Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter W***, Römergasse 23, 5020 Salzburg, vertreten durch den Sachwalter Johann W***, Pächter, Haitzingerallee 11, 5630 Bad Hofgastein, dieser vertreten durch Dr. Ernst Blanke, Rechtsanwalt in Hallein, wider die beklagten Parteien 1.) Alexander O***, Offizier,
Kugelhofstraße 18, 5020 Salzburg, 2.) C*** Versicherungs-AG, Börsegasse 14, 1013 Wien, beide vertreten durch Dr. Georg Hetz, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 625.303,90 s.A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22. November 1985, GZ 4 R 285/85-32, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Teilzwischenurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 19.August 1985, GZ 10 Cg 366/83-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung als Teilzwischenurteil zu lauten hat:
"Die Forderungen des Klägers für Kleiderschäden und Verdienstentgang bestehen dem Grunde nach zu Recht, sein (nur im Ausmaß von drei Vierteln geltend gemachtes) Schmerzengeldbegehren insoweit, als der Kläger nur Anspruch auf zwei Drittel des für seine Schädelverletzungen an sich gebührenden Schmerzengeldes hat. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten."
Text
Entscheidungsgründe:
Am 26.3.1982 ereignete sich bei Dunkelheit in der Griesgasse in Salzburg ein Verkehrsunfall. Bei dieser Straße handelt es sich um eine Einbahnstraße, die Fahrbahn ist 9,7 m breit und in drei Fahrstreifen geteilt. Der rechte Fahrstreifen ist als Taxi- und Busspur gekennzeichnet, die beiden anderen je 3,2 m breiten, durch eine Leitlinie voneinander getrennten Fahrstreifen dienen dem allgemeinen Verkehr. Auf dem linken Fahrstreifen fuhr ein Straßenwaschfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h. Der Erstbeklagte benützte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW den mittleren Fahrstreifen und hielt eine Geschwindigkeit von rund 40 km/h ein. Unmittelbar nach dem Passieren des Straßenwaschfahrzeuges wechselte er auf den linken Fahrstreifen. Gleichzeitig mit dem Beginn dieses Manövers oder kurzfristig (maximal 0,5 Sekunden) vorher betätigte er den linken Blinker. Bernhard B*** fuhr mit seinem Motorrad, auf dessen Soziussitz der Kläger mitfuhr, mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h zunächst auf dem linken Fahrstreifen und lenkte dann auf den mittleren Fahrstreifen, um das Straßenwaschfahrzeug links zu überholen. Als der vor ihm befindliche Erstbeklagte damit begann, auf den linken Fahrstreifen zu lenken, bestand zwischen Motorrad und PKW ein Tiefenabstand von 9 Metern. Bernhard B*** betätigte den linken Blinker, setzte unmittelbar nach dem Passieren des Straßenwaschfahrzeuges zum Überholen des PKW an und beschleunigte auf rund 75 km/h. Bernhard B*** überholte derart, daß er das Motorrad knapp am Heck des PKW links vorbeiführte. Durch dieses Überholmanöver und den Fahrstreifenwechsel des Erstbeklagten kam es zu einer Kollision, bei der Bernhard B*** zu Sturz kam. Dabei erlitt der Kläger, der keinen Sturzhelm trug, schwerste Schädelverletzungen. Der Erstbeklagte nahm das Motorrad vor der Kollision nicht wahr. Hätte er vor Beginn des Fahrstreifenwechsels den Nachfolgeverkehr beobachtet, wäre es ihm möglich gewesen, das Motorrad zu bemerken, ebenso dessen größere Geschwindigkeit. Der Kläger macht Schadenersatzansprüche von S 625.303,90 (Schmerzengeld, Verdienstentgang, Kleiderschäden, Fahrtauslagen und Mehrbedarf) geltend. Außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren. Bei seiner Schmerzengeldforderung berücksichtigte der Kläger ein Mitverschulden von einem Viertel, weil er keinen Sturzhelm benützt hatte.
Die Beklagten führten aus, den Erstbeklagten treffe an diesem Verkehrsunfall kein Verschulden, es habe sich für ihn um ein unabwendbares Ereignis gehandelt. Den Kläger treffe wegen Verletzung der Sturzhelmpflicht ein weit größeres Mitverschulden. Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein und sprach mit Zwischenurteil aus, daß die Forderung des Klägers zur Gänze zu Recht bestehe. Es führte aus, der Erstbeklagte habe gegen § 11 Abs1 und 2 StVO verstoßen, weil er den Nachfolgeverkehr nicht beobachtet und den Blinker nicht rechtzeitig betätigt habe. Das Mitverschulden des strafgerichtlich verurteilten Bernhard B*** habe außer Betracht zu bleiben, weil der Kläger gemäß § 8 EKHG seine Ersatzansprüche gegen jeden am Unfall Beteiligten erheben könne. Auf Grund der schweren Verletzungen sei dem Kläger jedenfalls ein Schaden entstanden, so daß es möglich sei, mit Zwischenurteil über den Grund des Anspruches zu entscheiden. Das den Kläger treffende Mitverschulden infolge Nichtverwendung eines Sturzhelmes werde bei der Ermittlung der Höhe der Ansprüche zu berücksichtigen sein.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es teilte die Ansicht des Erstgerichtes, daß der Erstbeklagte gegen § 11 Abs1 und 2 StVO verstoßen habe. Hinsichtlich des Schmerzengeldanspruches sei vom Kläger bei Berechnung seiner Ansprüche bereits ein Mitverschulden von einem Viertel in Anschlag gebracht worden. Dieses Mitverschulden sei vom Erstgericht offensichtlich als zutreffend angesehen worden, was in der Berufung auch nicht mehr bekämpft werde.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß das Klagebegehren abgewiesen werde, in eventu, daß es nur zu einem Viertel zu Recht bestehe. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Den Revisionsausführungen, den Erstbeklagten treffe kein Verschulden am Unfall, kann nicht gefolgt werden. Die Ansicht, wegen der Dunkelheit und der durch das Straßenwaschfahrzeug hervorgerufenen Fahrbahnnässe habe es sich bei der vom Erstbeklagten eingehaltenen Geschwindigkeit von 40 km/h um die höchstzulässige Geschwindigkeit gehandelt, weshalb der Erstbeklagte nicht habe damit rechnen müssen, überholt zu werden, ist schon deshalb verfehlt, weil nach ständiger Rechtsprechung der Vertrauensgrundsatz einen Verkehrsteilnehmer nicht von der Pflicht enthebt, die allgemeinen, unabhängig vom Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer geltenden Verkehrsregeln einzuhalten (ZVR 1980/90 uva.). Die in der Revision angeführten Entscheidungen vermögen die von den Beklagten vertretene Ansicht in keiner Weise zu stützen. In ZVR 1968/61 wurde ausgeführt, den Kläger treffe jedenfalls ein Verschulden, das Ausmaß hänge aber unter anderem davon ab, ob der überholende Beklagte die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten habe. In ZVR 1970/167 wurde die Notwendigkeit, sich eines Einweisers zu bedienen, verneint, wenn die Sicht ausreicht, um die mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit fahrenden Fahrzeuge wahrzunehmen. In ZVR 1977/187 nahm der Fahrzeuglenker, der mit überhöhter Geschwindigkeit überholt wurde, keinen Fahrstreifenwechsel vor. Daß ein Fahrzeuglenker, der mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fährt, beim Fahrstreifenwechsel den Nachfolgeverkehr nicht beachten und den Blinker nicht betätigen muß, hat der Oberste Gerichtshof nie ausgesprochen, dies würde auch der ständigen Rechtsprechung über die Bedeutung des Vertrauensgrundsatzes widersprechen.
Zu erörtern ist jedoch, ob der Umstand, daß der Fahrstreifenwechsel unmittelbar nach dem Straßenwaschfahrzeug vorgenommen wurde, eine Beobachtung des Nachfolgeverkehrs und eine rechtzeitige Blinkerbetätigung entbehrlich machte. Diese Frage könnte höchstens dann bejaht werden, wenn der Fahrstreifenwechsel so knapp nach dem Straßenwaschfahrzeug und auf eine solche Weise durchgeführt worden wäre, daß es technisch unmöglich gewesen wäre, daß ein Fahrzeug, das nach dem PKW am mittleren Fahrstreifen das Straßenwaschfahrzeug rechts überholt, noch vor Beendigung des Fahrstreifenwechsels durch den PKW zum Links-Überholen ansetzt. Wie sich aus dem Unfallsgeschehen ergibt, war es im vorliegenden Fall aber doch möglich, daß ein nachkommendes Fahrzeug vor Beendigung des Fahrstreifenwechsels durch den Erstbeklagten einen Überholvorgang einleitet. Zutreffend lasteten die Vorinstanzen daher dem Erstbeklagten an, daß er vor dem Fahrstreifenwechsel den Nachfolgeverkehr nicht beobachtete und daß er erst gleichzeitig mit dem Linkslenken oder unmittelbar davor - somit nicht rechtzeitig - den Blinker betätigte. Aus diesen Gründen trifft den Erstbeklagten ein Verschulden am Unfall, weshalb der Kläger unabhängig vom Verschulden des Motorradlenkers von ihm Schadenersatz verlangen kann und zwar mit Ausnahme des Schmerzengeldes in voller Höhe.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruches, wenn sich der Klagsanspruch aus mehreren verschiedenartigen Anspruchsteilen zusammensetzt, voraus, daß hinsichtlich jeden Anspruches wenigstens ein teilweiser Erfolg der Klage gewährleistet ist. Fehlen derartige Feststellungen, dann liegt ein im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmender Feststellungsmangel vor (SZ 52/73; 2 Ob 18/83 ua.) Im vorliegenden Fall steht der Kleiderschaden außer Streit, auf Grund der besonders schweren Schädelverletzungen kann auch davon ausgegangen werden, daß Ansprüche an Schmerzengeld und Verdienstentgang berechtigt sind, obwohl diesbezügliche Feststellungen fehlen. Hinsichtlich der übrigen Ansprüche (Fahrtauslagen und Mehrbedarf) fehlt jedoch bisher jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß derartige Forderungen zumindest in einem gewissen Ausmaß bestehen, weshalb diese Teilansprüche von der Entscheidung über den Grund des Anspruches ausgenommen werden mußten.
Hinsichtlich des Schmerzengeldbegehrens ist folgendes zu erwägen:
Der Kläger hat ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Sturzhelmes im Ausmaß von einem Viertel angenommen, die Beklagten vertreten hingegen die Ansicht, das Mitverschulden des Klägers sei weit größer. Im Ersturteil findet sich nichts über das Ausmaß des Mitverschuldens des Klägers. Die Ausführungen des Erstgerichtes, das Mitverschulden werde bei "der höhenmäßigen Ermittlung der klägerischen Ansprüche zu berücksichtigen sein", können - im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichtes - nur dahin verstanden werden, daß über das Ausmaß dieses Mitverschuldens erst im Endurteil abgesprochen werden soll. Dies ist jedoch unzulässig. Bereits im Zwischenurteil muß darüber entschieden werden, ob das Schmerzengeld dem Grunde nach im begehrten Ausmaß von drei Vierteln zusteht oder wegen eines höheren Mitverschuldens nur zu einem geringeren Bruchteil. Dies hat offensichtlich auch das Berufungsgericht erkannt. Wie oben ausgeführt, kann aber die Ansicht, das Erstgericht habe offensichtlich ein Mitverschulden von einem Viertel als zutreffend angesehen, nicht geteilt werden. Den Ausführungen des Berufungsgerichtes, die Beklagten hätten diese Mitverschuldensquote in der Berufung nicht mehr bekämpft, ist entgegenzuhalten, daß einerseits die Rüge einer vom Erstgericht angenommenen Mitverschuldensquote gar nicht möglich gewesen wäre, weil das Erstgericht die Frage des Mitverschuldens offen ließ und andererseits auf die Höhe des Mitverschuldens im Rahmen der allseitig vorzunehmenden rechtlichen Beurteilung vom Rechtsmittelgericht eingegangen werden muß. Der Umstand, daß die Berufung keine Ausführungen über die Mitverschuldensquote enthielt, steht der Behandlung dieses Problems im Revisionsverfahren daher nicht entgegen.
Bei Beurteilung des Ausmaßes des Mitverschuldens des Klägers ist folgendes wesentlich:
Nach Art.IV der vierten KfG-Novelle trifft den Kläger, der keinen Sturzhelm trug, hinsichtlich des Schmerzengeldanspruches ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB. Die Höhe der Mitverschuldensquote hängt - ebenso wie bei der Verletzung der Gurtenanlegungspflicht (vgl. ZVR 1979/97, 1985/139 uva.) - von den Umständen des Einzelfalles ab (8 Ob 159/83). Die Mitverschuldensquote ist von der Schwere der Zurechnungsmomente beim Schädiger und beim Geschädigten abhängig (ZVR 1982/26). Im vorliegenden Fall nimmt der Geschädigte in zwei gesonderten Verfahren zwei Schädiger in Anspruch, nämlich die Lenker der beiden am Unfall beteiligten Fahrzeuge. Das Verschulden des Klägers ist zwar gegenüber beiden Schädigern das gleiche, trotzdem kann die Mitverschuldensquote verschieden sein, je nach der Schwere des Verschuldens des Fahrzeuglenkers. Das Verschulden des Erstbeklagten ist deshalb nicht sehr hoch zu bewerten, weil er den Fahrstreifenwechsel unmittelbar nach Überholen des Straßenwaschfahrzeuges vornahm und daher die Wahrscheinlichkeit, daß er durch sein Fahrmanöver nachfolgende Verkehrsteilnehmer gefährden werde, nicht sehr groß war. Im Hinblick auf dieses relativ geringfügige Verschulden des Erstbeklagten ist die Mitverschuldensquote des Klägers mit mehr als einem Viertel anzunehmen und zwar auf Grund der besonderen Umstände dieses Falles mit einem Drittel. Die Annahme einer noch höheren Mitverschuldensquote wäre deshalb nicht berechtigt, weil nach ständiger Rechtsprechung der Gesetzgeber Verstöße gegen die Gurtenanlegungspflicht bzw. die Pflicht, einen Sturzhelm zu verwenden, als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt ansieht (vgl. ZVR 1979/97 uva.).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Es sei noch darauf hingewiesen, daß das Urteil des Erstgerichtes nur das Leistungsbegehren betrifft, zumal beim Feststellungsbegehren ein Ausspruch, es bestehe dem Grunde nach zu Recht, nicht in Frage kommt. Daher bezieht sich auch die Revisionsentscheidung nur auf das Leistungsbegehren.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E07620European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00007.86.0218.000Dokumentnummer
JJT_19860218_OGH0002_0020OB00007_8600000_000