - auf den allgemeinen Sprachgebrauch, auf die Verkehrsauffassung sowie auf die Bauvorschriften abzustellen. Danach ist unter einer Wohnung ein selbständiger und in sich baulich abgeschlossener Teil eines Gebäudes zu verstehen, der geeignet ist, der Befriedigung des individuellen Wohnbedürfnisses von Menschen zu dienen (5 Ob 76, 77/85 u.a.). Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes waren im Zeitpunkt des Erwerbes des Hauses durch die Voreigentümerin der Klägerin (August 1976) drei in sich baulich abgeschlossene Wohnungen vorhanden, von welchen eine die Beklagte und die Wohnung im Dachboden Anton D*** als Mieter benützten, während die Wohnung im Tiefparterre leerstand. Dieser Zustand war trotz des Umbaues des Dachgeschoßes im Zeitpunkt des Ortsaugenscheines (17.12.1984) zu erkennen und bestand seit Jahrzehnten. Daß die Wohnungen über kein Klosett im Inneren, sondern nur über ein gemeinsames Klosett, das sich außerhalb der Wohnungen befindet, verfügten, läßt entgegen der Auffassung der Revision ihre Beurteilung als nur eine selbständige Wohnung nicht zu, sondern begründet lediglich ihre Einordnung in die Ausstattungskategorie D im Sinne des § 16 Abs2 Z 4 MRG (vgl.JBl. 1985, 238 ua.). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ist jedoch das Tatbestandsmerkmal des Vorhandenseins von nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen gemäß § 1 Abs4 Z 2 MRG nicht auf den Zeitpunkt der Errichtung des Hauses zu beziehen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seinen Entscheidungen 5 Ob 58/85 und 5 Ob 74/85 ausgesprochen hat, ist für die eingeschränkte Geltung des Mietrechtsgesetzes nach § 1 Abs4 Z 2 MRG der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Mietrechtsgesetzes (1.1.1982) maßgebend, wenn das Mietverhältnis damals schon bestanden hat, spätere Umbauten sind nur insoweit von Belang, als durch Verringerung der Zahl der selbständigen Wohnungen nicht eine Schlechterstellung des Mieters bewirkt werden kann. In diesem Zeitpunkt waren aber, wie sich aus den Feststellungen ergibt, mehr als zwei selbständige Wohnungen in dem gegenständlichen Wohnhaus vorhanden, sodaß die Ausnahmsregelung des § 1 Abs4 Z 2 MRG hinsichtlich der freien Mietzinsvereinbarung nicht zur Anwendung kommt. Da die Wohnung der Beklagten im Zeitpunkt der Vermietung nach den Feststellungen (kein Klosett im Inneren der Wohnung) in die Ausstattungskategorie D einzureihen war und unbestritten ist, daß für diesen Fall kein Mietzinsrückstand besteht, wurde die Abweisung des Klagebegehrens durch das Erstgericht im Ergebnis zutreffend vom Berufungsgericht bestätigt. Der Anregung der Klägerin auf Veranlassung der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit bzw. der Übereinstimmung der Bestimmung des § 44 Abs2 und 3 MRG mit der MRK insbesondere deren Art.1 des ersten Zusatzprotokolles, zu folgen, sieht sich das Revisionsgericht im Hinblick auf die in den E.MietSlg.36.543(25) = EvBl1984/124 sowie ImmZ 1985,174 dargelegten Erwägungen nicht veranlaßt. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E07610European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00673.85.0218.000Dokumentnummer
JJT_19860218_OGH0002_0020OB00673_8500000_000